Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.

Paulinus von Nola.

Noch Zeitgenosse des Prudentius war ein Dichter von einer wesentlich andern Individualität, der auch ein besonderes literarhistorisches Interesse darbietet, der heil. Paulin. Er vertritt auf 294 dem christlichen Parnass damals Gallien ebenso, wie Prudentius Spanien, und es ist sehr bemerkenswerth, wie in dem Unterschied beider Poeten sich auch die Verschiedenheit der spätern französischen und spanischen Nationalität bereits etwas kundgibt; nicht mehr allerdings als wir dies auch bei heidnischen Autoren beider Länder beobachten können. Prudentius ist in seinem poetischen Ausdruck farbenreicher und glänzender, aber auch bunter und überladener, Paulin zierlicher und geschmackvoller; eine gewisse Enthaltsamkeit von Schwulst und Uebertreibung, in jener Zeit doppelt achtungswerth, ein feinerer ästhetischer Tact zeichnet ihn als Dichter aus, aber an productiver Phantasie steht er Prudentius weit nach, sodass seine Darstellung selbst zur blossen versificirten Prosa herabsinken kann, so leicht und fliessend auch seine Verse bleiben mögen; es ist nichts von Genialität in ihm, dagegen besitzt er ein leichtes Formtalent und einen reich ausgebildeten Sinn für das Schöne.

Pontius Meropius Anicius Paulinus * Pontii Meropii Paulini Nolani episcopi opera secundum ordinem temporum nunc primum disposita et ad mss. codd. gallicanos, italicos etc. emendata et aucta. (Von Lebrun). 2 tom. Paris 1685. 4°. (Im Anhang Vita und Dissertationes über Paulin). – * Muratorii Anecdota ex Ambrosianae bibliothecae codd. tom. I. Mailand 1697. 4°. – P. M. Paulini senatoris et consulis romani, deinde Nol. episc, opera recognovit Muratori. Verona 1736 fol. (Gründet sich auf die beiden erst genannten.) – *Bursian, Das sogenannte poema ultimum des Paulinus Nolanus, in: Sitzungsber. der phil. histor. Cl. der Münchener Akad. d. Wissensch. 1880. – – Buse, Paulin von Nola und seine Zeit. 2 Bde. Regensburg 1856. – Henke, Paulinus von Nola in der Real-Encyklopädie f. protest. Theol. 2. Aufl. Bd. XI, S. 349 ff. – Ampère, Histoire littéraire de la France avant Charlemagne. 2 e édit. Paris 1867. Tom. I. p. 271 ff., von christlichen Eltern 353 zu Bordeaux geboren, gehörte einer sehr angesehenen und reichen senatorischen Familie an, die nicht bloss in Gallien, sondern auch in Spanien und Campanien grossen Grundbesitz hatte. Sein Vater war Praefectus praetorio von Gallien. Paulin erhielt eine vortreffliche Ausbildung, Bordeaux glänzte ja damals besonders unter den Hochschulen des römischen Reichs. Vornehmlich aber wurde sein Lehrer dort sein Landsmann Ausonius, mit welchem ein inniges Pietäts- und Freundschaftsverhältniss ihn verband. In Betreff des Verhältnisses Ausons zu Paulin s. auch Mertens, Quaestiones Ausonianae. I. De Ausonii religione. Leipzig (Diss.) 1880. Dieser, der durch Gratians Gunst zu den höchsten Staatsämtern gelangte, förderte dann auch in der 295 öffentlichen Laufbahn seinen durch Geburt und Reichthum schon sehr empfohlenen Schüler, sodass derselbe noch sehr jugendlich, bereits vor 379, das Consulat bekleidet zu haben scheint. S. Ausonii Opuscula rec. Schenkl. Berlin 1883. Ep. XX, v. 3 ff. Paulin entsagte aber offenbar bald der politischen Thätigkeit, für die er nicht gemacht war, und lebte, nachdem er sich mit einer reichen Spanierin Therasia vermählt, auf seinen Gütern, namentlich in der Nähe von Bordeaux. Aber dieser reiche Müssiggang, welcher – mochte ihn auch Unterhaltung mit geistvollen Freunden und poetischer Dilettantismus Wie solche Arbeiten zeigen, als die drei Bücher Suetons De regibus im Auszug in Verse zu bringen; einige Hexameter davon hat uns Auson, der sie überschwenglich lobt, in einem Briefe an Paulin erhalten. Ep. XIX. S. ed. l. p. 180. verschönen – doch sein Leben ohne tiefern Inhalt liess, Krankheit, die längere Unfruchtbarkeit seiner Ehe, der rasche Tod dann des einzigen, so lange ersehnten Kindes; andererseits die persönliche Bekanntschaft mit so bedeutenden christlichen Männern, als namentlich Martin von Tours, welcher ihn von einem Augenübel heilte, und Ambrosius S. seine Ep. 3, ad Alypium., dazu der Einfluss seiner frommen Frau und des Bischofs Delphin von Bordeaux – alles das wirkte zusammen, um Paulin, der seiner Erziehung nach, gleich Auson, dem Christenthum zunächst nur als der Religion des Monotheismus gehuldigt hatte, dem weltlichen Leben immer mehr zu entfremden, und einem asketischen, geistlichen zuzuführen, das ihn erst zum Vollchristen machen sollte. Diese innere Wandlung, allmählich und schon länger vorbereitet, vollzog sich vollends, als er, aus seiner heimathlichen Umgebung herausgerissen, längere Zeit (390–94) in Spanien sich aufhielt. Dass es damals geschah, zeigt die interessante poetische Correspondenz Paulins mit Auson, auf die wir weiter unten zurückkommen, wie denn auch die Geburt und der Tod seines Kindes in diesen Zeitraum fallen. Aber der Entschluss Paulins, zugleich mit seiner Frau nach Nola in Campanien überzusiedeln, um nunmehr sich ganz einem mönchischen Leben zu widmen, indem er des grössten Theils seines Vermögens zu frommen Zwecken sich entäusserte – ein Entschluss, der ebenso sehr von seinen alten ästhetischen Freunden angefeindet und beklagt, als von den bedeutendsten Männern der Kirche wie von dem 296 christlichen Volk beglückwünscht und gepriesen wurde, wurde doch erst gefasst, nachdem die schwere Anklage des Brudermords über seinem Haupte geschwebt hatte. Carm. natal. XIII, v. 363 ff. Sein zartes Gemüth musste davon auf das tiefste erschüttert worden sein.

Vergeblich suchte man in Barcelona durch Aufnöthigung der Presbyterwürde ihn zu fesseln; er begab sich 394 nach Nola zum Grabe des heil. Felix, den er schon als Jüngling sich zum Schutzpatron erkoren Carm. natal. XIII, v. 314 ff. Ihm hatte er seinen ersten Bart geweiht, l. l., v. 324., und dem er auch seine Rettung von der Anklage zu verdanken glaubte. Hier, wo in der Gegend seine Familie reich begütert war, hatte er bereits ein Hospiz für Arme gegründet. Dies liess er jetzt um ein Stockwerk erweitern, und darin für sich und seine Frau, mit welcher er nur noch in geschwisterlichem Verhältniss lebte, eine dürftige Mönchswohnung einrichten. Sie wurde, da noch andere Asketen sich ihnen zugesellten, mit der Zeit zu einem förmlichen Kloster. Paulin, der sich nun auch dem theologischen Studium mit dem grössten Fleisse hingab, wurde bei eingetretener Vacanz 409 zum Bischof von Nola gewählt. In dieser Stellung wirkte er, ein wahres Muster christlicher Humanität und Toleranz, die sich selbst den Ketzern gegenüber kundgab, segensreich bis zu seinem Ende im Jahre 431 – auch im Leben, wie in der Dichtung, keine feurige und leidenschaftliche, sondern eine milde und zarte Natur.

So viel auch von der Dichtung Paulins verloren gegangen sein mag Gennadius, De vir. ill. c. 48, sagt von ihm: › scripsit versu brevia, sed multa‹, und erwähnt dann noch speciell das Gedicht an Celsus, sowie weiter unten nach Anführung von Prosaschriften ein Hymnarium mit den Worten: › Fecit et sacramentarium et hymnarium.‹ Hiernach erscheint es mir als zweifelhaft, dass unter demselben eine von Paulin selbst gedichtete Hymnensammlung zu verstehen sei. Wie das Sacramentarium ein Ritualbuch war, so wird dies auch das Hymnarium gewesen sein., so genügt doch das Erhaltene, um zu zeigen, wie auch in ihr die Wandlung seines religiösen Bewusstseins in ihren Phasen sich spiegelt. Hier können wir, und das ist von nicht geringem Interesse, die Beziehungen und das Verhältniss der christlichen zur heidnischen Poesie Roms klar an einem lebendigen Beispiel sehen, dank namentlich der nahen 297 Verbindung Paulins mit Auson, und den auch in den Werken des letztem davon erhaltenen Zeugnissen. In der Schule Ausons erwuchs Paulin auch als Dichter. Die Poesie jenes aber ist vor allem ein Werk der Kunstfertigkeit, ästhetischer Spielerei und Genusses – ein gelehrter Dilettantismus, der allerdings, wo ein poetisch bedeutender Gegenstand einmal sich darbietet, oder das Gemüth des Autors in seinen Tiefen erregt wird, auch in die Sphäre wahrer Dichtung sich zu erheben vermag. Im ganzen aber war die heidnische römische Poesie in jenem Stadium des Verfalls angelangt, wo die Kunst nur ein Spiel mit der Form wird: die sich überlebt habende heidnische Weltanschauung lieferte keine Stoffe der Begeisterung mehr, die sich nur noch in der Natur und ihrer ewig unwandelbaren Schönheit fanden. Wie Paulin zuerst dem Geschmacke seines Lehrers huldigte, zeigen nicht bloss die dem treuen Schüler so reich gespendeten Lobsprüche desselben, sondern sicherer noch der Umstand, dass Auson auch an Paulin sein Technopaegnion adressirte, das charakteristischste Product jenes Dilettantismus, wie denn der Dichter selbst es sehr richtig inertis otii mei inutile opusculum nennt. Auch die Bezeichnung Technopaegnion sagt genug. Es waren › versus monosyllabis et coepti et finiti, ita ut a fine versus ad principium recurratur‹; z. B.:
        Res hominum fragiles alit et regit et perimit fors,
        Fors dubia aeternumque labans, quam blanda fovet spes
, etc.
Woran sich dann solche kleine Gedichte schlossen, deren Verse nur am Ende Monosyllaba haben. Ed. l. p. 133 ff.
Paulin sandte dagegen seine poetischen Stilübungen dem Meister, sie zu verbessern, wie jene versificirte Epitome der drei Bücher Suetons De regibus . S. oben S. 295, Anm. 2. Aus der Zeit vor seiner Bekehrung zu einem streng christlichen Leben haben sich von Paulins Gedichten nur wenige erhalten, ein paar poetische Billets als Begleiter von Geschenken an einen Freund; und, was interessanter, ein kurzes Morgengebet in 19 Hexametern, worin Paulin den ›allmächtigen Schöpfer der Dinge‹ nicht nur um einen sittlichen Lebenswandel, sondern auch um eine behagliche irdische Existenz bittet, um eine gesittete Gattin und Kinder als Lohn für die Keuschheit. Dies Gebet hat noch weit weniger einen orthodoxen Charakter als die zwei viel längern versificirten Gebete des Auson, aus deren einem unser 298 Dichter eine Stelle wörtlich entlehnt hat. Die Gebete des Auson sind das in der Ephemeris enthaltene und das erste Gedicht der Idyllia (Ed. l. p. 4 u. 30). Beide sind so durchaus im Stile des Auson, und stimmen unter einander in Gedanken und Ausdrücken so überein, dass auch an der Abfassung des erstern durch Auson sich durchaus nicht zweifeln lässt. Aus diesem aber ist der Satz: Male velle etc. v. 5 f. unseres Gedichts entlehnt (vgl. Ephem. Or. v. 64 f.) und offenbar deshalb das Gebet der Ephemeris mit Unrecht dem Paulin beigelegt worden. – Bemerkenswerth ist noch, dass in dem Gebet Paulins eine Stelle selbst einen heidnischen Beigeschmack hat, nämlich: – – nullusque habeat mihi vota nocendi, Aut habeat nocitura mihi. Die Epoche aber der innern Wandlung Paulins ist in seiner Dichtung vor allem durch zwei damals an Auson gerichtete poetische Episteln vertreten, die durch vier dergleichen von Auson verfasste veranlasst waren. Drei derselben, wovon eine verloren ist, beantwortet Paulin in der in seiner Gedichtsammlung ersten Epistel zugleich, da er sie zusammen empfing, in der zweiten aber die dritte uns erhaltene des Auson, die indess der Zeit nach wohl die erste war. Hierin stimmt mir Peiper, Die handschriftliche Ueberlieferung des Auson (XI. Supplementband der Fleckeisenschen Jahrb. 1880 p. 326) bei, während Schenkl im Prooem. seiner Ausgabe p. XII diesen Brief desselben für den letzten, welchen er überhaupt an Paulin gerichtet habe, hält. Mir ist es aber unwahrscheinlich, dass Auson nach Poema X des Paulin einen solchen Absagebrief an den alten Freund und Schüler hätte senden können. Ist in diesem Punkt eine sichere Entscheidung nicht möglich, so kann dagegen kein Zweifel darüber walten, auf welche der Briefe des Auson der eine wie der andere des Paulin zu beziehen sind. Dieser poetische Briefwechsel ist doppelt interessant, weil er den Gegensatz und die Berührung christlicher und heidnischer Dichtung damals recht vor Augen legt, und andererseits zugleich den Höhepunkt der Dichtung des Paulin wie des Auson selber bezeichnet. Beide erscheinen hier als wahre Dichter und wenigstens an einzelnen Stellen selbst in einem Grade, wie er sich kaum irgendwo in ihren andern Werken wieder erreicht findet. Und dies vermochte die Freundschaft, der hier ein schönes Denkmal gestiftet ist.

In gewissem Sinne war es das Goethische: ›Keimt ein Glaube neu, Wird oft Lieb und Treu, Wie ein böses Unkraut ausgerauft‹, was Auson empfinden mochte, als er die erste jener Episteln schrieb, die mit den Worten beginnt: › Discutimus, Pauline, jugum Ed. l. p. 190 ff. – er meint das Joch der Freundschaft, das so sanfte 299 und milde, das sie verbunden, welches kein Gerede, keine Klage, kein Zorn und Irrthum gelöst, dasselbe, das einst schon die Väter beider vereinte. Paulin allein aber treffe die Schuld. Auson selbst will ausharren bis zum Tode. Er preist dann ihre seltene Freundschaft und ruft darauf die Reize der Heimath dem Freunde ins Gedächtniss, indem er die seines eigenen Landaufenthaltes ausmalt, welche freilich jetzt ohne Paulin keinen Werth mehr für ihn hätten. Aber er vertraut auf seine Gebete zu Gott Vater und Sohn, dass sie Paulin zurückführen. In Gedanken sieht er selbst schon ihn wiederkommen: was mit grosser poetischer Lebendigkeit im einzelnen ausgeführt wird; und er schliesst: ›darf ich es glauben, oder ist es nur ein Traum, wie sie die, welche lieben, sich einbilden?‹ – Welcher Aufwand von Rhetorik auch an nicht wenigen Stellen in diesem Gedicht sich findet, es glüht doch von einer in der heidnischen Dichtung jener Zeit so seltenen Wärme wahrer Empfindung, die fast einen Zug von moderner Sentimentalität erhält. – Auf diese in Hexametern geschriebene Epistel antwortet Paulin in einem Briefe von 48 Hexametern und 20 Iamben (Trimeter und Dimeter abwechselnd), worin er ein rührendes Bild von der pietätsvollen Liebe, die er Auson immer bewiesen, entwirft, und ihm mit begeisterten Worten versichert, dass keine leibliche Trennung je von ihm seinen Geist scheiden werde, der ihn in Liebe umarme, selbst jenseits des Grabes. Dies Gedicht, durchaus von einem christlichen Genius erfüllt, zeigt eine von ihm eingegebene Herzensinnigkeit, die jeden Zweifel besiegen musste.

Dies ist, wie oben bemerkt, der zweite Brief der Gedichtsammlung Paulins (Poema XI). Der erste derselben (Poema X) ist durch seinen Inhalt wichtiger: von den zwei uns erhaltenen Episteln Ed. l. p. 136 ff. Ausons, die er beantwortet, und die beide über das Schweigen des Freundes klagen, ist die eine, kürzere, noch in scherzendem Tone gehalten. Auson geht hier von dem Gedanken aus, dass wohl die Furcht vor Therasia Paulin vom Schreiben abhalte, und er theilt ihm deshalb einige Mittel einer Geheimschrift mit. Die andere Epistel Ausons dagegen ist grossentheils wieder ein Werk von wahrem poetischen Feingehalt. Selbst der feindliche Barbar erwidert den Gruss, beginnt der Dichter, und mitten unter den Waffen ertönt das Salve . 300 Auch die Felsen antworten dem Menschen. Die ganze Natur redet – und dies wird in lieblichen Versen anmuthig ausgeführt. Nur du allein schweigst; und es sind nur ein paar Zeilen nöthig. Hat der baskische Bergwald, und der Pyrenäen schneeige Wohnung deine Sitten geändert? Lieber soll Iberien wieder der Punier verwüsten. Wer dir zu schweigen rieth, den mögen nie die süssen Lieder der Sänger, noch die Stimmen der Natur erfreuen; er selbst verstumme. Am Schluss beschwört Auson die Musen, ihren Dichter zurückzurufen. An diesen Schluss knüpft nun Paulin sein langes Antwortschreiben an, das mit neun Distichen, die nur die Einleitung bilden, beginnt, worauf 84 Iamben (Trimeter und Dimeter wechselnd) und 229 Hexameter folgen. Und hier erklärt Paulin, dass er der heidnischen Muse den Abschied gegeben. Das Christus geweihte Herz, ruft er, verweigert sich den Camönen und steht Apollo nicht offen. Jetzt bewege seinen Sinn eine andere Kraft, ein grösserer Gott, welcher der eiteln Mythendichtung sich zu weihen verbietet. Die Kunst der Rhetoren und die Erdichtungen der Sänger umwölken nur das göttliche Licht, das wir schauen sollen, indem sie das Herz mit Falschem und Eiteln anfüllen und bloss die Zunge lehren.         Vacare vanis otio aut negotio
        Et fabulosis litteris
        Vetat, suis ut pareamus legibus,
        Lucemque cernamus suam:
        Quam vis sophorum callida arsque rhetorum et
        Figmenta vatum nubilant,
        Qui corda falsis atque vanis imbuunt
        Tantumque linguas instruunt.
v. 33 ff.
Sie enthüllen nicht die Wahrheit, deren Licht Christus ist. – Sein Preis folgt dann: er erneuert unsern Sinn, er erschöpft alles, was uns früher ergötzte. Die eiteln Leidenschaften des gegenwärtigen Lebens hebt der Glaube an ein zukünftiges mit Gott auf. – Paulin vertheidigt sich dann gegen die Anklage seine Güter zu verschleudern, die er nur bei Christus anlege, sowie gegen die der Impietät, indem er ausspricht, wie viel er Auson danke. – In den den Iamben folgenden Hexametern sagt er aber, der Freund möge mit seiner Bitte nicht an die Musen, sondern an Christus sich wenden, der die Herzen halte und bewege. Wenn seine Handlungsweise Auson nicht gefalle, so sei Der Schuld, der seinen 301 Sinn wandte; offen bekenne er, dass er nicht mehr derselbe sei, als früher, damals aber – nicht jetzt – sei er ›verkehrt‹ ( perversus ) gewesen, wo er nicht dafür gehalten wurde. Wenn er aber etwas Gott gefälliges geleistet, so gebühre Auson, seinem Lehrer, zuerst der Dank und der Ruhm. – Paulin bleibe der Seinige. Ein Anachoret sei er übrigens nicht, so beneidenswerth diese wären, er lebe vielmehr an der reichen spanischen Küste; und hier verbreitet er sich ausführlicher über dies dem Freunde unbekannte Land. Er führt dann noch aus, wie zum Guten sich zu verändern nur löblich sei, und wie er nichts danach frage, in den Augen anders Denkender ein Thor zu erscheinen, wenn er vor Gott weise sei, indem er, an das jüngste Gericht denkend, bei Zeiten in sich gehe.

Diese Epistel, die von keinem geringen kulturgeschichtlichen Interesse ist, ist in der Ausführung, was die kurze Analyse nicht zeigen kann, wahrhaft poetisch, namentlich der in Iamben geschriebene Theil, den schon Scaliger, wenn auch zu überschwenglich, rühmt. Aus dem Hymnus auf Christus, der sich darin findet, spricht die ganze Kraft der Begeisterung, womit damals das Christenthum die nach dem Idealen dürstenden Herzen der Gebildeten erfüllte, die sich uneingeschränkt ihm hingaben. Hier war ihnen ein frischer reicher Quell desselben geboten, wo alle andern damals versiegt oder getrübt waren. Und dass die reine Humanität, zu der der Hellenismus den Grund gelegt, und die das Christenthum einst veredeln sollte, hier schon über den feindlichen Gegensätzen der heidnischen und christlichen Weltanschauung jener Zeit triumphirend sich erhebt, das gibt diesem Schreiben Paulins eine noch höhere Weihe, als die feine Urbanität, die diese Correspondenz auszeichnet, und die schon zeigt, wie das südliche Gallien ein Asyl für die gesellschaftliche Lebensbildung des Alterthums werden sollte.

Nachdem Paulin also der profanen Poesie entsagt hatte, hat er doch in der geistlichen, durch sein Formtalent und ein reiches, leicht bewegliches Gefühlsleben angetrieben, noch mannichfach sich versucht. Unter diesen seinen christlichen Dichtungen tritt schon quantitativ, theilweis aber auch inhaltlich entschieden in den Vordergrund ein Cyklus von panegyrischen Gedichten auf den heil. Felix. Ihm, seinem Schutzpatron, 302 huldigte er mindestens vierzehn Jahre Wenn man nicht 15 annehmen will auf Grund der Stelle in des Dungalus Buch Contra perversas Claudii sententias (s. Bd. II, S. 225): Paulinus, episcopus, vir eruditissimus et sanctissimus, sicut et multi de eo testati sunt, nobilem librum XV carminibus distinctum in honore et laude S. Felicis Martyris edidit – trotzdem dass Dungalus selbst, wie seine Citate zeigen, das XIII. Gedicht für zwei gerechnet hat. Es kommt eben darauf an, ob man das › Testat‹ auch auf die Zahl XV mit beziehen will. lang, seit 394, wo er sich zu der Reise nach Nola rüstete, zu dessen Festtage, dem 14. Januar, mit einem Gedichte in Hexametern. Von diesen Carmina natalitia – so genannt, weil ja der Todestag der Heiligen als ihr Geburtstag zum ewigen Leben betrachtet wurde So sagt auch Paulin selbst Carm. natal. VIII, v. 14 ff. und XIII, v. 116 ff. – haben sich aber nur dreizehn ganz, und eins noch fragmentarisch erhalten. XI–XIII wurden erst durch Muratori ganz wiedergefunden und in seinen Anecdota publicirt, während man bis dahin allein vom ersten und letzten derselben Fragmente in den Citaten des Dungalus hatte; wie sich dort auch das uns noch immer bloss fragmentarisch erhaltene fand. Sie sind gar verschieden an Umfang, wie Inhalt und Charakter; nur die Tendenz der Verherrlichung des Heiligen bleibt dieselbe. Im ersten Gedicht (39 Hex.) bittet der Dichter den Heiligen um eine glückliche Fahrt (nach Nola), im zweiten (36 Hex.) dankt er für dieselbe, an seinem Grabe gedenkt er wie in einem friedlichen Hafen, entgangen den Stürmen des Lebensmeeres, für immer auszuruhen; im dritten (135 Hex.) wird das Fest des Heiligen beschrieben, die gewaltige Pilgerfahrt nach Nola aus allen Theilen Italiens, die von Lichtern strahlende, mit Blumen geschmückte Kirche. Die beiden folgenden Carmina, IV (361 Hex.) und V (299 Hex.), sind inhaltsreicher: in ihnen wird die Lebensgeschichte des Heiligen erzählt, die nicht ohne sagenhafte poetische Reize ist, so wenn wir lesen (IV, v. 271 ff.), wie Felix als Presbyter in der Zeit der Verfolgung seinem flüchtigen, im Walde verschmachtenden Bischof das Leben rettet durch eine Traube, die auf Gottes Befehl von einem Dornbusch spriesst, und ihn dann auf seinem Rücken in sein Haus trägt; oder, wie darauf Felix selbst vor seinen Feinden durch die Hülfe einer Spinne, die vor seinem Zufluchtsort alsbald ein dichtes Netz webt, geschützt wird (V, v. 82 ff.). Bei aller redseligen Breite, die Paulin auch in diesen zwei Geburtstagsgedichten nicht verlässt, folgt man hier gern 303 der leicht hinfliessenden und im Gegensatz zu dem herrschenden panegyrischen Stil von Schwulst sich frei haltenden Darstellung: ebenso in dem folgenden sechsten (469 Hex.), wo der Verfasser, nach der Erzählung des Begräbnisses des Heiligen auf die nach dem Tod von ihm vollbrachten Wunder übergehend, eins statt vieler ausführlich berichtet, wie nämlich ein armer Bauer ein paar Ochsen, die er wie seine Kinder in sein Herz geschlossen, nachdem sie ihm gestohlen, durch den Beistand des Felix, den er im Gebet fast bedrohlich anruft, wiedererhält – ein anziehendes Sittengemälde, mit frischen Farben gemalt, welches recht zeigt, wie rasch der Heiligenkultus in Unteritalien volksthümlich wurde. Auch das siebente Carmen (335 Hex.) handelt von Wundern des Heiligen, die sich namentlich an seinem Festtage begeben Nur der Eingang dieses uninteressanten Gedichts ist bemerkenswerth, indem hier die Schilderung des Nahens des Frühlings, und die des Nachtigallengesangs, dessen Lieblichkeit der Dichter seinem Liede wünscht, anziehen.; im achten (427 Hex.), das auch dasselbe Thema behandelt Die Heilung eines Besessenen wird hier ausführlicher erzählt, v. 302 ff., fürchtet der Dichter die in Italien eingefallenen Gothen und hofft auf des Heiligen Beistand. Das neunte und zehnte dieser Gedichte (647 und 325 Hex.) haben wieder ein besonderes Interesse, indem in ihnen der Neu- und Umbau der Kirche des heil. Felix in Nola, wie ihn Paulin ausführen liess, eingehend beschrieben wird, wobei namentlich auch der damals, wie der Dichter selbst sagt, noch seltene Bilderschmuck merkwürdig ist, dessen hier im einzelnen gedacht wird. IX, v. 511 ff. Vgl. X, v. 170 ff. Die Bilder waren mit tituli versehen, s. IX, v. 584; Paulin aber liess sie malen, wie er sagt, um durch ihre Betrachtung das Landvolk unter den Pilgern an dem Festtag zu beschäftigen, damit sie weniger Zeit hätten, sich im Essen und Trinken zu übernehmen. S. in Betreff der behandelten biblischen Stoffe Brockhaus, Prudentius S. 274 ff., und vgl. über den Bau selbst Ep. 32 und Buse, Paulin II, S. 68 ff., ferner den Aufsatz von Holtzinger, Die Basilika des Paulinus von Nola, in Lützows Zeitschr. f. bildende Kunst, Jahrg XX, S. 135 ff. Nicht minder geschieht letzteres (IX, v. 402 ff.) mit den Reliquien, die unter dem Altar sich befanden; ihre Aufzählung zeigt recht, zu welchem Grad von Absurdität schon ihr Kultus gelangt war. Auch das elfte Geburtstagsgedicht (730 Hex.) ist von allgemeinerem kulturhistorischem Interesse in der ersten Hälfte, die auch nicht ohne Schwung geschrieben ist, indem hier der Dichter 304 den Heiligen- und Reliquienkultus überhaupt motivirt: zur Reinigung und Heilung der sündigen, noch im Heidenthume befangenen Welt hat Gott die Heiligen, an deren Spitze ja die Apostel, als Aerzte überall hin verstreut Paulin nennt hier die wichtigsten Heiligen und die Länder, wo sie wirkten, so im Abendland Ambrosius in Latium, Vincenz in Spanien, Martin in Gallien, in Aquitanien Delphin, v. 153 f., und um ihre Wirksamkeit über das kurze Menschenleben hinaus zu verlängern ihre heilende Kraft auf ihre irdischen Ueberreste übertragen (v. 283 ff.), die dann auch durch Translation den Segen noch weiter, in von den Heiligen noch unberührt gebliebene Gebiete verbreiten können. Den Anfang der Sitte der Translationen machte Constantin bei der Gründung seiner neuen Hauptstadt (v. 321 ff.). Noch wird dann der Raub einer kostbaren Kreuzlampe, die ausführlich beschrieben wird, aus der Kirche des heil. Felix und ihre wunderbare Wiedererlangung erzählt. Das zwölfte Gedicht (440 Hex.) hat auch ein paar sogenannte Wunder des Heiligen zum Gegenstand; das dreizehnte dagegen ist wieder von besonderm Interesse. Es ist schon merkwürdig durch die Form; es ist nämlich nicht, wie die andern Natalitia, bloss in Hexametern geschrieben, sondern das Metrum wechselt Der Dichter motivirt dies ebendort also, v. 56 ff.:
        Et contra solitum vario modulamine morem,
        Sicut et ipse (sc. Felix) mihi varias parit omnibus annis
        Materias, mutabo modos, serieque sub una,
        Non una sub lege dati pede carminis ibo.
, indem das 805 Verse zählende Gedicht mit 70 Hexameter beginnt, denen 148 iambische Trimeter folgen, hieran schliessen sich 36 Distichen, während die übrigen 515 Verse wieder Hexameter sind. Was den Inhalt betrifft, so gedenkt Paulin zuerst des in Italien wiederhergestellten Friedens, nachdem durch der Heiligen und somit auch durch des Felix Hülfe im vergangenen Jahre (405) Radagais besiegt worden sei; indem der Dichter dann aber auf das, was er selbst Felix speciell verdankt, übergeht, um ihn deshalb zu preisen, erwähnt er zunächst der Anwesenheit frommer Gäste aus der Familie der bekannten Melania, dieselben feiernd, um dann all das Gute aufzuzählen, was seit seiner Jugend ihm sein Schutzheiliger erwiesen (v. 294 ff.): und hier finden sich denn die interessantesten Beiträge zu Paulins Lebensgeschichte; endlich wird noch die Oeffnung des Grabes 305 des Heiligen erzählt. – Das nur fragmentarisch erhaltene dieser Gedichte endlich (35 Hex.) ist zu unbedeutend, um es näher in Betracht zu ziehen.

Dieser besondern, damals in der Profanliteratur so beliebten poetischen Gattung, der panegyrischen Dichtung, gehört auch eins der ältesten christlichen Gedichte Paulins an, das offenbar in der Zeit, als er zuerst dem asketischen Leben sich zuwandte Vgl. u. a. v. 254., verfasst ist. Sein Held ist Johannes der Täufer, der erste Asket des neuen Bundes gleichsam, und gerade als solcher wird er gefeiert, wie denn der Askese selbst einige begeisterte Verse gewidmet sind. Das Gedicht zählt 330 Hexameter. – Dieser frühern Zeit sind auch zuzuweisen die drei Psalmen-Paraphrasen, die wir von Paulin besitzen: eine vom ersten Psalm in 51 iambischen Trimetern, eine vom zweiten in 32 Hexametern, und eine von Psalm 137 in 71 Hexametern. Diese Gedichte sind ebensosehr literarhistorisch als ästhetisch beachtenswerth. In ihnen tritt zuerst eine besondere Species christlicher Poesie auf, welche nicht bloss im Mittelalter, sondern auch in der neuern Zeit bis zur Gegenwart in den verschiedensten Literaturen mannichfache Pflege fand, und einzelne berühmte Werke hervorgebracht hat. Die Fülle wahrer Begeisterung, die diese orientalischen Gesänge belebt, musste auch ihre Bearbeiter leicht ergreifen. Und so gehören auch diese drei Gedichte Paulins, namentlich die beiden letzten, zu den besten, die er geschrieben hat, indem bei all der oft wahren Eleganz des Ausdrucks zugleich der nahe Anschluss an das Original, natürlich in seiner lateinischen Uebertragung, zu bewundern ist.

Nur wenig hat sich sonst noch von der Lyrik Paulins erhalten, doch sind diese Gedichte inhaltlich von mehrfachem Interesse und formell wenigstens eines Schülers des Auson nicht unwürdig. Einmal eine Ode von 340 Versen im sapphischen Metrum an den von Paulin hoch verehrten Bischof Daciens, Nicetas, als derselbe, wohl 398, Nola, das schon nicht minder durch Paulin als durch seinen Heiligen berühmte, besucht hatte und zu der Rückkehr nach seinem Bisthum sich wieder anschickte. In diesem Lied, das zu seinem Abschied Paulin dichtete, beschreibt er nicht bloss den ganzen Weg, den Nicetas nach Hause zurückzulegen hatte, sondern auch das grosse Gebiet 306 des Sprengels dieses Missionsbischofs, wie man ihn wohl nennen. darf, und seine segensreiche Wirksamkeit unter den heidnischen Barbaren jenseits der Donau, den Geten, Bessen und Scythen: wie er in dem eisigen rhipäischen Lande die auch eisstarren Herzen schmolz, sodass in den unwegsamen Gebirgen statt Räuber Mönche, des Friedens Zöglinge, hausen, und der Räuber selbst ein Raub der Heiligen wird             Quaque rhipaeis Boreas in oris
        Alligat densis fluvios pruinis,
        Hic gelu mentes rigidas superno
        Igne resolvis.
            Nam simul terris animisque duri,
        Et sua Bessi nive duriores,
        Nunc oves facti duce te gregantur
        Pacis in aulam.
u. s. w. v. 201 ff.
; und durch das Christenthum werden die Barbaren nicht bloss civilisirt, sondern auch mit Rom versöhnt: durch dich, sagt der Dichter, lernen die Barbaren Christus singen, mit römischem Herzen, und in sanftem Frieden leben, sodass gegen deine Herde der Wolf zahm ist und das Rind einträchtig mit dem Löwen weidet.             Orbis in muta regione per te
        Barbari discunt resonare Christum
        Corde Romano, placidamque casti
        Vivere pacem.
v. 261 ff.
So ging in der That die Romanisirung mit der Christianisirung Hand in Hand! –

Nicht minder ist kulturhistorisch interessant ein Hochzeitsgedicht, das Paulin um dieselbe Zeit zu der Vermählung eines Sohnes des Bischofs von Capua, der selbst ein Kleriker ( Lector ) war, verfasste, das Epithalamium Iuliani et Iae , ein höchst merkwürdiges christliches Seitenstück zu den heidnischen Epithalamien, wie sie gerade damals so recht Mode waren. Während in diesen aber, meist auch in einer recht üppigen und überladenen Ausdrucksweise, zu sinnlichem Genuss aufgefordert wird, so hier in einem einfachen und doch würdigen Stile zur Keuschheit, ja, unter Hinweisung auf die mystische Ehe Christi mit der Kirche, wenn es möglich, zur Besiegung des Fleisches             Ut sit in ambobus concordia virginitatis
        Aut sint ambo sacris semina virginibus
etc. v. 232 ff.
, wie denn auch die Hochzeitsfeier, statt wilder Lust, vielmehr ernste Freude zeigen soll; dort wird der Schmuck und die 307 Pracht der Braut in Kleidung und Kleinodien gepriesen, hier sie zur Verachtung solchen Tandes ermahnt, wogegen sie vielmehr ihre Seele mit Tugenden schmücken solle.             Ornetur castis animam virtutibus, ut sit
        Non damnosa suo, sed pretiosa viro.
        Namque ubi corporeae curatur gloria pompae,
        Vilescit pretio depretiatus homo.
v. 53 ff.
Das in Distichen geschriebene Gedicht, welches 240 Verse umfasst, schliesst mit drei überschiessenden Pentametern. – Auch in Distichen verfasst ist ein anderes Gelegenheitsgedicht Paulins – es zählt nicht weniger als 630 Verse –, worin er über den Tod eines Knaben Celsus die ihm verwandten Eltern tröstet, durch den Hinweis auf die von Christus verbürgte Auferstehung. Dies weitschweifige Gedicht erhält nur am Schluss einen lyrischen Aufschwung, indem hier der Dichter seines eigenen verstorbenen gleichnamigen Söhnleins gedenkt (v. 599 ff.). – Von allgemeinerem Interesse dagegen erscheint eine poetische Epistel Paulins an Cytherius in 942 Iamben, Trimeter und Dimeter abwechselnd. Darin wird die abenteuerreiche Reise eines Martianus, der von dem Adressaten an Paulin empfohlen war, aus Gallien nach Nola, namentlich sein Schiffbruch, geschildert, woran sich denn (v. 495 ff.) Rathschläge in Betreff der geistlichen Erziehung des jungen, Gott schon geweihten Sohnes des Cytherius knüpfen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass auch eine Anzahl Aufschriften ( tituli), meist in Distichen, für geweihte Bau- und Bildwerke, die Paulin für seine Kirchen zu Nola und Fundi, sowie für ein Baptisterium Severs verfasste, uns in einem seiner Schreiben an diesen (Ep. 32) erhalten sind. Sie haben aber keine literarhistorische Bedeutung weiter. – Von den beiden Gedichten aber, die Angelo Mai in einem Vaticanischen Codex, der sonst nur Paulinische Gedichte enthält, aufgefunden und in Classic. auctorum e Vatican. codd. editor. Tom. V (Rom 1833) herausgegeben hat, ist das zweite, wie auch Buse urtheilt, sicher nicht von unserm Paulin, vielmehr von Paulus Diaconus (s. Bethmann in Pertz' Archiv Bd. X, S. 295), das erste wird schon durch die Nachbarschaft des zweiten verdächtig, wenn sich auch hier eine nahe Verwandtschaft im Stil mit den Gedichten Paulins nicht leugnen lässt.

Noch besitzen wir von Paulin zwei Gedichte polemisch-apologetischer Art. Das eine, im umfassenderen Sinne so zu benennen, ist erst von Muratori entdeckt worden Es folgt dies Gedicht in dem Ambrosianischen Collectivcodex unmittelbar auf die Natalitia Paulins, ohne Titel; nach dem Gedicht aber folgt: › Incipit opus Paulini Petrecordie de Vita S. Martini Episcopi versibus.‹ Hiernach scheint allerdings der Schreiber des Codex unser Gedicht dem Paulin von Nola beizulegen. Gegen die Autorschaft desselben könnte manches sprechen – so die schlechte Abfassung namentlich der ersten Hälfte, die selbst aller logischen Ordnung ermangelt, die geringe philosophische Bildung, die der Verfasser zeigt, u. s. w.: man müsste denn annehmen, dass das Gedicht uns in unvollständigem und verwirrtem Texte überliefert sei –; aber die Autorschaft Paulins wird durch andere Gründe so erhärtet, dass sie unzweifelhaft erscheint. Ich lege weniger Gewicht auf die Stelle in Augustins Ep. 34, ad Paulinum: ›Adversus paganos te scribere didici ex fratribus‹, als auf die auffallende Uebereinstimmung des Gedichts mit andern Paulins in einzelnen wesentlichen Punkten, namentlich 1) mit dem XI. Natal. in der Benutzung des Firmicus (s. Muratori's Noten), 2) mit dem Panegyricus auf Johannes den Täufer, und zwar einmal im Eingang beider Gedichte, wo auch in beiden auf das Beispiel Davids hingewiesen wird, dann, was noch wichtiger, in der Behauptung, dass die Reue allein schon zur Vergebung der Sünden genüge, der Schmerz über die Schuld genug Strafe sei, v. 219 ff. und De Ioh. Bapt. v. 288 ff.; es zählt 308 254 Hexameter und ist von einem spätern Herausgeber (Oehler) nicht mit Unrecht Adversus paganos betitelt worden. Von Muratori und danach von andern wohl nach seiner Stellung unter den Gedichten des Paulin im Cod. Ambros. poema ultimum (sc. Paulini Nolani) genannt. In diesem in poetischer Beziehung werthlosen Werkchen, das aber ein paar neue Beiträge zur alten Mythologie liefert S. Bursian, a. a. O. S. 14 ff., will der Verfasser gewissermassen sein Christenthum rechtfertigen, indem er die heidnische Volksreligion mit ihren Unsittlichkeiten und Absurditäten verspottet, in derselben Art wie ein Arnobius und Firmicus Maternus – den letztern hat er wohl selbst benutzt Auch an den Octavius des Minucius Felix erinnert das Gedicht an einzelnen Stellen in auffallender Weise. S. Bursian, S. 20. –, aber auch das Judenthum, das undankbar Gott verleugnete, sowie die resultatlose Philosophie, freilich mit auffallend dürftiger Kritik, verwirft. Er gibt dann Zeugniss von seinem christlichen Glauben, wie er sich, jetzt erleuchtet, desselben erfreut. Es ist nicht der der Namenchristen, der blosse Monotheismus, dessen die gebildeten Heiden sich auch rühmen.             Nec se paganus laudet, si qui idola vitat,
        Ac satis esse putat, quod numine credat in uno.
        Qui colit ille Deum, qui verbum non colit eius?
v. 203 ff.
Er verehrt auch das ›Wort‹, den Erlöser, der allein die Sünden vergibt, und mehr erbarmend als gerecht blosse Reue dafür fordert. – Das Gedicht gehört, wie schon seine Tendenz zeigt, zu den 309 ältesten der christlichen Poesie des Paulin. Auf eine genauere Zeitbestimmung kommt nichts an; wenn v. 222 echt wäre, den man aber für interpolirt halten möchte, so wäre das Gedicht sicher vor dem Panegyricus auf Johann den Täufer verfasst. Der Brief Augustins ist gegen Ende 395 zu setzen. – Das andere, Ad Iovium , 166 Hexameter, ist eine Epistel, die an ein Schreiben Paulins in Prosa, aus dem sie die Ideen selber entlehnt, sich anschliesst. Letzteres Schreiben (Ep. 16) hatte eine besondere Veranlassung. Ein Schiff, das Geld von Paulin und Iovius, seinem Verwandten, trug, war durch Stürme verschlagen und, des Wächters beraubt, glücklicherweise an eine Küste geworfen worden, wo beide Verbindungen hatten, sodass der Schatz gerettet wurde. Iovius, ein Mann von durchaus klassischer Bildung und Geistesrichtung, der in diesem Sinne der Philosophie und Dichtkunst huldigte, obschon er Christ, ja selbst tolerant gegen Asketen wie Paulin war, sah in dem Ereigniss nichts weiter als einen glücklichen Zufall, während Paulin dagegen es für eine Veranstaltung Gottes erklärte. Hiervon ihn zu überzeugen, schrieb ihm dieser, wobei er ihn auffordert, ein Philosoph und Sänger Gottes zu werden. Ep. XVI, § 3. Namentlich die letztere Aufforderung ist es denn, die Paulins poetische Epistel, welche an sein Prosaschreiben offenbar angeschlossen war So geht auch in einem Schreiben an Licentius, den Sohn des Romanianus (Ep. VIII), Paulin von der Prosa zu Distichen über, in welchem Gedicht er diesen frühern Schüler des Augustin zur Askese auffordert, und vor den nachtheiligen Einflüssen Roms warnt; in letzter Beziehung ist das Gedicht, auf das weiter einzugehen wir verzichten, von Interesse. Uebrigens finden wir solche Mischung von Prosa und Versen auch in Episteln des Auson., dictirt. Statt das Urtheil des Paris und die falschen Kriege der Giganten zu besingen, eine Spielerei, wie sie nur dem Kinde gezieme, möge Iovius, sagt dort Paulin, die wahren Wunder Gottes zum Gegenstand seiner Dichtung machen, wodurch er demselben näher komme und lieber werde. Er verweist ihn auf die Stoffe des Alten wie des Neuen Testamentes. In jenem werde er auch über die Entstehung der Welt wie über die unmittelbare Leitung des Menschen durch Gott, statt durch den Zufall, belehrt werden. So trat hier Paulin von neuem, wie in seinem ersten Brief an Auson, der abgelebten Mythendichtung der Profanpoesie entgegen.

310 Und doch verleugnet Paulin als christlicher Dichter nicht dass er mit der letztern seine Laufbahn begonnen hat; in den uns erhaltenen Gedichten schliesst er sich meist, wie wir sahen an die in der Profanpoesie damals gerade herrschenden Dichtungsarten und Formen an, wie er denn die panegyrische und die Episteldichtung mit Vorliebe pflegt, und sogar ein christliches Epithalamium verfasst. Und Hand in Hand hiermit ist auch seine poetische Sprache, im gleichen Anschluss an die bessere Profandichtung jener Zeit, reiner, sie bleibt der Ueberlieferung getreuer, aber es fehlt ihr auch die Kühnheit, die productive Kraft und der Reichthum der Sprache des Prudentius. Der leichte ungesuchte Erguss der Rede, der, hier von einem zwanglos hinfliessenden Verse getragen, nur zu oft den Dichter zu einer plauderhaften Weitschweifigkeit verführt, findet sich aber ebenso wenig als die verhältnissmässige Simplicität und Reinheit des Ausdrucks in der Prosa des Paulin wieder. Diese ist durch eine Reihe von Briefen, welche auch eine Predigt einschliessen, und hier und da selbst zu kleinen Abhandlungen werden So Ep. 12 an Amandus: De dei gratia, Ep. 21 an denselben, über das Evangelium Johannis, Ep. 31 an Sulp. Severus: die › historia revelatae et inventae crucis‹ § 3 ff., für uns vertreten, denn alle andern Prosaschriften Paulins, und selbst die noch Ende des fünften Jahrhunderts gerühmten, sind verloren gegangen: so ein von Hieronymus Ep. 58, ad Paulinum § 8. Auch Paulin selbst erwähnt den Panegyricus Ep. 28 am Schluss, und zwar mit folgenden, denselben charakterisirenden Worten: › ut in Theodosio non tam imperatorem quam Christi servum, non dominandi superbia, sed humilitate famulandi potentem, nec regno, sed fide principem praedicarem‹. Vgl. auch Gennadius, a. a. O. hoch gerühmter Panegyricus auf Theodosius sowie ein Buch De poenitentia und eins De laude Martyrum . Diese hebt Gennadius a. a. O. besonders hervor, indem er das zuletzt erwähnte Werk: ›De laude generali omnium Martyrum‹ (sic) citirt. In jenen Briefen aber ist meist nicht nur die Satzbildung eine sehr schwerfällige, die in langen, oft gar unbehülflichen Perioden sich bewegt, sondern auch der Ausdruck ein gesuchter, aufgeputzter und unreiner Hierzu passt freilich schlecht das Urtheil des Hieronymus Ep. 85 ad Paulin., welcher an ihn schreibt: in epistolari stylo prope Tullium repraesentas. Entweder müssen diese Briefe Paulins an Hieronymus besser stilisirt gewesen sein, oder es war eine Lobhudelei., indem hierzu nicht wenig eine wahre Manie des Verfassers, 311 Citate aus der heil. Schrift einzuschalten und biblischer Wendungen und Phrasen sich zu bedienen, beiträgt. Es erinnert der Stil im übrigen an die Schule der gallischen Rhetorik, die es liebte, auf hohem Kothurn einherzuschreiten und sich gern mit Redeblumen schmückte Vgl. oben S. 139. – ein Prosastil, den ein Dichter nur um so leichter geneigt sein musste sich anzueignen. Die durch Anschluss an einen Brief uns erhaltene Predigt (Ep. 34) ist aber, was hervorzuheben, in einem einfacheren Stile geschrieben, wie sie denn auch auf ein Publikum von literarisch Ungebildeten, ja selbst, wie es nach dem Eingang scheint Hierauf hat schon Ampère. a. a. O. S. 294, aufmerksam gemacht., von Landleuten, berechnet sein musste. Die Wärme innigster Ueberzeugung, die aus dieser Rede spricht, welche ein Thema behandelt, das dem Herzen Paulins so nahe lag, das Almosenspenden, ergreift noch heute den Leser anziehend. Von den Briefen, die etwa fünfzig sind, sind die meisten (vierzehn) an den ältesten und innigsten Freund Paulins, Sulpicius Severus, den wir als christlichen Schriftsteller bald zu betrachten haben, gerichtet, zehn an den um Paulins Bekehrung, wie er selbst sagt, besonders verdienten Presbyter von Bordeaux, Amandus, fünf an den Bischof dieser Stadt, Delphin, vier an Augustin, an die meisten andern Adressaten Unter diesen seien Romanianus, Licentius, Pammachius, Rufin, Alypius als bekannte Namen hier erwähnt. nur einer. Die Briefe beginnen erst mit der Zeit nicht bloss der Bekehrung, sondern des Presbyterates Paulins. Sie sind fast ganz von dem Geiste der Askese erfüllt, und zeigen uns, wie derselbe in den Frommen jenes Zeitalters wirkte und wie diese stille Gemeinde über das ganze Abendland hin sich die Hand reichte. Am interessantesten sind die Briefe an Sever, nicht bloss durch die literarische Bedeutung des Adressaten, sondern durch den offenen, freundschaftlichen Ton, sodass sie, abgesehen von dem anziehenden Material, das sie zur Lebensgeschichte beider Freunde bieten, auch manche andere kulturgeschichtlich werthvolle Einzelheiten enthalten. 312

 


 << zurück weiter >>