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Zehntes Kapitel.

Prudentius.

Die ungemeine Wirkung, welche die drei grossen Schriftsteller, Ambrosius, Hieronymus und Augustin, auf die Literatur der Folgezeit ausüben sollten, offenbart sich bereits in der der 252 Zeitgenossen, welche zu einem guten Theile durch sie angeregt oder durch sie bestimmt wurde. So erhielt die christliche Dichtung von Ambrosius, zunächst durch seine Lyrik, aber selbst auch durch seine Beredsamkeit, die lebhaftesten Antriebe und zugleich massgebende Vorbilder, sodass ihr bedeutendster Vertreter, und zwar nicht bloss in dieser Zeit, sondern in der ältern überhaupt, unter des Ambrosius Einfluss offenbar sich herangebildet hat. Es ist Aurelius Prudentius Clemens Aurel. Clement. Prudentii carmina ad optimas quasque editiones et mss. codd. Romanos etc., prolegg., commentariis et lectionibus variant. illustr. a F. Arévalo. 2 tom. Rom 1788. 4°. – Aur. Prudent. Clem. carmina recens. et explicavit Th. Obbarius Tübingen 1845. – * Id. recens., notis explic. A. Dressel. Leipzig 1860. – – Middeldorpf: De Prudentio et theologia Prudentiana, in Illgens Zeitschrift für die historische Theologie. Bd. II. 1832. – Cl. Brockhaus, Aur. Prudentius Clemens in seiner Bedeutung für die Kirche seiner Zeit. Leipzig 1872. – Faguet, De Aur. Prudentii Clementis carminibus lyricis. ( Thèse) Paris 1883. – Allard, Prudence historien, in: Rev. des Questions histor. 1884. Tom. XXXVI, und Rome au IV e siècle d'après les poèmes de Prudence ibid. T. XXXVII. – Rösler, Der katholische Dichter Aur. Prudentius Clemens. Ein Beitrag zur Kirchen- und Dogmengeschichte des 4. und 5. Jahrhunderts. Freiburg 1886., welcher wenigstens durch die Zahl, die Mannichfaltigkeit und den Grad der Originalität seiner Dichtungen die erste Stelle einzunehmen verdient. 348 im Tarraconensischen Spanien, vermuthlich in Saragossa Hierfür scheint mir die Stelle Peristeph. IV, v. 97 ff. zu sprechen: Noster est, quamvis procul hinc in urbe Passus ignota dederit sepulcri Gloriam victor prope littus altae Forte Sagunti. Es ist von einem der Märtyrer Saragossas die Rede, und – worauf alles ankommt – eine andere Stadt wird hier Saragossa gegenübergestellt; so lässt sich Noster nicht im Sinne der Provinz, des Tarraconensischen Spaniens, nehmen, in welchem Calagurris in demselben Gedicht › nostra‹ genannt wird (v. 31)., geboren, stammte er aus einer sehr angesehenen Familie. Er machte, wie er selbst uns erzählt In der Praefatio der Gesamtausgabe seiner Werke., die in seinem Stande übliche politische Laufbahn. Nachdem er die rhetorisch-juristische Ausbildung erhalten, wurde er zunächst Anwalt, um danach das bedeutende Amt eines Rector einer Provinz Spaniens, wahrscheinlich der Tarraconensischen selbst, zu bekleiden. Er stieg noch höher, indem ihm eine Militärcharge der ersten Rangklasse zu Theil wurde. – Nachdem auch Prudentius in der Jugend den Lüsten der Welt gefröhnt, widmete er sich in spätern Jahren einem strengern christlichen Leben, und hoffte nunmehr durch seine geistliche Dichtung den Himmel sich zu erwerben. 253 Im 57. Jahre veranstaltete er eine Gesamtausgabe derselben S. a. a. O., was natürlich nicht ausschliesst, dass die Werke oder ein Theil derselben früher schon einzeln publicirt waren., die mindestens den grössten Theil seiner Werke schon umschloss. In der, auch in Versen geschriebenen Praefatio dieser Gesamtausgabe deutet er die folgenden und zwar in dieser Ordnung an: das Buch Cathemerinon , die Hamartigenia , die Apotheosis V. 39: pugnet contra hereses, catholicam discutiat fidem; da mit der zweiten Hälfte der Zeile offenbar nur die Apotheosis gemeint sein kann, welche die Trinitätslehre behandelt und mit dem Glaubensbekenntnisse anhebt (vgl. auch Apoth. Praef. v. 21 u. 39), wogegen sich diese Worte catholicam etc. im engern Sinne nicht auf die Hamartigenia beziehen können, ist letzteres Werk in der ersten Hälfte der Zeile angedeutet, wenn diese auch allerdings zugleich auf die Apotheosis gehen kann., die zwei Bücher gegen Symmachus; dann, wie es scheint, die Psychomachia V. 41: labem, Roma, tuis inferat idolis, s. weiter unten.; und hierauf noch das Buch Peristephanon . Eines seiner Werke, das sogen. Dittochaeon , ist in jedem Falle nicht miterwähnt. Gennadius, De vir. ill. c. 13, legt ihm, wahrscheinlich irrthümlich noch ein Werk bei, über das wir sonst nichts wissen, in folgender Weise: commentatus est in morem Graecorum Hexaëmeron de mundi fabrica usque ad conditionem primi hominis et praevaricationem eius. – Wann Prudentius gestorben ist, wissen wir nicht, noch haben wir die Mittel es zu erforschen.

Das von seinen Werken zuerst erwähnte scheint auch seine ältesten Dichtungen zu umfassen. Dieser liber Cathemerinon ist eine Sammlung von zwölf Hymnen Die beiden letzten finden sich in einer Anzahl der jüngeren Mss. getrennt von dem Buche Cathemerinon und mit dem Peristephanon verbunden (s. die Ausgabe Dressels, p. 65). Daraus aber den Schluss zu ziehen, wie Rösler S. 42 thut, dass wir in ihnen den Anfang zu einem neuen, nicht vollendeten Hymnenbuche zu erblicken hätten, ist denn doch etwas zu voreilig., von denen die Hälfte, die ersten sechs, für den täglichen Gebrauch und zwar für die bestimmten Gebetszeiten verfasst sind; von ihnen hat dann die ganze Sammlung den Titel erhalten. Sie sind auch sehr wahrscheinlich zuerst gedichtet worden, und vielleicht auch zuerst allein unter dem Titel publicirt. Nicht bloss eröffnen nämlich diese sechs Hymnen die Sammlung in den Handschriften, sondern, was wichtiger ist, es schliessen sich die beiden ersten, sowie die sechste näher, ja unmittelbar an die des Ambrosius an, von welchem offenbar auch dem Prudentius die 254 erste Anregung zu diesen Dichtungen gekommen ist, wie denn auch die beiden ersten ganz, die neunte fast Zwar auch im dimeter iamb., aber catal. in demselben Versmasse als die Hymnen des Ambrosius verfasst sind Auch die Prosaschriften desselben hat vielleicht Prudentius in diesen Hymnen benutzt, so in der siebenten das Buch De Elia et ieiunio (vgl. oben S. 152). S. Rösler, S. 96 und 109.; und von seinen vier echten Hymnen sind ja drei auch für Gebetszeiten bestimmt. Die sechs ersten des Prudentius sind geordnet nach der Folge der täglichen Gebetszeiten, denen sie gewidmet sind und zwar von Mitternacht an gerechnet; 1)  hymnus ad galli cantum , indem die Zeit des Hahnenschreis ( ἀλεκτοροφωνία) schon in den apostolischen Constitutionen als Gebetszeit aufgeführt wird, 2)  h. matutinus , 3)  h. ante cibum , 4)  h. post cibum , 5)  h. ad incensum lucernae Eine der ältesten uns erhaltenen Hymnen überhaupt, der ὕμνος τοῦ λυχνικοῦ: φῶς ἱλαρὸν κ. τ. λ. war schon dieser Gebetszeit gewidmet; s. über dieselbe Bunsen Hippol. II, S. 93, 95. – Dass der Hymnus des Prudentius aber nicht für den Osterabend – zu welcher Feier ein Theil desselben später von der Kirche allerdings benutzt wurde – von dem Autor bestimmt war, erweist, von andern Gründen abgesehen, am besten der Hymnus selbst, in welchem der Osternacht als einer ›nicht gegenwärtigen‹ gedacht wird, wie schon das Demonstrativ illa bei nocte v. 127 klar zeigt, nicht minder die Beschreibung der Kirchenbeleuchtung zur Osterzeit, die sonst an dieser Stelle absurd wäre. Auch in dieser Frage der literarhistorischen Kritik war zuerst der gesunde Menschenverstand zu Rathe zu ziehen, der aber so oft über aller ungesunden Gelehrsamkeit vergessen zu werden pflegt., 6)  h. ante somnum . Hieran schliessen sich die sechs folgenden, welche zum Theil für bestimmte kirchliche Zeiten verfasst sind: 7)  h. ieiunantium , 8)  h. post ieiunium , 9)  h. omnis horae – ein Hymnus auf Christus, seine Thaten und Wunder preisend, – 10)  h. ad exequias defuncti , 11)  h. VIII calendas iunuarias (Christi Geburt), 12)  h. epiphaniae .

Wenn man die Hymnen des Prudentius mit denen des Ambrosius vergleicht, so tritt ein allgemeiner Unterschied, der auf alle sich erstreckt, sofort in die Augen, (ein Unterschied, welcher schon äusserlich sich manifestirt): die Hymnen des Prudentius sind weit länger als die authentischen des Ambrosius, drei- bis siebenmal so lang; während jene nur je 32 Verse zählen, haben diese von circa 100 bis 200, eine, die kürzeste, hat weniger, nämlich 80 Verse, die längste dagegen 220. Man sieht daraus, dass Prudentius praktische Kultuszwecke – wobei ich den 255 Hausgottesdienst des täglichen Gebets mitinbegreife – weniger zunächst im Auge hatte, oder mindestens im Auge behielt, als der Bischof von Mailand; von Prudentius' Hymnen ist ja auch, so viel wir wissen, keine je ganz als Kirchenlied benutzt worden, sondern einzelne immer nur auszugsweise. Und aus einer, wie der letzten, wurden selbst drei Kirchenlieder gemacht. S. rücksichtlich des kirchlichen Gebrauchs der Hymnen des Prudentius Daniel, Thes. hymnol. I, S. 119 ff. Mone, Lat. Hymnen I, S. 201 u. 377. – Ueber die Uebereinstimmung des Inhalts einzelner der Hymnen mit der altspanischen Liturgie s. Rösler, 1. Th. 2. Kap., insbesondere S. 94 ff. u. 112 ff., und vgl. weiter unten S. 260, Anm. 4. Hiermit hängt zusammen, dass im ganzen seine Hymnendichtung weniger volksthümlich ist, als die des Ambrosius, der Charakter der Kunstpoesie bei ihr noch entschiedener hervortritt, als bei dieser. Dies zeigt sich auch in den Reminiscenzen aus Horaz. S. darüber Faguet, S. 54 f. und Breidt, De Prudentio Horatii imitatore. Heidelberg (Diss.) 1887. Prudentius singt zunächst offenbar nur zu seiner eigenen, und nicht bloss religiösen, sondern auch ästhetischen Befriedigung. Dies zeigt sich auch in der Mannichfaltigkeit der Behandlungsweise des Sujets wie in der des Metrums, und die Kunstarbeit auch recht in der Wahl des letztern aus Rücksicht auf den Gegenstand in den Hymnen, wo er den von Ambrosius in der Kirche eingeführten iambischen Dimeter aufgibt. Und Prudentius bewährt hierbei, wie wir sehen werden, auch seine ästhetische Bildung.

Was nun die Behandlungsweise angeht, so wird einmal die symbolische Auffassung, die bei Ambrosius nur verdeckt und andeutungsweise erscheint, von Prudentius viel weiter durchgeführt und zugleich offen dargelegt; sie beherrscht die Darstellung namentlich in den beiden ersten Hymnen, die sich eben an die des Ambrosius näher anschliessen. Wenn spätere Ausleger in dem Morgenlied des letztern den Hahn, den Herold des Tages, als ein Symbol Christi erklären konnten, so wird dies von Prudentius in seiner ersten Hymne direct ausgesprochen, indem der Schlaf zugleich als ein Bild des Todes betrachtet Hic somnus ad tempus datus – est forma mortis perpetis v. 25 f., beim Aufstehen an die Auferstehung gedacht wird. Daher vox ista, qua strepunt aves etc. (d. h. die vox galli ), nostri figura est iudicis . Wie der Hahn zu neuer Thätigkeit 256 wach ruft, so Christus zu einem neuen Leben, dem wahren. Er ist das Licht, die Nacht aber die Sünde V. 27., die – das liegt im Hintergrund – den Tod gebar, dessen Bild der Schlaf ist. Beim Hahnenschrei, der das nahende Tageslicht verkündet, fliehen die Dämonen, die sich der Finsterniss freuen. Dies auch bei Ambros., l. l. v. 11; bei ihm ist der Lucifer (v. 9) Christus, und der Hahn nocturna lux viantibus, s. oben S. 184. Ebenso wird des Petrus dort gedacht. So kehrte Christus auch siegreich aus der Hölle zurück zur Zeit des Hahnenschreis, und dieser warnte den Petrus. Die paränetische Tendenz aber, welche, auch wie bei Ambrosius, lebhaft hervortritt, verknüpft hier alle die verschiedenen Beziehungen zu einer Einheit. In der zweiten Hymne des Prudentius, die einen ganz gleichen Charakter hat, nur dass das paränetische Moment darin mehr vorwiegt, wird das Tageslicht als Symbol Christi gefeiert, der ebenso die Herzen erleuchtet, als jenes die Natur; durch seine Erleuchtung, wie ja auch die Taufe eine solche genannt wurde, reinigt er von dem Schmutz ›der schwarzen Wolken der Nacht der Welt‹. Auf eine Aehnlichkeit dieser Hymne mit der zur Prima im römischen Brevier: Iam lucis orto sidere, weist Rösler S. 48 hin.

Zweitens aber, und dies ist Prudentius dem Ambrosius gegenüber ganz eigenthümlich, erweitert er seine Stoffe durch Schilderung und Erzählung; und hierdurch gerade haben seine Hymnen diese Ausdehnung gewonnen. Indem er gern in ausführlichen Beschreibungen der concreten Welt sich ergeht, huldigt er zugleich dem Tagesgeschmack; die beschreibende Poesie beherrschte ja damals auch die Profandichtung, freilich ein Zeichen des Verfalls der schöpferischen Kraft: Prudentius aber weiss da mit jener nicht selten in brillantem Kolorit zu wetteifern. Dies Moment seiner Darstellungsweise tritt uns sogleich in der dritten Hymne ( ante cibum ) entgegen, wo er die Speisen, die die Natur dem Menschen beut, schildert (v. 36 ff.), noch mehr dominirend in der fünften ( ad incensum lucernae ), die durch den Glanz und Reichthum des Ausdrucks sich auszeichnet, sei es, dass der Dichter die verschiedenen Mittel künstlicher Beleuchtung, die Fackeln, Kerzen, Lampen, mit einer auch antiquarisch werthvollen Sorgfalt beschreibt (v. 13 ff.), oder die duftenden Gärten des Paradieses malt (v. 113 ff.), oder auch der prächtigen Erleuchtung der Kirchen am Osterfeste gedenkt 257 (v. 141 ff) Hier wird auch v. 125 ff. die Sage von der Pause der Höllenstrafen während der Osternacht erwähnt. Zu diesem Moment der Beschreibung kommt dann das der Erzählung, und zwar von Stoffen der biblischen Geschichte, namentlich des Alten Testaments, und diese Erzählungen nehmen oft den grössten Raum ein und haben, ganz entsprechend dem Sinn des Dichters für Symbolik, nicht selten auch eine typologische Bedeutung. So wird in der vierten Hymne ( post cibum ) die Speisung des Daniel in der Löwengrube erzählt, sie ist ein Bild der Labung der von der Welt eingeschlossenen und von dem Teufel, der als brüllender Löwe umgeht, bedrohten Gerechten durch Christus; so wird in dem fünften Gedicht, dem Lichthymnus, nicht allein des feurigen Busches, sondern auch des Zugs der Juden durch das rothe Meer, des Untergangs des Pharao, der Speisung in der Wüste durch Wachteln und Manna, wobei die typologische Beziehung auf das Osterfest nicht fehlt, in ausführlicher Schilderung gedacht; so nehmen in dem Fastenlied (h. VII) die Erzählungen von dem Täufer Johannes in der Wüste und von Jonas (allein 75 Verse!) den meisten Raum ein; und das Loblied auf Christi Thaten (h. IX) ist ja fast nur Erzählung, die freilich zur Aufzählung wird, ausführlicher jedoch und zum Theil wahrhaft poetisch Höllenfahrt und Tod schildert (v. 70 ff.).

Dass so in manchen dieser Hymnen das lyrische Element sehr eingeschränkt wird, liegt auf der Hand, eine Beschränkung aber, welche sich in ähnlicher Weise auch in der antiken Odendichtung Roms, namentlich des Horaz fand, die wohl in dieser Richtung auf den christlichen Poeten nicht ohne Einfluss blieb; aber es vermählt sich auch zuweilen das lyrische mit dem epischen Element zu einer dramatischen Wirkung, wie in der Erzählung von dem Kindermorde des Herodes in der letzten Hymne, der des Epiphanienfestes (v. 98 ff.). Andererseits finden sich nicht bloss rein lyrische Stellen von einem schönen Schwung So z. B. der Schluss des Lichthymnus, v. 149 ff.: O res digna, Deus, quam tibi roscidae – noctis principio grex tuus offerat – lucem, qua tribuis nil pretiosius – lucem, qua reliqua praemia cernimus etc. etc., oder dem innigsten und zartesten Gefühlsausdruck, wie dieser nur dem christlichen Gemüth zu Gebot stand So das: Iam maesta quiesce querela – lacrimas suspendite, matres etc. des Grablieds, X, v. 117 ff., so das: Salvete flores martyrum etc. XII. v. 125 ff., 258 sondern es dominirt auch in einer ganzen Anzahl dieser Dichtungen das rein lyrische Element unbestreitbar. Nicht wenig trägt hierzu die Wahl des Metrums bei. So haben den Charakter des Liedes am meisten die in dem ambrosianischen Versmass, dem Dimeter iamb. acatal. in vierzeiligen Strophen geschriebenen Hymnen, namentlich die beiden ersten, aber auch die beiden letzten (zum Weihnachts- und Epiphanienfest); ebenso die sechste in besonderm Grad, die im Dimeter iamb. catal. auch vierzeilige Strophen, verfasst ist – es ist die Hymne ›vor dem Schlaf‹, und die Wahl des Metrums, das in dem kurzen beweglichen Rythmus an seine ursprüngliche Beziehung zum Tanze erinnernd etwas einwiegendes hat, geschickt getroffen; ferner das Grablied, h. X, das in anapästischen catalectischen Dimetern, die zu Strophen von vier Versen verbunden sind, gedichtet ist.

Auch die Wahl des Versmasses der andern Hymnen hat offenbar ihre Bedeutung, so in der Hymne ›vor der Mahlzeit‹ (h. III) der muntere daktylische Trimeter hypercatal. in fünfzeiligen Strophen, in der ›nach der Mahlzeit‹ (h. IV) dagegen die phaläcischen Hendecasyllabi, die zu dreizeiligen Strophen verbunden, mit grösserer Gelassenheit einherschreiten; in dem glänzenden Lichthymnus (h. V) aber erscheint das elegante asclepiadeische Versmass in vierzeiligen Strophen, vielleicht an eine alte Ueberlieferung in Betreff der Melodie anknüpfend, indem es an den Rythmus des oben erwähnten alten griechischen Lichthymnus wenigstens erinnert S. über das Metrum desselben Thierfelder, De christian. psalmis et hymnis, p. 33.; in dem Fastenhymnus (h. VII), in welchem die Erzählung eine so grosse Rolle spielt, der nüchterne und gewöhnliche, und zugleich in epischen und didaktischen Dichtungen damals gebräuchliche Senar in fünfzeiliger Strophe, in dem Hymnus ›nach der Faste‹ (h. VIII) das sapphische Metrum; in dem neunten, der Verherrlichung der Thaten Christi, ist das Versmass wieder sehr glücklich gewählt, in dem ebenso volksmässigen, als auch zum Ausdruck des Erhabenen, wie ihn Seneca schon mit Vorliebe anwandte Vgl. Luc. Müller, De re metrica, p. 108., wohl geeigneten trochäischen Tetrameter catalecticus. Dieser Vers, zu dreizeiligen Strophen verbunden, macht hier eine vortreffliche Wirkung. So sieht man, wie Prudentius hier mit 259 vollkommen bewusster Kunstthätigkeit und öfters dabei mit glücklichstem Erfolge verfährt.

Wenn nun in diesen Hymnen des Buchs Cathemerinon die Eigenthümlichkeit der Lyrik des Prudentius, wie wir sahen, wesentlich auf ihre Verbindung mit Erzählung und Beschreibung sich gründet, so musste unser Dichter zu der episch-lyrischen Dichtung, wie sie in seinem andern, den Märtyrern gewidmeten Hymnenbuche, dem Peristephanon, vollkommen berechtigt erscheint, einen besondern Beruf besitzen. Und in der That gehört dieses Werk, das von dem Kranze des Siegers den Titel hat, zu den originellsten, ästhetisch bedeutendsten und literarhistorisch interessantesten des Prudentius. Es umfasst vierzehn Gedichte, von sehr verschiedener Ausdehnung, Form und Charakter. Eines davon, das zehnte (die Passio Romani ), welches, von ausserordentlichem Umfang, nicht weniger als 1140 iambische Trimeter in fünfzeiligen Strophen zählt, erscheint in manchen Handschriften aus dem Verband dieses Hymnencyclus gelöst, gleich einem besondern Werk zwischen den andern grössern, didaktischen und epischen Dichtungen des Autors. Seinem Inhalt und der Darstellung nach gehört es aber in den Kreis dieser Hymnen, in welchen Prudentius es gewiss selbst auch eingeschlossen hat. Dagegen kann man dasselbe nicht von dem achten sagen, welches in neun Distichen von einer ›Stätte‹ handelt, ›wo Märtyrer gelitten haben und die nunmehr ein Baptisterium ist‹ – wie die Ueberschrift lautet. In einer Anzahl Mss. ist allerdings Calagurri oder Calagurra hinzugefügt. Dieses, das kürzeste dieser Gedichte, hat durchaus den Charakter eines Epigramms, wie auch dessen Metrum. Der Märtyrer, die an jener Stätte gelitten, wird so wenig genauer gedacht, dass aus dem Hymnus selbst sich nicht einmal errathen lässt, wer sie waren. Wäre der in der vorstehenden Anmerkung angeführte Zusatz der Ueberschrift richtig, so würden es wohl Chelidonius und Emeterius sein, dieselben Märtyrer, welche Prudentius in der ersten Hymne dieses Buches besingt (s. weiter unten); aber gerade dieser Umstand, wonach einem Märtyrerpaar hier zwei Hymnen gewidmet wären, macht mir diese Annahme sehr zweifelhaft und somit die Authenticität des Zusatzes. Es erinnert dies Gedicht aber sogleich an die Aufschriften des Damasus, und es deutet darauf hin, dass dieser erste, uns bekannte Vorgänger des Prudentius auf dem Felde 260 der versificirten Legende ihm hier auch den Weg gewiesen, vielleicht überhaupt ihn zuerst zu solchen Dichtungen angeregt hatte. Diese erste Anregung wäre dann Prudentius wohl in Rom selbst gekommen, und die den dort bestatteten Märtyrern gewidmeten Hymnen, welche selbst zum Theil direct aussagen, dort an Ort und Stelle, oder alsbald nach der Rückkehr des Dichters von seiner Romfahrt verfasst zu sein So das erstere Hymn. XIV, s. darüber weiter unten S. 267; so das andere Hymn. XI, s. v.  119., seine ältesten dieser Art. Andererseits lag es indessen damals bei dem Aufschwung, den die Verehrung der Heiligen nahm, auch nahe, zu Ehren ihrer Festtage, welche die als Geburtstage (für das ewige Leben) bezeichneten Todestage waren, und bereits durch einen besondern Gottesdienst gefeiert wurden, Hymnen zu dichten, die im Anschluss an die bei demselben vorgetragene Legende ihre Thaten und Leiden besangen, ebenso wie solche Hymnen zur Feier des Weihnachts- und Epiphanienfestes im Anschluss an die biblischen Berichte Prudentius gedichtet. Und in der für das Epiphanienfest gedichteten Hymne wurden ja zugleich die ersten Märtyrer, die ›unschuldigen Kindlein‹, gefeiert. Von manchen Hymnen des Buchs Peristephanon gibt dies Prudentius in ihnen selbst zu erkennen. Es sind gerade die, welche nationale, spanische Märtyrer besingen, solche also, deren Festtage in des Dichters Heimath gefeiert wurden. Der doppelten Anregung zur Abfassung dieser Hymnen entsprechend, können wir in Betreff ihres Sujets, der Auswahl der besungenen Märtyrer, zwei Klassen unterscheiden. Die Helden der einen sind Spanier, zu welchen auch der Afrikaner Cyprian zu ziehen ist, bei den damals offenbar sehr nahen kirchlichen Beziehungen beider Länder Wie denn die Festtage der spanischen Märtyrer Fructuosus, Vincentius etc. auch in der Kirche Afrikas gefeiert wurden, wie die bei dem ihnen gewidmeten Gottesdienst gehaltenen Sermonen des Augustin zeigen. – Cyprians Festtag wurde damals auch in Spanien gefeiert, wie Prudentius selbst sagt Perist. XII, v. 237. Wenn dieser auch in dem ihm gewidmeten Hymnus sein universelles Ansehen rühmt, so soll er doch Spanien noch besonders angehören, s. h. XIII, v. 3; und dafür ist sehr bezeichnend, dass Cyprian im 4. Hymnus (v. 17) die Reihe der spanischen Märtyrer, die hier zunächst vorgeführt werden, anführt., die der andern Klasse solche Märtyrer, deren Gräber in Rom sich befanden Hierzu gehört offenbar auch Quirinus (h. VII), dessen Leichnam nach dem Bericht der Acta Sanct. zur Zeit des Einfalls der Barbaren in Pannonien nach Rom übertragen und in der Calixtkatakombe bestattet wurde. S. Brockhaus, a. a. O. S. 119, Anm. 3. – Die Richtigkeit dieses Berichtes wird durch meine obige Beobachtung über die stoffliche Auswahl und Klassificirung dieser Hymnen bestätigt. – Fraglich bleibt nur die Wahl des Romanus (h. X). Fand er damals in Rom, vielleicht seines Namens wegen, eine besondere Verehrung? – Wenn Rösler S. 164 die Wahl des Romanus einfach durch Verweisung auf die altspanische Liturgie, welche das Fest desselben feierte, motivirt, auf Grund seiner Annahme, dass diese Liturgie, sowie sie uns überliefert ist, schon zur Zeit des Prudentius zum Theil bereits ausgebildet, zum Theil aber noch in der Ausbildung begriffen gewesen sei (S. 186), so kann ebensowohl hier der Einfluss des Prudentius auf die Liturgie, der ja in einzelnen Fällen vollkommen feststeht, geltend gemacht werden, und gerade hier gewiss mit besonderer Berechtigung. Dass die spanischen Heiligen, welche Prudentius besang, in seinem Vaterland bereits verehrt wurden, und ihre Festfeier ihm die Anregung dazu gegeben, ist allerdings durchaus wahrscheinlich; dagegen ist bei wörtlicher Uebereinstimmung der Illatio oder Praefatio der ihnen gewidmeten Messe in dem alten Sanctorale mit Stellen der Hymnen, wo sich eine solche nicht aus der gemeinsamen Quelle der Akten erklärt, vielmehr eine Beeinflussung der Illatio durch die Hymne als dieser durch jene anzunehmen., oder welche Prudentius, wie das des 261 Cassian in Imola, auf seiner Reise dorthin besuchte. So motivirt sich die Auswahl.

Man kann aber auch nach der Behandlungsweise des Stoffes zwei Klassen dieser Hymnen unterscheiden. Wie die älteren Prosalegenden, wie ich früher bemerkte S. oben S. 200., theils rein volksmässige, theils durchaus kunstmässige, rhetorische Schöpfungen waren, so haben auch die einen der Märtyrerhymnen des Prudentius einen mehr oder weniger volksthümlichen, die andern einen kunstvollen, oft auch mit rhetorischem Pomp geschmückten Charakter. Und auch hier werden wir, wie in dem Buche Cathemerinon, meist Hand in Hand mit diesem Unterschied der Darstellung die Wahl des Metrums gehen sehen. Auch hier zeigt sich öfters ein feiner Sinn des Dichters in dieser Auswahl. Dies beweist, um nunmehr auf die einzelnen Hymnen überzugehen, sogleich der erste, welcher zwei spanische Soldaten, Brüder, verherrlicht, die, wahrscheinlich unter Diocletian, das heidnische Opfer verweigernd den Tod erlitten, indem sie die militia Christi der des Kaisers vorzogen. Das Wunder, das sich bei ihrer Hinrichtung begab, blieb aber fast allein von ihrer Legende im Gedächtniss: der Ring des einen, der Treue Symbol, sowie das Orarium des andern wurden in den Himmel emporgetragen. Besessene und Kranke finden Heilung an ihrem Grabe. Das 262 Metrum dieses Hymnus aber ist das der römischen Soldatenlieder, der volksmässige Tetrameter trochaicus catal. (120 Verse in dreizeiligen Strophen); konnte sich eine geeignetere Weise für ein diesen christlichen Kriegern geweihtes Festlied bieten? – Wenn diesem Hymnus das Versmass wenigstens einen gewissen volksmässigen Charakter leiht, so besitzt ihn der folgende auf den heil. Laurentius, diesen wohlbekannten römischen Märtyrer, in einem besondern Grade Dies wird von dem Dichter vielleicht selbst angedeutet in den an den Heiligen gerichteten Worten des Schlusses: audi poetam rusticum v. 514., wozu auch das in den Hymnen populär gewordene Metrum des Dimeter iambicus acatal. in vierzeiligen Strophen das seinige beiträgt. Es ist einer der längsten dieses Hymnenbuchs, indem er 584 Verse zählt. Man möchte sich versucht fühlen, diese Dichtung als das erste Beispiel einer modernen Ballade zu betrachten: so lebhaft erinnert die Darstellung an manchen Stellen an den Ton der englischen Volksballaden, die ja auch in einem ähnlichen Versmass verfasst erscheinen. Nicht selten ist sie auch mit vielem volksmässigen Humor gewürzt. Der Hauptinhalt ist in der Kürze dieser. Der habsüchtige Stadtpräfect citirt zur Zeit der Christenverfolgung (unter Valerian) den Diakon Laurentius als Schatzmeister der römischen Kirche, um von ihm die Reichthümer derselben zu fordern, die kostbaren heiligen Gefässe wie ›das viele Geld‹, denn die Christen, sagt er, weihten ja all ihr Vermögen der Kirche, selbst auf Kosten ihrer Kinder. Auf allen Münzen aber sei des Kaisers Bildniss und nicht Christi, und so sollten sie des letztern Gebot erfüllen und dem Kaiser geben, was des Kaisers ist. Auf die mit vielem Spott und Ironie im einzelnen Z. B. v. 77 ff. Addicta avorum praedia – foedis sub auctionibus – successor exhaeres gemit – sanctis egens parentibus. – Haec occuluntur abditis – ecclesiarum in angulis – et summa pietas creditur – nudare dulces liberos. erfüllte Rede antwortet Laurentius, die Kirche sei allerdings sehr reich, reicher als der Kaiser selbst, und er wolle alle ihre Schätze dem Präfecten darbieten. Nur bitte er um eine kurze Frist, alles ordentlich zu registriren. Der Präfect, hoch erfreut, bewilligt sie gern. Laurentius aber durcheilt die Stadt, um all die Gebrechlichen, die von der Kirche Almosen empfingen, herbeizurufen. Wie die Blinden, die Lahmen, die Hinkenden, die Aussätzigen, die Contracten heranschleichen und 263 humpeln, schildert dann der Dichter. Dies sind die Schätze, die goldenen Gefässe, die, von dem Heiligen verzeichnet, dem aufs höchste gespannten Präfecten im Atrium der Kirche gezeigt werden. Laurentius aber fragt den vor Wuth sprachlosen, warum er zürne, was ihm missfalle. Werde doch das Gold auch erst aus schmutzigen Schlacken gewonnen, und Krankheit des Leibes sei besser, als der Seele: dies wird mit Humor weiter ausgeführt, der Prahlhans leidet an der Wassersucht, der Geizige am Faustkrampf, der Ehrsüchtige an der Fieberhitze, der Geschwätzige, den es immer kitzelt, Geheimnisse auszuplaudern, an geistiger Krätze; du selbst aber, der du Rom regierst Qui Romam regis., ruft er zum Schluss mit einem unübertragbaren Wortspiel dem Präfecten zu, laborirst an morbus regius , der Gelbsucht. – Sich für den Spott zu rächen, verurtheilt der Präfect Laurentius, langsam geröstet zu werden, indem er den Hohn hinzufügt: ›dann, wenn's dir beliebt, bestreite, dass mein Vulcan existirt‹. Auch auf dem Rost verliert Laurentius seinen Humor nicht: er lässt sich als Braten wenden. – Aber auch an schwungvoll erhebenden Stellen fehlt es dieser Dichtung keineswegs; abgesehen vom Eingang, ist namentlich das Gebet des Laurentius auszuzeichnen, worin er Roms christliche Zukunft voraussehend schildert. Am Schluss bittet der Dichter den Heiligen um seine Fürsprache, ebenso wie dies auch Damasus in seinen Gedichten auf die Heiligen zu thun pflegte.

Ein ganz anderes Kolorit hat die Darstellung in den beiden folgenden Hymnen. Die dritte, zu Ehren der heil. Eulalia von Merida, hat noch ein besonderes literarhistorisches Interesse, indem das älteste uns erhaltene nordfranzösische Gedicht dieselbe Heilige besingt, und wenigstens in einer indirecten Beziehung zu dem des Prudentius steht. S. unten Bd. III, S. 180 ff. Die Heldin ist ein junges schwärmerisches Mädchen von edlem Geschlecht, die sich selbst zum Märtyrerthum drängt, indem sie heimlich Nachts das väterliche Landgut verlassend, zu der Stadt über Stock und Stein stürmt, um vor dem Tribunal die Götter zu schmähen, und die der Prätor selbst dann vergebens noch zu retten sucht. Sie stirbt den Tod in den Flammen, welche an ihrem langen, sie züchtig umwallenden Haupthaar rasch hinauflodern; ihr unschuldvoller Geist entflieht in Gestalt einer weissen Taube zum 264 Himmel, während von diesem Schnee herabfällt, ihre Leiche zu umhüllen. Die Darstellung hat etwas glänzendes und elegantes, und der daktylische Trimeter hypercatal. (215 Verse in fünfzeiligen Strophen) entspricht ganz dem stürmischen leidenschaftlichen Wesen der Heldin. Die vierte Hymne hat auch einen rein kunstmässigen Charakter: in 50 sapphischen Strophen preist hier der Dichter Saragossa um seine achtzehn Märtyrer, die er einzeln aufführt. Saragossa braucht nicht das jüngste Gericht zu fürchten, wo eine jede Stadt Christus in Körben ihre kostbarsten Geschenke, die Gebeine der Märtyrer und deren Siegeskronen, darbringen wird. Dies erinnert an bildliche Darstellungen, wie ja die Städte personificirt auch auf Münzen u. s. w. sich im Alterthum dargestellt finden. – Der fünfte Hymnus, der zur Feier des Festes des spanischen Märtyrers Vincentius gedichtet ist, hat dagegen wieder ein mehr volksmässiges Gepräge, wie er denn ganz in demselben Versmass als der auf den heil. Laurentius verfasst ist (575 Verse). Dieser Diakon von Saragossa, unter Diocletian aufgefordert, dem Christenthum abzusagen, vertheidigt dasselbe kühn, trotz all der ausgesuchten Marter, zu denen er seine Henker förmlich herausfordert. In ihrer widerwärtig detaillirten Schilderung, durch welche der heroische Muth des Helden im Leiden gepriesen werden soll, ist diese Darstellung eine Vorläuferin der spätern des Mittelalters, wie sie noch auf der Bühne der Mirakelspiele selbst in Scene gesetzt wurden. In den Kerker geworfen, wird Vincenz von Engeln besucht. Nachdem er dort sanft entschlafen und sein Geist in den Himmel aufgenommen ist, will wenigstens an seinem Leichnam der Präfect Rache nehmen. Er wird den wilden Thieren ausgesetzt, aber ein Rabe bewacht ihn, die Wölfe verscheuchend. Man wirft ihn nun in das Meer, doch die Wellen tragen ihn an eine Küste, wo ihn fromme Hände bestatten. Ein Gebet zu dem Märtyrer schliesst die Hymne, die an einzelnen Stellen, auch den spätern Balladen gleich, zu einer wahrhaft dramatischen Darstellung sich erhebt. So in der Apostrophirung des Präfecten durch den Dichter, v. 429 ff., und in der Aufforderung des letztern, v. 449: Ecquis virorum strenue – cumbam peritus pellere – remo, rudente et carbaso – secare qui pontum queas etc. Auch in einem gewissen volksmässigen Ton, aber in glyconischen Versen (in fünfzeiligen Strophen; 90 Verse) und mehr 265 episch einfach im Vortrag, ist der siebente Hymnus auf den pannonischen Märtyrer Quirinus, der unter Galerius in die Sau hinabgestürzt, trotz des an ihm befestigten Mühlsteins nicht untergehend, seine am Ufer versammelte Gemeinde tröstet, und erst auf sein Gebet hin von Christus abberufen wird, worauf die Leiche in den Schooss der Wasser versinkt. – Nicht minder erscheint in einem schlichten Gewande die ansprechende Darstellung der Passion der drei Märtyrer Tarracos, des Bischofs Fructuosus und seiner beiden Diakone, welche unter Valerian als standhafte Bekenner auf einem und demselben Scheiterhaufen starben. Sie im Liede zu preisen, fordert der Dichter die Jugend und das Alter, die Männer und Frauen auf, sodass davon die goldenen Dächer des Schlosses ertönen und die Wogen festlich es widerrauschen sollen. Das Versmass dieses, des sechsten Hymnus, sind die phaläcischen Hendecasyllabi, in dreizeiligen Strophen (162 Verse), indem diese Strophe sicher mit Bezug auf die Dreizahl der Märtyrer gewählt ist, wie denn in dem in derselben metrischen Form gedichteten vierten Hymnus des Buchs Cathemerinon die Dreieinigkeit gepriesen wird, speciell im Eingang. Es ist dies im Hinblick auf das Metrum der göttlichen Komödie von ganz besonderm Interesse. Zugleich sieht man hier recht bestätigt, mit welcher Ueberlegung Prudentius in der Auswahl des Versmasses verfährt.

Als reine literarische Kunstproducte erscheinen dagegen der neunte und elfte Hymnus, die beide in ganz epischem Stil, durch Gemälde veranlasst, und selbst im Hinblick auf sie verfasst sind. Der erstere ist dem heil. Cassian geweiht. Der Dichter erzählt im Eingang, wie er auf seiner Reise nach Rom in Forum Cornelii (dem heutigen Imola) an dem Grabe des Heiligen gebetet, und in Thränen für alles was ihn bekümmerte einen Trost gesucht; da habe er seinen Blick emporgehoben, und ihm entgegen das Bild des Märtyrers geschaut, der darauf voll tausend Wunden, die Haut an allen Gliedern mit kleinen Stichen zerrissen, umringt von unzähligen Knaben erschien, welche mit kleinen Griffeln, wie man sie zum Schreiben auf Wachstafeln gebrauchte, ihn durchbohren. Der Kirchner erzählt dann Prudentius die Legende: Cassianus sei Schullehrer gewesen, und habe namentlich auch die Schnellschrift die Knaben gelehrt; er war nicht beliebt bei ihnen, wie der Schulmeister überhaupt nicht bei der Jugend. Die Christenverfolgung trifft 266 auch ihn. Als der Richter seinen Stand erfährt, verurtheilt er ihn, von den Händen seiner Schüler zu sterben. Dieser Märtyrertod wird nun auf das lebendigste geschildert, indem die rachsüchtigen Jungen dem gefesselten und entkleideten, wie sie sagen, die Tausende von Noten mit ihren Stichen zurückgeben, die sie unter Thränen lernen mussten. Der Dichter flehte dann den Heiligen um eine glückliche Fahrt und Heimkehr an. Er ward erhört, und so preist er ihn denn durch diesen Hymnus, welcher in 53 Distichen, von einem Hexameter und einem iambischen Trimeter, geschrieben ist. Der andere Hymnus, der elfte, auch in Distichen, aber gewöhnlichen, geschrieben (246 V.), welcher zu dem eben erwähnten gleichsam ein Pendant bildet, besingt den heil. Hippolyt, Bischof von Portus. Es ist dies Gedicht in der Form eines Schreibens an einen spanischen Bischof Valerianus gegeben. Prudentius erzählt darin, wie er, bei seinem Aufenthalt in Rom, dort die unzähligen Gräber der Heiligen besucht habe, von denen sehr viele Namen oder Aufschriften trugen; auch das des Hippolyt fand er, es war durch ein Gemälde ausgezeichnet, auf dem sein Martyrthum dargestellt war, das Prudentius im Hinblick auf jenes schildert: Hippolyt wurde seinem Namen zu Gefallen von wilden Pferden zu Tode geschleift, seine zerstreuten Gebeine aber – und gerade das war insbesondere auf dem Bilde dargestellt – wurden von seinen Lieben sorgfältig gesammelt, selbst das abgespritzte Blut von Gesträuchen und dem Erdboden mit Schwämmen aufgetupft. Dieser durch den Reichthum des Kolorits ausgezeichnete Hymnus gibt dann noch eine sehr anschauliche Beschreibung der Katakomben und speciell der Grabkapelle des Hippolyt, und des Stroms von Verehrern desselben, der sich an seinem Festtage aus ganz Italien dorthin ergiesst; sie besuchen auch den nebenan stehenden Tempel: es ist die alte Basilica des heil. Laurentius, die der Dichter hier auch beschreibt. Er fordert zum Schluss den Bischof auf, auch unter die jährlichen Feste seiner Kirche den Todestag des Hippolyt aufzunehmen, da derselbe, wie er selbst es erfuhr, bei Christus so viel vermag.

In mancher Beziehung verwandt mit diesem Hymnus erscheint der ihm folgende zwölfte, der vielleicht noch in Rom selbst geschrieben wurde. S. v. 65 f. Es ist die Passio Petri et Panli , 267 66 Verse in dem 4. archilochischen Metrum, zu Ehren des Festtages der beiden Apostelfürsten verfasst. Der Hymnus ist in die Rede eines römischen Freundes gekleidet, der dem Dichter auf seine Frage, was es gebe, dass Rom so aussergewöhnlich festlich bewegt sei, antwortet. Des Todes der beiden Apostel wird nur kurz gedacht; um so ausführlicher dagegen werden ihre Grabstätten beschrieben, sodass dieser Hymnus nicht minder als der vorausgehende S. Bunsen Hippol. I, S. 158. ein kirchlich-antiquarisches Interesse darbietet. Ein literarhistorisches hat dagegen der dreizehnte (106 archilochische Verse), welcher den heil. Cyprian feiert und dabei auch seine Beredsamkeit, worauf ich schon früher hinwies, mit schönen und treffenden Worten preist. In der Lebens- und Leidensskizze des Heiligen finden sich aber hier einzelne ihm fremde, oder unhistorische Traditionen eingemischt, S. darüber Brockhaus, a. a. O. S. 151 ff. und Rösler, S. 162 ff. Der letzte Hymnus, der vierzehnte, auf die heil. Agnes führt uns auch wieder nach Rom; der Dichter selbst sagt sogleich im Eingang, dass dort der berühmten Märtyrin Grab sei, und deutet seine Lage an. Dies Gedicht ist sicher dort entstanden, denn wenn der Dichter darin dann weiter sagt, dass die Heilige nicht bloss die Quiriten, sondern auch die advenae , die zu ihr aus reiner und treuer Brust flehen, beschütze, und andererseits am Schluss um die Reinigung seines Innern bittet, so begreift er unter jenen ›Ankömmlingen‹ offenbar sich selbst. In der Apsis der schon von Constantin über dem Grabe errichteten Kirche fand er bereits die die Heilige feiernden Hexameter des Damasus eingehauen. Das Epigramm desselben schliesst: › inclita virgo‹, an dies erinnert das › martyris inclitae‹ des Eingangs des Hymnus. Nach Platner und Bunsen, Beschreibung von Rom Abth. III, Bd. 2, S. 448 findet sich das Epigramm noch heute dort; aber der Stein ist erst dahin restituirt worden, s. Merenda's Prolegg. zu Damasus XIII. So sehen wir auch hier die Einwirkung des Damasus, so sehr sie auch bei den wenigen trockenen Versen seines Epigramms eine rein äusserliche bleiben musste. Die Darstellung der Legende ist bei Prudentius auch eine eigenthümliche. Die zum Lupanar verurtheilte Jungfrau wird an einer Strassenecke öffentlich nackt ausgestellt, die Menge wendet ihr Gesicht ab, nur ein Jüngling wagt es, frech sie anzublicken, ihn trifft aber alsbald die himmlische Strafe, ein 268 Blitzstrahl, und nur auf der Jungfrau Gebet erhält er Leben und Augenlicht wieder. Nachdem noch ihre Hinrichtung durch das Schwert geschildert ist, welches Martyrthum sie mit Freuden begrüsste, lässt der Dichter ihren Geist zum Himmel entschwebend einen Blick auf die Erde herabwerfen, der ihr noch einmal, wie er mit beredten Worten ausmalt, die Eitelkeit und das Elend dieses Lebens zeigt, seinen langen Kummer, seine kurze Freude! Dieser in 133 alcäischen Hendecasyllabi verfasste Hymnus schliesst würdig dieses Buch, da er der Ausführung nach ohne Frage zu den gelungensten gehört. Einheit der Composition und manche poesiereiche Einzelheit zeichnen ihn aus.

Indem ich hier von dem als achter Hymnus gegebenen epigrammatischen Gedichte, das sich hierher nur verirrte und auch von mir schon erwähnt ward, absehe, bleibt mir nur noch übrig, des bisher übergangenen zehnten Hymnus, auf den heil. Romanus, zu gedenken. Derselbe war nach Eusebius Diakon von Cäsarea, und kam in der Diocletianischen Verfolgung um. Dieser, wie schon oben bemerkt, so ausserordentlich lange Hymnus schildert nicht bloss das Martyrthum des Heiligen, das ein sehr ausgesucht vielseitiges ist, gar umständlich, oft mit widerwärtiger Detaillirung, sondern er enthält – und hierauf beruht seine Ausdehnung vornehmlich – in den langen Reden des Heiligen, den selbst das Ausschneiden der Zunge nicht stumm zu machen vermag, eine ausführliche Apologie des Christenthums mit obligater Polemik gegen das Heidenthum. Bemerkenswerth ist, dass episodisch in diesem Hymnus auch des Martyriums der sieben Maccabäer gedacht wird, v. 751 ff. Die Darstellung erinnert in mancher Beziehung an die zweite und fünfte dieser Hymnen, nur tritt hier das didaktisch-rhetorische Element zu überwältigend vor.

Ueberblicken wir noch einmal zum Schluss die ganze Sammlung Peristephanon, so lässt sich nicht leugnen, dass zu der in dem Eingang ihrer Betrachtung schon hervorgehobenen Verschiedenheit der Gedichte auch keine geringe Mannichfaltigkeit der Behandlungsweise vom rein ästhetischen Standpunkt aus sich zeigt. In den einen herrscht der lyrische, in den andern der epische, stellenweis auch der didaktische Stil vor, und zwar im allgemeinen im vollen Einklang mit der Wahl des 269 Versmasses des Hymnus; auch verbindet sich der erste Stil mit dem zweiten mitunter schon zu einer dramatischen Wirkung. Dem entsprechend sind auch von diesen Hymnen des Prudentius nur einzelne Partien einzelner als Kirchenlieder benutzt worden, so von den Hymnen auf den heil. Laurentius und den heil. Vincenz. S. Daniel, Thes. I, p. 136 f. und Prudentius' Ausg. v. Arévalo I, p. 54. – Besonders beachtenswerth ist noch in ästhetischer Beziehung, wie kunstvoll gewählt die Eingänge dieser Gedichte öfters sind So vom ersten Hymnus: Scripta sunt caelo duorum martyrum vocabula – Aureis quae Christus illic adnotavit litteris etc., oder vom zweiten : Antiqua fanorum parens – Iam Roma Christo dedita etc., und welche Mannichfaltigkeit sich auch darin darbietet. Ueber die Metrik und die Sprache des Prudentius s. Faguet, a. a. O. S. 92 ff.

Die andern poetischen Werke des Prudentius, die er in der Vorrede der Gesamtausgabe andeutet, gehören dem Gebiete der Didaktik und Polemik an, indem diese Dichtung auch bei ihm (wie schon bei Commodian) Der ihm wohl unbekannt geblieben war. zunächst dem Vorgange der apologetisch-polemischen Prosaliteratur folgt, wie sie dem Heidenthum und der Häresis gegenüber in der ersten Periode der christlich-lateinischen Literatur aufgeblüht war; schliesst sich Prudentius hier doch selbst direct an einzelne Werke des Tertullian an. Von diesen Gedichten des Prudentius nimmt in den Handschriften die erste Stelle ein die Apotheosis , welche, 1084 Hexameter umfassend, auf die Gottheit Christi sich bezieht. Dem Werke gehen als Einleitung zwei Gedichte voraus, wovon das erstere, von nur zwölf Hexametern, das Dogma der Dreieinigkeit in der Kürze ausdrückt und so gleichsam das Glaubensbekenntniss des Dichters an die Spitze stellt, während das zweite, Praefatio überschrieben, und in 56 iambischen Versen, Trimeter und Dimeter abwechselnd, verfasst, die Dichtung gewissermassen motivirt. »Ist mein Glaube der rechte?« beginnt nämlich der Dichter die Praefatio, und so hängt sie mit dem erstern Gedicht zusammen –; schwer ist es den engen Pfad des Heils einzuhalten, vor den Abwegen der Ketzerei sich zu hüten. Ihre Sophistik weiss versteckte Schlingen zu legen; der Böse wird nicht müde Unkraut unter den Weizen zu säen. – Der Dichter will die wichtigsten Irrlehren, welche die Trinität und speciell 270 die Gottheit Christi betreffen, widerlegen. Dass der zur Zeit des Prudentius in Spanien auftretende Priscillianismus dem Dichter zu diesem wie dem folgenden Werke die Anregung gegeben haben kann, ist ganz wahrscheinlich. Wenn aber Rösler, dessen Verdienst es ist, den Einfluss des Priscillianismus auf die Dichtung des Prudentius ins Auge gefasst zu haben, S. 190 f. zu der übertriebenen Behauptung gelangt, dass jene beiden Werke und selbst die Psychomachie (!) direct gegen die erwähnte Ketzerei gerichtet wären, nur den praktischen Zweck dieselbe zu bekämpfen gehabt hätten, insofern nach den kirchlichen Aktenstücken diese Häresie alle andern umfasst habe, so bleibt bei dieser Behauptung einfach unerklärt, warum Prudentius alle andern Häretiker, und allein nicht Priscillian namhaft macht. (Denn die Erklärung, welche Rösler davon S. 208 gibt, verdient meines Erachtens keine Widerlegung). Prudentius zeigt sich vielmehr, wenn der Priscillianismus ihm die Anregung zu seiner poetischen Polemik gab, gerade darin als wahrer Dichter, dass er von einem höheren allgemeinen Standpunkt die dogmatischen Fragen, welche der priscillianischen Bewegung zu Grunde lagen, behandelt; dass er dabei in Einzelheiten eine besondere Rücksicht auf diese Häresie genommen habe, ist allerdings nicht unwahrscheinlich. So hatten diese Dichtungen für Spanien damals auch ein actuelles Interesse. Das Gedicht ist also eine Apologie der letztern.

Zuerst bekämpft Prudentius, und zwar unter Benutzung der Schrift Tertullians gegen Praxeas, die Patripassianer (v. 3 bis 177), welche Häretiker behaupteten, der Vater selbst habe den Kreuzestod erlitten, also die besondere Person Christi ganz leugneten. Sein Hauptargument, wofür er auf das Evangelium Johannis sich beruft, ist die Unsichtbarkeit Gottes. Nur der Sohn erschien dem Menschen auch schon im alten Bunde. Dies führt unser Dichter an manchen Beispielen aus und verweilt namentlich bei der Erzählung von den vier Männern im feurigen Ofen, die er in einem hübschen glänzenden Bild ausmalt (v. 140 ff.). – Mit Vers 178 wendet sich die Dichtung dann gegen das Haupt einer andern monarchianischen Secte, Sabellius, welchem Christus nur eine Erscheinungsform Gottes ist, ebenso wie der Vater. Gott Vater wird damit also auch als besondere Person aufgehoben. ›Des Vaters Entsetzer und des Sohnes Leugner‹ nennt auch Prudentius den Sabellius sogleich. Er stellt daher nicht mit Unrecht diese Häretiker mit den gebildeten Heiden auf eine Linie, die ja auch an einen höchsten Gott glaubten: insofern eben die väterliche Natur Gottes den specifisch christlichen Gottesbegriff ausmacht. Der Vater kann nicht bald er selbst, bald der Sohn sein, der Nicht-Erzeugte der Erzeugte: 271 führt Prudentius aus. Indem er aber schliesslich auf Stellen des Alten Testaments hinweist, wo schon die beiden Personen der Gottheit zugleich erwähnt werden Wie v. 316: › A Domino (Gott Vater) Dominus (der Sohn) flammam pluit in Sodomitas‹ nach Gen. c. XIX, v. 24., geht er v. 321–551 auf die Polemik gegen die Juden über, welche, wenn sie dergleichen Stellen recht verstanden hätten, den Erlöser gehört haben würden. Diese Partie der Dichtung ist ohne Frage die poesiereichste. Es finden sich hier schöne schwungvolle Stellen. Der grosse Gegensatz des jugendlichen, geistesfrischen, zur sittlichen Weltmacht gewordenen Christenthums und des unter dem Druck des Gesetzes niedergebeugten         Nec sub lege gravi depressa fronte iacemus,
        Sed legis radium sublimi agnoscimus ore.
v. 336 f.
, gebundenen, und in seiner nationalen Herrlichkeit vernichteten, vaterlandslosen Judenthums, das von seiner einstigen Grösse so herabgesunken S. namentlich auch v. 541 ff., tritt ergreifend in der Darstellung hervor, die ganz durch ihn bedingt erscheint. Mit lyrischer Begeisterung singt der Dichter, wie Pilatus' Kreuzesaufschrift sich erfüllt habe, wie Judäa, Griechenland und Rom Christus in ihren Sprachen preisen, und die Tuba mit der Chelys und der Orgel darin wetteifert (v. 376 ff.). Schön schildert er den sittigenden Einfluss des Christenthums auf die wilden Nationen (v. 430 ff.), die ebenso, wie die Kaiser im Purpur, vor dem Kreuze sich beugen. Nur einer von diesen machte eine Ausnahme – Julian. Und hier (v. 449 ff.) findet sich dann das berühmte Urtheil des Prudentius über ihn, welches, der militärischen und staatsmännischen Bedeutung Julians vollkommen gerecht werdend, ein schönes Zeugniss für den freien Bildungsstandpunkt wie den römischen Patriotismus unseres Dichters ist. Es folgt dann jene merkwürdige, dramatisch lebendig erzählte Episode von der Störung eines Opfers dieses Kaisers in Folge des Kreuzeszeichens, das ein blondlockiger – offenbar germanischer – Leibgardist an seiner Waffe trägt. Diese Verbindung des Germanenthums mit dem Christenthum gibt dieser Scene, die gleichsam eine weite historische Perspective dem Gedanken eröffnet, einen besondern Reiz.

Dem Judenthum verwandt erscheint dem Dichter die Secte der Ebioniten, die er darauf angreift (v. 552–781). Diese sahen in Christus auch einen blossen, wenn auch tugendhaften, 272 Menschen. Ihnen hält Prudentius vornehmlich die Wunder, die seine Geburt begleiteten, sowie die, welche er selbst vollbrachte entgegen. Schön ist, wie der Dichter als Zeugen der Gottheit Christi Lazarus aus dem Grabe aufruft, und schliesslich den Tod selbst, der, früher taub, jetzt milde und seinem Gebieter folgsam ist. Ihn haben nur noch die Leugner Christi zu fürchten, die der ewigen Nacht anheimfallen. Hier begegnet Prudentius denn dem Zweifel, ob die von Gott dem Menschen eingehauchte Seele die Höllenstrafe empfinden könne, in einem längern Excurs über die Natur der Seele (v. 782–951), die Gott zwar ähnlich, aber nicht gleich, der Sünde verfallen konnte, und zugleich mit dem Fleische verfiel, mit dem sie dann zugleich auch die Höllenstrafe erduldet. Hiervon befreit uns Christus, da ›einzig Jesus eine zwar der Strafe, aber nicht den Berührungen der Laster ausgesetzte Natur annahm‹: der Tod, der sich von der Schuld nährt, fand keine Nahrung in ihm; in seinem Leibe ist er verschmachtet. Hieran schliesst sich logisch folgerecht als letzter Abschnitt die Bekämpfung des Doketismus der Manichäer, nach welchem Christus nur einen Scheinleib gehabt hätte; mit welcher Annahme das Erlösungswerk aufgehoben wäre. Auf die Wahrhaftigkeit Gottes und den überlieferten Stammbaum Christi beruft sich der Dichter. Nur wenn er wahrer Mensch war, ist Christus auch wahrer Gott (v. 1053 f.). Prudentius schliesst, indem er seiner Hoffnung auf die Auferstehung einen schwungvollen Ausdruck gibt.

Poetisch bedeutender ist die der Apotheosis durchaus verwandte Dichtung Hamartigenia, welche von Bayle selbst für die beste dichterische Leistung des Prudentius erklärt wurde. Sie ist in derselben Art angelegt als das erstere Werk, nur dass hier die Frage über den Ursprung des Bösen in der Polemik gegen eine einzige Häresie, den gnostischen Dualismus des Marcion, behandelt wird; der (nach der Auffassung des Prudentius) um den Ursprung des Bösen in der Welt zu erklären, einen doppelten Gott annahm, einen des alten, und einen andern des neuen Bundes, von welchen jener, der Demiurg, der Urheber des Bösen sei. – Auch dieser Dichtung hat Prudentius eine Praefatio (63 iambische Trimeter) vorausgeschickt, worin er Kain als Typus des Marcion hinstellt, dessen Dualismus kurz skizzirt wird. Mit dem Beginne des Werkes selbst, das 966 Hexameter umfasst, schreitet der Dichter sogleich zum 273 stürmischen Angriff gegen Marcion: ›wohin reisst dich deine Wuth, treuloser Kain, der du Gott blasphemisch zertheilst?‹ Die sittliche Spaltung in der irdischen Welt lässt noch nicht auf eine solche in der göttlichen Leitung schliessen. Schon der Begriff der Gottheit widerstreitet dem Dualismus: (porro) nihil summum, nisi plenis viribus unum (v. 22). Die Trinität steht aber hiermit nicht in Widerspruch, wie der Dichter des weiteren ausführt. Gott hat von ihr in der Voraussicht dieser Häresis ein sinnliches Bild in der Sonne gegeben, die, eine einzige, zugleich die drei: Licht, Wärme und befruchtende Kraft, ist. – Gibt es zwei Götter, argumentirt Prudentius weiter, warum dann nicht ebenso gut viele Tausende? – Nachdem der Dichter dann den Demiurgen des Marcion geschildert (v. 111 ff.), sagt er: auch wir kennen einen Vater der Verbrechen, aber er ist kein Gott, vielmehr ein Sklave der Hölle. Es ist ein entarteter Engel, der, wie alles, von Gott aus nichts geschaffen, einst der schönste, mit zu grossen Kräften ausgerüstet, aus Hochmuth und Eifersucht auf Gott fiel. Ein farbenreiches Bild wird hier von Satan entworfen, das erste ausführliche in der Dichtung des Abendlands.         Vertice sublimis, cinctum cui nubibus atris
        anguiferum caput et fumo stipatur et igni,
        liventes oculos suffundit felle perusto
        invidia impatiens iustorum gaudia ferre.
        Hirsutos iuba densa humeros errantibus hydris
        obtegit et virides adlambunt ora cerastae
– – v. 130 ff.
Er bereitet selbst Schlingen und Fallen, der ›furchtbare Jäger‹, der die Welt umkreisend den unvorsichtigen Seelen nachstellt. Und der soll ein Gott sein! Aus Neid verführte er den Menschen, weil dieser zum Herrn der Erde gemacht war. Von Satan ›floss der Ursprung des Bösen‹. Des Menschen Fall aber hatte auch die Verderbniss der Natur zur Folge, deren sich der Böse, nachdem er ihren Herrn getroffen, als seiner Beute bemächtigte. Von dieser Umwandlung der Natur und des Menschen gibt der Dichter eine poesievolle Schilderung (v. 216 ff.): wie jetzt erst das Unkraut entspriesst, die Löwen die Herden überfallen, die Heuschrecke die Saaten verwüstet, und selbst die Elemente die ihnen gesetzten Schranken durchbrechen, der Sturm den Fruchthain zerstört, der Strom seine Ufer überspringt. Und es ist kein Wunder, des Menschen Leben gibt ihnen ja das verderbliche Beispiel. Der Goldhunger ist 274 die Wurzel der Uebel. Der Luxus – und hier wendet der Dichter seine Strafrede an die eigenen Zeitgenossen – beherrscht unser ganzes Leben, den Mann wie das Weib. Das Werk Gottes, die schöne Menschengestalt wird durch Schmuck und Schminke sacrilegisch entstellt. Die Einzelheiten, worin dies und das Folgende Prudentius ausführt, v. 264 ff., sind auch von antiquarischem Interesse. Und welchen sündhaften Genüssen müssen die Sinne dienen! Die Gaben Gottes werden vom Menschen zum Bösen verwandt. Ursprünglich war die Welt gut, wie es Gott selbst nach ihrer Schöpfung bezeugte: also hat sie nicht ein böser Gott geschaffen. Nicht das Eisen mordet, sondern die Hand, die es führt; das Pferd wird im Circus, das Oel in der Palästra missbraucht; und hier gedenkt denn der Dichter entrüstet auch der Thierkämpfe unter den andern Schauspielen (v. 369 ff.). Gegen den der Sinnlichkeit verfallenen Menschen führt Satan alle Laster ins Feld, ihre ›Cohorte kämpft unter einem solchen Anführer, und berennt die Seelen mit furchtbaren Waffen‹ (hierin ist also schon die Idee der Psychomachie enthalten). Die in dieser Beziehung besonders merkwürdige, aber früher meines Wissens nicht beachtete Stelle beginnt: Namque illic numerosa cohors sub principe tali – militat, horrendisque animas circumsidet armis. – Ira, superstitio, maeror, discordia, luxus etc. v. 393 ff. Die Hülfsvölker des Satan sind die sieben cananeischen Stämme, die Israel bedrängten; und hierauf wird dies selbst dann zum bildlichen Vertreter des gefallenen Menschen gemacht. Nicht mit dem Fleisch: mit dem Teufel und seinen Dämonen ringen wir – fährt der Dichter dann fort, im Anschluss an Ephes. VI, 12 – deren flüchtiges Gift schneller als parthische Pfeile eindringt Dies wird in einem glänzenden Bilde ausgemalt v. 533 ff. in das Innerste des Herzens. Hier erzeugen wir selbst das Böse, indem der Teufel der Zünder ist. Von Belial wird die Seele befruchtet, wie die Viper von ihrem Männchen durch Gift; und wie die Jungen derselben nur dadurch ans Licht kommen, dass sie die Mutter tödten, so tödten die Sünden die Seele. Diese hier (v. 581 ff.) weit ausgeführte Vergleichung ist im Hinblick auf die späteren Physiologi noch von besonderem Interesse. Die naturgeschichtliche Fabel, worauf sie beruht, findet sich bei Plinius, histor. nat. l. X, c. 62.

Der Dichter tritt dann noch dem Einwurf entgegen (v. 637 ff.), warum Gott der Allmächtige das Böse überhaupt zugelassen 275 habe; er habe es ja hindern können. Gott musste dem Menschen die Freiheit des Willens geben. Er, der zum König der Welt bestimmt war, musste auch Herr über sich selbst sein. Erst dadurch ist sein Ruhm, ist die Tugend möglich. Zwischen den Herrn des Lebens und den Lehrmeister ( magister ) des Todes gestellt, hat der Mensch seine Entscheidung zu treffen. Wie verschieden sie ausfällt, zeigt dann der Dichter an einer Reihe von Beispielen aus dem Alten Testament, woran sich ein paar Gleichnisse schliessen. Das von dem Taubenflug v. 804 ff. zeichnet sich durch hübsche Ausführung aus. Die Seelen werden mit den Tauben verglichen; die einen, durch ihre Begierde verlockt, gerathen in die Schlingen des Vogelstellers (d. i. des Satan, s. oben), sie vermögen sich nicht wieder zum Himmel zu erheben. Der zukünftige Lohn in Hölle und Paradies wird dann im Hinblick auf die Parabel vom reichen Manne und Lazarus Ev. sec. Lucam c. 16, v. 19 ff. geschildert. Mit Recht hat Brockhaus a. a. O., S. 35. schon darauf aufmerksam gemacht, wie diese Schilderung der beiden transcendentalen Reiche auch in Hinsicht der göttlichen Komödie von besonderem Interesse ist. Sie ist es aber überhaupt für die entsprechenden Darstellungen der mittelalterlichen Kunst. Die Seele der Bösen wird in den ›Brunnen‹ des glühenden Abgrunds versenkt, wo flüssiges Blei und Gräben von Pech brennen, und gefrässige Würmer sie quälen ewiglich.         Praescius inde Pater liventia tartara plumbo
        incendit liquido, piceasque bitumine fossas
        infernalis aquae furvo suffodit averno,
        et Phlegethonteo sub gurgite sanxit edaces
        perpetuis scelerum poenis inolescere vermes.
v. 824 ff.
Und v. 833: mersandam (sc. animam) penitus puteo ferventis abyssi.
Die reinen Geister dagegen erheben sich mit leichtem Flug zu den Gestirnen, der irdischen Schwere entlastet (v. 845 ff.). In dem Schoosse Abrahams aufgenommen, athmen sie Düfte ewiger Blumen und trinken ambrosischen Thau. Soweit auch beide Reiche von einander getrennt sind per magna intervalla, polus medio quae dividit orbe v. 865 f.: so wird die gegenseitige Lage der beiden Reiche bestimmt., so vermögen doch die verdammten und die gerechten Seelen sich und ihr gegenseitiges Loos zu sehen. Das sucht der Dichter noch ausführlicher zu begründen, und schliesst dann mit einem Gebet, worin er Gott bei seinem Tode um eine milde Strafe anfleht: er wagt keine 276 Wohnung in der ›seligen Region‹ zu verlangen, wenn nur, fern von dem Angesicht des Höllenfürsten, eine mildere Gluth im Tartarus ihn umfängt.         Esto: cavernoso, quia sic pro labe necesse est
        corporea, tristis me sorbeat ignis averno;
        saltem mitificos incendia lenta vapores
        exhalent aestuque calor languente tepescat.
v. 961 ff.
Die Stelle ist in mehrfacher Beziehung merkwürdig. An das Fegefeuer ist hier nicht zu denken, dagegen erinnert sie an den Limbus Dante's; sodass sich darin auch die beiden Dichter begegnen.

Wenn Prudentius in den beiden eben betrachteten Dichtungen sich in seiner Argumentation zu einem guten Theile an Werke des Tertullian, stellenweise selbst ganz unmittelbar, anschliesst – in der Hamartigenia selbstverständlich an die Bücher gegen Marcion –, und die leitenden Ideen, sowie auch manche Züge im einzelnen ihnen verdankt: so ist eine andere Dichtung von ihm, worin er an der Stelle von Häresien die heidnische Staatsreligion bekämpft, Contra Symmachum libri duo , unter dem directen Einfluss der beiden gegen diesen berühmten Redner gerichteten Episteln des Ambrosius, deren wir früher gedachten S. oben S. 169 ff., entstanden und ausgeführt. Ein besonderer Anlass gab aber die Anregung. Von der kleinen, aber angesehenen Partei des Symmachus war bei den Söhnen des Theodosius, namentlich dem Honorius, ein neuer Versuch, die in der berühmten Relation vorgetragenen Bitten zu erreichen, offenbar unter Hinweisung auf jene, gemacht worden. Hatte doch Eugenius auch gewährt, was Valentinian II. verweigert hatte. So hofften des Symmachus Anhänger nach Theodosius' Tode auch auf einen Umschlag der Politik der Krone zu ihren Gunsten. Daher hielt es Prudentius für nicht überflüssig, gegen die, allerdings nur in sehr eingeschränkter Weise geforderte Restitution der alten Staatsreligion und das Aktenstück, das sie zu begründen versuchte, einen neuen Feldzug, und zwar in poetischer Form, zu unternehmen. Er hatte nach den von Theodosius unterdess gegen das Heidenthum erlassenen Edicten ein viel leichteres Spiel, als sein grosser Vorgänger. Auch hatte er sicherlich, von der eigenen poetischen Genugthuung abgesehen, bei der Abfassung seines Werkes vielmehr eine Wirkung auf das grosse Publikum der heidnisch Gebildeten im Auge, als 277 den jungen Kaiser in seiner Entschliessung zu bestimmen, in Betreff deren auch Prudentius kein Zweifel gekommen sein wird.

In dem ersten Buch, das 657 Hexameter umfasst, bekämpft der Dichter, hier von Ambrosius unabhängig, die heidnische Religion des alten Rom überhaupt. Eine Praefatio in 89 asclepiadeischen Versen erzählt nach Apostelgeschichte c. 27 f. die glückliche Landung des Paulus nach dem Schiffbruch und den durch sein Gebet unschädlich gemachten Otterbiss als Typus des nach so heftigen Stürmen im Hafen eingelaufenen Christenthums, das nun auch noch wider Erwarten einen giftigen aber unschädlichen Angriff zu erleiden habe. Indem Prudentius dann das Gedicht selbst anhebt, erinnert er zunächst an den den Verordnungen des weisen Theodosius schuldigen Gehorsam, um dann, gleich den frühern Apologeten, den menschlichen Ursprung der Götter, deren Dynastie Saturn begründete, und zugleich ihre Unsittlichkeit darzulegen. Wie sich diese Superstition, nachdem sie einmal entstanden, fortgepflanzt habe bloss durch die gedankenlose Gewohnheit, indem schon der Säugling den Irrthum mit der Milch einsog, der Knabe ihn in den Gebräuchen des häuslichen und den Festen des öffentlichen Lebens verehren lernte, wird v. 197 ff. hübsch ausgeführt. Mit dem Kultus des Augustus begann dann auch die Vergötterung der Kaiser, und dies nimmt nicht Wunder, meint der Dichter, fuhr man doch nur auf demselben Wege fort, auf dem sich diese Religion zuerst entwickelt. Aber auch die Elemente wurden zu Gottheiten gemacht und die Gestirne, namentlich die Sonne. Gegen letztern Kultus hält es, was beachtenswerth Der Mithrasdienst behauptete sich unter den Gebildeten eben am längsten., der Dichter für nöthig, ausführlicher zu polemisiren (v. 309 ff.), indem er die geringe Grösse der Sonne im Verhältniss zur Welt und zum Himmel, und die Gebundenheit ihres Laufes betont; diese Dienerin Gottes hat nicht einmal die Freiheit des Menschen. Doch solcher Kultus sei immerhin noch erträglich; aber was dazu sagen, dass auch die Schatten des Höllenschlundes Rom seine Götter gaben? und was zu ihrer schmählichen Verehrung durch die unmenschlichen Gladiatorenspiele? – Die so noch von der Finsterniss des Heidenthums umschattete Stadt lässt der Dichter dann von dem über den Usurpator Eugenius, wie 278 früher über Maximus, siegreichen Theodosius Dass der › princeps gemini bis victor caede tyranni‹ v. 410 hier niemand als Theodosius sein kann, und nicht Constantin der Grosse, geht nicht bloss aus dem ganzen Zusammenhang der Dichtung hervor, sondern wird speciell durch Vers 506 bewiesen, welcher unzweifelhaft zeigt, dass mit dem vorhergehenden Vers erst die Rede des Kaisers endet. in längerer Rede (v. 415 ff.) auffordern, die traurigen Gewohnheiten abzulegen, die nur Barbaren zukämen, und das Kreuz zu verehren, unter dem schon Constantin gesiegt. Hiermit wird offenbar die Rede, die Theodosius nach jenem Siege 394 im Senat zu Rom hielt, poetisch wiedergegeben. Durch seine damals erlassenen Edicte sei Rom erst wahrhaft eine christliche Stadt geworden; dies wird dann in dichterischer Schilderung ausgeführt (v. 511 ff.): wie bis auf wenige, der Senat mit dem Volke zugleich jetzt Christus verehrte, und zwar nicht durch Gewalt, sondern durch die Vernunft gezwungen. Habe doch Theodosius den noch Heiden Gebliebenen für irdische Verdienste sogar gleichen Lohn als den Christen, und die höchsten Ehren verliehen, wie dies Symmachus selbst erfahren (v. 622)! Mit einem begeisterten Lob auf dessen Beredsamkeit, die er nur leider für eine schmutzige Sache vergeude, und der Versicherung, nicht in einen Wettkampf des Genius mit ihm eintreten zu wollen, sondern nur seinen Glauben zu vertheidigen, schliesst Prudentius dies erste Buch.

Auch dem zweiten Buch geht eine Vorrede voraus, in 66 glyconischen Versen, worin der Dichter in seinem Kampf mit ›dem beredtesten Manne seiner Zeit‹ Quo nunc nemo disertior v. 56. Christus um Beistand bittet, unter Hinweisung auf den, welchen dieser einst Petrus gewährte, als derselbe mit dem stürmischen See Tiberias kämpfte, mit welchem Symmachus' Beredsamkeit verglichen wird. In dem zweiten Buche selbst aber, welches 1132 Hexameter umfasst, will Prudentius die Relation des Symmachus Punkt für Punkt widerlegen Den Inhalt der beiden Bücher deutet in den ersten Versen dieses Buchs Prudentius kurz an, indem er sagt:
        Hactenus et veterum cunabula prima deorum
        et causas, quibus error hebes conflatus in orbe est,
        diximus et nostro Romam iam credere Christo:
        nunc obiecta legam, nunc dictis dicta refellam.
; und hierin schliesst er sich denn, und oft sehr nahe und unmittelbar, an Ambrosius' Widerlegung an. 279 Zuerst lässt der Dichter die jugendlichen Kaiser selbst in einer Rede die Behauptung des Symmachus (den er hier auch redend einführt), dass der Sieg Roms an den Kultus der Victoria sich knüpfe, zurückweisen, mit dem auch von Ambrosius gemachten Einwand, dass derselbe vielmehr ein Werk der Tapferkeit seiner Krieger sei. Prudentius recapitulirt dann v. 69 ff. kurz den weitern Inhalt der Relation des Symmachus; und bekämpft darauf zunächst seinen Skepticismus, auf dessen Grund jener die Herstellung der religiösen Toleranz fordert. Die Kraft des menschlichen Geistes sei allerdings gering, Gott zu erkennen, dagegen weise der Glaube leicht den Weg zur Erkenntniss des Allmächtigen, des Schöpfers und des Richters, denn des Menschen Geist sei unsterblich. Sehr beachtenswerth ist, wie Prudentius in dieser Widerlegung des Skepticismus ganz wie schon Minucius Felix einst (auch im einzelnen hier und da an ihn erinnernd) vom schlechthin monotheistischen Standpunkt aus verfährt, Christi gar nicht gedenkend. Die Verheissung der Unsterblichkeit aber ist auch hier die erste Empfehlung der christlichen Religion. Mit v. 272 aber geht Prudentius zur Widerlegung des aus der Ehrwürdigkeit der alten Sitte geschöpften Argumentes über, und weist in ähnlicher Art wie Ambrosius die Thorheit nach, alles was einmal Herkommen sei, darum erhalten zu wollen. Wie das Individuum, so schreite auch die Menschheit vorwärts in ihrer Entwickelung (v. 317 ff.); aber das heidnische Rom sei in Bezug auf seine Sacra sich auch nicht einmal treu geblieben! Und befragt man nur das Alter, so haben ja die ersten Menschen nur einen Gott verehrt. Prudentius verspottet hierauf (v. 370 ff.) die Berufung des Symmachus auf den Genius der Stadt, der gewissermassen die treue Erhaltung der Sitte der Vorfahren fordere. Was denn dieser Genius für ein Wesen sein solle? Gäbe es aber einen solchen, so habe er auf dem Felde der Politik sich so wenig infallibel gezeigt, indem er von einer Staatsform zur andern übergegangen, dass er auch die Religion wechseln könne. Der Dichter bekämpft dann überhaupt den Fatalismus der Heiden.

Aber Rom verdanke doch seine Triumphe den Göttern (v. 488)! Diese alte Behauptung, welche schon die ersten Apologeten, Minucius Felix und Tertullian bestritten, widerlegt unser Dichter mit deren Argumenten. Rom habe ja von den von ihm besiegten Völkern seine Götter entlehnt; so wären diese selbst 280 von ihm besiegt worden. Eine Schmähung sei es des römischen Namens und der unbesiegten Legionen, was sie durch ihre Tapferkeit erreicht, der Venus zuzuschreiben. v. 551 ff.:
        Non fero, Romanum nomen sudataque bella
        et titulos tanto quaesitos sanguine carpi.
        Detrahit invictis legionibus et sua Romae
        praemia diminuit, qui quidquid fortiter actum est
        adscribit Veneri, palmam victoribus aufert.
Roms Weltherrschaft sei vielmehr eine Veranstaltung Gottes gewesen, um dem Christenthume den Weg zu bahnen (v. 583 ff.) durch die Herstellung des allgemeinen Friedens und Eintracht. Und dass das christlich gewordene Rom nicht der alten Virtus beraubt sei, lässt der Dichter, wie Symmachus, die ewige Stadt selbst reden Wie sie auch Claudian redend einführt in Bell. Gildon. v. 28 und De VI. cons. Honor. v. 360., und auf die jüngsten Siege des Stilicho über die Gothen im Jahre 403 lobpreisend hinweisen, Siege, die unter dem Zeichen Christi erfochten wurden (v. 696 ff.). Prudentius zeigt dann der entgegengesetzten Behauptung des Symmachus gegenüber, dass es nur einen Weg gebe, der zu dem einen Gott führe, den durch Christus. Endlich geht er v. 910 ff. auf die letzte Beschwerde der Relation, die den Vestalinnen entzogene Kornspende ein, indem er zunächst weitläufig die Behauptung bestreitet, als habe diese Entziehung Misswachs und Hungersnoth zur Folge gehabt. Der Mässige brauche aber auch nicht viel. Der wahre Ackersmann bestelle nicht bloss das Feld, sondern auch die Seele. Der habe stets die reichste Ernte. So sei auch für die Jungfrauen die schönste Mitgift die Scham. Aber wie stehe es um diese bei den Vestalinnen (v. 1064 ff.)? Und diese Betrachtung führt ihn dann schliesslich auf die Gladiatorenspiele des Circus (denen jene sich nicht schämen auf bevorzugten Sitzen beizuwohnen), indem der Dichter den Kaiser Honorius Ausonii dux augustissime regni. v. 1115. bittet, diese ›Art des Verbrechens‹, dies so traurige ›Sacrum‹ auch aufzuheben: dies Verdienst habe die Frömmigkeit des Vaters ihm aufgespart.

Die ästhetisch zwar schwächste, literarhistorisch aber bedeutendste unter den polemisch-didaktischen Dichtungen des Prudentius ist die Psychomachia. Sie erscheint auch durchaus originell in der Anlage. Es ist das erste Beispiel einer rein 281 allegorischen Dichtung in der Literatur des Abendlands. Sie wies für diese so echt christliche Kunstform den Dichtern des Mittelalters zuerst den Weg. – Doch geben wir zunächst eine Analyse ihres Inhalts. Die ›Seelenkämpfe‹ des Christen Der Dichter sagt dies zum Ueberfluss selbst ausdrücklich v. 13. sollen in dem Gemälde eines Kampfs der christlichen Tugenden mit den heidnischen Lastern dargestellt werden, daher gewissermassen auch der Kampf des Christenthums mit dem Heidenthum in der Seele des Menschen, der seiner göttlichen und fleischlichen Natur. S. am Schluss v. 903 ff. Indem der ›Seelenkampf‹ zugleich also ein Kampf der doppelten Weltanschauung ist, der christlichen und der antik-heidnischen, so musste die Dichtung zur Zeit ihres Erscheinens ein besonderes Interesse noch haben, sie hat damit auch einen apologetisch-polemischen Charakter. Auch ihr geht eine Praefatio, von 68 iambischen Trimetern, voraus, worin die Geschichte Abrahams typologisch aufgefasst die Bedeutung der folgenden Dichtung anzeigen soll. Abraham – der Glaube – besiegt mit seinen 318 Knechten – d. h. mit Christus Das griechische Zahlzeichen TIH wurde schon lange als ein Symbol Christi betrachtet. – die heidnischen Vgl. Praefatio v. 9. Könige von Sodom und Gomorrha – die Laster –, welche Lot – die Seele – gefangen hielten. Den siegreichen Abraham aber beschenkt Melchisedech – Christus – mit himmlischer Speise. Und wie dem Patriarchen bald darauf Isaac verheissen wurde, so soll auch der Seele gleich der Sarah die ersehnte Frucht werden.

Die Dichtung selbst, welche 915 Hexameter zählt, beginnt mit einer Anrufung Christi: ›er sage, mit welcher Kriegsschar ausgerüstet der Geist die Sünden verjagen kann aus dem Schacht unseres Herzens!‹         Dissere, rex noster, quo milite pellere culpas
        mens armata queat nostri de pectoris antro.
v. 5 f.
Die Schilderung des Kampfes hebt an. Ihn eröffnet der Glaube ( Fides ), in bäuerischer Tracht, mit nackten Schultern und ungekämmtem Haare, die Arme frei; in seiner Kampfeslust eilt er unbewaffnet herbei, nur auf seine Kraft vertrauend. Den ›herausfordernden‹ Glauben wagt der ›Kultus der alten Götter‹, die Schläfe mit Binden umwunden (gleich den heidnischen Priestern), anzugreifen. Jener aber schlägt diesen 282 alsbald zu Boden und zertritt ihn. Es jubelt die siegreiche Legion, die aus 1000 Märtyrern Fides vereinigte. Die Tugenden und Laster sind also nur die Vorkämpfer. Und wie die einen specifisch christlich, die andern ebenso heidnisch sind, zeigen sogleich diese beiden, die den Kampf eröffnen, die Anführer gleichsam, – der Glaube und die Idolatrie, die nach Tertullian S. oben S. 47. alle Laster in sich schliesst. Nicht minder aber zeigen es die folgenden. Die Keuschheit ( Pudicitia ), eine Jungfrau in glänzenden Waffen, wird von der Sodomita Libido , ›der grössten der Furien‹, mit einer Pechfackel mit brennendem Schwefel, womit sie ihr nach den züchtigen Augen schlägt, angegriffen; aber mit einem Steinwurf entwaffnet jene ihre Rechte, und durchsticht sie dann mit dem Schwert (v. 40 ff.). Nachdem die unberührte Jungfrau geboren, den Gottmenschen, habe die Wollust keine Rechte mehr; sei nun alles Fleisch veredelt: ruft Pudicitia triumphirend in einer längern Rede. – An dritter Stelle erscheint hier (v. 109 ff.) auch eine specifisch christliche Tugend, die schon von Tertullian so schön gefeierte Geduld. Mit ernstem Angesicht steht sie da unbeweglich mitten im Aufruhr des Kampfes: auf diese Zuschauerin stürmt der Zorn ein, zuerst mit Worten, dann mit Geschossen, aber diese prallen ab an dem dreifachen Panzer, der sie umgürtet; vergeblich versucht er hierauf sein Schwert an ihrem ehernen Helme, es zerbricht: da mordet er sich selbst in verzweifelter Wuth, indem er in einen seiner Speere sich stürzt. Es erinnert dies an Aias' Tod.
        Hectora qui solus, qui ferrum ignesque Iovemque
        sustinuit totiens, unam non sustinet iram.
Ovid, Metam. XIII, v. 384 ff.
Die Geduld aber schreitet, von Hiob begleitet, siegreich von dannen. Da fliegt auf ungezügeltem Ross, das ein Löwenfell bedeckt, die Hoffart ( Superbia ) heran mit thurmhohem Haarputz und flatterndem Mantel (v. 178 ff.). Sie bedroht hoch von dem schnaubendem Rosse den ärmlichen und dünnen Heerhaufen ihr gegenüber, welchen die Demuth ( Mens humilis ) anführt, die sich die Hoffnung als Genossin gesellt hatte. Ihnen folgen die Gerechtigkeit, immer bedürftig, die arme Ehrbarkeit ( Honestas ), die dürre Nüchternheit, das Fasten ( Ieiunia ) bleichen Angesichts und die sanft erröthende Scham sowie die offene Einfalt. Die Hoffart verspottet die Demuth, 283 den nackten Ankömmling v. 210 advena nudus: hier ist also diese Tugend mit dem Christenthume geradezu identificirt., der alte Könige vertreiben wolle; und rühmt sich dagegen, wie sie von der Geburt an den Menschen beherrsche, wie sie mit seinem Geschlechte gross wuchs. sie will diese elende Schar unter den Hufen ihres Rosses zerstampfen. – Aber im Heransprengen stürzt sie in eine Grube, welche die Fraus gegraben. Die Demuth zögert den Sieg zu benutzen; da reicht ihr die Hoffnung das Schwert, womit sie dann die gestürzte enthauptet. Nach einer triumphirenden Rede fliegt die Hoffnung darauf mit goldenen Schwingen zum Himmel empor.

Indessen erscheint ein neuer Feind (v. 310 ff.): es ist die Ueppigkeit ( Luxuria ). Sie, eine trunkene Tänzerin, mit duftendem Haar, buhlenden Blicken und schmachtender Stimme, kommt auf einem vierspännigen prächtigen Wagen Der ausführlich beschrieben wird. gefahren von den Grenzen des Abends her. Keine Pfeile entsendet sie, sie schwingt keine Lanze; sondern Veilchen und Rosenblätter sind ihre Geschosse, deren verderblich süsser Duft Muth und Kraft zerschmilzt. Das von den Tugenden geführte Heer will auf diesem Flügel schon die Waffen strecken: da pflanzt die Nüchternheit ( Sobrietas ) die Fahne des Kreuzes in den Boden, schilt die christlichen Scharen, und erinnert sie, den edlen Spross Juda's, an ihre Vorfahren, die sie ihnen zum Muster hinstellt. Indem sie dann gegen den Wagen das Kreuz erhebt, scheuen die Rosse, und fliehen; die Ueppigkeit stürzt herab, wird überfahren und von Sobrietas mit einem Steine vollends getödtet. Ihr possenhaftes Heer aber läuft auseinander: Spass ( Iocus ) und Muthwille ( Petulantia ) werfen ihre Cymbeln fort, Amor seinen Köcher, Pompa entledigt sich ihres Schmuckes, und die Genusssucht ( Voluptas ) scheut sich nicht über Dornen zu laufen. Der Boden ist mit Beute bedeckt. Da erscheint die Habsucht ( Avaritia ), um sie aufzuraffen (v. 454); in ihrem Gefolge ihre Töchter, Sorge, Hunger, Furcht, Angst, Meineid, Entsetzen ( Pallor ), Bestechung, Betrug ( Dolus ), Lüge ( Conmenta ), Schlaflosigkeit, Schmutz ( Sordes ), die wie Wölfe das Feld durchstöbern. Wie verderblich die Habsucht unter den Menschen wirkt, schildert hier lebendig der Dichter. Jede Klasse derselben erfasst sie. Sie wagt sogar die Priester des Herrn 284 anzugreifen, die aber dank dem Schutze der Vernunft nur oberflächlich verletzt werden. Hierauf beschliesst die Habsucht nach einer längern Rede, worin sie ihrer Thaten sich berühmt         Sola igitur rapui quidquid Styx abdit avaris
        gurgitibus: nobis ditissima tartara debent,
        quos retinent, populos: quod volvunt secula, nostrum est,
        quod miscet mundus vesana negotia, nostrum.
v. 520 ff.
, den Christen gegenüber zur List ihre Zuflucht zu nehmen. Sie wandelt sich um in die ehrbare Gestalt der Sparsamkeit, und so täuscht sie allerdings die leichtgläubigen Herzen; es schwankt das Heer der Tugenden, da springt plötzlich das werkthätige Erbarmen ( Operatio ) zum Zweikampf hervor, unbeschwert, da es alle seine Güter den Armen gespendet; die Habsucht sieht starr vor Schrecken, des Todes gewiss, den Gegner, der die zitternde mit seinen Fäusten erdrosselt. Die Operatio fordert das Heer dann auf (v. 606 ff.), die Waffen abzulegen, nachdem die Ursache so vielen Uebels selbst getödtet. Nun entfliehen die Sorgen, der Friede vertreibt den Krieg. Concordia gibt das Zeichen, die siegreichen Adler ins Lager zurückzutragen. Während dies aber unter Gesang geschieht Das Fussvolk singt Psalmen, die Reiterei Hymnen v. 648 f. Diese Unterscheidung ist nicht ohne Interesse; jene werden damit offenbar als ein › sermo pedester‹, ein prosaischer Gesang, dem höhern kunstmässigen der Hymnen gegenübergestellt., wird auf die ›Eintracht‹ ein meuchelmörderischer Angriff gemacht, der sie zwar nicht tödtet, aber doch verwundet. Der alsbald ergriffene Attentäter gibt sich zu erkennen als Zwietracht ( Discordia ) mit dem Zunamen Haeresis . Sie hatte sich nach der verlorenen Schlacht unter die Sieger, als gehöre sie zu ihnen, gemischt. Die Königin der Tugenden, die Fides , durchstösst ihr die Zunge, sie am Weiterreden hindernd Die Zwietracht gibt nämlich nach Nennung des Namens ihr Glaubensbekenntniss, worin mit wenigen Worten die Haupthäresien der Zeit angedeutet sind, v. 710 ff., worauf sie vom Heere in Stücke zerrissen wird. Von einem ›Tribunal‹ in Mitten des Lagers halten darauf die Schwestern Concordia und Fides , die beiden Anführer, Reden an das Heer (v. 749 ff.): jene empfiehlt mit begeisterten Worten den innern Frieden, die Eintracht im Glauben und im Leben; Fides aber fordert auf, einen Tempel zu bauen, wie Salomon that, Christus nach dem siegreich beendeten Kriege. Dieser Bau wird dann beschrieben (v. 825 ff.), wobei der Dichter 285 in den Grundzügen ganz der Beschreibung des himmlischen Jerusalem in der Apokalypse, c. 21, folgt. In dem Tempel thront die Weisheit, einen Scepter, gleich dem Stabe Aarons, in der Hand. – Der Dichter schliesst mit einem Dankgebet an Christus, der uns die Gefahren der kämpfenden Seele kennen lehrte. Wie oft erhebt sie sich zu Gott, nachdem sie die Laster zurückgeworfen, wie oft erliegt sie dann wieder der Sinnlichkeit; und so wird es sein, bis Christus als Beistand erscheint, und wo die Sünde herrschte, einen Tempel sich baut, in dem die Weisheit herrscht, d. h. also, bis sein Reich kommt. Mit diesem Hinblick auf die Zukunft der Menschheit, wo es keinen Seelenkampf mehr geben wird, endet das Gedicht.

Diese Analyse begründet von selbst, hoff' ich, die von mir oben gegebene Idee der Dichtung, sowie sie ihre Einheit zeigt. Einen Widerspruch bildet davon nicht, dass die Zwietracht als Häresis erscheint; es wird dieselbe damit auf den Einfluss heidnischer Weltanschauung zurückgeführt, was ja in Wahrheit von den wichtigsten Ketzereien jener Zeit gelten konnte. Der Christ, will der Dichter zeigen, hat bis zur Wiederkunft Christi mit den Lastern zu kämpfen, welche, seiner sinnlichen Natur entsprossen, dem Heidenthum angehören; er vermag den Sieg nur mit Hülfe der christlichen Tugenden davon zu tragen; aber er kann ihn nur behaupten durch den festen Anschluss an die Kirche im Wissen und im Leben         Quod sapimus, conjungat amor: quod vivimus, uno
        conspiret studio: nil dissociabile firmum est

– sagt die Concordia v. 762.
, die eins sein müssen, d. h. im Dogma und in der Moral. So folgt dem Siege der Friede, sein Lohn. In dem Preise des Friedens zeigt Prudentius eine früher nicht beachtete und doch sehr beachtenswerthe Uebereinstimmung mit Augustin im neunzehnten Buche seiner Civitas dei . Hat hier der letztere sich der Dichterworte erinnert? Denn Prudentius hat dieses Buch wohl keinenfalls mehr benutzen können. Concordia sagt in ihrer Rede v. 769 ff.:
        Pax plenum virtutis opus, pax summa laborum,
        pax belli exacti pretium est pretiumque pericli:
        sidera pace vigent, consistunt terrea pace.
        Nil placitum sine pace Deo
etc.
Man vgl. Civit. dei XIX, c. 10 ff., woraus ich besonders noch die Stelle hervorhebe: ibi virtutes, non contra ulla vitia vel mala quaecumque certantes, sed habentes victoriae praemium, aeternam pacem, quam nullus adversarius inquietat. – – Unde pacem constat belli esse optabilem finem. – – Pax animae rationalis ordinata cognitionis actionisque consensio. Man vergleiche zu diesem Satze die vorige Anmerkung. Wäre eine so späte Abfassung der Psychomachie denkbar, dass Prudentius dies neunzehnte Buch der Civit. dei hätte benutzen können, so wäre daran nicht zu zweifeln. Aber man müsste dann annehmen, er hätte das Werk hoch in den Siebzigen gedichtet; oder könnte das Buch der Civit. dei früher, als man heute annimmt, erschienen sein? Die Erörterung dieser nicht unwichtigen Frage muss jedenfalls einer Specialuntersuchung überlassen bleiben. Durch Röslers Einwendungen (S. 250 f.) finde ich die Frage um so weniger gelöst, als ihn seine oben erwähnte Auffassung der polemisch-didaktischen Gedichte des Prudentius als blosse Streitschriften gegen den Priscillianismus auch hier der Unbefangenheit des Urtheils berauben muss.

286 Dies Werk des Prudentius hat aber ein sehr bedeutendes literarhistorisches Interesse, weil in ihm, wie bemerkt, zuerst in der christlichen Poesie des Abendlandes der allegorische Kunststil vollkommen durchgeführt erscheint; es hat denn auch unter allen seinen Dichtungen – vielleicht nur von den Hymnen abgesehen – weitaus am meisten direct das Mittelalter beeinflusst, indem es nicht bloss, als ältestes und höchstes Muster des christlichen Alterthums auf diesem Felde, durch seine Darstellungsweise, den eigenthümlichen Kunststil überhaupt, wirkte, sondern nicht minder durch den Gegenstand, den es behandelt, und die allegorischen Typen, die es vorführt. Es gehörte sozusagen zu den standard works des Mittelalters: es wird unter den Studienbüchern empfohlen (so in dem dem Eberhard von Béthune beigelegten Labyrinth), und geht in die encyklopädischen Werke über, wie in das der Herrad von Landsberg. Manche der ältesten allegorischen Dichtungen des Mittelalters schliessen sich auch stofflich an dasselbe an. Hier sei nun die Frage in Betracht gezogen, wie Prudentius selbst zu der Darstellungsweise seiner Dichtung und ihrem Vorwurf gelangte. Da haben wir denn zunächst uns daran zu erinnern, wie der Gebrauch der Allegorie und Symbolik sowie die typologische Auffassungsweise schon lange in dieser christlich-lateinischen Literatur heimisch geworden, was wir so oft bei prosaischen wie poetischen Werken im einzelnen zu beobachten Gelegenheit fanden. S. oben namentlich Seite 52, 101, 139, 147 ff., 184. Was aber speciell die Personification der Tugenden und Laster betrifft, so hat hierin ohne Zweifel der Kirchenvater, der überhaupt auf Prudentius am meisten einwirkte, auch 287 seinen Einfluss wieder geäussert, nämlich Tertullian, wie ich bereits angedeutet habe S. seine Personification der Geduld oben S. 51. wenn unser Dichter auch in der Ausführung seiner Gemälde ihn keineswegs copirt. Die Idee zu seiner Dichtung aber kam dem Autor offenbar durch das von ihm selbst in seiner Hamartigenia S. oben S. 274. angewandte Bild von der Berennung der Seele durch die Laster, unter der Anführung des Teufels, ein Bild, dem wir schon bei Cyprian begegneten, und das sich nun leicht zu einem Kampf der Tugenden mit den Lastern erweitern liess: erscheinen doch in unserm Gedicht zunächst die Tugenden als die Krieger der Seele, die für sie den Kampf kämpfen. S. oben S. 281, Anm. 2.

Zu alle dem kommt, um die Entstehung einer so rein allegorischen Dichtung zu erklären, dass der specifisch römische Geschmack sich der Allegorie keineswegs je abhold zeigte Vgl. Engelhard, De personificationibus quae in poesi atque arte Romanorum inveniuntur. Göttingen (Diss.) 1881., was mit der Vorherrschaft des Verstandes in dem Nationalcharakter zusammenhängt, sodass ja selbst die Religion den hellenisirten Göttern reine Personificationen zugesellte: und von welcher Bedeutung solche Gottheiten werden konnten, zeigt ja die Victoria, an deren Kultus das Heidenthum noch im letzten Augenblick seines Untergangs sich klammerte! Der Geschmack an der Allegorie tritt in der spätern römischen Kunst und Poesie immer freier und kühner hervor: so lesen wir in Apuleius' Metamorphosen (X, c. 31), wie in der Pantomime ›das Urtheil des Paris‹ Terror und Metus als die Knappen der Minerva auftreten, so droht in seiner Erzählung von Psyche und Amor – die ja als Ganzes auch nur eine Allegorie ist, obgleich in schöner märchenhafter Ausführung – (V, c. 30) die Venus dem Sohn, ihre Feindin, die Sobrietas zu Hülfe rufen zu wollen, und eine der Mägde der Venus, Consuetudo schleppt die unglückliche Psyche vor die zornige Göttin, welche sie durch zwei andere Mägde, Sollicitudo und Tristities züchtigen lässt (VI, c. 8 und 9). Und der Zeitgenosse des Prudentius, Claudian, das letzte bedeutende poetische Talent des heidnischen Roms, huldigt auch der Allegorie mit Vorliebe, wenn sie auch nur selten bei ihm in detaillirter Ausführung sich findet: da erscheinen in seinem 288 dem Honorius gewidmeten Hochzeitsgedichte (v. 76 ff.) in dem Palast der Venus die numina: Licentia, Irae, Excubiae, Lacrimae, Pallor, Audacia, Metus, Voluptas, Periuria, Iuventas . So wird ferner in seinem Panegyricus auf Stilicho ( De laud. Stil. l. II, v. 6 ff.) die Clementia als Göttin personificirt, und ihre Schwester Fides , da erscheinen Iustitia, Patientia, Temperies, Prudentia, Constantia als die den Helden leitenden Göttinnen welche die aus dem Tartarus hervorgegangenen numina in die Flucht schlagen, so vor allen ›die erste Mutter der Verbrechen‹, Avaritia , deren getreueste Amme die Ambitio ist (v. 113). Und in seinem früher verfassten Gedicht gegen Rufin, auf welches die eben angezogene Stelle offenbar zurückweist, bilden das Heer der Erinnyen, die die Welt durch Rufin verderben wollen, Discordia, Fames, Senectus, Morbus, Livor, Luctus, Timor, Audacia, Luxus mit seiner steten Begleiterin Egestas, Avaritia und ihre Kinder, die Sorgen (l. I, v. 30 ff.). Hier aber sei besonders hervorgehoben, dass auch bei Prudentius die Laster als Furien dargestellt Durch das Attribut der Schlangenhaare und Geissel, so z. B. v. 560 und 685; aber sie werden auch direct › Furia‹ oder › Erinnys‹ genannt, vgl. v. 46, v. 566., und damit sogleich als specifisch heidnisch charakterisirt werden; auf diese Darstellung oder Auffassung hat aber vielleicht ganz direct jene Dichtung des Claudian influirt; während dagegen der oben erwähnte in dem Panegyricus auf Stilicho ausgesprochene Gedanke, dass die Tugenden dieses Helden die Laster vertreiben De laud. Stilich. l. II, v. 100:
        Omnes praeterea puro quae crimina pellunt
        ore Deae, junxere choros, unoque receptae
        pectore diversos tecum cinguntur in usus.
        Iustitia utilibus rectum praeponere suadet etc. etc.
        – – – – Procul importuna fugantur
        numina, monstriferis quae Tartarus edidit antris.
        Ac primam scelerum matrem – –
        trudis Avaritiam.

In dem › trudis‹ ist freilich schon die handelnde Person Stilicho selbst.
, nur zeigt, wie leicht einem Dichter damals die Idee einer allegorischen Darstellung des Kampfs der Tugenden und Laster kommen konnte.

Es bleibt uns nur noch ein kleines Werk des Prudentius, kaum von literarischem Werth, zu betrachten übrig, das in manchen andern Beziehungen zwar, aber nicht in Betreff des 289 Verfassers, wie man geglaubt hat, Zweifel erregt. Nicht nur deutet es Gennadius unter des Prudentius Werken an – nach der Art der Anführung scheint er es aber nicht selbst gekannt zu haben –, sondern es zeigt auch das Werkchen dem Kenner des Prudentius eine solche Uebereinstimmung mit verschiedenen seiner andern Dichtungen in Bezug auf Inhalt wie Ausdruck, dass einem solchen auch nicht der geringste Zweifel an seiner Autorschaft kommen kann. Aber wie viele haben darüber geurtheilt, ohne Prudentius überhaupt, oder mit Aufmerksamkeit gelesen zu haben! Zu den von Obbarius angeführten Beweisstellen (Proleg. p. XIII) füge ich noch die Uebereinstimmung in der typologischen Erklärung von Abel und Kain v. 7 f. mit der in der Praef. der Hamartigenia v. 55 f. gegebenen hinzu. – Endlich sei noch bemerkt, dass in einem Schreiben des Bischofs von Ostia, Georgius an Papst Hadrian vom Jahre 786 ein Vers des Dittochaeon (I, 3) mit dem Zusatz: dicente Prudentio angeführt wird. S. Alcuini Epp. ed. Jaffé p. 158. Es ist eine Sammlung von 49 hexametrischen Tetrastichen, durch welche ebensoviele Bilder erklärt werden, denen einzeln diese Tetrasticha beigefügt gewesen sein mussten, indem sie auf jene als vorstehend mit dem Pronomen › hic‹ direct hinweisen. Zu allem Ueberfluss sei hier noch angeführt – worauf bei dieser Gelegenheit früher nicht hingewiesen worden ist –, dass sich Tetrasticha auch sonst zur Erklärung von Bildern verfasst finden, wie die auf Bilder der zwölf Monate, allerdings im elegischen Versmass, gedichteten, welche dem Auson beigelegt werden, der auch sonst ja Tetrasticha verfasst hat. Man sieht, es war damals eine Modesache. Von diesen Bildern aber sind 24 aus dem Alten, 25 aus dem Neuen Testamente genommen. Liegt es auch an und für sich nahe zu vermuthen, wie ich in der ersten Ausgabe that, dass aus jedem der beiden Testamente eine gleiche Zahl von Bildern entnommen war, sodass also eins der Tetrastichen des Alten Testaments nicht überliefert wäre, so ist andererseits zu bedenken, dass die Art wie die Bilder angebracht waren, die ungleiche Zahl leicht bedingen konnte. So meint Rösler (S. 128): »Das letzte oder vielleicht die letzten drei der betreffenden Bilder waren wahrscheinlich von den übrigen abgesondert (im Chore) gemalt, während die andern in correspondirender Zahl aus dem alten und neuen Testamente die Seitenwände der Basilika schmückten.« (S. dazu seine Anmerkung). Ich glaube vielmehr, dass, wenn die Bilder in der Kirche angebracht waren, nur das letzte, der Apokalypse entnommene, von den übrigen getrennt war und den Triumphbogen der Apsis schmückte, da gerade ein solches Bild dazu verwandt zu werden pflegte. – Springer, Grundzüge der Kunstgeschichte S. 120, ist allerdings in Betreff der von Prudenz beschriebenen Bilder anderer Ansicht, indem er von seinen Tetrastichen bemerkt: »Sie beziehen sich schwerlich auf Wandgemälde, sondern auf kurzgefasste Bilderbibeln, welche dann Künstlern als Vorlagen dienten.« Bei genauerer Betrachtung der 290 Tetrasticha kann man sich von den Bildern, die sie erklärten, meist einen vollkommenen Begriff machen, und sie sind daher kunstgeschichtlich von nicht geringem Interesse. S. Allard, Rome au IV e siècle etc. p. 33 ff. Die Bilder waren theils historische: so war auf dem ersten das Paar der Erzeltern vor dem Sündenfalle dargestellt, auf dem zweiten das Opfer Abels und Kains und die Ermordung des erstern, auf dem dritten, wie die Taube mit dem Oelzweig zur Arche zurückkehrt u. s. w.; theils aber auch reine Landschaftsbilder wie XIV, der Hain Elim (Exodus c. 15, v. 27), oder XV, der Jordan mit zwölf Steinen (s. Jos. c. 4), oder XXVI, Bethlehem, oder XXXIII, der Teich Siloa Auch ein Landschaftsbild, aber mit historischer Staffage, war das im XXXIX. Tetrast. erklärte, der für den zurückgegebenen Judaslohn erkaufte Acker, im Hintergrund ( eminus) Judas sich erdrosselnd.; theils auch blosse Häuser Vgl. De Rossi, Roma sotteran. II, Tav. XIV. oder andere Architectur, so XXIV, das Haus des Ezechias (s. 4. Reg., c. 20), XL die Ruinen des Hauses des Kaiphas, XLI das Prätorium mit der Säule, woran Christus gegeisselt wurde, XXXVIII das geöffnete Grabgewölbe des Lazarus, oder V die Gruft der Sarah; selbst ein Stillleben scheint nicht gefehlt zu haben, indem XX bloss die königlichen Insignien Davids beschreibt. Die Motive, welche die Auswahl der Gegenstände bestimmten, sind nicht überall klar, zumal man nicht weiss, noch auch mit Sicherheit schliessen kann, wo die Bilder gemalt waren. Siehe S. 289, Anm. 3. Für eine Kirche spricht auch das weiter unten S. 303, Anm. 3 über Carm. natalit. IX und X des Paulin Bemerkte. Ganz unzweifelhaft aber waren sie vor der Abfassung des Textes gemacht, keine Illustrationen zu diesem. Die Auswahl der Sujets war also Sache des Malers. Soviel lässt sich indess in Betreff derselben sagen: einmal, dass die meisten der wichtigsten und bekanntesten Handlungen des alten Bundes sich finden – doch fehlen auch solche, wie der Untergang Sodoms, das Opfer Abrahams –, daneben aber manche unwichtigere Scenen aus demselben, die nur von typologischer Bedeutung erscheinen, wie das XX. und XV. Tetrastichon schon zeigen (im letztern weisen die zwölf Steine auf die Jünger hin, eine Beziehung, die von dem Dichter selbst auch hervorgehoben wird) v. 60; vgl. auch XIV, namentlich v. 55 f.; ferner was das Neue Testament angeht, so sind die wichtigsten 291 Momente aus dem Leben Jesu, und einige aus der Geschichte der Apostel dargestellt, das letzte Bild aber war der Apokalypse entlehnt. Eine gewisse chronologische Ordnung lässt sich nicht verkennen, wie dies Rösler bemerkt; auch lässt sich nicht leugnen, dass einzelne der Bilder auch ihrem Sujet und ihrer Bedeutung nach Pendants von den der Zahl nach entsprechenden des andern Testaments bildeten, aber es gilt dies nur von einzelnen; ebenso lässt sich eine typologische Beziehung der alttestamentlichen zu den neutestamentlichen nur in ein paar Fällen, wo sie auch offen zu Tage liegt, annehmen. – Rösler ist der gegentheiligen Ansicht, dass zwischen keinem Bilde und seinem Gegenstück die typologische Beziehung fehle (S. 137). Er führt aber den Nachweis in einer so künstlichen gesuchten Weise, dass, von allem andern abgesehen, mindestens der Maler unmöglich eine solche Beziehung im Sinne gehabt haben kann. Dass die Darstellung des Prudentius hier, zumal im Vergleich mit andern seiner Dichtungen, oft eine gar trockene ist, nimmt bei dieser innerhalb enger Schranken sich bewegenden Gelegenheitspoesie wenig Wunder. Das Fraglichste an diesem Werkchen ist ohne Zweifel sein Titel: der in den besten Ausgaben auf Grund einzelner Handschriften sich findende, Dittochaeon, erscheint räthselhaft, da die davon gegebene Erklärung Von διττὸς und ὀχή, in Hinsicht auf die beiden Testamente, woraus die Stoffe genommen. Der Titel ›Diptychon‹, der sich in 2 Mss. des 16. Jahrhunderts findet (nach Dressels Anmerkung S. 470), erscheint nur als eine gelehrte Conjectur des Zeitalters des Humanismus. Die Verschreibung Dittochaeon für Diptychon zu erklären, möchte etwas schwer fallen., zumal in Anbetracht der eigenthümlichen Natur des Werkes als eines blossen erklärenden Textes, vollständig abgeschmackt, auch grammatisch nicht zu rechtfertigen ist.

Wenn wir nunmehr die Dichtung des Prudentius noch einmal im Ganzen überblicken, so wird uns zunächst die Zahl und Mannichfaltigkeit seiner Werke auffallen: in der lyrischen, in der epischen und didaktischen Poesie hat er mit nicht wenigen und grösseren Dichtungen sich versucht. Er ist der productivste Dichter seines Zeitalters im Abendland überhaupt, aber nicht bloss durch die Zahl seiner Verse, sondern auch durch die Originalität seiner Schöpfungen. Er gab der ambrosianischen Hymne in seinen Cathemerinon den Charakter der christlichen Ode, indem er sie von dem blossen liturgischen Zweck emancipirend zum rein ästhetischen Kunstproduct machte; mochte seine 292 Hymne auch an Volksthümlichkeit und Sangbarkeit verlieren, sie ward aber ein eigenthümliches und zugleich selbständiges Kunstgebilde. In seinen Peristephanon aber schuf er zum Theil lyrisch-epische Dichtungen, die eine ganz neue, dem Alterthum fremde Kunstgattung zeigen, welche dagegen in der mittelalterlichen Volks- und in der modernen Kunstpoesie sich wiederholt und fortlebt. Da ist Prudentius mit am originellsten. Nun seine didaktisch-polemischen Dichtungen andererseits: auch hier keine geringe Verschiedenheit; nur die beiden ersten sind in gleichem Stile. Und hat er in ihnen wie in den Büchern gegen Symmachus auch prosaische Vorlagen gehabt, so bewegt er sich doch auch hier bald mehr, bald weniger mit schöpferischer Freiheit. Die Psychomachie aber ist wieder eine ganz originelle Schöpfung, die dem Mittelalter eine neue Kunstform liefert. Wie unbedeutend erscheint dieser Originalität des Prudentius gegenüber sein heidnischer Zeitgenosse Claudian, so sehr derselbe ihn auch an Anmuth und Correctheit des sprachlichen Ausdruckes und des Versbaues überflügelt.

In des Prudentius Dichtungen tritt uns eine specifisch christliche Poesie entgegen, und zwar nicht bloss in der christlichen Ideenwelt, die sie abspiegelt, sondern auch in des Dichters Auffassung und Benutzung der sinnlichen Erscheinung als Symbol des Gedankens wie in dem unmittelbareren und reicheren Ausdruck des Gemüths. Aber ähnlich wie wir schon bei den Apologeten Gelegenheit zu beobachten hatten, diese christliche Production ruht doch auf römisch-nationalem Grunde. Wie Prudentius selbst trotz seines Christenthums römischer Patriot blieb, für die Grösse der ewigen Roma, die das Christenthum nur verjüngen sollte, die lebhafteste Empfindung hatte, ebenso spricht aus seiner Dichtung der Römer nicht minder als der Christ. Seine Hamartigenia, in welcher das abstracte Denken nicht selten in ein wahrhaft poetisches Gewand sich zu kleiden vermag, erinnert an das klassische Werk des Lucretius: dieses Feld der didaktischen Dichtung war ja die Domäne des römischen Genius, wo er seine schönsten und eigenthümlichsten Lorbeeren gepflückt hat. Wie das lehrhafte, moralisirende Moment der lateinisch-christlichen Hymnenpoesie, das sie von der griechischen unterscheidet, im römischen Geiste war, und an ein ähnliches Element der horazischen Ode erinnert, ist schon oben bemerkt worden; ebenso wie die Vorliebe für die Allegorie 293 bereits in der heidnisch-römischen Kunst sich ankündigt. Aber der römische Nationalcharakter gibt sich in der Dichtung des Prudentius am lebhaftesten in dem Einfluss der Beredsamkeit kund, der sich hier auch sowohl vortheilhaft, als nachtheilig äussert. Einzelne schöne Stellen, wie namentlich in den Büchern gegen Symmachus, wo sie auch recht am Platz ist, rufen die Macht römischer Redegabe, wie sie ein Cicero, Livius und Virgil auf das glänzendste zeigen, uns zurück. Ich nenne auch Virgil, denn die lateinische Dichtung, und speciell das Epos, eines Virgil wie Lucan, das mythische wie historische, ist ja zum Theil ein Werk der Eloquenz. Aber die Beredsamkeit erscheint bei Prudentius auch als redselige Rhetorik, wie in manchen in den Peristephanon eingeflochtenen langen Standreden. Und ein künstlicher rhetorischer Wortgang tritt auch nicht selten an die Stelle einer poetischen Diction. – Andererseits bewährt sich in dieser christlichen Dichtung der klassische Genius überhaupt noch in der Kraft concreter Veranschaulichung, plastischer oder malerischer Schilderung: nur fehlt hier die Reinheit des Kunststils, die Feinheit des Geschmacks, ein Mangel, der sich namentlich auch in den schon oben gerügten detaillirten Beschreibungen der Folter und Leiden der Märtyrer findet. Aber diese Roheit, die sich in ihnen kundgibt, ist keineswegs bloss auf die Rechnung eines ästhetisch nachtheiligen Einflusses des Christenthums zu setzen, vielmehr mindestens ebensosehr auf die der römischen Natur, in der aller Hellenismus eine gewisse angeborene Härte und Wildheit nicht hatte vollkommen ausrotten können. Man vergleiche nur Seneca's Tragödien: und da ist die photographisch getreue Darstellung des Ekelhaften nicht einmal so zu entschuldigen, wie in analogen Schilderungen des Prudentius, wo das Leiden selbst der Heroismus ist.

 


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