Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Vierzehntes Kapitel.

Die Verschwörung.

Im vornehmsten Teil der Shaftesbury Avenue gibt es gemütliche und elegante Wohnungen, in denen sich ein reicher Junggeselle durchaus wohlfühlen kann. Es dürfte schwierig sein, einen Winkel in London zu finden, der für einen Lebemann päßlicher liegt. Hier befindet man sich in unmittelbarer Nähe der größten Theater. Die vornehmsten Klubs, die elegantesten Läden sind von hier aus in ebenso kurzer Zeit zu erreichen wie Restaurants, die selbst einem Lukullus nichts zu wünschen übriggelassen hätten. Für einen Menschen, der das Leben liebte, war hier in jeder Beziehung das Paradies.

Armand de Garnier liebte das Leben sehr, und obwohl er die Gabe hatte, einen Sonnenuntergang in den Bergen zu bewundern oder sich an dem Anblick eines Gänseblümchens am Wege zu ergötzen, war seine Freude doch nie vollkommen, bevor er nicht das Pflaster der Großstadt unter seinen Füßen fühlte. Er hatte mehr Weltstädte kennengelernt, aber London war seit Jahren seine Heimat, und er hatte sich in einem ruhigen Hause der Shaftesbury Avenue ein behagliches Heim eingerichtet, das er ebenso liebte, wie er stolz darauf war. Er hatte sich hier mit allem nur erdenklichen Luxus umgeben, und die Freunde, die ihn besuchten, mußten anerkennen, daß Armand de Garnier ein Meister des Geschmacks war.

Seine Wohnung und seine Person wurden durch das Muster eines Kammerdieners betreut, einen wortkargen, unbestechlichen Mann namens Meunier.

Dieser Mann öffnete eines Morgens die Korridortür, weil es geschellt hatte, und befand sich Hilda Tressingham gegenüber. Es war für einen Besucher nicht leicht, Garnier des Morgens zu sprechen. Aber Meunier wußte, daß diese Dame zu jeder Zeit vorgelassen wurde. Und Hilda trat ein, als wäre es ihre eigene Wohnung.

»Ist Mr. de Garnier schon aufgestanden?« fragte sie nachlässig.

»Mein Herr wird das Ankleidezimmer in wenigen Minuten verlassen, gnädige Frau«, erwiderte der Mann gemessen. »Ich werde ihm melden, daß Sie da sind.«

Er öffnete die Tür des Wohnzimmers und nötigte sie hinein. Einen Augenblick später hörte sie Garniers Stimme im Nebenraum, und ehe sie noch Platz nehmen konnte, trat er ein. Frisch, rosig lächelnd stand er vor ihr wie ein Mann, der an nichts im Leben zu denken hat, denn an seine Vergnügungen.

»Treten Sie hier ein«, sagte er, »ich muß noch Kaffee trinken. Vielleicht darf ich Ihnen auch eine Tasse anbieten?«

Hilda folgte ihm in das Nebenzimmer und ließ sich in einen Klubsessel nieder.

»Nein«, antwortete sie. »Aber Sie können mir durch Meunier ein Glas Sekt geben lassen.«

Garnier sah sie an. Sie gab den Blick fest zurück, und er zuckte die Achseln.

»Meinetwegen«, sagte er. »Immer noch besser wie Whisky mit Soda. Melden sich Ihre Nerven schon wieder?«

»Meine Nerven sind in Ordnung, und ich habe um neun gefrühstückt. Jetzt aber ist es zwölf. Ich habe mit Ihnen zu reden.«

Garnier beobachtete sie schweigend, während er ein Brötchen aß. Sie trank ein Glas Sekt aus der Flasche, die Meunier für sie geöffnet hatte, und goß sich ein zweites ein.

»Ich will mich nicht dem Trunk ergeben, Armand«, sagte sie auf seinen erstaunten Blick hin. »Und, wie Sie wissen, pflege ich sonst zwischen den Mahlzeiten nichts zu trinken. Aber ich habe heute morgen schon eine Menge getan, und da brauche ich eine Stärkung. Nun zur Sache.«

»Ja, worum handelt es sich?«

»Das ist doch klar. Die Sache mit Ellington. Armand, ich glaube, ich schaffe es mit ihm nicht.«

Garnier, der gerade im Begriffe war, eine Zigarette anzuzünden, ließ mit einem erstaunten Ausruf das Streichholz fallen.

»Was? Sie? Sie?«

»Gerade ich. Weil ich meine Fähigkeiten kenne, muß ich sagen, daß ich bei diesem Mann nichts ausrichte. Er ist nicht der, für den ich ihn anfänglich hielt.«

Garnier antwortete nicht sofort. Er blies kleine Rauchwolken vor sich hin und beobachtete sie. Und da er keine Anstalten machte, zu sprechen, fuhr Hilda fort:

»Tatsache ist, daß ich einem solchen Männertyp noch nie begegnet bin. Über seine Gefühle bin ich mir durchaus im klaren. Er ist bis zu einem gewissen Grade bezaubert, er ist gern bei mir, fühlt sich durch den Vorzug meiner Gesellschaft geschmeichelt. Diese bürgerlichen Snobs sind ja froh, wenn sie mit der Aristokratie in Berührung kommen. George Ellingtons Hochmut wächst noch um verschiedene Zoll, wenn er im Park mit der Schwester von Lord Hartsdale gesehen wird. Aber –«

Sie brach ab und lachte leise, aber Garnier spürte hinter dem Lachen den Ärger.

»Nun«, sagte er, »was gibt es für ein ›Aber‹?«

»Aber er hat Furcht vor mir, und infolgedessen ist er mißtrauisch.«

»Mißtrauisch?«

»Nicht so, wie Sie es auffassen. Ich kann es Ihnen nur schwer erklären. Er argwöhnt nicht, daß ich ihm etwas nehmen könnte. Aber Argwohn ist in ihm und wird ihn immer bis zu einem gewissen Grade von mir fernhalten. Ohne daß er es merkt, hat er ein erhebliches Stück von dem puritanischen Vater an sich. Das schützt ihn vor mir.«

Garnier nickte. Dann stand er auf und ging nachdenklich hin und her.

»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte er endlich. »Sie sind sehr klug, Hilda, und es ist nicht anzunehmen, daß Sie sich irren könnten. Aber was wird aus unserem Vorhaben? Es ist von äußerster Wichtigkeit, wir müssen das Dokument haben. Und der einfachste Weg ist, es von ihm und durch Sie zu bekommen.«

Er schwieg und sah sie forschend an. Da sie nicht antwortete, fuhr er fort:

»Man könnte zu dem Geld, den fünftausend Pfund, noch etwas zulegen, wenn –«

Sie machte eine ungeduldige Bewegung.

»Darum handelt es sich nicht. Ich sehe einfach keine Möglichkeit.«

»Sie geben es also auf?«

»Nein, es gibt noch einen anderen Weg.«

»Ah! Und der wäre?«

Hilda flüsterte:

»Die Frau.«

Garnier staunte.

»Die Frau! Seine Frau?«

»Seine Frau, natürlich.«

»Sehen Sie hier eine Chance?«

»Eine bessere, eine viel bessere.«

»Und wie?«

Hilda zündete eine Zigarette an.

»Wenn ich eine solche Gewalt über sie bekäme, daß sie blindlings täte, was ich von ihr verlangte, was dann?«

»Prächtig, prächtig!«

»Könnte ich genau erfahren, wenn er das Dokument hat?«

»Ganz genau.«

»Auf den Tag?«

»Sogar auf die Stunde.«

»Dann dürfte es nicht schwer für mich sein, es wenigstens für kurze Zeit in die Finger zu bekommen.«

»Schön. Aber sagen Sie mir, was ist das für eine Frau?«

»Für unsere Zwecke hervorragend. In der Provinz aufgewachsen mit einem glühenden Verlangen, das Leben kennenzulernen. Sie möchte Abenteuer erleben, natürlich harmlose.«

»Sie sind die geeignete Person, ihr dabei zu helfen. Aber wie?«

»Durch den Amaranthklub.«

»Aber Gäste dürfen nicht mitgebracht werden, Sie kennen die Statuten.«

»Barthelemy hat sie gemacht, er kann sie durchbrechen.«

»Freilich«, sagte er nachdenklich.

»Ich sehe die Gelegenheit noch nicht, aber der Amaranthklub wird sie bringen. Armand, drei Köpfe sinnen mehr aus als zwei. Läute Barthelemy an, wir wollen uns mit ihm zum Lunch treffen.«

Garnier stand auf und ging ans Telephon.

 


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