Joseph Smith Fletcher
Der Amaranthklub
Joseph Smith Fletcher

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Fünftes Kapitel.

Bruder und Schwester.

Hilda Tressingham empfand, als die junge Frau Ellington ihr so überantwortet wurde, das Gefühl eines Raubvogels, dem ein Kaninchen oder eine Taube in die Fänge geraten ist. Sie war sich nie zu erhaben vorgekommen, gelegentlich auf Bedientenklatsch in Hartsdale Park zu hören, und so kannte sie Lettys Geschichte. Sie war Waise, Vater Ellingtons Mündel, und reich. Es war immer abgemachte Sache gewesen, daß sie George Ellington heiraten würde, und dementsprechend war sie in Brighton und Paris erzogen worden. Von den Kinderschuhen an war sie gewohnt, in George den hübschesten und klügsten Vertreter des männlichen Geschlechtes zu sehen, und so verehrte sie ihn in ihrer Art. Sie glaubte allen Grund zu haben, zufrieden zu sein.

Und dennoch hatte sie eine geheime Ursache des Mißvergnügens. Die Ellingtons, Vater und Sohn, waren nicht dazu zu bewegen, sich ein Haus in London anzuschaffen. Während der zehn Jahre, wo Ellington senior Ashminster im Unterhaus vertrat, hatte er eine bescheidene Wohnung in Queen Annes Mansions gemietet, und dort hauste er zur Zeit der Tagungen von Montag bis Freitag. Dann fuhr er zum Wochenende nach Hause. George Ellington war dem Beispiel seines Vaters gefolgt. Das schien ihm klug und praktisch zu sein.

Aber Letty war im Herzen damit nicht einverstanden. Sie las von der vornehmen Welt in den Zeitungen, und sie wünschte, wenigstens während der Saison in London zu leben. Und ehe Hilda ein größeres Stück mit ihr gegangen war, hatte sie ihr dieses Geheimnis entlockt und zeigte mitfühlendes Verständnis.

»Aber wo jetzt Mr. Ellington bei der Regierung ist, werden Sie sich natürlich ein Stadthaus zulegen«, rief sie. »Das ist unbedingt erforderlich. Ich werde Ihnen eins suchen. Wenn Sie ein möbliertes Haus wünschen, Hartsdale hat sein Stadthaus am Curzonplatz, das er nie benutzt, er würde es gern vermieten.«

Letty fand das entzückend, wenn nur George sich überzeugen ließe. Und Hilda versprach, bei passender Gelegenheit mit George zu sprechen.

Als sie nach Hartsdale Park heimkehrte, beschäftigte sie sich mit Gedanken, die sich ebenso auf eigene Pläne wie auf die Armand de Garniers bezogen.

Nach der parvenühaften Neuheit des Ellingtonschen Hauses erschien ihr das Schloß doppelt grau und düster. Seine großen, zumeist unbenutzten Räume kamen ihr wie Gewölbe vor, in denen die Geister der Vergangenheit hausten. Ein Hauch von glänzendem Elend lag über dem Ganzen. Die Vorliebe ganzer Generationen für Pferde, Hunde, Karten und Wein hatten den Verfall gebracht, und das gegenwärtige Haupt der Familie sah keinen Weg zum Aufstieg. Hatte der Lord auch zunächst versucht, das sinkende Schiff zu retten, so hatte er die Hoffnung schon aufgegeben, ehe er das dreißigste Jahr erreichte. So lebte er wie ein Einsiedler in einem Flügel des alten Hauses. Zwei Zimmer und ebensoviel Bediente genügten ihm. Er besaß eine Flinte und einen Hund, eine Angelrute und die ererbte Bibliothek. Dazu noch das Reitpferd und seine Pfeife, mehr brauchte er nicht. Den Besuch seiner Schwester hatte er gleichgültig entgegengenommen, da er wohl wußte, daß sie sich nur nach Hartsdale Park zurückgezogen hatte, weil ihr in London der Boden aus irgendeinem Grunde zu heiß geworden war. Er änderte seine Lebensweise um ihretwillen nicht.

Hilda fand ihren Bruder in einem Zimmer, das er in eine Art von Mönchszelle verwandelt hatte. Es enthielt nur die notwendigsten Dinge und seine Lieblingsbücher. In einem abgetragenen Anzug stand er an einem Tischchen und mischte sich seine Soda mit Whisky. Auf dem großen Tisch lag das Gewehr, das er soeben gereinigt hatte. Seine Hände waren schwarz vom Öl. Hilda dachte, daß er sich kaum von einem seiner Landarbeiter unterschiede. Er brummte etwas Unverständliches, als sie ihn begrüßte und sich setzte.

»Gib mir auch zu trinken, Hartsdale«, sagte sie, »ich bin total erschöpft. Reich mir dein Glas und misch dir ein anderes.«

Schweigend schob er ihr das Gewünschte hin und sah zu, wie sie in durstigen Zügen trank.

»Jetzt ist mir besser«, bemerkte sie. »Du ahnst nicht, was ich getan habe. Ich sammelte Stimmen für George Ellington.«

Überrascht sah er sie an.

»Kennst du ihn denn?« fragte er.

»Seit heute morgen. Hast du gelesen, daß er ein Regierungsamt bekommen hat?«

»Und?«

»Ich wollte einmal versuchen, ob mir der Wahlrummel Spaß macht. So ging ich nach Ashminster und stellte mich zur Verfügung. Ich aß bei ihm und seiner Frau zusammen mit seinem unmöglichen Vater und einer noch unmöglicheren Schwester. Und ich denke, ich habe bei der Gelegenheit auch etwas für dich herausgeschlagen?«

»Für mich?«

»Friß mich nur nicht gleich. Nötig hast du, daß man etwas für dich tut. Es handelt sich um das Haus in der Curzonstraße. Du weißt, daß es leer steht, und du brauchst es nicht.«

»Und was hat das Haus damit zu tun?«

»Nachdem George Ellington das Amt bekommen hat, muß er natürlich auch ein Stadthaus haben. Überlaß ihm deins.«

Lord Hartsdale lachte ungläubig und begann mit einem Lappen an dem Lauf seiner Flinte zu reiben.

»Unsinn. Wer wird solch ein altes Mausoleum mieten. Ich weiß nicht, wann ich zum letztenmal dort war, aber ich besinne mich darauf, daß die Tapeten in Fetzen herunterhingen und die Teppiche zerrissen sind.«

»Das sind Nebensachen«, bemerkte Hilda ruhig. »Wenn ich die Ellingtons bewegen kann, das Haus zu mieten, ist es im Augenblick in Ordnung gebracht. Prachtvolle alte Stilmöbel sind im Überfluß darin. Es fehlt weiter nichts als neuer Anstrich, Tapeten und Teppiche.«

»Und wer soll das bezahlen?« brummte Seine Lordschaft. »Kein bares Geld und noch weniger Kredit.«

»Laß das meine Sorge sein und nimm Vernunft an, Hartsdale. Die Ellingtons haben Geld wie Heu, warum willst du dir nicht von ihnen ein paar Tausend jährlich Miete zahlen lassen, anstatt daß das Haus ganz und gar verkommt?«

»Ein paar Tausend! Du glaubst doch nicht, daß sie so verrückt sein werden, soviel dafür anzulegen?«

»Ich sag' es noch einmal, laß das meine Sorge sein. Es ist eins der besten Häuser in Mayfair, es muß nur renoviert werden. Für ein so großes Haus in dieser vornehmen Gegend sind zweitausend Pfund eine bescheidene Jahresmiete.«

Lord Hartsdale sah seine Schwester forschend an.

»Worum geht das Spiel?« fragte er.

»Spiel?« wiederholte sie mit erheuchelter Harmlosigkeit. »Wieso Spiel?«

»Verstell' dich nicht. Du hast etwas vor. Woher sonst das Interesse für diese Krämer?«

»Was kümmert dich das? Willst du das Haus vermieten oder nicht?«

»Natürlich. Zweitausend das Jahr! Dreh' es ihnen an, wenn du kannst.«

»Sehr gut. Dann werde ich sie zum Lunch einladen. Natürlich nicht die ganze Familie, nur George Ellington und seine Frau.«

Lord Hartsdale starrte seine Schwester verdutzt an.

»Lieber Himmel, Hilda, bist du ganz von Sinnen? Hierher willst du sie einladen?«

»Wohin denn sonst? Wir sind nicht in London.«

»Und wo willst du sie unterbringen? Zwischen den Spinngeweben im alten Speisesaal?« fragte er spöttisch. »Oder willst du sie im Freien speisen lassen unter schattigen Zedern?«

»Überlaß das mir und versuche nicht, witzig zu werden. Ich fange nichts an, was ich nicht auch fertigbringe.«

»Neugierig, wie du das anstellen wirst. Vor allen Dingen solltest du Mawsey einen neuen schwarzen Rock besorgen. Es müßten noch Livreen in den Schränken sein, falls sie nicht an die Bauern als Vogelscheuchen verkauft worden sind. Willst du mich dabei auch vorführen? Als Verkörperung der Unordnung in der Curzonstraße, als Hausgeist?«

»Wenn du dir die Hände waschen, den Bart kämmen und einen anderen Anzug anziehen würdest, wäre alles gut. Sei liebenswürdig zu den Leuten. Vergiß nicht, daß ich sie überreden will, das Haus für längere Zeit zu mieten. Bargeld dürfte dir sehr nützlich sein.«

»Wenn du das nur im geheimen abmachen könntest. Wenn meine Gläubiger erfahren, daß ich jährlich zweitausend Pfund bar auf den Tisch habe, fallen sie über mich her wie die Raben.«

»Ich will daran denken«, sagte Hilda. »Auch das wird sich machen lassen. Nun muß ich mit Mawsey wegen des Essens reden. Wie sieht's mit dem Weinkeller?«

»Trostlos genug. Ein paar Flaschen guten Rotwein, etwas von unserem berühmten Portwein, sehr viel Whisky. Nicht eine einzige Flasche Sekt.«

»Wird sich alles finden«, meinte sie und stand auf. »Was wolltest du noch sagen?«

»Ja«, sagte er langsam, »meinst du wirklich, daß du das Geschäft zustande bringst? Das Vermieten? Weiß Gott, wenn du das könntest, wenn du das könntest –«

Sie sah ihn fragend an, als er abbrach, und er verzog seltsam das Gesicht.

»Ich würde allerhand drum geben«, fuhr er fort. »Glaub' es mir, manchmal hört Armut auf, vornehm zu sein.«

 


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