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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Arator.

Die zweite Epoche dieser Periode, die wir etwa vom fünften Decennium des sechsten Jahrhunderts an rechnen können, und in die also Cassiodors literarische Thätigkeit noch hinüberreichte, ist, wie schon angedeutet, bei ihrer viel längern Dauer weit ärmer an Werken und noch mehr an Autoren (da einige derselben wenigstens recht fruchtbare waren), als die erste Epoche. Zumal sind der Dichter nur wenige: an ihrer Spitze, der Zeit nach, steht ein Poet, der einmal wieder einen Theil der Bibel in Hexametern zu behandeln sich zur Aufgabe gestellt hatte. Es ist Arator Aratoris De actibus apostolorum l. II et epistulae III; ex codd. mss. recens. suasque et aliorum observationes adiecit H. J. Arntzen. Zütphen. 1769. (Prolegg.). Leimbach, Ueber den Dichter Arator. In: Theol. Studien und Kritiken 1873., der Verfasser der zwei Bücher De actibus apostolorum . Er stammte aus der Provinz Ligurien und war der Sohn eines angesehenen, durch Gelehrsamkeit und Beredsamkeit ausgezeichneten Mannes. Vornehmlich in Mailand erhielt er seine Schulbildung, indem er zugleich der Protection des dortigen Bischofs und des seiner Familie nahe befreundeten Ennodius Dass unser Dichter der Arator ist, an welchen einige Briefe des Ennodius gerichtet sind, ist nicht zu bezweifeln; vgl. auch S. 515, Anm. 2. sich erfreute. Arator schlug dann die juristische Laufbahn ein, in welcher er durch seine Beredsamkeit als Anwalt sich sehr auszeichnete, namentlich auch durch 515 eine Rede, die er als Vertreter der Dalmatiner vor König Theoderich selbst hielt. Unter der Regierung von dessen Nachfolger Athalarich wurde er, noch jung, in den Staatsdienst gezogen, indem er zuerst comes domesticorum Dies Ernennungsdecret, dem wir die wichtigsten biographischen Notizen verdanken, ist uns in Cassiodors Variae VIII, ep. 12 erhalten., dann privatarum wurde. Nach dem Ausbruch des Krieges mit Byzanz aber, der das romanische Volkselement mit dem germanischen in dem ostgothischen Staat in offenen Conflict brachte, trat Arator unter dem Einflusse des Papstes Vigilius, wahrscheinlich während der Belagerung Roms durch Vitigis, in den geistlichen Stand ein, hier eine Zuflucht vor den Stürmen der Zeit suchend, und wurde Subdiaconus der römischen Kirche. Hatte er, wie er selbst uns mittheilt Ep. ad Parthen. v. 49 ff. Hiermit stimmt überein, was Ennodius an Arator schreibt, Epp. l. IX, 1., schon seit seinen Knabenjahren in der Profanpoesie sich versucht, so trachtete er nunmehr nach dem geistlichen Lorbeer. Jetzt hat er die oben genannte Dichtung geschrieben. Er widmete sie dem Papst Vigilius, welcher sie ihn, auf den Wunsch aller Literaten und Gelehrten Roms, alsbald öffentlich in der Kirche Petri ad vincula im Jahre 544 recitiren hiess. Der Vortrag fand an vier Tagen statt, da an jedem nur ein mässiger Theil gelesen werden konnte wegen der fortwährenden Wiederholungen, die der Beifall des Publikums verlangte. Diese interessante Nachricht gibt eine protocollarisch genaue Note in den Handschriften. In solcher Umwandlung hatten sich also noch die Versrecitationen des alten Rom erhalten: wie ja auch der Sinn für rhetorische Declamationen noch immer fortlebte. – Ueber die spätern Schicksale und den Tod Arators ist uns keine Nachricht geblieben.

Zwei Widmungen in Distichen gehen der Dichtung voraus, von welchen die eine an einen Abt Florianus ohne weiteres Interesse ist; desto mehr hat ein solches die andere, an den Papst Vigilius gerichtete. Der Autor gedenkt darin seines Uebertritts in den geistlichen Stand, so wie wir eben danach erzählten, und gibt uns über die Tendenz seiner Dichtung Aufschluss: er will nicht bloss, sagt er, der Geschichte folgend, die Handlungen, welche Lucas erzählte, in Versen singen, sondern auch was der Buchstabe darlegt, seinem mystischen Sinne nach erschliessen. 516 Und auf letzteres ist in der That vorzugsweise sein Absehen gerichtet. Leimbach hat die erwähnte Stelle der Widmung bei Beurtheilung der Dichtung gar nicht berücksichtigt. So schliesst sich denn Arator vielmehr an Sedulius, der ihm ja auch zeitlich weit näher steht, als an Iuvencus an. Nur ist die Neigung zu mystisch-allegorischer Erklärung, die bei Sedulius und auch schon bei Marius Victor, wie wir sahen, sich fand, bei unserm Dichter viel weiter entwickelt. Aber er hat sich auch sonst Sedulius zum Vorbild genommen. Auch seine Dichtung setzt nicht selten zu ihrem vollen Verständniss eine Kenntniss des biblischen Textes voraus, schon deshalb, weil manche Partien ganz übergangen sind, und zwar nicht nur Reden (wie die des Stephanus Act. Ap. c. 7), sondern auch Theile der Erzählung (z. B. Act. Ap. c. 8, v. 1–13), namentlich solche, welche die einzelnen Haupthandlungen mit einander verknüpfen; es kommt dem Dichter eben nur auf die letztern an, die gewöhnlich ohne alle Uebergänge, unverbunden hinter einander vorgeführt werden, wobei er indess durchaus den Gang des biblischen Textes einhält. Als Eingang gibt er, entsprechend den ersten 12 Versen der Apostelgeschichte, einen kurzen Bericht von dem Tod, der Höllenfahrt, der Erscheinung und der Himmelfahrt Christi, um dann auch, wie dort, auf die Wahl des Matthias überzugehen. Im ersten Buch, das 1076 Hexameter zählt, folgt er seiner Vorlage bis zur Errettung des Petrus aus dem Gefängniss durch den Engel (cap. 12), während das zweite Buch, 1250 Hexameter, die übrigen Kapitel bis zum Schlusse behandelt. Diese Eintheilung ist mit Ueberlegung gemacht, da in jenem Abschnitt der Apostelgeschichte ebenso sehr Petrus, als in diesem Paulus der Hauptheld ist. Was die Darstellung angeht, so tritt hinter der Betrachtung Die auch moralischer Natur ist, wie z. B. der Excurs über die verderbliche Liebe zum Gold, der sich an die Geschichte des Ananias knüpft I, v. 422 ff. und mystischen Deutelei des Textes die Erzählung in der Regel zurück, die frei ausgeführt, oft so kurz gefasst ist, dass auch ihr Verständniss eine Kenntniss des Bibeltextes voraussetzt; mitunter selbst wird diese direct gefordert, da die biblische Erzählung vom Dichter gar nicht reproducirt, sondern nur angedeutet wird, wie bei der Steinigung des Stephanus (I, v. 586 ff.) und der Bekehrung des Paulus (I, v. 708 ff.), also den 517 wichtigsten Begebenheiten. In der typica ratio aber der letztern, die darzulegen der Verfasser um so ausführlicher ist, spielt eine Hauptrolle die Zahlenmystik (auch wie bei Sedulius), auf die er sich nicht selten selbst allein beschränkt; es finden sich da die seltsamsten Combinationen, so wenn die Bedeutung der Zwölfzahl der Apostel aus der Multiplication von drei und vier erklärt wird, der Dreieinigkeit mit den vier Weltgegenden (I, v. 113 ff.). In dieser Beziehung gibt sich Arator zugleich als ein Zeitgenosse des Cassiodor zu erkennen. Ueberhaupt sind die Typen oft die allergesuchtesten, so dass ihre Deutung eine sehr umständliche ist. Vgl. z. B. I, v. 1027 ff. Die Darstellung, ohnehin im allgemeinen schwerfällig und ungelenk, wird dadurch noch ungeniessbarer: nur an einzelnen Stellen zeigt Arator einen schwungvollen Ausdruck, der mit Energie Klarheit und Reinheit verbindet; solche Stellen im Verein mit einem trotz mancher metrischen Verstösse wohlgebildeten Verse reihten unsern Dichter im Mittelalter unter die christlichen Klassiker ein, die auf den Schulen gelesen wurden. Wie u. a. das dem Eberhard von Bethune beigelegte Labyrinth zeigt. – So wird auch in einem Gedicht in Distichen der karolingischen Zeit, von einem Ioannes Foldensis didascalus, Arator mit Virgil verglichen und im Gegensatz zu diesem – allerdings zunächst des Inhalts seiner Poesie wegen – der Jugend empfohlen. S. Zeitschr. f. deutsch. Alterth. N. F. Bd. 6, S. 67 f. – Bemerkenswerth ist noch und für jene Zeit charakteristisch, wie sehr Petrus in der Dichtung über alle andern Apostel, namentlich auch Paulus, erhoben wird, und sogar im offenen Widerspruch mit dem Text der Apostelgeschichte selbst. So z. B. I, v. 490; oder II, v. 4, wo Petrus allein den Paulus zum Apostel weiht, vgl. damit Act. Ap. c. 13, v. 3.

Noch besitzen wir von Arator eine schon oben erwähnte längere Epistel in Distichen (102 V.) an Parthenius, einen angesehenen Beamten in Gallien, der, ein Neffe des Ennodius, ein naher, aber offenbar älterer Jugendfreund des Dichters war. Arator schrieb sie an ihn bei Uebersendung seines Gedichts, indem er der gemeinsamen Studien und ästhetischen Bestrebungen einst in Ravenna gedenkt, die aber der Freund leitete, welcher auch zuerst mit den christlichen Dichtern ihn dort bekannt machte. Hier wird v. 47 auch des Dracontius gedacht, da gewiss so, statt Decentius, zu lesen sein wird: die Verletzung des Metrums ist in beiden Fallen dieselbe. 518

 


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