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Dreiunddreissigstes Kapitel.

Fredegarius. Gesta regum Francorum. Kosmographien.

Eine solche Beobachtung drängt sich uns geradezu auf, wenn wir, nach Frankreich uns wendend, das schon früher verfasste historische Werk, welches seit dem Ende des 16. Jahrhunderts den Autornamen Fredegarius Fredegarii et aliorum chronica. Vitae sanctorum. Ed. Krusch. Hannover 1888 ( Monum. German. hist. Scriptor. rerum Merovingicar. Tom. II). (Prolegg.) – Die Chronik Fredegars und der Frankenkönige, die Lebensbeschreibungen des Abts Columban, der Bischöfe Arnulf und Leodegar, der Königin Balthilde übersetzt von Abel. Berlin 1849 (Theil der Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit). – – Brosien, Kritische Untersuchung der Quellen zur Geschichte des fränk. Königs Dagobert I. Göttingen 1868 (Dissert.). – Krusch, Die Chronicae des sogenannten Fredegar, im Neuen Archiv, Bd. 7, S. 247 ff. und 421 ff. – Wattenbach, a. a. O. S. 100 ff. trägt, betrachten. Ueber den Namen s. Monod in der Revue critique 1873, No. 42, p. 256 f. Dasselbe besteht nach den neuen Untersuchungen von Krusch aus vier Büchern Nicht aus fünf, wie man früher annahm, indem der Auszug aus der Weltchronik Isidors nur von einem Schreiber später als Buch hinzugefügt ist., von welchen das erste der Liber generationis des Hippolyt, das zweite ein Auszug aus den Weltchroniken des Hieronymus und Idacius, das dritte einer aus der Historia Francorum Gregors bis zum sechsten Buch incl. (der auch sonst abgesondert sich findenden sogenannten Historia epitomata desselben) ist, das vierte aber die Geschichte Gregors vom Ende des sechsten Buchs fortführt. Zwei Hauptverfasser lassen sich nach Krusch erkennen, von denen der erste die zwei ersten Bücher und das vierte bis zum c. 40 im Jahre 613, der zweite dagegen, den man als den eigentlichen Fredegar betrachten kann, im Jahre 643 das dritte Buch – das er mit manchen 607 eigenen Zusätzen versah, darunter auch den über die Herkunft der Franken von Troja Diese Sage findet sich auch bereits in dem Auszug aus Hieronymus im 2. Buch, c. 4 eingeschaltet; sie kehrt auch in den › Gesta regum Franc.‹ in anderer Gestalt wieder. S. darüber Zarncke, Ueber die Trojanersage der Franken in den Berichten der kön. sächs. Ges. der Wissensch. 1866, S. 257 ff. und Lüthgen, Die Quellen und der historische Werth der fränk. Trojanersage. Bonn (Diss.) 1875, und vgl. Krusch, Neues Archiv, Bd. 7, S. 473 f. und Sagen von den Langobarden (c. 65) – sowie das vierte Buch von c. 40 an bis auf seine Gegenwart verfasst hat, während er zugleich zu den beiden ersten Büchern einzelne Partien hinzufügte. So das Papstverzeichniss l. I, c. 25, sowie c. 26. Endlich hat noch ein dritter Autor ausser einigen zerstreuten Zusätzen ein paar Kapitel hinzugethan. Die beiden Hauptverfasser waren aus Burgund und haben burgundische Annalen benutzt, während der dritte Mitarbeiter aus Metz gewesen zu sein scheint. – Ausser dem Frankenreiche und insbesondere Burgund werden von andern Reichen vornehmlich das byzantinische und das langobardische noch berücksichtigt.

Wie das Werk als Ganzes eine blosse rohe Compilation, von historischer Kunst nichts zeigen kann, so haben sich auch seine Verfasser nicht über eine rein annalistische Verknüpfung der einzelnen von ihnen berichteten Thatsachen zu erheben vermocht. Der eine beklagt im Vorwort zum letzten Buche, wie Gregor, seine eigene und seiner Zeit Unwissenheit in bescheidenster Aufrichtigkeit, und in der That mit noch grösserem Recht, als dies Gregor gethan. Die Sprache des Werks S. über dieselbe Krusch im Neuen Archiv, Bd. 7, S. 486 ff. und in seiner Ausgabe p. 557 ff. den Index: Lexica. zeigt einen reissenden Verfall der gelehrten Kultur, und in einem Theile Galliens, der zu den romanisirtesten gehörte. Aber bemerkenswerth ist, wie zugleich das populäre Element der Geschichte, die aus mündlicher Ueberlieferung erwachsene Sage mehr in die Darstellung eindringt, vielleicht um so eher wo der Autor des gedrückten niedern Volkes in seiner Geschichte gegen die Grossen sich annimmt. Ein eigenthümlicher Zug dieser Fortsetzung des Werkes Gregors, welcher sie sogleich von ihm ganz wesentlich unterscheidet, besteht aber darin, dass sie vom rein politischen Standpunkt aus verfasst ist, was auch selbst in dem oben erwähnten Vorwort angezeigt wird, indem 608 dort nur von acta regum et bella gentium quae gesserunt als Gegenstand der Erzählung die Rede ist; Heiligen- und Wundergeschichten fehlen fast ganz. Endlich ist auch ein Streben nach chronologischer Genauigkeit zu rühmen. Die Fortsetzungen, welche der Fredegar fand, sind in der Ausgabe desselben von Krusch p. 168 ff. edirt; s. über dieselben Prolegg. p. 8 f. und Neues Archiv, Bd. 7, S. 495 ff.

Eine andere Fortsetzung, unabhängig von Fredegar, erhielt noch das Werk Gregors in dem folgenden Jahrhundert. Es sind die Gesta regum Francorum , deren Verfasser auch unbekannt geblieben. Unter dem Titel Liber historiae Francorum in Fredegars Ausgabe von Krusch p. 215 ff. – – S. über das Buch Krusch's Einleitung und vgl. die von Abel und Brosien oben S. 606, Anm. 1 citirten Bücher. Diese Chronik wurde im Jahre 727 geschrieben, und zwar in Neustrien, vielleicht in Rouen S. Krusch, p. 215 f., da der Autor nicht bloss dieses Reich ganz vorzugsweise berücksichtigt, sondern auch gegen Austrasien entschieden Partei nimmt. Die Gesta geben zunächst bis zum 35. Kapitel, wie das dritte Buch Fredegars, Auszüge aus den ersten sechs Büchern Gregors – denn der Verfasser kennt auch bloss diese –, aber viel dürftigere als Fredegar, doch auch mit sagenhaften Zusätzen verbunden. Vom Tode Chilperichs an (584), über dessen Ende hier eine romanhafte Sage sehr ausführlich erzählt wird, berichtet der Chronist selbständig und zwar wesentlich nach mündlicher Tradition Dass er indessen hier auch schriftliche Quellen benutzt hat, ergibt sich aus der von Krusch p. 217 aus c. 44 hervorgehobenen Stelle., daher ohne genauere chronologische Angaben, die er auch schon in seiner Epitome aus Gregor verschmäht, und in sehr lückenhafter Weise, die Sage mit der Geschichte vermengend. Er führt seine Chronik bis zur Thronbesteigung Theoderichs IV. Eine zweite Ausgabe von einem andern als dem Autor wurde noch bei Lebzeiten Theoderichs († 737) verfasst. Krusch gibt sie zur Seite des Textes.

 

Noch gehören demselben Zeitraum, als diese beiden historischen, zwei kosmographische Werke an, die auch, allem Anschein nach, in Frankreich verfasst sind. Das eine ist in Prosa, das andere in Versen. Jenes Die Kosmographie des Istrier Aithikos im lateinischen Auszuge des Hieronymus, aus einer Leipziger Handschrift herausgegeben von Wuttke. Leipzig 1853. – D'Avezac, Ethicus et les ouvrages cosmographiques intitulés de ce nom, suivi d'un appendice contenant la version latine abrégée, attribuée à St. Jérome etc. Paris 1852. 4°. – Recensionen von K. L. Roth in den Heidelberger Jahrbüchern, Jahrgang 47 und 48. will das Werk eines 609 istrischen Philosophen sein, der in demselben › EthicusOder auch handschriftlich Aethicus. genannt wird, welcher Ausdruck aber selbst nur ›Philosoph‹ hier zu bedeuten scheint. Das Werk gibt sich aber nicht als Original, sondern nur als eine Uebersetzung, die der Kirchenvater Hieronymus verfasst haben soll. Letztere Angabe, welche das Buch selbst gleich im Anfang durch ein Citat aus der Dichtung des Alcimus Avitus lib. II (s. oben S. 396) als eine naive Lüge offenbart, zeigt schon seinen Charakter. Es ist ein christliches Pendant zu solchen heidnischen Schwindeleien, wie den fabelhaften Geschichten vom trojanischen Krieg des Dictys und Dares, welche auch, wie sie sagen Die erstere mit Recht, s. Körting, Dictys und Dares. Halle 1874., Uebertragungen aus dem Griechischen sind, und von denen die letztere auch einen allgemein bekannten lateinischen Autor, Cornelius Nepos, als ihren Uebersetzer nennt. Wie Dictys und Dares als Augenzeugen der historischen Ereignisse berichten wollen, so behauptet auch Ethicus, selbst die wunderbaren Länder bereist zu haben, von denen er erzählt. Es ist dieselbe Schwindelei auf dem Felde der Erdbeschreibung hier, wie dort auf dem der Geschichte. Das Buch ist seinem Inhalte nach eine wüste Compilation aus verschiedenen Werken, in der zweiten Hälfte namentlich aus Isidors Etymologien, überall mit eigenen oft unsinnigen Zuthaten des Autors versetzt, welcher von der Lage der Länder auch nicht die elementarsten Begriffe hatte, dazu kommen denn reine Phantasiestücke des ›Philosophen‹, der Länder und Völker erfindet und sie zum Theil dann mit den von andern bekannten Nationen entlehnten Sitten und Sagen schildert. In diesen Partien erinnert das Buch an Lucians Mondreisen und noch mehr an die Gulliverschen des Swift, nur dass natürlich die satirische Tendenz und Würze fehlt. Wie sich im Inhalt also Lüge und Wahrheit mischt als eigenes und fremdes, so ist auch der Ausdruck ein buntscheckiges Kleid, denn mitten in einer grammatisch ganz verwahrlosten Sprache, gleich der Fredegars, finden sich hier aus Glossen entlehnte seltene alte, oder griechische Wörter, oder auch hybride Neubildungen, um dem Stil des Ignoranten 610 den Schein der Erudition zu geben. – Da das Buch als Ganzes ohne Wirkung blieb, trotz der Verbreitung, die es fand, so verzichte ich um so mehr auf eine Analyse des Inhalts. Nur sei als beachtenswerth hervorgehoben die Bedeutung, welche schon den Türken beigelegt wird, die hier unter den Völkern des Gog und Magog die erste Rolle spielen, berufen zu den Zeiten des Antichrist eine gewaltige Verwüstung zu machen. Für die Literaturgeschichte des spätern Mittelalters aber sind von besonderm Interesse die in dem Buche zerstreuten Sagen und Sagenandeutungen, so namentlich von Alexander dem Grossen, welcher der Lieblingsheld des Verfassers gewesen zu sein scheint, und von der Herkunft der Franken aus Troja. Ob die Stelle c. 26 init.: ›Dein insulas Brittanicas et Tylen navigavit, quas ille Brutanicas appellavit‹, auf die Sage von Brutus sich bezieht, wie Roth meint?

Die viel kürzere Kosmographie in Versen Pertz, Ueber eine fränkische Kosmographie des siebenten Jahrhunderts, in: Philol. und histor. Abhandlungen der Akademie der Wiss. zu Berlin aus dem Jahre 1845. Berlin 1847. 4°. – Das Werkchen ist in der hier veröffentlichten Handschrift überschrieben: Versus de Asia et de universi mundi rota. ist hauptsächlich in formeller Beziehung merkwürdig. Denn sie ist im allgemeinen nichts weiter als eine Versification eines Auszugs aus dem XIV. Buche der Etymologien des Isidor c. 3 ff., und einiger Stellen des IX., mit möglichster Beibehaltung der Worte Isidors selbst. Eine Ausnahme macht nur, von ein paar kleinen Zusätzen abgesehen, die Gallien betreffende Partie, wo der Verfasser original erscheint, wie er denn auch hier in seiner Darstellung etwas länger verweilt: mit Stolz spricht er da von den königlichen Weilern ( villae ), den schönen Fürsten und kriegsstarken, im Kampfe furchtbaren Männern des ›belgischen Galliens‹ und gedenkt hernach des ›unermesslichen Ruhms‹ der Burgunder – für einen solchen möchte man ihn selbst am ehesten halten; dem Frankenreiche überhaupt aber gehörte er sicherlich an. Was nun die Form des Werkchens betrifft, so ist es in jenem rythmischen catalectischen Tetrameter trochaicus geschrieben, dessen wir als Hymnenversmasses oben S. 555 f. schon gedachten. Der Ictus herrscht allein, die Elision findet sich nur ganz ausnahmsweise angewandt, wo sie gewiss auch damals in der lateinischen Umgangssprache stattfand, in den 611 Kreisen, wo sie noch geredet wurde (z. B. coniuncta'st ); aber hier und da einmal tritt der Ictus mit dem Wortaccent in Collision. Z. B. Áfricá nascítur inde tertia particula. – Dass bisweilen auch quantitativ correcte Verse vorkommen, kann nicht Wunder nehmen. Allemal drei Verse sind zu einer Strophe verbunden, wie in den in dem genannten Metrum verfassten Hymnen des Prudentius und Fortunat, offenbar nach ihrem Vorgang. Der Reim findet sich nicht selten, sei es, dass er alle drei Verse der Strophe, oder auch nur zwei verbindet. Im ersteren Falle ist er immer a, nur einmal v. 100 ff. is; jener machte sich allerdings hier oft fast von selbst wegen der vielen in a auslautenden Ländernamen. – Die Sprache zeigt ähnliche Fehlerhaftigkeit als bei Fredegar und Ethicus, namentlich in der Rection der Präpositionen. Wie auch schon bei Gregor von Tours, s. oben S. 575, Anm. 1. Hier werden aber durch den Vers die Fehler oft als authentisch sichergestellt. So verdient dies Werkchen auch in sprachlicher Beziehung besondere Beachtung. Das Gedicht zählt 129 Verse.

Dieselbe metrische Form und eine gewisse Verwandtschaft des Inhalts zeigt ein im dritten oder vierten Decennium des achten Jahrhunderts in Italien verfasstes Lobgedicht auf Mailand – ein Abecedarius von 24 Strophen – das wohl hier Erwähnung verdient. S. die Versus De Mediolana civitate, welche beginnen: Alta urbs et spaciosa manet in Italia, in Poetae latini aevi Carolini rec. Dümmler. Tom. I. Berlin 1881. ( Monum. Germ. hist. Poetar. latin. med. aevi Tom. I), p. 24 ff., und vgl. unten Bd. II, S. 86, Anm. 1. Es schildert ausführlicher die mächtigen Mauern der Stadt mit ihren hohen Thürmen und kostbaren Thoren, es rühmt die Strassen, die Wasserleitung, die Kirchen wie die Liturgie der an heiligen Leibern reichen Metropolitanstadt, die Fülle von Lebensmitteln, die sie bietet, und gedenkt auch des frommen Herrschers Liudprand wie des Erzbischofs Theodor. Aus dem zweiten Jahrzehnt desselben Jahrhunderts haben wir noch ein ästhetisch ganz werthloses chronologisches Gedicht eines Scoten in gleichem Versmasse, aber die Zeilen zu Distichen, die in der Regel gereimt sind, verbunden (36 Verse). Dies Gedicht ist zugleich mit einem längeren über die 6 Weltalter, das kaum noch unserer Periode angehört, von Dümmler in der Zeitschr. f. deutsch. Alterth. N. F. Bd. 10, S. 423 ff. herausgegeben. Das letztere Gedicht ist ein Abecedarius von 25 vierzeiligen Strophen zwölfsilbiger rythmischer Verse (dem iamb. acatal. Trimeter entsprechend, vgl. unten Bd. 2, S. 326). 612

 


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