Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Zweites Kapitel.

Geheimnisvolle Aufträge.

Kaum war der Chauffeur davongefahren, als die Dame sich mit der hastigen Frage an ihren Begleiter wandte:

»Armand, wie sind Sie nur auf den Gedanken gekommen, diesen Ort als Treffpunkt zu wählen?«

»Aus guten Gründen, meine Beste«, erwiderte der Herr. »Zunächst wußte ich, daß Sie zur Zeit bei Ihrem Bruder waren, und daß sein Landsitz nur zwanzig Kilometer von hier entfernt ist. Zweitens wußte ich von der Existenz dieses Gasthauses. Drittens war mir bekannt, daß wir um diese Jahreszeit hier ungestört sein würden. So wählte ich diesen Ort. Und nun lade ich Sie zum Lunch ein.«

»Zu einem Butterbrot vermute ich«, sagte die Dame, als sie durch das Gartentor ging.

»Vielleicht auch noch zu etwas anderem«, sagte er. »Doch ich will nicht vorgreifen.«

Er geleitete sie in ein kleines, behagliches Zimmer und wies auf einen Tisch, auf dem von tadellosem Leinen Silbergeschirr funkelte.

»Ich sehe«, lachte sie, »Sie haben fouragiert. Ich hätte es mir denken können, daß Armand de Garnier auch in der gottverlassensten Kneipe noch etwas Eßbares auftreiben würde. Es riecht wahrhaftig appetitlich, und ich sehe Flaschen mit langen Hälsen.«

Garnier lachte, ließ sich in einen Sessel fallen und sah sein Gegenüber prüfend und bewundernd an. In der Tat war Hilda Tressingham eine bezaubernde Frau. Groß und schlank, gehörte sie zu den Vertreterinnen ihres Geschlechts, die zu Fuß wie zu Pferde eine gleich gute Figur machen. Ihr braunes Haar zeigte einen goldigen Schimmer. Ihre Augen waren von derselben Farbe. Hinter den vollen, roten Lippen blitzten weiße Zähne. Sie sah so frisch und anziehend aus, wie man sich eine Frau Ende der Zwanziger nur vorstellen kann, und sie lächelte, als sie Garniers Blick auffing.

»Sie sehen ausgezeichnet aus«, bemerkte er plötzlich. »Was haben Sie in der Zwischenzeit getan?«

»Gedöst«, erwiderte sie. »Was kann man dort anders tun? Hartsdale hat wie gewöhnlich kein Geld, so ist nichts los. Niemand besucht uns, wir rühren uns nicht aus dem Haus. Wir essen unseren Hammelbraten, den die Pächter liefern, unsere Kartoffeln aus dem Gemüsegarten und starren einander über den Tisch hin an. Armand, ich bin das alles herzlich satt.«

»Ich denke, das hat nun ein Ende«, sagte Garnier. »Ich habe etwas für Sie, das Geld und London bedeutet. Was sagen Sie dazu?«

»Sie meinen – Arbeit?«

»Natürlich. Und dazu eine einfache Sache – wenigstens für Sie. Darum bin ich hierhergefahren. Aber da kommt unser ländliches Mahl.«

Hoskins kam in dem Bestreben, etwas über die geheimnisvolle Persönlichkeit seines Gastes zu erfahren, nicht um einen Schritt weiter. Sie sprachen über gleichgültige Dinge, und nichts deutete an, daß sie mehr waren als gut bekannt miteinander. Und als die Mahlzeit beendet war, warf Garnier des Wirtes Ansicht wegen des Liebespaares jäh über den Haufen.

»Mir ist vorhin Ihr schöner Rasen mit den schattigen Zedernbäumen aufgefallen«, sagte er. »Lassen Sie bitte dort einen Tisch und Stühle aufstellen, wir wollen unseren Kaffee draußen trinken.«

»Ich habe das so arrangiert«, sagte Garnier später zu seiner Begleiterin, »weil man in einem Hause nie sicher vor dem Belauschtwerden ist.«

»Sehr richtig. Handelt es sich um ein Geheimnis oder um eine vertrauliche geschäftliche Information?«

»Um beides. Fangen wir also an. Ihres Bruders Schloß liegt dicht bei Ashminster?«

»Fünf Kilometer entfernt.«

»Sie kennen also die Stadt und die Menschen?«

»Die Stadt wohl. Aber die Menschen? Hartsdale kennt vermutlich manche von ihnen, und sie ihn erst recht, weil er Schulden bei ihnen hat.«

»Kennen Sie das Parlamentsmitglied für Ashminster, Mr. George Ellington?«

»Nein, wenigstens nur dem Namen nach. Seine Verwandten sind dort Fabrikanten. Reiche Leute.«

»Tatsächlich? Erzählen Sie mir näheres von ihnen.«

»Sie sind Fabrikanten, wie ich schon bemerkte. Der junge Ellington soll von vornherein für eine politische Laufbahn erzogen worden sein. Gymnasium, Cambridge, dann eine Universität in Deutschland. Man hat ehrgeizige Pläne mit ihm. Der Einfluß und das Geld der Familie verschaffte ihm sein Mandat.«

»Richtig. Teilweise ist ihr Ehrgeiz befriedigt. Haben Sie heute die Morgenzeitungen gelesen?«

»Nur flüchtig.«

»Ellington ist zum Unterstaatssekretär im Marineamt ernannt worden, ich hörte es schon gestern. Soviel ich weiß, ist das noch kein besonders wichtiger Posten in der englischen Regierung. Immerhin hat mich die Nachricht von seiner Ernennung dazu bewogen, an Sie zu schreiben. Es ist bei Ihnen Sitte, daß Abgeordnete, die in ein Regierungsamt berufen werden, ihr Mandat niederlegen müssen, nicht wahr?«

»Meines Wissens ja.«

»Infolgedessen kandidieren sie aufs neue. So wird es also auch in Ashminster eine Ersatzwahl geben. Mr. George Ellington muß noch einmal gewählt werden.«

»Und?«

»Wie man mir gesagt hat, ist er nur mit knapper Mehrheit gewählt worden. Deshalb wird er Widerstand finden. Es wird einen scharfen Wahlkampf geben.«

»Und?«

»Sie müssen sich daran beteiligen.«

»Ich? Warum denn?«

»Klar. Sie sollen die Bekanntschaft Ellingtons pflegen. Das wird sich machen lassen. Ich habe bereits erfahren, daß Ihr Bruder derselben Partei angehört.«

»Ich glaube kaum, daß Hartsdale zwei Penny Wert auf irgendeine Partei legt.«

»Aber offiziell gehört er zu Ellingtons Partei. Und das ist ein Glück.«

»Ein Glück?«

»Natürlich. Sie sind gerade in Hartsdale Park, bei Ihrem Bruder, der zu den Stützen der gegenwärtigen Regierung gehört, haben nichts zu tun. Da findet eine Wahl statt. Was liegt näher, als daß Lord Hartsdales Schwester den Kandidaten der Regierungspartei unterstützt. Das trifft sich alles prächtig.«

»Meinen Sie? Und was soll ich dabei tun? Ich habe keine Ahnung, wie man Parlamentskandidaten unterstützt.«

»Das ist einfach. Für Sie ein Kinderspiel. Sie werden sich bei den Wahlversammlungen zeigen. Sie werden sich mit ihm bekanntmachen, ihm Ihre Hilfe anbieten. Sie werden sehr nett sein und sich ihn zu Dank verpflichten.«

»Und – warum?«

»Weil ich Interesse daran habe, daß Sie mit dem Unterstaatssekretär im Marineamt befreundet sind.«

Hilda Tressingham gab keine Antwort, aber sie sah Garnier an und nickte.

»Sie sind also über meine Absichten im klaren«, fuhr er fort. »Nun noch eines, ist der junge Politiker verheiratet?«

»Soviel ich weiß, ja. Mit irgendeiner Kusine oder dergleichen. Ich erinnere mich jetzt, ich habe sie beide auf einer Blumenausstellung gesehen.«

»Konnten Sie sich bei der Gelegenheit ein Urteil über die beiden bilden?«

»Er macht den Eindruck eines eitlen, selbstgefälligen, etwas anmaßenden Menschen. Die Frau ist farblos, scheint aber gesellschaftlichen Ehrgeiz zu besitzen.«

»Glänzend, glänzend. Die Götter sind mit uns im Bunde, Hilda. Bekümmern Sie sich um diese Leute, zeigen Sie großes Interesse an seiner Politik. Machen Sie sich nützlich bei seiner Wahl. Lassen Sie sich einladen, veranlassen Sie Hartsdale, die beiden in sein Haus zu ziehen.«

»Um ihnen kaltes Hammelfleisch vorzusetzen«, versetzte sie spöttisch.

»Meinetwegen Käsebrot. Sie werden kommen. Poussieren Sie die Frau. Fordern Sie den Mann auf, Sie nach der Wahl in London zu besuchen. Er wird kommen – allein.«

»So soll ich nach der Wahl nach London zurückkehren?«

»Sofort. Von dort aus muß weiter gehandelt werden. Mischen Sie zunächst einmal Ihre Karten tüchtig während der Wahl. Dann werden wir sehen.«

Dann schwiegen beide. Der Mann rauchte und blickte nach den Zweigen über seinem Haupt. Die Frau dachte angestrengt nach. Dann sah sie ihren Begleiter an.

»Ich habe die Rolle, die ich spielen soll, so ziemlich begriffen. Verlassen Sie sich auf mich, bis –«

»Bis ich Ihnen weitere Instruktionen gebe«, sagte Garnier. »Nun kommen wir zu der Geldfrage.«

»Ja«, antwortete sie ein wenig hastig. »Ich kann nicht nach London, ehe ich mit Bernstein glatt bin. Das wissen Sie selbst.«

Garnier legte die Zigarre fort, griff in die Brusttasche und nahm ein Papier heraus.

»Hier ist Ihr Schuldschein an Bernstein«, sagte er. »Sehen Sie ihn sich an.«

Sie macht eine Bewegung, als wollte sie ihm das Papier aus der Hand reißen.

Lächelnd zog Garnier es zurück.

»Es gehört mir, Hilda«, sagte er.

»So haben Sie ihn bezahlt«, murmelte sie. »Dann hat es doch keinen Zweck –«

»Daß Sie sich weiter beunruhigen«, unterbrach er sie, indem er das Papier wieder einsteckte. »Sie können also Ihre hübsche Wohnung in Mayfair wieder aufsuchen, sobald die Wahl vorüber ist. Aber auch bares Geld ist nützlich und notwendig. Ich habe welches für Sie in meiner Brieftasche. Aber dazu sind wir hier etwas zu sehr in der Öffentlichkeit. Wir wollen einen Spaziergang in das entzückende Wäldchen dort machen. Kommen Sie.«

 


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