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Dreizehntes Kapitel.

Carmen de providentia divina. – Paulini epigramma.

Noch gehört dieser Periode und wohl dem zweiten Decennium des fünften Jahrhunderts das Gedicht De Providentia divina In den Ausgaben der Opera Prospers, s. weiter unten. – – Wiggers, Versuch einer Darstellung des Augustinismus und Pelagianismus. Leipzig 1822. Bd. II. an, welches man in früherer Zeit mit Unrecht dem Prosper von Aquitanien beigelegt hat – der die geradezu entgegengesetzten Ansichten über den freien Willen des Menschen 317 hat – Vgl. unten S. 319. Auch sein sprachlicher Ausdruck ist ein ganz anderer., dann aber wenigstens noch in eine spätere Zeit, etwa die Mitte des Jahrhunderts, zu setzen pflegte. Dem widersprechen aber bestimmte historische Angaben in der Einleitung des Gedichts, welche aus 48 Distichen besteht, während das Gedicht selbst 875 Hexameter zählt. Der unbekannte Dichter, der wie sein Werk zeigt, ein Geistlicher Hierauf scheint mir schon die Anrede › fratres‹ an die Leser, die sich mehrmals in dem Gedichte findet, hinzuweisen. Südgalliens war, theilt uns dort die Veranlassung und Absicht seiner polemisch-didaktischen Dichtung mit. Er will diejenigen widerlegen, welche die Weltregierung Gottes bezweifeln; diese Zweifel aber wurden zunächst erweckt, wie jene, in der Einleitung redend eingeführt, selber sagen, durch das Elend, das Südgallien Wenn der Verfasser nur von Gallien überhaupt spricht, so zeigt schon die folgende Erwähnung der Oelbäume, dass allein Südgallien gemeint ist. seit zehn Jahren unter den Schwertern der ›Vandalen‹ und ›Geten‹ getroffen.         – – heu caede decenni
        Vandalicis gladiis sternimur et Geticis.
v. 33 ff.
Die Vandalen hausten in Südgallien 406–409. 412 aber zogen die Westgothen nach Gallien; als sie 414 nach Spanien weichen mussten, wurde namentlich damals das Land von ihnen stark verheert, u. a. Bordeaux geplündert. Es ist also an die Zeit von 406–415 hier zu denken. Denn die obige Stelle ist nicht so zu verstehen als hätten während eines Decenniums Vandalen und Gothen zugleich das Land verwüstet, vielmehr die einen nach den andern. Schon wegen der Erwähnung der Vandalen lässt sich an spätere Kriege der Gothen nicht denken. Das Gedicht wird also um 415 verfasst sein; dem widersprechen keineswegs die in demselben enthaltenen Anspielungen auf die Zeitfrage der doppelten Natur Christi, welche allerdings erst seit dem Auftreten des Nestorius um 428 eine brennende wird und die ganze christliche Welt aufregt, aber schon früher auch im Abendland und gerade in Gallien verhandelt wurde, wie denn bereits 426 der gallische Mönch Leporius, weil er den Ausdruck, dass Gott aus der Maria geboren sei, verworfen hatte, aus seinem Vaterlande vertrieben wurde. Die Art, wie die Frage in unserm Gedicht berührt wird, zeigt aber meines Erachtens allein schon, dass eine synodale Entscheidung, wie sie 431 zuerst in Ephesus gegeben wurde, noch nicht vorlag. Auch enthält das Gedicht keine Andeutung von einem bereits ausgebrochenen Kampf des Augustinismus gegen den Semipelagianismus, obgleich es ganz diesen Ansichten huldigt, die jedoch hier noch nicht dogmatisch entwickelt erscheinen. – Die von uns angenommene Abfassungszeit des Gedichts wird endlich noch bestätigt durch seine Benutzung in dem Commonitorium des Orientius, von welchem wir in dem folgenden Buche handeln, s. deshalb weiter unten.
Es ist verwüstet, als wenn der ganze Ocean es 318 überschwemmt hätte, Vieh, Saaten, Weinberge, Oelbäume zerstört, die Städte erobert und verbrannt, Vornehme und Geringe getödtet; und sogar die Kinder, Nonnen und Einsiedler hat das Schwert nicht verschont. Hat doch der Dichter selbst diese Schrecken erfahren: im Staube nahm er, sein Bündel auf dem Rücken, den Weg zwischen den Wagen und Waffen der Gothen als Jener greise Bischof sein Volk aus der verbrannten Stadt vertrieben wegführte. v. 59 f.
        Cum sacer ille senex plebem usta pulsus ab urbe
        Ceu pastor laceras duceret exul oves.
Aber war dies auch im Krieg, fügen die Zweifler hinzu, so ist doch auch im Frieden, soweit man zurückdenken kann, das Loos der Bösen im allgemeinen besser als das der Gerechten.

Indem der Autor dann, das Gedicht selbst anhebend, zur Widerlegung des Zweifels schreitet, geht er von dem Satze aus, dass ein ewiger Gott, was schon die Natur lehre und welche Erkenntniss dem Menschen eingeboren sei, die Welt mit allem darin geschaffen habe, und dieser Gott sei ein guter, alles, was von ihm gewirkt, ganz frei von Schuld.         Est igitur Deus, et bonus est, et quidquid ab illo
        Effectum est, culpa penitus vacat atque querela.
Er regiert auch die Welt, die, wie sie von ihm ausging, auch ohne ihn nicht bestehen kann. Zwei Einwürfe erhebt man hiergegen: der eine, dass ein Einziger das nicht vermöchte – er gründet sich auf eine beschränkte menschliche Anschauung: diese wird hier durch eine poetisch schwungvolle Schilderung der zeitlichen und örtlichen Unbegrenztheit des göttlichen Wesens widerlegt; der andere Einwurf ist, dass Gott zwar die Macht, aber nicht den Willen habe, die Welt zu regieren, um den für eine kurze Spanne Zeit geborenen Menschen sich zu kümmern. Die das behaupten, setzen den Menschen zum Thiere herab: durch Christus, der ihm ›das verlorene Leben‹ wiedergab, ist ihm der Weg zur Unsterblichkeit eröffnet.

Dies darzulegen, geht nun der Verfasser zunächst auf die Schöpfung des Menschen und den Sündenfall über, zeigt dann, wie in der Geschichte der Juden, die er bis auf ihre Rückkehr aus Aegypten verfolgt, die Führung Gottes sich offenbart, um darauf die Erlösung durch Christus zu behandeln, der den durch 319 Adams Fall verderbten Menschen erneute. Hier berührt denn der Dichter die doppelte Natur Christi, der ebenso Mensch als Gott sei. – Durch Christi Sendung aber ist ganz offenbar, dass Gott um die Menschheit sich kümmert, und allen das Heil geboten ist. Von des Menschen Willen, der frei ist, hängt es ab, gut oder böse zu sein. Von Geburt sind Gute und Böse gleich. Der Sieg über die Leidenschaften verleiht die Krone: ohne Mühe wird sie nicht zu Theil. Hier wendet sich der Dichter in einem längern Excurs gegen den Glauben an den Einfluss der Gestirne auf den Menschen. Nicht von ihnen, sondern aus unserm Herzen kommen die Hindernisse der Tugend. Die Freiheit selbst erregt den Krieg, den wir auszukämpfen haben, es ist ein Bürgerkrieg. Den Elementen ist kein Recht über uns gegeben, vielmehr uns über sie. Wie die Astrologie die Moral und die Religion ganz zerstört, wird dann gezeigt. – Endlich bekämpft der Verfasser noch den Einwand gegen die Annahme einer göttlichen Weltregierung: dass es hienieden oft den Guten schlecht, den Bösen gut gehe. Hiergegen macht er namentlich geltend: wenn Gott hier schon den Menschen den verdienten Lohn gäbe, so müssten die Ungerechten alle vernichtet, die Frommen aber in eine andere Welt geführt werden, das Menschengeschlecht würde aufhören, und jenen die Frist der Reue entzogen, die sie noch retten könne. Doch gibt Gott zu allen Zeiten Beweise seiner Gerechtigkeit, indem er die grössten Reiche durch Kriege erschüttert, und mächtige Völker und Städte heimsucht, die Stolzen stürzt, die Geringen erhebt u. s. w. Die Unschuldigen müssen zwar mit den Schuldigen manche Leiden ertragen, damit um ihres Verdienstes willen die andern geschont werden, um sich nach ihrem Vorbild zu bekehren. Aber Gott nimmt auch die Guten oft bei seinen Strafgerichten aus. – Zuletzt zeigt der Dichter, wie die Ansicht der Menschen von Glück und Unglück eine falsche sei, wie beides meist in äussere, irdische Dinge gesetzt werde, deren sich die Diener Gottes – die Asketen – schon von selber entledigten, indem sie solchen Verlusten zuvorkommen: in ihrer Schilderung aber gedenkt der Dichter wieder der eigenen traurigen Zeitverhältnisse. Da heisst es z. B.:
        – – gemit ille talentis
        Argenti atque auri amissis: hunc rapta supellex
        Perque nurus Gelicas divisa monilia torquent,
        Hunc pecus abductum, domus ustae potaque vina – –
Mit einer Aufforderung, das Joch der Sünden 320 abzuschütteln und dogmatische Wortstreitigkeiten zu unterlassen schliesst das Gedicht, das leicht und im ganzen correct geschrieben, an einzelnen Stellen auch zu einer wahrhaft poetischen Darstellung sich erhebt, an andern freilich zu prosaischer Trivialität herabsinkt.

 

Eine gewisse Verwandtschaft mit dieser Dichtung zeigt ein früher dem Claudius Marius Victor mit Unrecht beigelegtes Unter dem falschen Titel: Epistola de perversis suae aetatis moribus ad Salmonem abbatem. kürzeres Gedicht (110 Hexam.) eines sonst nicht bekannten Paulinus, welches vielleicht schon dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts angehört. Es führt in der Handschrift den Titel: S. Paulini Epigramma, und ist so vielleicht dem heil. Paulin von Nola beigelegt; es ist neu nach der Handschrift herausgegeben von Schenkl 1888 in den Poetae christ. minores Pars I, S. 499 ff. ( Corp. script. eccles. Vol. XVI). Es macht mir den Eindruck eines Fragments, namentlich im Hinblick auf den Anfang, da es sehr ex abrupto beginnt. Es hebt nämlich mit einer Rede an, die ein »lieber Vater«, vielleicht der Abt Dafür spricht der Ausdruck carus pater , denn nach der gewöhnlichen Ausdrucksweise müsste pater hier in diesem Sinne genommen werden, während in dem custos templi populique magister , den der pater im v. 2 erwähnt, viel eher der Bischof, als der Abt – wie letzteres Schenkl S. 500 annimmt – zu sehen ist. oder der Magister des Klosters, an einen Kleriker Namens Salmo richtet, der eben dort wohl seine Erziehung erhalten, und dasselbe einmal wieder besucht. Der »Vater« weist Salmo den Weg zum Hospiz, dem Thesbon vorsteht, und hier gibt denn Salmo auf Befragen Nachrichten von der traurigen Lage seiner Heimath, die offenbar im südlichen Frankreich ist. Wenn die sehr wahrscheinliche Conjectur Schenkls v. 105: ad Tecumque richtig ist, wird in dem Gedicht die Provincia Narbon. direct bezeichnet.

Der Barbar, der Vandale und Alane, lastet darauf, der sie verwüstet; schlimmer aber leidet sie durch eine innerliche Pest, einen geheimen Feind, durch dessen Banden wir feige uns fesseln lassen, die Unsittlichkeit; was die Barbaren verwüsteten, sucht man schon, wenn auch mit zweifelhafter Hoffnung, wieder herzustellen, nicht aber denkt man daran, sich sittlich zu bessern. 321 ›Nichts ist uns heilig als der Gewinn‹, ruft Salmo aus; das Nützliche ist das Gute und den Lastern wird beschönigend der Name von Tugenden gegeben. Nur die irdische Weisheit wird gepflegt, und schon bilden sich die Menschen ein zu wissen was Gott allein bekannt ist. Noch schlimmer wird der sittliche Zustand durch die Fehler der Weiber, an denen wir, sagt er, selbst vornehmlich Schuld sind, durch ihre Putz- und Prunksucht namentlich, worin eine der andern es gleich zu thun sucht und womit sie doch nur der sinnlichen Natur der Männer entgegenkommen. Und diese verschuldet auch, dass die Frauen, die Weisheit des Paulus und Salomon verschmähend, an Virgil, Ovid, Horaz und Marull (dem Mimographen) sich ergötzen (v. 76 ff.), indem sie nur unserm Beispiel folgen. Wären wir aber, so schliesst diese Rede Salmo, moralisch besser, so würden auch die äussern Feinde nichts über die Diener Christi vermögen. Nachdem der »Vater« eingewandt, dass doch auch die Frommen in Salmo's Volke nicht selten wären, fordert letzterer ihn auf, nun seinerseits zu erzählen, wie es seit seiner Abwesenheit ihm gegangen: dieser aber verschiebt es auf den andern Morgen, da die späte Stunde zur Vesper rufe. – Hiermit endet das Gedicht, das ein nicht uninteressantes kulturgeschichtliches Bild bietet.

 


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