Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel.

Die Abrechnung.

Anfang August ging das Parlament in die Ferien. George und Letty Ellington suchten die Heide von Yorkshire auf, wo Vater und Sohn eine kleine Jagd gepachtet hatten. Dort besuchte sie Hilda Tressingham für eine Woche.

Von jener Nacht im Amaranthklub hatten sie kaum mehr gesprochen. Hilda hatte nur gelegentlich halb im Scherz darauf angespielt, und Letty hatte ihrem Mann nichts davon erzählt, zumal sie davon überzeugt war, daß niemand im Klub ihr Erscheinen aufgefallen war. So hatte sie die ganze Episode fast vergessen, vergessen auch, daß jemand ein Papier von ihr besaß, auf das sie ihren Namen geschrieben, nachdem sie sich mit einem amüsanten, eben aus Paris eingeführten Spiel unterhalten hatten. Und Hilda Tressingham erinnerte sie einstweilen nicht daran. Einen Tag, bevor das Parlament wieder zu tagen begann, kehrte Hilda nach London zurück. Alsbald wurde sie von Garnier angeläutet, der sie bat, sofort nach der Shaftesbury Avenue zu kommen. Sie fand ihn und seinen unerschütterlichen Meunier beim Kofferauspacken.

»Ich bin eben erst von Homburg zurück«, sagte Garnier. »Kommen Sie in mein Arbeitszimmer, ich muß Sie sofort sprechen.«

»Was gibt es denn?« fragte sie, nachdem sie sich gesetzt hatte.

»Die Zeit ist gekommen, oder wird wenigstens in wenigen Tagen kommen. Sie können also der kleinen Frau die Daumenschrauben ansetzen. Sie haben doch noch nichts unternommen?«

»Nichts, wie es abgemacht war.«

»Gut. Jetzt aber muß es geschehen. Ist sie in London?«

»Sie kommt morgen. Überlassen Sie alles mir. Ich muß nur genau wissen, was Sie haben wollen.«

»Freilich. Ich will Ihnen alles auseinandersetzen. Natürlich ist das alles theoretische Berechnung. Irgendeine Kleinigkeit mag nicht stimmen. Gerade das, was wir brauchen, könnte nicht da sein.«

»Und dann –«

»Und dann können Sie eben nichts daran ändern Hören Sie zu. Unsere Information stammt aus dem Marineministerium selbst. Freitag abend wird ein bestimmtes Memorandum in Maschinenschrift fünf oder sechs Mitgliedern der Admiralität, unter denen sich zweifellos auch Ellington befinden wird, in versiegelten Umschlägen ausgehändigt werden. Wir können hier nur die Wahrscheinlichkeitsrechnung anwenden. Danach wird Ellington das Schriftstück vermutlich in seine Depeschentasche tun. Diese Tasche müssen wir für eine Stunde, unter Umständen auch nur für eine halbe Stunde, haben. Sie bekommen Sie unversehrt wieder zurück. Aber wie gedenken Sie die Tasche zu bekommen?«

»Indem ich Letty zwinge, sie mir auszuliefern«, erwiderte Hilda. »Das macht mir wenig Kopfzerbrechen. Wichtiger ist die Frage, Armand, wie kann ich Ihnen oder Ihrem Beauftragten die Mappe ausliefern?«

»Auch das ist – theoretisch – alles berechnet. Gegen Mitternacht wird Ellington wie gewöhnlich aus dem Parlament nach Hause kommen. Wir kennen alle seine Gewohnheiten. Er wird die Tasche in seinem Arbeitszimmer lassen und eine Stunde später zu Bett gehen. Um ein Uhr bin ich an der Hausecke. Sie geben mir die Tasche und erhalten sie um zwei zurück. Das ist alles.«

»Gut ausgedacht. Wenn ich sie nur erst in Händen hätte.«

»Das ist Ihre Sache«, sagte er gleichgültig. »Sie wissen, daß fünftausend Pfund auf dem Spiel stehen.«

Hilda sagte nichts und ging zur Tür.

»Das Papier muß sehr wichtig sein«, begann sie plötzlich.

Garnier nickte.

»Freilich. Mehr als wichtig. Sehen wir uns noch, ehe der Feldzug beginnt?«

Hilda nickte und ging. Sie dachte an einen wichtigen Posten in der Rechnung, den sie Garnier gegenüber nicht erwähnt hatte. Das war die Tatsache, daß die junge Frau Ellington, einfältig und harmlos wie ein Lamm unter Wölfen, keine Vorstellung von dem hatte, was in jener Nacht bei Barthelemy vor sich gegangen war. Sie hatte das kleine Spiel als Scherz aufgefaßt, und Hilda hatte nichts getan, sie aufzuklären. Wie würde sie die Enthüllung aufnehmen?

Nachmittags ging sie nach der Curzonstraße, immer noch über ihren Plänen brütend. Sie wußte, daß Letty, wie George, über einen Starrkopf verfügte, dem nicht leicht beizukommen war. Und sie hatte keine Lust, durch Gewaltmaßnahmen eine Freundschaft aufs Spiel zu setzen, die ihr für die Zukunft noch nützlich und wertvoll sein konnte. Immerhin mußte sie handeln, wenn sie ans Ziel kommen wollte.

»Ich traf Garnier heute morgen«, bemerkte sie beiläufig, als sie mit Letty zusammensaß.

»Ja?« sagte Letty ohne besonderes Interesse.

»Er war auf dem Kontinent, in Homburg, zur Kur. Natürlich hat er dabei all sein bares Geld ausgegeben.«

Garniers Geldverhältnisse schienen Letty völlig gleichgültig zu sein.

»Oh«, sagte sie, um etwas zu erwidern.

»Und er deutete mir an, daß es Zeit wäre, wenn wir unsere kleinen Schulden an ihn bezahlten«, fuhr Hilda fort, indem sie die andere scharf ansah. »Das hätten wir eigentlich schon längst tun müssen.«

Letty schien schwer von Begriff. Bis zu jener Nacht bei Barthelemy hatte sie nie im Leben gespielt als mit Marken, das Dutzend zu einem Penny.

»Das kann für ihn doch nichts ausmachen«, bemerkte sie.

»Ich denke doch«, erwiderte Hilda kühl. »Ich habe zweihundert verloren, und Sie noch mehr.«

»Zweihundert – was?« rief Letty aus.

»Pfund natürlich. Ich habe ihn heute morgen bezahlt. Hier ist der Schuldschein, den ich ihm damals gab. Sehen Sie zu, daß auch Sie Ihren zurückbekommen. Es ist nicht gut, wenn Männer etwas Handschriftliches von uns haben.«

Mit zitternden Fingern nahm Letty den Schein. Ihre Wangen waren ganz blaß geworden, und ein roter Fleck brannte darauf.

»Pfund«, rief sie, »Pfund! Sie haben zweihundert verloren, und ich noch viel mehr, sagen Sie?«

»Viel mehr«, bestätigte Hilda kaltblütig. »Ich warnte Sie, aber Sie wollten ja nicht hören.«

Letty riß sich zusammen.

»Es hieß, wir spielten um Sixpencestücke«, sagte sie förmlich.

Hilda lachte.

»Als wenn jemand um Sixpence oder halbe Kronen spielte! Garnier bekommt fünfhundert von Ihnen.«

Letty starrte schweigend vor sich hin. Die roten Flecken vertieften sich.

»Ich werde George alles erzählen«, sagte sie.

»Sie wären verrückt, wenn Sie das täten«, erwiderte Hilda scharf. »Das gäbe nur einen riesigen Skandal. Soll es bekannt werden, daß die Frau von George Ellington im Amaranthklub war und dort mit fremden Männern am Spieltisch gesessen hat?«

»Sie haben mich mitgenommen.«

»Ganz recht, um Ihnen einen Gefallen zu tun. Sie verlangten nach einer amüsanten Unterhaltung. Die haben Sie gehabt, und nun müssen Sie dafür bezahlen. Ich habe es getan, obwohl ich arm bin. Sie sind reich.«

»Ich bin reich, aber ich kann nicht von einem Tag zum anderen fünfhundert Pfund bares Geld schaffen«, sagte Letty störrisch. »Und ich denke gar nicht daran. Ich mag dumm sein, aber ich weiß, was Geld wert ist. Ich wiederhole, wir haben um Sixpencestücke gespielt.«

Hilda schüttelte ungeduldig den Kopf.

»Das war ein Witz von Barthelemy. Als wenn Männer wie diese um Sixpence spielten«, sagte sie mit verächtlichem Nasenrümpfen.

»Dann hätten Sie mich nicht mit ihnen bekannt machen sollen«, erwiderte Letty fest. »Auf alle Fälle spreche ich mit George. Mag er böse sein, er wird mir glauben.«

»Da würden Sie etwas Schönes anrichten«, rief Hilda. Sie wurde ärgerlich und starrsinnig, denn sie merkte, daß sie aufs ganze gehen mußte, wenn sie ihre Taube überhaupt rupfen wollte. »Lieber Himmel, Ellington würde als Beamter der Regierung unmöglich werden.«

»Wieso?« fragte Letty. »Weil er für seine Frau eintritt?«

Hilda stand auf.

»Sie können nicht leugnen, daß Sie den Schuldschein unterschrieben haben.«

»Nein. Aber ich bestreite, Mr. Garnier fünfhundert Pfund zu schulden. Leute, die ihr Geld durch Arbeit verdient haben, pflegen es nicht fortzuwerfen. Ich spreche mit George, er kann die Sache mit Mr. Garnier erledigen. Er wird schon wissen, was zu tun ist.«

Hilda war erstaunt über diese unerwartete Entschlossenheit. Sie blickte Letty an, als habe sie die kleine Frau zum erstenmal gesehen.

»Ach so. Als Gentleman wird Mr. Garnier unter diesen Umständen den Schein natürlich zerreißen. Es war nur eine Ehrenschuld.«

»Schulden, die ich nie gemacht habe«, bemerkte Letty ruhig.

Im Bewußtsein, eine Niederlage erlitten zu haben, ging Hilda fort. In Wirklichkeit hatte sie die junge Frau nicht richtig eingeschätzt. Sie stammte durch Generationen von Leuten ab, die Geld zusammengescharrt hatten. So lag es nicht in ihrer Art, fünfhundert Pfund einfach hinzulegen, ohne von der Notwendigkeit dazu überzeugt zu sein. Und sie verstand mehr von der Rechnung eines Lieferanten als von dem, was Hilda eine Ehrenschuld nannte.

Etwas mußte indessen geschehen, und zwar schleunigst. Auf alle Fälle mußte Letty bewogen werden, ihrem Mann gegenüber zu schweigen. So ging Hilda nach einer Stunde noch einmal zu dem Haus ihres Bruders. Da sie Letty wieder allein antraf, reichte sie ihr ein zusammengefaltetes Stück Papier.

»Hier ist Ihr Schuldschein«, sagte sie. »Unter diesen Umständen gibt Mr. Garnier Ihnen denselben natürlich zurück. Damit ist die Angelegenheit erledigt.«

»Noch nicht ganz«, erwiderte Letty. Auch sie brachte ein Blättchen Papier hervor.

»Ich schulde Mr. Garnier fünfhundert Sixpencestücke. Das sind zwölf Pfund zehn Schilling. Hier ist ein Scheck darüber, zahlbar an den Überbringer. Da Sie den Schuldschein hatten, nehmen Sie vielleicht freundlichst auch das Geld an sich.«

Hilda sah die junge Frau sonderbar an und verließ das Zimmer und das Haus. Sie sah ein, daß Sie bei dieser Abrechnung schlecht abgeschnitten hatte.

 


 << zurück weiter >>