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Achtes Kapitel.

Orientius.

Neben der epischen Poesie, die in der rein christlichen Dichtung dieses Zeitalters durchaus in den Vordergrund tritt durch Zahl und Bedeutung der Werke, erscheint, wie wir schon sahen, in zweiter Reihe die didaktische, die sich mit ihr mannichfach kreuzt, denn Lehrzwecke beherrschen ja die christliche Dichtung damals überhaupt: ihr gehört noch ein Werk an, das auch von einem Gallier verfasst, und nicht ohne allgemeineres historisches Interesse ist. Es ist das in Distichen in zwei Büchern (618 und 418 Verse) geschriebene Commonitorium des Orientius Orientii carmina rec. Ellis in: Poet. christ. minor. Pars I (Corp. scr. eccl. V. XVI) p. 191 ff., wie sich der Autor selbst am Schlusse nennt. Dass er aus Gallien war, geht aus dem Gedichte selbst hervor, wie auch, dass er die verwüstenden Eroberungen der Gothen dort erlebt, deren er mit Schaudern gedenkt. Indem er in seiner Dichtung aber, wie keinem Zweifel unterliegen kann, das Gedicht De providentia und gerade an der Stelle, wo er solche Verwüstungen beschreibt, vor Augen gehabt hat, so hat er also nach dem zweiten Decennium dieses Jahrhunderts geschrieben. S. oben S. 317. Ich möchte das Commonitorium um 430 setzen. Der Verfasser macht ganz den Eindruck eines hochbetagten Mannes. Alle diese Daten, sowie der ganze Charakter dieses Vermahnungsgedichts passen auf jenen Bischof von Auch Orientius, von welchem eine alte Vita Die erste in den Acta S. S. (Maii, T. I), s. § 3 derselben. – Nach dieser Vita zeichnete sich Orientius als Bischof auch durch seine Bekehrung der Heiden aus, was wohl auf eine Wirksamkeit schon im Anfang des Jahrhunderts hinweist, und zu dem hohen Alter stimmt, in dem er Ende der dreissiger Jahre des fünften Jahrhunderts stand. erzählt, dass er im hohen Alter für den Gothenkönig Theoderich I. eine Sendung an die diesen bedrängenden römischen Feldherren Aëtius und Litorius (437–439) Die gewöhnliche Annahme ist 439, Dahn (l. l. S. 74) scheint 437 anzunehmen. unternommen habe. Auch stimmt die Vita mit dem Gedicht überein, wenn sie sagt, dass Orientius erst, ›nachdem er den Schmutz der weltlichen Schlüpfrigkeit 411 ( lubricitas ) abgelegt, mit keuschem Sinn sich ganz Gott geweiht habe‹: denn der Verfasser des Gedichts gesteht, die Anfechtungen der Wollust, vor der er so ausführlich warnt, selber erfahren zu haben. S. l. I. v. 405 f. – Nur ein bodenlos unkritisches Verfahren, oft durch eine lächerliche Nationaleitelkeit erleichtert, konnte in Orientius einen Spanier, Bischof von Illiberis, sehen, wie dasselbe schon Dracontius zu einem solchen gemacht hatte. Und dergleichen findet sich in der kritischen Geschichte der spanischen Literatur des Amador de los Rios wieder!

Der Inhalt der Dichtung ist nun der folgende. Der Verfasser will den Weg lehren, der zu den Belohnungen des ewigen Lebens führt; Gott und Christus bittet er dazu um Beistand. Es gibt aber einen doppelten Weg für den Menschen, ein irdisches und ein zukünftiges Leben, gleichwie er eine doppelte Natur hat, einen thierischen Körper von irdischer Last, und eine durch den Hauch Gottes belebte Seele. Wir werden geboren, Gott zu suchen, wir suchen ihn, um ihn zu erkennen, wir erkennen ihn, um ihn zu verehren. Aber wie sollen wir ihn verehren? Es genügt, an ihn frommen Herzens zu glauben. Daraus folgt dann die Liebe zu Gott und zu dem Nächsten: so allein können wir Gott für seine vielen Wohlthaten danken, bei denen wie bei der Nächstenliebe der Dichter in ausführlicher Darstellung länger verweilt. – Handle so, fährt er dann fort, das Ziel seines Weges bezeichnend, dass dich nach dem Tod die ewige Herrlichkeit aufnimmt. Denn der Mensch wird auferstehen mit seinem Leibe. Der Dichter gedenkt hier der bekannten Beweise für die Unsterblichkeit, namentlich der aus der Natur geschöpften. – Aber wenn also das ewige Leben nach dem Tode folgt, und wie es die Gerechten erfreut, die Schuldigen straft, so strebe mit allen Kräften den rechten Weg einzuhalten. Die erste Bedingung dazu ist, die sinnliche Lust zu meiden. Fliehe vor allem die schönen Gesichter; denn die Augen fassen die Flammen und gebären die Sünde: ist doch das Weib die erste Unheilstifterin, durch die der Mensch das Paradies verlor, die Pforte des Todes. Wie viele Völker schon das Gesicht eines Weibes zu Grunde gerichtet, will der Autor nicht wiederholen Er deutet dabei auf Semiramis hin in einer an Dante erinnernden Weise:
        Cum gentes nulla Domini sub lege, nec ullis
            Sanctorum ad vitam perdomitas monitis,
        Qua furor impulerat, lascivus duceret error,
            Esset et hoc licitum quod fuerat libitum.
v. 349 ff.
: er begnügt sich, an die alttestamentlichen 412 Beispiele des Verderbens schmählicher Liebe zu erinnern. Das Kreuz soll das Schild und das Schwert sein gegen solche Versuchungen, wie sie der Dichter selber erfahren. An der irdischen Reize Vergänglichkeit, welche der Dichter hier ausmalt, und an die Ewigkeit der Höllenstrafen möge jeder denken. – Wenn du aber keuschen Leibes die sinnlichen Verlockungen ›mit Füssen getreten hast‹, dann schüttle die übrige Last des Herzens ab. Und hiermit geht der Dichter auf die andern zu meidenden Laster über, indem er zunächst vor dem Neide, ›der Mutter mannichfachen Verbrechens‹, dann noch ausführlicher vor der Habsucht ( avaritia ) warnt Die grosse Ausführlichkeit, womit dieses Laster, ausser dem der Wollust, behandelt wird, zeigt allein schon, wie jenes Zeitalter daran litt – was uns so manche andere Dichtungen schon bestätigt haben.: verachte die Schätze der Welt, die du doch nicht wahrhaft besitzest, da du sie im Tode zurücklassen musst, und sammle vielmehr solche für die Ewigkeit.

Im zweiten Buche richtet sich des Dichters Verwarnung noch gegen die Eitelkeit, die Lüge, die Schlemmerei, die Trunkenheit, indem er bei dem letzten Laster das Bild eines Trunkenen in allen abschreckenden Einzelheiten entwirft. – Freilich, fährt er dann fort, wird der Leser bei sich sagen: wahr sind allerdings deine Vorschriften, aber schwer zu befolgen. Gross ist die Mühe, gibt der Dichter zu, doch auch gross der Lohn: wird doch selbst um irdische Ehre jedes Opfer gebracht, wie er hier weiter ausführt. Verdiene nun auch so das Reich Gottes, das ganz andere, höhere Belohnungen darbietet. Rasch naht das Ende der Tage heran: wie wir selbst mit jeder Stunde uns dem Tod nähern, so auch die sinkende Welt. Und hier wirft der Dichter einen Blick auf die völkermordenden Kriege, die er selbst erlebt, wo nichts vor den Händen der Barbaren schützte, ›ganz Gallien in einem Scheiterhaufen rauchte‹. v. 184 und vgl. De providentia v. 17 f., sowie v. 35 ff. Und doch lässt die Vergänglichkeit alles Irdischen, das tägliche Schauspiel des Todes, der oft so unerwartet hereinbricht, – was der Dichter im einzelnen mit Wärme des Gefühls ausmalt 413 – die Sünder nicht an das jüngste Gericht denken, wo ihre Strafen sie erwarten. Von welcher Art sie sind, will er im Folgenden lehren (v. 275 ff.). Die einen straft Finsterniss, die andern das schweflige Feuer, noch andere wieder eisige Kälte. Einige werden Schlangen umwinden, andere weiss glühende Ketten quälen. Der Gottesleugner wird von zahllosen Würmern verzehrt. In dieser Schilderung der Höllenstrafen – worin einige Distichen verschoben scheinen, was auch an andern Stellen der Dichtung zu beobachten ist, – erinnert einzelnes an Dante, z. B, v. 307 ff.:
        Omnia plena illic lacrimis, terrore, dolore,
        Et vox nulla, nisi quam dederit gemitus.
Die Strafen werden den Lastern entsprechen, und sie werden noch vor dem Tage des Gerichts eintreten, sodass kein Verzug stattfindet.         Iudicii ante diem poenas dabit (sc. impius), ut neque parvum
        Supplicii spatium det mora iudicii.
v. 303 f.
Diese Ansicht ist beachtenswerth.
– Die Gerechten dagegen werden gleich Lichtern der flammenden Sonne leuchten, in schneeweisse Gewänder die glänzenden Glieder gehüllt, namentlich die Asketen, die das schneeweisse Taufkleid niemals durch ›ein weibliches Lager‹ befleckten, die Märtyrer, die Priester und Mönche. Ihre Gesichter werden strahlen von dem Lichte des Herrn, wenn sie ihn umgeben bei dem jüngsten Gerichte. Dieses wie den Weltuntergang beschreibt dann der Dichter, indem er zum Schluss noch den Leser beschwört, ihn in sein Gebet einzuschliessen.

Diese Analyse zeigt einen ganz klaren Gedankengang, und lässt ebenso leicht erkennen, dass der Verfasser von den Ideen des Lactanz in dessen Institutionen ausgeht. S. oben S. 75 ff., vgl. namentlich S. 79 ff. Was den Ausdruck der Dichtung betrifft, so hat schon Barth nicht mit Unrecht eine gedrungene Kraft desselben gerühmt, wie sie in jenem Zeitalter selten war; sie geht Hand in Hand mit einer ungeschminkten Natürlichkeit, die frei von Effecthascherei ist, und zeigt, wie diese Sprache wirklich von Herzen kommt. – Dieselbe lässt schon erkennen, dass die dem Commonitorium in den Ausgaben folgenden, dem Orientius beigelegten Gedichte ihm schwerlich angehören können: das eine enthält in fünf Distichen bloss Epitheta Christi als Ianua, Virgo, Leo, Virtus, Sapientia u. s. w., die in einem andern grössern in Hexametern 414 erklärt werden. z. B.
        Ianua – quod residet caelo secretaque pandit,
        Virgo – incorruptae matris cui partus origo est.

S. Luc. Müllers Emendationen dazu im Rhein. Mus. 1867, S. 505.
Ein ähnliches Gedicht in demselben Metrum ( Laudatio ) schliesst sich daran: sie scheinen sämtlich zu einem vierten, auch in Hexametern verfassten, zu gehören Offenbar ging dies den andern voraus, wie die letzten Verse desselben andeuten. – Ueber alle diese Fragen äussert sich der letzte Herausgeber, Ellis, dem wahrscheinlich mein Werk ganz unbekannt geblieben ist, gar nicht. Er gibt denn auch ohne Bedenken die Gedichte in derselben Reihenfolge als Martène in seinem Thesaurus novus, Tom. V., das fälschlich De trinitate überschrieben ist, da es vielmehr ein Preis Christi ist: bemerkenswerth in diesem ist nur die Deutung der Form des Kreuzes. Diese Gedichte sind gewiss aus einer spätern Zeit. – Auch Gebete in iambischen Senaren werden noch Orientius beigelegt.

 


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