Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Einunddreißigstes Kapitel.

Jeder ist sich selbst der Nächste.

Als George Ellington von jener Unterredung mit dem Minister heimkehrte, fand er seinen Vater, Letty und Marcia im Wohnzimmer versammelt. Marcia war offensichtlich im höchsten Grade entrüstet, und sie wandte sich dem Bruder mit einem Wutausbruch zu, der in schroffem Gegensatz zu ihrer vielgerühmten stoischen Ruhe stand.

»Also du hältst mich fähig dazu, mich zum anonymen Briefschreiber zu erniedrigen, George Ellington«, rief sie. »Du bist gemein genug, mich bei meinem eigenen Vater anzuklagen. Schäme dich. Daß du es überhaupt noch wagst, mir ins Gesicht zu sehen!«

Aber George wagte es.

»Marcia, vergiß nicht, wie oft du mir meine Besuche bei Frau Tressingham vorgehalten hast. Denk an dein Benehmen letztens in Ashminster. Und dann warst du der einzige Mensch, der um die nächtliche Begebenheit in meinem Arbeitszimmer wußte. So –«

»Du irrst, ich war nicht der einzige Mensch.«

»Nein? Wer denn sonst noch?«

Marcia lachte.

»Sie selbst. Wärst du nicht so ein Schafskopf, dann müßtest du längst wissen, wer die anonymen Briefe geschrieben hat.«

George war verblüfft.

»Du glaubst doch nicht –«

»Ich glaube, sie hat die Briefe selbst geschrieben. Und sie hat es auch getan.«

»Aber warum, warum?«

»Ihre Beweggründe kenne ich nicht, jedenfalls werden sie ebenso niederträchtig sein, wie sie selbst. Und da du mich meinem Vater gegenüber beschuldigt hast, so erkläre ich in seiner Gegenwart, daß ich mit den Briefen nichts zu tun habe, und daß deine Behauptung eine Unverschämtheit ist. Gott sei Dank bin ich nicht in einer so schmutzigen Schule der Politik erzogen, wie du, wo Lügen und Verdrehungen als Künste gelten.«

Rasch ging sie auf die Tür zu, und vergebens wollte George ihr die Hand zur Versöhnung reichen.

»Sei vernünftig, Marcia, du wirst doch nicht ohne Mittagessen –«

»Ich bleibe nicht zum Essen«, rief sie entrüstet. »Ich verstehe überhaupt nicht, wie ihr ans Essen denken könnt.«

Und sie ging und schmetterte die Tür hinter sich zu. Geknickt wandte George sich an seinen Vater.

»Du weißt, Vater«, begann er.

Der alte Ellington nickte.

»Laß sie gehen, es hat keinen Zweck, mit erzürnten Weibern zu verhandeln. Wie steht es mit deinem Abschiedsgesuch?«

»Der Premierminister will es nicht annehmen.«

Der Vater griff nach der Zeitung.

»Und wozu diese Belohnung?«

»Er hält das für einen klugen Schachzug.«

Als Vater und Sohn nach dem Essen bei ihrem bescheidenen Glas Wein saßen, näherte sich Jarvis ihnen mit diskretem Räuspern.

»Verzeihung, Herr«, wandte er sich an George, »dürfte ich Sie vielleicht einen Augenblick in dringender Angelegenheit sprechen?«

»In dringender Angelegenheit?« fragte Ellington erstaunt.

Jarvis faltete ein Zeitungsblatt auseinander und deutete auf die Bekanntmachung der Regierung.

»In dieser Angelegenheit, Herr«, sagte er.

George sprang auf.

»Sie wollen doch nicht sagen, Jarvis, daß Sie davon etwas wissen?«

»Ich denke, ich kann Angaben machen. Unter bestimmten Bedingungen, Herr.«

»Wir gehen am besten auf mein Zimmer. Melden Sie sich dort in fünf Minuten, Jarvis.«

Fünf Minuten später trat Jarvis ein und brachte Fräulein Parminter mit sich.

»Wir stehen zur Verfügung, Herr. Auch Fräulein Parminter hat etwas zu sagen.«

»Lieber Himmel, alle beide«, rief George. »Beide wissen Sie etwas davon?«

»Beide können wir etwas sagen«, meldete sich die Zofe. »Aber nur unter bestimmten Bedingungen.«

George sah ratlos seinen Vater an. Dieser nickte ihm zu.

»Schön, Jarvis. Worum handelt es sich?«

»Ich bitte um Verzeihung, Herr. Ehe wir sprechen, müssen Sie unsere Bedingungen anerkennen.«

»Bedingungen«, rief George ärgerlich. »Was für Bedingungen?«

»Erst müssen wir die Zusicherung haben, daß uns nichts geschehen kann, wenn wir sprechen. Und dann wegen der Belohnung. Wenn ich andeuten dürfte –«

»Deuten Sie an, zum Kuckuck. Reden Sie endlich!«

»Wenn Sie es uns schriftlich geben wollten, daß Sie die Angaben, die wir Ihnen machen, nicht zu unserem Schaden ausnutzen wollen und daß Sie uns helfen werden, die Belohnung zu bekommen, würde das genügen. Sonst –«

»Sonst sagen wir nichts«, fiel Susanne ein.

George sah den Vater an, und dieser nickte ihm zu.

»Schreib' etwas Derartiges«, sagte er.

George setzte sich an seinen Schreibtisch, und nach vielem Nachdenken verfaßte er ein Schriftstück, das den Beifall der beiden fand. Jarvis und die Zofe bekamen je ein Exemplar.

»Danke«, sagte Jarvis. »Ich denke, Fräulein Parminter erzählt zuerst.«

Schweigend hörten die beiden Ellingtons Susannes Bericht. Sie sprach die ungeschminkte Wahrheit.

»Und Sie nahmen das Geld?« fragte George ärgerlich.

»Natürlich nahm ich es. Arme Leute wie wir müssen für unser Fortkommen sorgen. Und wie konnte ich ahnen, daß eine Dame wie Frau Tressingham stehlen würde. Außerdem wußte ich, daß alle Schmucksachen wohl verwahrt waren und daß Mr. Jarvis das Silber eingeschlossen hatte.«

»Und was haben Sie zu erzählen, Jarvis?«

»Ich wußte natürlich, wann Frau Tressingham kommen würde. Als ich sie eintreten hörte, sah ich durch mein Fenster. An der Straßenecke stand ein großer Mann, der wie ein Offizier in Zivil aussah. Sein Gesicht konnte ich natürlich nicht deutlich erkennen. Nach ein paar Minuten wurde ein Fenster Ihres Zimmers geöffnet. Sofort näherte sich der Mann, und ein Päckchen wurde ihm gereicht. Er ging schnell damit fort. Nach etwa einer Stunde kam er wieder und gab das Päckchen zum Fenster hinein.«

»Sie paßten die ganze Zeit hindurch auf?«

»Während der ganzen Zeit, Herr. Dann kamen Sie herunter, ich konnte es hören, denn ich hatte meine Tür ein wenig offen gelassen, um meine Beobachtungen machen zu können. Weiter habe ich nichts zu sagen, Herr.«

George blickte auf seine Dienstboten, als könne er sie nicht recht verstehen.

»Sie sehen hoffentlich ein, daß ich Sie beide auf der Stelle herauswerfen müßte?«

Jarvis schwenkte sein Papier.

»Sie haben uns Ihr Wort gegeben, Herr«, bemerkte er.

»Richtig. Vorläufig soll das gelten.«

An der Tür wandte sich Susanne noch einmal um.

»Sie werden uns natürlich behilflich sein, daß wir die Belohnung bekommen, Herr?«

Mit einer Handbewegung scheuchte George die beiden hinaus. Dann wandte er sich an seinen Vater.

»Ich halte es für das beste, diese köstliche Geschichte sofort dem Chef zu erzählen. Willst du mitkommen?«

 


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