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Neuntes Kapitel.

Augustinus.

Von so weit tragender Bedeutung als Hieronymus in formeller Beziehung für die Literatur des Mittelalters wurde, wurde in ideeller Augustin, der grösste und originalste Denker unter den lateinischen Kirchenvätern. Wenn in dem Kleeblatt der drei grossen Schriftsteller, welche diese und die Folgezeit beherrschen, Ambrosius der Charakter, Hieronymus das Talent ist, so Augustin das Genie. Durch ihn ging auch auf dem Felde der Speculation die Herrschaft vom Morgenlande auf das Abendland über. Seine reiche Individualität, an der das Gemüths- und das Geistesleben gleich viel Antheil hatten, hat den grossen Kampf der alten, heidnischen mit der neuen, christlichen Weltanschauung tiefer und bedeutender durchgekämpft, als irgend eine andere; und indem er im Spiegel der Erinnerung uns zu Zeugen desselben in einem seiner Werke macht, erhält seine Lebensgeschichte ein so grosses kulturgeschichtliches Interesse, dass auch wir länger bei ihr verweilen dürfen.

Aurelius Augustinus S. Aurelii Augustini opera omnia post Lovanensium theologorum recensionem castigata denuo ad mss. codd. etc. opera et stud. monachor. ord. S. Benedicti e congreg. S. Mauri. Ed. Parisina altera. 11 Tom. 1835 ff. – S. Augustini confessionum libri XIII. Auf Grundlage der Oxforder Edition herausgegeben und erläutert von K. v. Raumer. Stuttgart 1856. 2. Ausg. Gütersloh 1876. – S. Aur. Augustini De civitate dei libri XXII, iterum recogn. Dombart. 2 Vol. Leipzig 1877. – Aur. Augustini De rhetorica quae supersunt, in: Rhetores lat. minor. Ex codd. emend. C. Halm. Leipzig 1863. – S. Augustini Ars grammatica cum prolegg. ed. C. F. Weber. Marburg 1861 (Lectionskatal.). – – Böhringer, Die Kirche Christi und ihre Zeugen. Bd. I, 3. Abth. Zürich 1844. 2. umgearb. Ausg. Bd. XI, Stuttgart 1877 f. – Bindemann, Der heilige Augustinus. 3 Bde. Leipzig 1854–69. – Feuerlein, Die Stellung Augustins in der Kirchen- und Culturgeschichte, in Sybels Histor. Zeitschr. Bd. 22. 1869. – – Storz, Die Philosophie des heiligen Augustinus. Freiburg 1882. – Reuter, Augustinische Studien. Gotha 1887. wurde zu Thagaste, einer kleinen Stadt Numidiens, 354 geboren. Sein Vater, einer der Honoratioren der Stadt, war Heide bis kurz vor seinem Tode (371), die Mutter Monica dagegen eine begeisterte Anhängerin des 213 Christenthums, wie sich denn auch bereits ihre Eltern zu diesem bekannt hatten: so war der Gegensatz zwischen Heidenthum und Christenthum in der Familie selbst schon vertreten. Die vortreffliche Mutter, reich an Gemüth und von lebhaftem Geiste, vermochte recht zu zeigen, welche schöne Frucht das Christenthum im weiblichen Herzen tragen konnte. Sie wurde von grossem Einfluss auf den Sohn, der von dem Vater die afrikanische leidenschaftliche Natur geerbt hatte, indem ihre Liebe, die von ihm auf das lebhafteste erwiedert ward, die Keime zu allem Guten und Hohen in seiner Seele weckte und pflegte. Nachdem Augustins besondere Begabung, namentlich auch seine oratorische, bereits auf der Schule seiner Vaterstadt sich kundgegeben, wo er den ersten grammatischen Unterricht erhielt, und vor allen Autoren Virgil lieb gewann, während Homer wegen der Schwierigkeit, die die griechische Sprache ihm bereitete, ihn abstiess: bestimmte sein Vater ihn für die Laufbahn des Rhetor, auf der die Ziele des höchsten Ehrgeizes sich erreichen liessen, und sandte ihn mit nicht geringen Opfern zuerst nach Madaura, dann auf die Hochschule Carthago selbst, um Rhetorik zu studiren.

Obgleich aber Augustin hier in der gerichtlichen Beredsamkeit sich bereits sehr auszeichnete, bewies doch der tiefe und nachhaltige Eindruck, den Cicero's Hortensius auf ihn machte, wie seine Natur noch viel mehr für die Speculation berufen war. In diesem Buche, das eine Einleitung in das Studium der Philosophie war, fand er zuerst das Streben nach der Wahrheit, die Liebe der Weisheit als die höchste Lebensaufgabe hingestellt, die er mit um so grösserer Begeisterung ergriff, je mehr er durch die Bande der Sinnlichkeit, deren Last er tief empfand, sich gefesselt fühlte. Er wandte sich damals zuerst zu der heiligen Schrift, um dort die Wahrheit zu suchen, denn das Christenthum seiner Kindheit hatte, so zurückgesetzt es auch durch die heidnischen Studien geworden war, noch immer einen Platz in einem Winkel seines Herzens sich erhalten: er konnte die Wahrheit sich nicht von dem Namen Christi getrennt denken. Aber die Bibel stiess ihn schon durch die Form ab, sie erschien ihm nicht werth mit der Ciceronianischen Würde verglichen zu werden. Jene Tendenz indessen, im Einklang mit der geoffenbarten Religion das philosophische Ziel zu erstreben, blieb in ihm lebendig, und führte ihn nun in die Arme 214 der manichäischen Secte, in deren Lehre Heidenthum und Christenthum in seltsamer Weise verquickt waren. Ihre sinnliche Vorstellungsweise sagte ihm, der selbst noch in der Sinnlichkeit befangen war, nur um so mehr zu; und je härter der Kampf war, den er mit dieser führte, desto geneigter war er auch, den Dualismus der Secte anzunehmen, welcher ein böses Urwesen dem guten entgegenstellte. Indessen versenkte sich Augustin nie so tief in diese orientalische Theosophie, dass er darum seinen klassischen Studien untreu geworden wäre; ausser den Dichtern und Rednern Roms, namentlich dem ihm besonders theuern Cicero, las er mit Eifer Aristoteles und vorzüglich dessen Buch über die Kategorien.

Nachdem er ausstudirt, liess er als Lehrer der Rhetorik zuerst in Thagaste, dann in Carthago sich nieder. Hier wurde seinem Ehrgeiz manche Befriedigung, wie er denn unter anderm für ein Preisgedicht öffentlich gekrönt wurde. Hier war es auch, wo er sein erstes, leider nicht erhaltenes Werk De pulchro et apto verfasste, dessen Gegenstand recht sowohl die speculative Richtung, die sein Geist genommen, als die klassische Grundlage seiner Bildung zeigt, welche ihn davor bewahrte, in dem morgenländischen Manichäismus jemals ganz aufzugehen, wenn auch dessen Einfluss in der Ausführung des Werkes selbst noch hemmend sich geltend machte. Doch wurde dieser allmählich mehr und mehr erschüttert. Ein neuer Irrthum aber ward das Mittel, ihn von dem alten zu befreien. Augustin ergab sich der Astrologie, der damaligen Modewissenschaft, zumal in Afrika; diese aber führte ihn zu dem Studium der mathematischen und astronomischen Schriften, und sie erweckten ihm denn die ernstesten Zweifel an der Wahrheit des manichäischen Religionssystems, in dem Mond und Sonne ja eine wesentliche Rolle spielten. Als diese Zweifel ihm auch von dem bedeutendsten Weisen der Secte nicht gelöst werden konnten, und derselbe überhaupt als ein Mann von untergeordnetem Wissen sich ihm zeigte, erkannte Augustin, wie die vorgespiegelte, ihm noch vorenthaltene Weisheit der ›Auserwählten‹ der Secte auf keiner wissenschaftlichen Grundlage ruhen könne. So sagte er sich in seinem Innern von dem Manichäismus los, wenn er auch noch nicht äusserlich mit ihm brach.

Bald darauf, wohl im Frühjahr 383, verliess er Carthago und begab sich nach Rom. Schnell wusste er dort die 215 Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Kaum war er ein halbes Jahr da, als der Präfect der Stadt, Symmachus, von Mailand aus ersucht wurde, einen Lehrer der Rhetorik dorthin zu senden, dem ein namhaftes Honorar zugesichert wurde; und seine Wahl fiel auf Augustin. Die Uebersiedlung desselben nach Mailand wurde aber für seine innere Entwickelung von der grössten Bedeutung. Nach der Lossagung vom Manichäismus hatte sich Augustin der griechischen Philosophie mit Eifer zugewandt, und zwar der Lehre der Akademiker, da ihr Skepticismus dem seinigen entgegenkam; er bestärkte sich immer mehr in dem Zweifel an der Möglichkeit der Erkenntniss der Wahrheit: in Mailand aber kam er in den Bereich des mächtigen Einflusses des Ambrosius, dessen persönliche Bekanntschaft er bald suchte, und dieser Einfluss sollte den Anstoss geben, dass er sich dem Skepticismus allmählich entriss und dem Christenthum wieder zuwandte. Die weithin berühmte Beredsamkeit des Ambrosius lockte ihn in die Kirche; aber mehr noch als der Vortrag fesselte ihn bald der Inhalt seiner Predigten. Er sah manche seiner Zweifel und Bedenken gegen die kirchliche Lehre schwinden. Namentlich erschien ihm durch die allegorische Auslegungsweise des Ambrosius der ihm so anstössige Anthropomorphismus des Alten Testaments entfernt, und dieses zu dem Neuen in ein innigeres Verhältniss gesetzt. Zugleich musste diese Art der Bibelerklärung der speculativen wie der Phantasiethätigkeit des Augustin eine Nahrung geben, welche er früher gerade in dem Manichäismus gesucht hatte. Die Bibel hatte für ihn jetzt einen ganz andern Reiz. – Er schloss sich der Kirche wenigstens als Katechumene wieder an. Denn ganz, durch die Taufe, ihr anzugehören, konnte er sich noch nicht entschliessen: dafür war er noch nicht überzeugt genug, hier endlich die von ihm so lange gesuchte Wahrheit zu finden; forderte er doch noch für die Lehre der Religion eine mathematische Gewissheit. Der Skepticismus war in ihm noch keineswegs überwunden. Die wichtigsten Bedenken und Fragen quälten ihn: so die Immaterialität Gottes und der Ursprung des Bösen. Er fand keine oder eine unbefriedigende Antwort.

In dieser Zeit der bangen Zweifel fielen ihm einige in das Latein übertragene neuplatonische Schriften in die Hände; er studirte sie mit um so mehr Begierde, als er so manches der christlichen Lehre verwandte darin zu entdecken glaubte. Diese 216 platonischen Studien hatten allerdings auf ihn die bedeutendste Wirkung: sie reinigten ihn von seiner noch sinnlichen Vorstellungsweise, sodass er nunmehr endlich Gott rein geistig aufzufassen wusste, und in dem Bösen nur die privatio boni sah. Aber das Erlösungsbedürfniss seines Herzens war noch nicht befriedigt; da griff er zur Bibel wieder, und das Studium der Paulinischen Briefe war es denn insbesondere, welches ihn jetzt für die Lehre der Kirche von der Person Christi gewann. Nun fehlte zwar nichts mehr seiner christlichen Ueberzeugung, aber er fühlte, im Geiste seiner Zeit, dass, um ein wahrer, ein vollkommener Christ zu sein, auch ein asketisches Leben erforderlich wäre. Einen neuen langen und harten Kampf kostete es ihm, sich hierzu zu entschliessen. Sein Ehrgeiz schien näher als früher einer glänzenden weltlichen Laufbahn; er trug sich mit der Absicht, sich zu verheirathen, nachdem er ein langjähriges aussereheliches Verhältniss mit vielen Schmerzen gelöst; seine kräftige Sinnlichkeit machte ihm den geschlechtlichen Umgang zum Bedürfniss. Allem diesem irdischen Glück sollte er für immer entsagen! Ein Zufall kam ihm zu Hülfe. Ein afrikanischer Landsmann besuchte ihn; durch ihn hörte er zum ersten Male von dem heiligen Antonius, und von welcher ausserordentlichen Wirkung Athanasius' Lebensgeschichte desselben auf zwei ungelehrte, bereits verlobte junge Männer gewesen, die alsbald ihre Aemter niederlegten, um sich dem Einsiedlerleben zu widmen, während ihre Bräute, ihrem Beispiel folgend, den Schleier nahmen. Augustin fühlte sich so ergriffen und zugleich beschämt von dieser Erzählung, dass er nun nicht mehr länger zögerte, dem geistlichen Leben für immer sich zu weihen.

Er gab seine Lehrerstelle auf (386), und zog zunächst auf das Landhaus eines Freundes, in der Nähe von Mailand, Cassiciacum, um sich den Winter über auf die Taufe, die Ostern darauf stattfand, vorzubereiten, indem er dort im Kreise von gleichgesinnten Freunden und Schülern, sowie seiner Mutter und seines Sohnes Adeodatus, ein religiös und philosophisch beschauliches Leben führte, zugleich aber auch die ländlichen Arbeiten beaufsichtigte. Aus den philosophischen Conversationen, die er mit diesem Kreise pflog, in denen er wohl einen Ersatz für die aufgegebene Lehrthätigkeit suchte, gingen die ersten von ihm uns erhaltenen Schriften hervor, die aber noch keinen specifisch christlichen Charakter tragen, vielmehr von 217 seiner philosophischen Bildung, insonderheit seinem Platonismus, der allerdings in christlichem Geiste aufgefasst ist, Zeugniss ablegen. Auch nach seiner Rückkehr nach Mailand setzte er seine schriftstellerische Thätigkeit auf das lebhafteste fort, und zwar auch in der Weise des Lehrers, der sich jetzt der Feder statt der mündlichen Mittheilung bedient; er begann ein Werk über die sieben Disciplinen, die Grammatik, Musik, Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Philosophie, von welchen er aber nur die erste dort ganz vollendete, von der zweiten einen Theil wenigstens erst später, während die andern Bücher unvollendet blieben, indem er in diesen Wissenschaften nicht über die blossen Principien hinauskam. Retractat. I, c. 6.

Nach dem Empfang der Taufe (387) beschloss Augustin mit ein paar innigen Freunden nach der Heimath zurückzukehren, um dort in einer mönchischen Vereinigung sich Gott ganz zu weihen. Auf der Reise aber starb in Ostia Monica, die ihn begleitete. Hierdurch wurde die Uebersiedelung um ein Jahr etwa verzögert, während dem Augustin in Rom verweilte, wo er sein berühmtes dogmatisches Werk vom freien Willen und die Reihe seiner Streitschriften gegen die Manichäer begann, und also seine rein theologische schriftstellerische Thätigkeit eröffnete. Im Herbst 388 in Afrika angelangt, begab er sich mit seinen Freunden auf ein kleines Erbgut bei Thagaste, wo er mit ihnen drei Jahre lang, von der Welt zurückgezogen, der Contemplation, der Wissenschaft und auch der ländlichen Arbeit sich widmete, insoweit das Gütchen dieselbe noch erforderte, da er den grössten Theil seines Grundbesitzes zu Gunsten der Armen veräusserte. Er setzte dort demnach das Leben von Cassiciacum gewissermassen fort. Auch manche Schriften waren die Frucht dieses Stilllebens. Aber eine Reise nach Hippo regius entriss ihn demselben. Der Ruf seiner Frömmigkeit und Gelehrsamkeit war schon ein so grosser geworden, dass das Volk dort Augustin in der Kirche wider seinen Willen, wie es ähnlich dem Ambrosius geschehen, zum Presbyter wählte. 391 trat er die Stelle an; vier Jahre später wurde er bereits, obschon dies gegen das Herkommen war, zum Mitbischof von Hippo ernannt, auf den Wunsch des greisen Bischofs selbst, durch dessen baldigen Tod, ein Jahr später, das wichtige Amt ihm allein übertragen blieb.

218 In demselben entfaltete Augustin von Beginn eine ausserordentliche Thätigkeit, die auch an die des Ambrosius, der darin sein Vorbild war, erinnert: die Armen und Verfolgten fanden stets bei ihm eine Stütze und Zuflucht, Kriegsgefangene loszukaufen, gab er selbst die Kirchengeräthe hin, für die sittliche Erziehung seiner Gemeinde sorgte er unermüdlich; als Prediger glänzte er durch seine oratorische und dialektische Begabung, indem er frei, ja mitunter ganz unvorbereitet sprach. Zugleich aber bekämpfte er mit solchem Erfolg die verschiedenen ketzerischen Secten, die damals, und vornehmlich in Afrika, wucherten, namentlich die Manichäer, Donatisten und Pelagianer, dass die Kirche ihm hauptsächlich ihren Sieg über dieselben verdankte. Während dieser bedeutenden bischöflichen Wirksamkeit hatte Augustin doch dem beschaulichen Mönchsleben nicht ganz entsagt; er hatte auch in Hippo ein Kloster gegründet, in dem er seine Wohnung nahm. Es wurde die Pflanzstätte des Mönchthums für Nordafrika. Dort fand er denn auch noch die Musse, seine bedeutende schriftstellerische Thätigkeit fortzusetzen. Hier entstanden seine grössten Werke. Seine letzten Lebensjahre aber wurden sehr getrübt durch den beginnenden Zusammensturz des römischen Reiches, der Afrika gerade besonders erschütterte. Die Unabhängigkeitserklärung des Statthalters Bonifacius führte zu einem verheerenden Bürgerkrieg, in dessen Gefolge die verwüstenden Vandalen dort erschienen. Während Hippo von ihnen belagert ward, starb Augustin an einem Fieber im 76. Jahre seines Alters 430.

Die Zahl der Schriften des Augustin ist eine sehr grosse: er selbst zählt vier Jahre vor seinem Tode in seinen Retractationen Vgl. Retract. II, c. 67., auf die ich später zurückkomme, 93 Werke in 232 Büchern auf, wobei seine vielen Briefe und Predigten nicht gerechnet sind. Und er hat danach noch eine ganze Anzahl Bücher geschrieben. Bei weitem die meisten sind uns erhalten. Die grosse Mehrzahl liegt jedoch als rein theologisch unserer Betrachtung fern.

Zu den Werken Augustins, die in den Bereich der allgemeinen Literatur fallen, gehören aber gerade die zwei originellsten und genialsten, die er überhaupt verfasst hat, die Confessiones und die Civitas dei , die beide Jahrhunderte hindurch von 219 der ausserordentlichsten Wirkung auf unzählige Leser waren, ja, das erstere hat in literarischer Beziehung seinen directen Einfluss noch bis in die moderne Zeit erstreckt. Beide Werke lehren zugleich die Individualität Augustins am besten kennen, indem das eine uns in das Innere seines Herzens einführt, die Fülle und Mannichfaltigkeit seines Gefühlslebens uns erschliesst, während das andere in der grossartigen Weltanschauung, die es vor unsern Blicken entfaltet, den hohen Standpunkt seiner Geistesbildung, die Tiefe und Eigenthümlichkeit seines Denkens und den weiten Umfang seines Wissens uns offenbart. An beiden Werken hat zugleich die Phantasie keinen geringen Antheil, die sich in den Confessionen in der lebendigen Vergegenwärtigung der Vergangenheit, in der Civitas dei in dem kühnen Gemälde einer zukünftigen Welt zeigt. Beide Werke stehen also durch die Beziehung auf die Individualität ihres Verfassers, die sich in dem einen wie in dem andern auf das mächtigste ausdrückt, schon in einer nahen innern Relation, aber sie ergänzen sich, wie sich zeigen wird, auch in einem objectiven Sinne.

Die Confessionen, das ältere Werk, sind in 13 Bücher getheilt, von denen aber die drei letzten nur in einem losen Zusammenhang mit den übrigen, dem Hauptwerke, stehen. In den neun ersten Büchern erzählt Augustin seine Lebensgeschichte, d. h. hier die Geschichte seines innern Lebens, des sittlichen wie intellectuellen, bis zum Tode seiner Mutter 387, also bis zu seinem 33. Lebensjahre, indem er nach dem Bericht von der Bestattung derselben mit einem Gebet für sie das neunte Buch schliesst. Das zehnte aber soll dann zeigen, wie er selbst sich ausdrückt Conf. X, c. 3: Sed quis adhuc sim, ecce in ipso tempore confessionum mearum, et multi hoc nosse cupiunt qui me noverunt et non noverunt, qui ex me vel de me aliquid audierunt; sed auris eorum non est ad cor meum, ubi ego sum quicumque sum. Volunt ergo audire confitentem me quid ipse intus sim – –, wer er zu der Zeit war, wo er die Bekenntnisse aufzeichnete, d. h. was er innerlich war, den damaligen Standpunkt seiner Entwickelung, zehn Jahre nach dem Erzählten. Er verfasste nämlich das Werk etwa in seinem 43. Jahre. Das zehnte Buch bildet aber nicht bloss einen äusserlichen Epilog, sondern einen innern Abschluss der neun ersten: in diesen hat er seine Lebensgeschichte nicht viel weiter als bis 220 zu seiner vollen Bekehrung zum Christenthum, die seine Taufe besiegelte, geführt, er hat eben nur die Lebensperiode geschildert, wo er Gott, die Wahrheit, suchte, um sie endlich zu finden: in dem zehnten Buch zeigt er nun gewissermassen die Frucht, die sie in ihm getragen hat, wie jetzt seine Gotteserkenntniss, und wie sein sittlicher Stand ist, wie er sich zu den Versuchungen des Fleisches und der Welt verhält. In den drei letzten Büchern endlich wird eine Erklärung der Schöpfungsgeschichte der Genesis, oder genauer gesagt, Meditationen über dieselbe gegeben. Der Zusammenhang dieses Anhangs mit dem Hauptwerk wird allerdings von Augustin nur angedeutet: hat er in dem Vorausgehenden nämlich gezeigt, wie Gott ihn geleitet hat, dass er dahin gelangte, sein Wort zu predigen und sein Sacrament zu verwalten, so will er jetzt ein Zeugniss von diesem Berufe ablegen – wie weit sein Wissen und sein Nichtwissen gehe – und Gott mit der Schrifterklärung ein Opfer seines Gedankens und seiner Zunge darbringen, das er freilich nur der Erleuchtung durch ihn selbst verdankt. Dieser Zusammenhang der letzten Bücher mit dem Hauptwerk scheint mir namentlich durch folgende Stellen des c. 1, l. XI angedeutet: Ecce narravi tibi multa – – Quando autem sufficio lingua calami enuntiare omnia hortamenta tua, et omnes terrores tuos, et consolationes, et gubernationes, quibus me perduxisti praedicare verbum et sacramentum tuum dispensare populo tuo? Et si sufficio haec enuntiare ex ordine, caro mihi valent stillae temporum. Et olim inardesco meditari in lege tua et in ea tibi confiteri scientiam et imperitiam meam, primordia illuminationis tuae et reliquias tenebrarum mearum. – – Domine Deus meus, intende orationi meae – – Sacrificem tibi famulatum cogitationis et linguae meae; et da quod offeram tibi etc. etc. Hierbei ist sehr zu berücksichtigen, dass er bei Gelegenheit dieser Schrifterklärung und Betrachtung eine Anzahl principieller Fragen zum Theil tief eindringend behandelt, sowohl sehr wichtige dogmatische, wie die von der Trinität, als philosophische, wie die Lehre von der Zeit. So bilden die drei letzten Bücher eine bedeutende Ergänzung des zehnten, indem sie das Bild von dem Verfasser der Confessionen wesentlich vervollständigen.

Dies ist der Inhalt und die Composition des berühmten Werkes, das aber durch seine eigenthümliche Form erst seine grosse Bedeutung erlangt hat. Der Inhalt ist nämlich in der Form einer Beichte – und daher der Titel –, die Augustin vor Gott selbst ablegt, gegeben. Ihn redet er an, ihm zunächst 221 macht er seine Mittheilungen. Von seinem Leben will er ihm Rechenschaft geben, indem er ihm, dem Allwissenden, nichts verbirgt, um durch seine Reue der Gnade, der Verzeihung seiner Fehltritte theilhaftig zu werden. So tritt von selbst nicht bloss sein Handeln und Denken, sondern auch sein Gefühl in den Kreis seiner Darstellung; indem aber auf die Gesinnung alles bei Gott ankommt, geht Augustin auf die Motive seines Handelns mit grösster Sorgfalt ein und unterwirft das Menschenherz einer genauen psychologischen Untersuchung. Dieses spricht zugleich selbst in seinem Buche auf das beredteste: sei es, wo er Gott in uneingeschränkter Liebe sich hingibt, oder seine Sünden beweint, oder wo der Verlust der ihm auf der Erde Theuersten, wie eines Jugendfreundes, und vor allem seiner Mutter, noch in der Erinnerung den tiefsten Schmerz ihm erweckt. An solchen Stellen, und ebenso wo er seine Seelenkämpfe schildert, wie bei der Entschliessung zum asketischen Leben, erhält seine Darstellung eine so hinreissende Lebendigkeit, dass der Leser noch heute so ergriffen und gerührt wird, als wie ein gegenwärtiger Zuschauer. Die Darstellung hat da mitunter in der That etwas modern dramatisches, wie in dem Roman der neuern Zeit. Hatte also die Form des Buches, die den subjectiven Charakter sehr erhöhte, wesentliche Vorzüge in ihrem Gefolge, denen ganz besonders das Werk seine grosse Wirkung verdankte, so doch andererseits auch nicht unbeträchtliche Nachtheile. Die Untersuchung, die jedes Winkelchen des Herzens beleuchten zu müssen glaubt, verliert sich zuweilen ins kleinliche; und die häufigen und weitläufigen Apostrophirungen Gottes, namentlich bei der Erörterung solcher Kleinigkeiten, wenn auch diese immerhin ein Moment in der Entwickelung des Verfassers bezeichneten, können in den Gedanken desselben zwar wohl gerechtfertigt sein, nicht aber in Worten, die aller Welt mitgetheilt werden: so erwecken sie den Schein übertriebener Werthschätzung des eigenen Selbst, während sie den Leser ermüden. Dazu kommt die Manier, Bibelcitate, und namentlich aus dem Alten Testament, in den Ausdruck fortwährend einzumischen, die gerade an solchen Stellen vorzugsweise sich findet: sie gibt dem Stile eine geschmacklose Buntheit, Schwerfälligkeit und Dunkelheit. Sonst macht sich auch die Vorliebe für Antithesen, die den frühern Rhetor kennzeichnet, in dem Stile dieses Buchs in nachtheiliger Weise geltend; diese 222 Würze des Ausdrucks wird eben zu oft angewandt. Es zeigt sich in alle dem ein Mangel ästhetischen Geschmacks, der freilich der Zeit im allgemeinen und der Heimath Augustins im besonderen fehlte.

So interessant aber an sich schon ein Seelengemälde sein muss, wie es in der angezeigten Form Augustin entworfen, so wird doch das Interesse in unserem Falle noch aus einem doppelten Grunde wesentlich erhöht: einmal, weil der intellectuelle Fortschritt Augustins durchaus Hand in Hand mit seinem sittlichen geht, dann, weil der grosse weltgeschichtliche Gegensatz der heidnischen und christlichen Weltanschauung, und zwar in der Gestalt, wie er damals noch die Welt bewegte, in den verschiedenen Wandlungen der Entwickelungsgeschichte Augustins zum vollsten Ausdruck kommt. In dem Manichäismus tritt damals die orientalische Gnosis, in dem Neuplatonismus die abendländische Theosophie dem Christenthum, unter dessen directem und indirectem Einfluss sie sich selbst entwickelt hatten, entgegen: beiden hat ja Augustin gehuldigt, und nicht minder dem in der Schule der Akademiker vertretenen Skepticismus der grossen Masse der Gebildeten, wohl dem gefährlichsten Feinde des Christenthums. So bietet diese Lebensgeschichte, welche den Sieg des Christenthums über jene Gegner in einer bedeutenden Individualität darstellt, zugleich den tiefsten Einblick in die kulturgeschichtliche Bewegung jener Zeit, deren Verständniss sie uns in einer seltenen Weise erschliesst. Auch auf die spätere Zukunft des Mittelalters aber, wo das Christenthum die Alleinherrschaft über die Geister hatte, eröffnet sie bereits eine Perspective, wenn auch von weniger erfreulichem Anblick, in dem asketisch einseitigen Standpunkt, den Augustin selbst nach der Alleinherrschaft, die in ihm das Christenthum gewonnen, in seiner Selbstbetrachtung einnimmt, ein Standpunkt, vor dessen Urtheil schon weder die eigenen rein speculativen Bestrebungen, noch sein angeborener Sinn für das Schöne zu ihrem Rechte kommen können. So beklagt er im zehnten Buche (c. 32 f. und 35), dass er noch immer ausser der superbia , die voluptas und curiositas nicht ganz überwunden habe, und rechnet zu der voluptas auch die Freude an einem schönen Kirchengesang! Die curiositas aber ist ja stets der Antrieb der freien Forschung, namentlich der naturwissenschaftlichen, gewesen. Diese asketische Einseitigkeit des Buchs konnte auf 223 das Mittelalter ebensowenig ihre Wirkung verfehlen, als die hohe Bedeutung, welche hier die Individualität geltend macht, auf die neuere Zeit: so wurde dies Werk das Lieblingsbuch des Vaters des Humanismus, Petrarca's, so begeisterte es zu einer ähnlichen Schöpfung den eigentlichen Vorläufer der Literatur unseres Zeitalters, Rousseau.

Hat nun Augustin in den Confessionen die Führung des Individuums durch die Vorsehung, das Walten derselben in dem einzelnen Menschenleben in seiner eigenen Biographie nachgewiesen, so will er dagegen in dem andern berühmten Werke, der Civitas dei , die Leitung der Menschheit durch die göttliche Vorsehung in ihrem Entwickelungsgange zeigen. Diese erste Philosophie der Geschichte ist sowohl dem Inhalt als der Form nach ein ebenso originelles Werk als die Confessionen. Es hat sich dasselbe aber allmählich aus einer ursprünglichen Apologie entwickelt, wie es denn im Laufe von vierzehn Jahren, von 413–426, geschrieben, und auch stückweise publicirt worden ist. Wie wir von Augustin selbst erfahren, Civ. dei, l. V, c. 26: Quorum (sc. librorum) tres priores cum edidissem, et in multorum manibus esse coepissent, audivi etc. etc. S. auch Orosius, Histor. l. I, init. Diese Art der Abfassung ist nicht ohne Einfluss auf die Darstellung geblieben. Die Anregung aber zu dem Beginne des Werkes gaben dem Augustin die erneuten Angriffe der Heiden auf das Christenthum in Folge der Eroberung Roms durch Alarich, welches Ereigniss alle römischen Patrioten tief erschütterte. Den Ruin des römischen Staats, der sich hierin so auffallend offenbarte, gaben nämlich die Heiden dem Christenthum Schuld, das die Verehrung der Götter, welche Rom gross gemacht, aufgehoben, so nur die Anklage wiederholend, welche, wie wir sahen, die Apologeten von Anfang an zu widerlegen hatten. Indem nun aber Augustin dieselbe auf das Heidenthum zurückwirft, und hierbei die wahren Motive nicht bloss des Verfalls des römischen Staates, sondern der antiken Kultur überhaupt untersucht, aus dem Gesichtspunkt der neuen christlichen Bildung, der die Zukunft gehörte, und deren Principien und Ziele er darlegt, so erweitert sich die Apologie zu einer Geschichtsphilosophie, welche Vergangenheit und Zukunft, Erde und Himmel umfassend, den ganzen Verlauf der Geschichte der Welt von Anfang bis Ende von dem höchsten und universellsten Standpunkt zu ergründen versucht – ein Werk, das in 224 seiner grossartigen Conception jenes wichtigsten Wendepunkts in der Geschichte der Menschheit, wo die alte Welt von der neuen Abschied nahm, würdig, allein auch nur von einem Geiste verfasst werden konnte, der, so lange und tief in der heidnischen Weltanschauung befangen, nachdem er mit eigener Kraft mühevoll von ihr sich losgerissen, die neue mit solcher Hingebung und Begeisterung in sich aufzunehmen wusste.

Das Werk zu verstehen, ist bei der Eigenthümlichkeit seiner Ausführung eine genauere Kenntniss seiner Composition um so mehr nothwendig. Sie ist die folgende. Das Werk, welches aus 22 Büchern besteht, zerfällt in zwei Theile, von denen der erste, zehn Bücher umfassend, wesentlich apologetisch-polemischer, der zweite, die übrigen zwölf Bücher enthaltend, begründender, speculativer Natur ist. Der erste Theil, welchen wir zuerst betrachten wollen, zerfällt wieder in zwei Hauptabschnitte, von denen ein jeder fünf Bücher zählt. In dem erstern, Buch I–V, will Augustin, wie er in den Retractationen anzeigt, die Ansicht widerlegen, als sei der Polytheismus zum irdischen Glücke nothwendig, in dem andern Hauptabschnitt des ersten Theils, Buch VI–X, dagegen die, als sei derselbe wegen des zukünftigen Lebens nach dem Tode nützlich. Der erste Hauptabschnitt gliedert sich aber wieder nach Augustins eigener Angabe Civ. dei, l. I, c. 36 und vgl. l. IV, c. 2; über den Vorwurf des ersten Buchs s. l. II, c. 2. dreifach: a) Buch I, gewissermassen das Präludium; Augustin zeigt die Undankbarkeit der Heiden, welche die Eroberung Roms mit den Leiden, die sie in ihrem Gefolge hatte, dem Christenthum Schuld geben, da doch gerade diesem so viele der Heiden selbst durch das Asyl der Kirchen ihre Rettung verdankten; ausserdem wird hier hauptsächlich nur noch die, auch von Seiten der Heiden mit Bezug auf die Christen, aufgeworfene Frage: warum die Frommen zugleich mit den Gottlosen von dem Unglück in dieser Welt betroffen würden, erörtert, besonders zum Troste der von den Barbaren geschändeten christlichen Frauen; b) Buch II–III, Nachweis, wie viel Elend Rom und seine Provinzen schon vor dem Christenthum und dem Verbote der Opfer getroffen hat; und zwar werden die moralischen Uebel im zweiten, die materiellen im dritten Buche behandelt; c) Buch IV–V, Nachweis, welchen sittlichen 225 Eigenschaften die Römer und aus welchem Grunde den Beistand Gottes zu ihrer staatlichen Grösse verdankten, zu welcher nicht ihre Götter ihnen verholfen haben. Damit wurde allerdings aller Grund und Boden der Anklage der Heiden entzogen. Dieser erste Hauptabschnitt war wesentlich für das grosse Publikum bestimmt, für die imperiti S. l. II, cap. 3, und vgl. l. V, cap. 26 den letzten Absatz, auch l IV, cap. 1. Der zweite Hauptabschnitt des ersten Theils aber ist gegen die Philosophen, und namentlich die herrschende Schule der Neuplatoniker gerichtet, welche die Vorurtheile des grossen Haufens, die Augustin im ersten widerlegt hat, nicht theilten, die aber durch ihre Philosophie den Polytheismus retten wollten, wie sie ihn denn in ihr System selbst aufgenommen hatten.

Indem ich nun zu einer gedrängten Analyse des Hauptinhalts, und zwar zunächst des ersten Theils übergehe, bemerke ich, dass einer solchen nicht bloss die Fülle des Stoffs, sondern viel mehr noch die Eigenthümlichkeit der Form des Werks grosse Schwierigkeiten bereitet. Augustin hält durchaus nicht einen stricten Gang der Darstellung inne, vielmehr schweift er fortwährend von der Hauptstrasse ab auf kleinere Seitenwege, die allerdings meist, nicht selten aber kaum bemerklich, auf jene zurückführen, mitunter auch gar weite sind. Einzelne Momente des Hauptthemas werden für sich, in Gestalt von selbständigen Artikeln behandelt, ohne dass der Faden, der das Stück mit dem Ganzen verbindet, dargelegt wäre, zumal häufig auch bloss eine Seite des einzelnen Moments und zwar mit der Absicht des pars-pro-toto behandelt wird. Wenn man die Kapitelüberschriften eines der Bücher durchläuft, kann man glauben, es bestände dasselbe nur aus einer Reihe von Essais. Und in der That erinnert die Darstellung zuweilen an das Werk des Montaigne. Die Mannichfaltigkeit des Inhalts ist eine ganz ausserordentliche. Die Excurse sind theils moralischer, theils historischer, theils speculativer Natur, und aus dem Bereich der verschiedensten Wissenschaften der Stoff genommen. Unsere Analyse kann sich also nur auf den Hauptinhalt beschränken, indem ich namentlich versuche, den rothen Faden des allgemeinen Gedankengangs in dem verwickelten Gewebe zu verfolgen.

226 Nachdem Augustin im ersten Buche in der Erörterung der oben angeführten Frage gezeigt hat, dass, wenn zwar Guten und Bösen äusseres Glück und Unglück auf dieser Welt gemeinsam sein muss, doch das Unglück für jene nur eine Prüfung, für diese aber eine Strafe ist, wobei er denn die schlimmsten Unfälle, welche auch die Christen bei der Einnahme Roms getroffen haben, zu ihrem Troste namentlich, ins Auge fasst: geht er im zweiten Buche von dem Gedanken aus, dass der Polytheismus nicht bloss das äussere Unglück, dessen relative Natur eben gezeigt worden ist, ebensowohl zuliess, sondern auch das wahre, absolute Unglück, das moralische, die mala morum et animorum, zu vermindern nichts gethan hat, vielmehr das gerade Gegentheil. Letzteres beweisen recht die Schauspiele (c. 8 ff.), in welchen eben der Polytheismus am längsten fortlebte. Die Götter verlangten sie als einen integrirenden Theil ihres Kultus, obgleich sie selbst in ihnen herabgewürdigt werden. Sie wurden sogar von der sittlichen Natur der Römer beschämt, die wenigstens die Schauspieler von allen Ehren ausschlossen. Was lässt sich von solchen Göttern halten? – Sie gaben den Römern keine Gesetze, sie leiteten sie nicht zur Sittlichkeit an. Etwa, weil diese einer solchen Anleitung nicht bedurften (c. 17)? Man blicke auf die ersten Anfänge ihrer Geschichte; mit Carthagos Untergang aber wurde der sittliche Verfall immer grösser. Wenn nun aber die römische Nation vor Christus an solchen moralischen Uebeln zu leiden hatte, die den Ruin ihres Staates begründeten, und die Heiden sie nicht einmal ihren Göttern Schuld zu geben wagen, wie können sie die gegenwärtigen Leiden Christus zuschreiben, der ja den entsittlichenden Götterdienst verbietet, und die irdischen Begierden verdammend die Seinigen allmählich der krankenden und verfallenden Welt entzieht? Die Götter also, welche die Römer ohne Gesetze liessen, deren sie bedurften, ihnen keine solche, wie die Bibel, gegen die Ueppigkeit und die Habsucht gaben, sie sind an dem Verfall des römischen Staates Schuld. Freilich den Verehrern der Götter liegt nichts daran, ob das Gemeinwesen moralisch schlecht ist; es ist ihnen nur um Wohlstand, Ruhm und Frieden für dasselbe zu thun (c. 20). Aber die bösen Dämonen, denn dafür hält auch Augustin jene Götter, haben auch direct, wie er hier weitläufiger nachweist, zum sittlichen Verderben Roms beigetragen (c. 23 ff.). Und von diesem 227 höllischen Joche unreinster Mächte ist die Welt nur durch Christus befreit worden. Mit einer schwungvollen Apostrophe an das römische Volk, nun zwischen beiden zu wählen, schliesst das zweite Buch.

Im dritten aber zeigt Augustin, wie auch die materiellen Uebel, die mala carnalia – die einzigen, welche die Bösen nicht erdulden wollen, weil sie auch bloss materielle Güter geniessen wollen – vor dem Christenthum nicht minder die Römer und ihr Reich heimsuchten, wie Hungersnoth, Pest, Krieg, Plünderung, Gefangenschaft, Metzelei. Es bezeugt dies schon der Fall Trojas, der Stammmutter des römischen Volkes. Er gedenkt dann einer ganzen Reihe von Unglücksfällen desselben, und fragt: wo waren denn eure Götter, als dies geschah? – Die Grösse des römischen Reiches, die auf Kosten so vielen Elends, das die Kriege mit sich führten, erworben wurde, scheut er sich nicht, schon hier geradezu zu verwerfen: ist es nicht auch für den Menschen besser, bei einer mässigen Statur gesund zu sein, als ein Riese mit kranken Gliedern (c. 10)? – Am Schluss vergleicht er noch den Einfall der Gothen mit dem der Gallier und dem Bürgerkriege des Marius und Sulla, um darzulegen, wie viel schlimmer noch diese Rom trafen. Mit welcher Stirn wagt man also jene Calamität dem Christenthume Schuld zu geben!

Nach einem Rückblick auf die zwei vorausgehenden Bücher weist Augustin im vierten zunächst nach, dass die Römer die Grösse und lange Dauer ihres Reiches – so wenig Grund man auch jener sich zu rühmen hätte, da sie bei den immerwährenden Kriegen und den steten Sorgen in ihrem Gefolge den Menschen kein Glück gewährte – nicht, wie sie es behaupteten, den Göttern verdankten. Welcher oder welche sollten es denn aus ihrem Schwarme sein (c. 8)? Sie hätten ja alle – zumal die echt römischen – ihre besondern Geschäfte, sodass nichts allgemeines irgend einem einzigen anvertraut wurde. Oder war es etwa Jupiter? Auch diese Ansicht muss verworfen werden; das Glück hätte es sein müssen, Felicitas, die lange gar nicht von den Römern verehrt wurde (c. 23). Aber sie ist nur ein Geschenk Gottes. Hier macht bereits Augustin einen längern polemischen Abstecher in das Gebiet der griechisch-römischen Mythologie. Hätten diese Götter die Weltherrschaft gewähren können, bemerkt er sehr treffend (c. 28), so würden sie dieselbe 228 den Griechen gegeben haben, die sie, zumal durch die Schauspiele, würdiger verehrten. Vielmehr ist es der eine wahre Gott, der Urheber und Geber des Glücks, der auch die irdische Herrschaft ( regna terrena ) verleiht, sowohl den Guten als den Bösen (c. 33). Gedieh doch durch ihn das kleine Volk der Juden, das jene Götter der Römer nie verehrt hat, zu grösserer Wohlfahrt als diese, bis es ihm untreu wurde; dann wurde es freilich in alle Welt zerstreut, um durch seine heiligen Bücher zu beweisen, wie die Zerstörung des Heidenthums so lange vorher prophezeit war, damit man dies nicht etwa, wenn es in den unserigen gelesen wurde, für von uns erdichtet hielte. Hiermit schliesst das vierte Buch.

Das fünfte beantwortet nun erst die Frage, aus welchem Grunde Gott das römische Reich so gross und so lang dauernd wollte. Denn es ist sein Werk; auch nicht das des Zufalls oder des Fatums. Letzteres setzt man gewöhnlich in den Einfluss der Gestirne: und dies veranlasst hier Augustin zu einem längern polemischen Excurs gegen die Astrologie; versteht man aber (wie die Stoiker) unter Fatum die Verknüpfung und Reihenfolge aller Ursachen ( connexio et series omnium causarum ), wodurch alles was geschieht, geschieht, so ist, sobald jene dem Willen und der Macht des höchsten Gottes zuertheilt wird, Fatum nur ein unschicklicher Ausdruck für göttliche Vorsehung (c. 8). Von dieser und namentlich dem Verhältniss des Vorauswissens Gottes zum freien Willen des Menschen handelt dann ein neuer längerer Excurs; worauf erst zur Hauptfrage übergegangen wird (c. 12). Es verdanken die Römer aber die Weltherrschaft der Ruhmbegierde, aus welcher zuerst die Liebe zur Freiheit, dann, andern Nationen gegenüber, die Herrschsucht entsprang. Der Weg, auf dem sie dem Ruhme nachstrebten, war zuerst die virtus . Der Ehrgeiz, an sich zwar ein Laster, erscheint doch in jener vorchristlichen Zeit insofern eine Tugend, als er viele andere schlimmere Laster, wie die Geldgier, unterdrückte. Und so erwarben die Römer von Gott die Weltherrschaft, aber mit diesem Ruhme hatte auch ihre virtus ihren Lohn dahin. Und hier stellt schon Augustin jener civitas terrena , dem irdischen Weltreich, das ewige, die civitas caelestis gegenüber (c. 15 f.). Auch dieses Reichs Gottes wegen ist das römische Imperium zur menschlichen Herrlichkeit ( ad humanam gloriam ) erweitert worden, damit nämlich seinen Bürgern der Patriotismus der Römer 229 zeige, wie viel Liebe sie selbst dem himmlischen Vaterlande schulden, für den Lohn des ewigen Lebens, wenn schon das irdische von den seinigen um des Ruhms vor den Menschen willen so sehr geliebt worden ist. Das soll auch die Frommen vor geistlicher Hoffart schützen. Denn was ist es grosses, für das ewige Vaterland den Freuden dieser Welt zu entsagen, wenn für das irdische ein Brutus das Leben seiner Söhne hingeben konnte (c. 18)? – Ein lebhaftes Gefühl für die römische Grösse durchdringt diese ganze Darstellung, in der noch mancher andern Grossthaten der Römer gedacht wird.

Dies ist also in seinen Hauptzügen der Inhalt des ersten Hauptabschnittes des ersten Theils. Indem Augustin nun in dessen zweitem Hauptabschnitt, wie oben bemerkt, sich die Aufgabe stellt, nachzuweisen, dass der Polytheismus zum ewigen Leben ebenso wenig nütze, als – wie er im ersten Hauptabschnitt zeigte – zum gegenwärtigen: gibt er zunächst eine eingehende Kritik der antiken Mythologie nach der ältern und damals noch gewöhnlichen Auffassung, wie sie in dem berühmten Werke Varro's sich fand, dem ausführlichsten und bedeutendsten über diesen Gegenstand. Dies legt er seiner Untersuchung hier zu Grunde Wir verdanken diesem Umstand nicht bloss eine genauere Kenntniss dieses Theils des wichtigen verlorengegangenen Werkes (der Antiquitates rerum humanarum et divinarum), sondern auch verschiedene wörtliche Auszüge aus demselben., indem er nur weiter ausführt, was er bereits im vierten Buche begonnen. Varro unterschied aber drei Arten der ›Theologie‹, die theologia fabulosa, naturalis und civilis , die Religion der Dichtung, namentlich des Theaters, die der Philosophen und die des Staates. Augustin behandelt nun zunächst im sechsten Buche die erste und letzte, indem beide nach ihm zusammenfallen, die Religion der sacra im wesentlichen sich nicht von der des Theaters unterscheide (c. 7); er zeigt hier ihre Unsittlichkeit und Absurdität. Im siebenten Buche setzt er anfangs dies Thema fort, indem er die dii selecti , die höhern Götter, noch besonders betrachtet; darauf aber geht er hier zu der theologia naturalis des Varro über, um darzulegen, dass auch durch die physische Interpretation des Stoicismus, welche Varro adoptirt hatte, der Polytheismus sich nicht retten lässt.

Mit dem achten Buche kommt er erst auf den Hauptgegenstand dieses Abschnittes, die theologia naturalis seiner 230 Zeit, die philosophische Auffassung der Mythologie von Seiten des Neuplatonismus, in dessen Systeme erst die hier von Augustin behandelte Frage eine Rolle spielt. Zuerst zeigt Augustin wie die Platoniker alle andern Philosophen in ihrer religiösen Ansicht übertreffen, dem Christenthum am meisten sich nähernd, dann aber, in diesem und den beiden folgenden Büchern, wie unhaltbar ihre Lehre von den Göttern und den Dämonen ist, die in ihrem System zu Vermittlern zwischen dem Menschen und Gott gemacht werden. Der einzige wahre Mittler ist vielmehr, so führt er am Schlusse dieses Abschnittes aus, Christus, und seine Religion erst der von jener Philosophie gesuchte ›allgemeine Weg der Befreiung der Seele‹, der Erlösung (l. X, c. 32). Durch die Incarnation der Gottheit in Christus ist die doppelte Wahrheit offenbart, dass die Gottheit auch im Fleische nicht verunreinigt wird, und dass die Dämonen deswegen nichts besseres als die Menschen sind, weil sie nicht im Fleische leben. S. Baur, Gesch. der christl. Kirche II, S. 47. So ist der Dualismus zwischen Geist und Materie aufgehoben, über welchen die antike Weltanschauung nicht hinauskommen konnte. Indem aber Augustin jene Dämonologie aus dem Gesichtspunkt der aus dem Judenthum stammenden christlichen Engellehre betrachtet, als wäre diese die Wahrheit von jener, setzt er an die Stelle der Hierarchie des Neuplatonismus eine christliche: so wenig auch die Engel als geschaffene Wesen ›Mittler‹ sein können, bilden sie doch gewissermassen die höchste Curie in dem Reiche Gottes, und ihnen folgen auf nächster Stufe die heiligen Menschen als die christlichen Heroen. Vgl. namentlich l. X, c. 1 und c. 21.

So, sieht man, schreitet Augustin in dem ersten Theil seines Werkes schon vielfach von der Negation zur Position fort, den zweiten vorbereitend. Hier soll nun die Wahrheit des Christenthums und die Bedeutung desselben in seinem Gegensatz zum Heidenthum, in einer Betrachtung des weltgeschichtlichen Entwickelungsgangs dargelegt und erwiesen werden. Ist Augustin im ersten Theil von der Gegenwart, dem Verhältniss des Christenthums seiner Zeit zum römischen Staat ausgegangen, so wird der letztere hier zum allgemeinen Begriff des irdischen, unchristlichen Gemeinwesens, der civitas terrena , generalisirt So bemerkt richtig Böhringer, 2. Ausg. Bd. XI, 2, S. 183. Dass mit dieser Generalisirung aber der römische Staat als solcher noch nicht im zweiten Theile verschwindet, versteht sich von selbst, denn von der heidnischen historischen Grundlage konnte der Verfasser bei ihr gar nicht absehen. Dies sei einem Einwurf Reuters (August. Stud. S. 126) gegenüber bemerkt., 231 wie ja das römische Reich – der Erbe der vorausgegangenen Weltreiche und das letzte auch für die Zukunft – das Weltreich κατ' ἐξοχὴν war; und andererseits wird hier das Christenthum seiner Zeit zum allgemeinen Begriff des himmlischen Gemeinwesens, der civitas caelestis , von ihm universalisirt. Diese beiden civitates sind die Factoren der ganzen geschichtlichen Entwickelung, nur dass auf dieser Welt die himmlische civitas mit der irdischen bis zum Untergang der letztern ›verflochten und vermischt‹ ist, indem ihre Bürger, die Frommen, hienieden nur Pilger unter den Gottlosen sind. Den Ausgang, Verlauf und das Ende oder Ziel der beiden Gemeinwesen zu schildern, ist nun die Aufgabe, die Augustin in dem zweiten Theil dieses Werkes sich gestellt hat l. XI, c. 1., das, obgleich überhaupt von den beiden civitates handelnd, doch von der bessern, wie er sagt, seinen Titel erhalten hat. Extractat. 1. l. Der Aufgabe entsprechend, gliedert sich der zweite Theil in drei Hauptabschnitte, von welchen jeder vier Bücher umfasst, indem der erste, Buch XI–XIV, den Exortus , der zweite, Buch XV–XVIII, den Procursus , der dritte, Buch XIX–XXII, die Fines debiti der beiden civitates zum Gegenstand hat.

Der erste Hauptabschnitt zeigt, wie der Grund zu den beiden civitates gelegt wird. Die civitas dei beginnt eigentlich mit der Schöpfung, und zwar der der Engel, insofern sie einen wesentlichen Theil dieser civitas bilden. Aber ein Theil der Engel fällt von Gott ab, sie werden das Princip des Heidenthums, indem sie die Dämonen sind, die von demselben als Götter verehrt werden. So liegt auch der erste Anfang der civitas terrena , die ja auch als civitas diaboli bezeichnet wird, im Jenseits. Indem Augustin diese Anfänge der beiden gegensätzlichen Gemeinden, der Frommen und der Gottlosen, im elften Buche darlegt, geht er zugleich auf die wichtigsten Fragen über die Schöpfung der Welt, die Natur der Engel (c. 9), das Wesen des Bösen ein, das eine blosse Negation des Guten, von Gott nur gleichsam als Antithese zugelassen sei, zur Hervorhebung der Tugend und damit zur Verschönerung der Welt 232 (c. 18 und 22). Diese Erörterungen werden im Anfang des zwölften Buches fortgesetzt, und zugleich gezeigt, wie in sittlicher Beziehung die Natur der Engel und der Menschen dieselbe ist, sodass sie eine Gemeinschaft bilden können, und daher nur zwei civitates , nicht vier anzunehmen sind (c. 9). Augustin geht dann auf die Schöpfung des Menschengeschlechts über, das von einem einzigen seinen Ausgang nimmt, im Gegensatz zu den Thieren, damit die Menschen alle sich als Verwandte betrachten und lieben sollen (c. 21). Die der Bibel widersprechenden Ansichten der Philosophen über das Alter des Menschengeschlechts und der Welt, und namentlich die von einem ewigen Kreislauf der Dinge werden von Augustin dabei ausführlich bekämpft. Das dreizehnte Buch aber geht von dem Sündenfall der Erzeltern aus, um speciell von dem Tode zu handeln, den er zur Folge hatte. Die Beziehung der Sünde zu dem Tod, die Unterscheidung eines Tods der Seele und des Körpers, ihr Verhältniss zu einander, die Frage: ob irdische Körper ewig dauern können (sowohl im Hinblick auf den Fall, dass die Erzeltern nicht gesündigt hätten, als auf die Auferstehung der Heiligen), bilden hier die Hauptthemata. Im vierzehnten Buche, dem letzten dieses ersten Hauptabschnittes, endlich bildet die Sünde den Gegenstand der Untersuchung; einmal im allgemeinen, ihr Wesen, ihre Grundursache, die im Willen und nicht in der Sinnlichkeit liegt, dann im besondern die erste Sünde und die Gerechtigkeit der Strafe, die sie getroffen hat (c. 15), der Verdammung des Menschengeschlechts nämlich, von welchem nur eine gewisse Zahl durch Gott zu Bürgern seines Reiches aus Gnade prädestinirt ist (c. 26). Die qualitative Verschiedenheit dieser civitas und der civitas terrena wird dann am Schluss noch gekennzeichnet: eine doppelte Liebe machte sie, die irdische civitas die Selbstliebe bis zur Verachtung Gottes, die himmlische dagegen die Liebe Gottes bis zur Verachtung des eigenen Selbst; ebenso ist ihr Ruhm ( gloria ) verschieden; die eine sucht ihn bei den Menschen, die andere bei Gott; auch ihre Weisheit ist eine verschiedene: in der himmlischen gibt es keine Menschenweisheit als die Frömmigkeit.

Nachdem nun also, um mit Augustins eigenen Worten zu reden, der Exortus der beiden Gemeinwesen in den Engeln wie in dem ersten Menschenpaar dargestellt worden ist, geht er in dem zweiten Hauptabschnitt zu dem Verlaufe derselben, 233 ihrem Procursus , über. Der grosse Gegensatz stellt sich auf Erden zuerst in Kain und Abel dar. Kain, ein Brudermörder wie Romulus, ist hienieden der erste Gründer des irdischen Gemeinwesens (l. XV, c. 5): von ihm ist ja geschrieben (Gen. IV, 17) dass er eine civitas baute; Abel aber, gleichsam ein peregrinus , baute keine, er nach den Erzeltern der erste Bürger des himmlischen Gemeinwesens auf Erden, welche hier ja Fremdlinge sind, bis die Zeit ihres Reiches kommt. l. XV, c. 1, vgl. auch c. 15. Dieses fünfzehnte Buch behandelt dann, der Genesis folgend, das erste Weltalter S. in Betreff der Weltalter und Generationen hier und beim Folgenden l. XVI, c. 43 und l. XXII, c. 30., das der infantia , welches bis zur Sündfluth geht, indem der betreffende Abschnitt der Bibel zum Gegenstand der mannichfaltigsten Betrachtungen gemacht wird, nicht bloss den Grund der Dinge zu erklären, wobei denn auch die allegorische, typische Auffassung ihre Stelle findet, sondern auch Fragen der Moral, Naturkunde u. s. w. zu beantworten, so über die Ehe von Blutsverwandten (c. 16), über die Langlebigkeit und die Grösse der damaligen Menschen (c. 9 ff.) u. s. w. Im sechzehnten Buche wird in derselben Weise zunächst die Geschichte der beiden civitates bis auf Abraham fortgeführt; es ist das zweite Weltalter, das der pueritia , das eben so viele Generationen als das erste, nämlich zehn, zählt. Der Gegensatz der beiden civitates tritt nach der Sündfluth von neuem wieder zuerst in Sem und Japhet, den von Noah gesegneten, und in Cham, dem von ihm verfluchten Sohne, auf; unter den Nachkommen jener beiden aber, wie unter denen dieses, gab es höchst wahrscheinlich nicht bloss Bürger der einen oder der andern civitas , die irdische erscheint aber recht in dem Thurmbau von Babel. – In den von Abraham an folgenden beiden Weltaltern wird zunächst nur der Fortgang der Gottesstadt ins Auge gefasst, indem in diesem Buche noch (von c. 12 an) das dritte Weltalter, der adulescentia , welches mit Abraham beginnt und bis auf David geht, behandelt wird. Es zählt vierzehn Generationen ebenso wie die beiden folgenden. Die Geschichte des Abraham, Isaac und Jacob bildet in diesem Abschnitte den Hauptgegenstand der Betrachtung, während die folgende nur in aller Kürze abgethan wird. In Jacob und Esau kommt der grosse Gegensatz wieder recht zur Erscheinung: 234 der Segen der Patriarchen pflanzt gleichsam die civitas dei fort. – Dem vierten Weltalter, der iuventus , das von David bis auf die babylonische Gefangenschaft reicht, ist das siebzehnte Buch gewidmet. Hier wird vornehmlich der Prophezeiungen auf Christus, namentlich in den Psalmen, gedacht, indem in ihnen die Idee der civitas dei am lebendigsten und reinsten wirkt.

Das achtzehnte Buch dient einmal zur Ergänzung der beiden vorausgehenden: die Darstellung des Fortgangs der civitas terrena seit Abraham soll hier zunächst nachgeholt werden. S. l. XVIII, c. 1. Dies geschieht denn, aber äusserst kurz und in der springenden Manier des Werkes. Das irdische Gemeinwesen spaltet sich durch seinen Egoismus in Sieger und Besiegte, Herrscher und Beherrschte, und zerfällt wieder in verschiedene Reiche ( regna ), unter denen die beiden berühmtesten das der Assyrer, in der frühern, und das der Römer, in der spätern Zeit, sind. Jenes im Osten, dieses im Westen: als das erstere endet, beginnt das andere auf der Stelle. So sind sie räumlich und zeitlich unterschieden, um gleichsam in Bezug auf die Weltherrschaft sich zu ergänzen, die einmal dem Morgen-, einmal dem Abendlande gehört. Denn die übrigen Reiche betrachtet Augustin, so sagt er selbst hierauf, nur wie Appendices von diesen. c. 2; vgl. c. 22. Es wird dann, offenbar im Hinblick auf die von Hieronymus bearbeitete Weltchronik des Eusebius Auf beide weist Augustin c. 8 dieses Buchs, am Ende, hin., von Ninus und seinen Nachfolgern, sowie beiläufig von den Sicyoniern seit Europs gehandelt, und der Argiver und Athener aphoristisch gedacht, dann noch von Aeneas, den Königen Latiums und der Gründung von Rom erzählt (c. 19 ff.), meist dabei aber auf die gleichzeitige jüdische Geschichte hingewiesen, und so das vorausgehende Buch auch in der Beziehung ergänzt. Diese Parallelisirung hat aber nicht bloss eine chronistische, sondern zugleich eine innere Bedeutung: es werden nicht nur Analogien herausgehoben, in denen Augustin offenbar eine tiefere Beziehung findet, wie dass gleichzeitig mit der Erlösung der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft die Befreiung Roms von der Herrschaft der Könige erfolgt (c. 26), sondern es will unser Verfasser namentlich auch damit zeigen, wie viel älter die Weisheit der Juden als die heidnische ist (c. 39), und 235 wie viel jünger der Polytheismus als der Kultus des einen Gottes. Uebrigens wird die lose, herumschweifende Darstellung auch hier durch mannichfache Excurse über die heterogensten Dinge unterbrochen, wie über die Erhebung des Diomedes zum Gotte, über die Benennung Areopag, über die Frage der Verwandlung von Menschen in Thiere u. s. w. Ein anderes, über die Erythräische Sibylle eingeschobenes Kapitel (23) hat allerdings eine tiefere Bedeutung, indem hier auf Grund eines ihr untergelegten Carmen gezeigt werden soll, wie auch unter den Heiden Christi Erscheinen vorausverkündigt wurde. – Nachdem nun Augustin die oben angezeigte Ergänzung gegeben, behandelt er die beiden letzten Weltalter – von der babylonischen Gefangenschaft bis auf Christi Geburt, und die Zeit von da an, das fünfte und sechste – ohne sie indessen hier zu nennen und zu unterscheiden Letzteres geschieht erst am Schlusse des Werkes, l. XXII, c. 30 am Ende. Die Zahl der Weltalter, bemerkt er hier, entspricht der Zahl der Schöpfungstage.; aber er fasst hier nur den Procursus der civitas dei , und auch diesen in einer noch mehr als sonst ungleich ausgeführten Betrachtung ins Auge, indem er zunächst und weitläufig von den Weissagungen der Propheten auf Christus (c. 27 ff.), bloss in einem Kapitel aber von der Geschichte der Juden seit der Herstellung des Tempels bis auf Christi Geburt (c. 45) und in einem andern von dieser selbst handelt (c. 46), um dann noch der Verbreitung des Christenthums, und wie es durch Verfolgungen, sowie durch Ketzerei selbst nur befestigt worden ist, kurz zu gedenken (c. 50 ff.). Von der civitas terrena ist hier kaum implicite die Rede.

Der letzte Hauptabschnitt des zweiten Theils, der Schlussabschnitt des ganzen Werkes, hat nun das Endziel ( finis ) der beiden civitates zum Gegenstand. Und zwar behandelt Augustin zunächst die subjective Seite desselben, indem er im neunzehnten Buche die Frage von dem höchsten Gute und seinem Gegensatz, dem höchsten Uebel, dem finis boni und mali , untersucht, eine Frage, die bei den heidnischen Philosophen schon so häufige Erörterung und so verschiedene Beantwortung gefunden: ihnen gegenüber will er auch durch Vernunftgründe die Richtigkeit der christlichen Lehre zeigen, dass das höchste Gut auf der Erde nicht zu erlangen, vielmehr dass das ewige Leben das höchste Gut sei, wie das höchste Uebel der ewige 236 Tod – das eine das Endziel der civitas dei , das andere das der civitas terrena . Die Ansichten der Philosophen, die das höchste Gut in diese Welt verlegen, sei es, dass sie es in den Geist oder in den Körper setzen, bestreitet er durch eine ergreifende Schilderung des Elendes dieses Lebens, sowie des ewigen Kampfes der Tugend selbst, sowohl mit den eigenen Lastern, als mit denen anderer (c. 4). Das ewige Leben aber ist nichts anderes, als der ewige und vollkommene Friede, der Friede der himmlischen civitas , welcher selbst ›die geordnetste und einträchtigste Gemeinschaft ( societas ) ist, Gott und sich wechselseitig in Gott zu geniessen‹. c.13: pax caelestis civitatis ordinatissima et concordissima societas fruendi Deo et invicem in Deo. Und siehe c. 20 den Eingang. Dies ist die höchste Glückseligkeit: ist doch das Gut des Friedens ein so grosses, dass auch in den irdischen Dingen nichts sehnsüchtiger gewünscht, nichts besseres zuletzt gefunden werden kann c. 11 gegen Ende.; dies wird in der beredtesten Weise ausgeführt. Auch die irdische civitas erstrebt den Frieden, den irdischen. Ein merkwürdiger Excurs folgt dann noch (c. 21), worin Augustin auf Grund der Definitionen des Scipio in Cicero's Büchern De republica zu beweisen unternimmt, dass es eine respublica Romana in Wahrheit nicht gegeben habe, d. h. dass der römischen Republik die Erfordernisse einer solchen gefehlt, indem sie der wahren Gerechtigkeit entbehrt habe. Am Schluss weist er dann noch einmal auf das zukünftige Loos der Bürger der irdischen civitas hin, die das ewige Elend, der zweite Tod, der Tod der Seele erwarte, der selbst durch keinen Tod ein Ende findet und der ewige Krieg des Willens mit der Leidenschaft ist.

Den Uebergang zu dem Endziel der beiden civitates bildet aber das jüngste Gericht, von dem das zwanzigste Buch handelt. Nachdem Augustin über seine Bedeutung im Unterschied von den andern Gerichten Gottes gesprochen, wird vom Chiliasmus, und dann sehr ausführlich vom Ende der Welt und den ihm vorausgehenden Anzeichen, von dem Erscheinen des Elias und namentlich dem Antichrist gehandelt, indem alle darauf bezüglichen Stellen aus dem Alten wie Neuen Testamente, so aus Daniel, den Psalmen, Maleachi, den Briefen des Paulus, der Apokalypse, hier vereinigt sind; auch die doppelte Auferstehung der Todten wird zum Gegenstand ausführlicher 237 Erörterung gemacht (c. 6 f.). Im einundzwanzigsten Buche soll nun gezeigt werden, von welcher Art die Strafe des Teufels und aller, die zu ihm gehören – das Endziel der civitas terrena – sein wird. Augustin widerlegt hier zuerst die gegen die Höllenstrafe, ihre Natur und ewige Dauer, vorgebrachten Zweifel. Ob die Körper im ewigen Feuer fortdauern können, ob nicht der Schmerz nothwendig den Tod nach sich ziehe? Gott, meint Augustin, könne die Natur des Körpers ändern; gäbe es doch auch auf der Erde unerklärliche Naturwunder genug, wobei er u. a. des Diamanten und Magnetsteins gedenkt (c. 4). Er geht hier in eine ausführliche Erörterung des Wunderbegriffs ein. – Dann wird die Ewigkeit der Höllenstrafe gerechtfertigt als Ausfluss der göttlichen Gerechtigkeit. Die Grösse der ersten Sünde ist der Grund. ›Je mehr der Mensch Gott genoss, mit um so grösserer Impietät verliess er ihn und wurde des ewigen Uebels werth, weil er das Gute, das ewig hätte sein können, in sich zerstörte‹ (c. 12). Alle verdienten darum verdammt zu sein, wenn nicht die göttliche Gnade eine Anzahl retten wollte, um an ihnen zu erweisen, was sie vermöge. Die Platonische Ansicht, dass die Strafe nur zur Besserung dienen solle, wird dagegen verworfen, ebenso verschiedene vom christlichen Standpunkt vorgebrachten Befreiungsgründe, wie Fürbitten der Heiligen u. s. w. – Im letzten Buche endlich wird von der ewigen Seligkeit der civitas dei , deren Endziel, gehandelt, wie es ihr von Gott verheissen ist. Augustin verficht hier zunächst und vorzugsweise die Lehre von der Auferstehung der Todten. Er verweist die Heiden auf Christi Auferstehung und Himmelfahrt. Sie ist bezeugt durch die Apostel als Augenzeugen, die sich durch Wunder, die sie selbst vollbrachten, legitimiren. Glauben die Heiden auch diese nicht, so genügt dann das grosse Wunder, dass die Welt ohne irgend welche Wunder die Auferstehung Christi geglaubt hat (c. 5). Augustin erzählt dann, um den Einwurf mancher zu entkräften, dass solche Wunder in der Gegenwart doch nicht vorkämen, von verschiedenen wunderbaren Heilungen, die zu seiner Zeit und selbst unter seinen Augen geschehen wären (c. 8). Nachdem er hierauf noch von dem Leib der Auferstandenen und seiner Bedeutung für die Seligkeit gehandelt, wobei er die Ansicht ausdrückt, dass alle in dem Alter von Christus, als er starb, auferstehen werden (c. 15), spricht er zum Schluss von dem 238 Zustand der Seligen und namentlich der Anschauung Gottes, dem letzten Ziele der Seligkeit. –

Dies ist in seinen Hauptzügen der Inhalt des bedeutenden Werkes, das ebensosehr als Ganzes eine feste, wohl gegliederte Composition zeigt, wie es innerhalb seiner einzelnen Theile oder Bücher einen geraden sichern Gang und eine gleichmässige Ausführung vermissen lässt, wie wir oben schon bemerkten. Aber diese Eigenthümlichkeit, dass viele einzelne Partien und selbst Kapitel den Charakter selbständiger Artikel haben, offenbar auch zum Theil eine Folge der allmählichen stückweisen Ausarbeitung während eines längern Zeitraums, musste zur Verbreitung des Buches nur noch mehr beitragen. Es konnte ebenso gut auch stückweise gelesen werden. So klein die Zahl derer sein musste, die das grosse Werk in seiner Totalität aufzufassen wussten, ja die überhaupt es von Anfang bis Ende durchstudirten, so gross war dagegen die jener Leser, die sich mit der Lectüre einzelner Abschnitte erbauten und ergötzten, hier für das Denken, dort für die Phantasie die lebhafteste Anregung, die reichste Nahrung findend. Es lässt sich nicht sagen, wie bedeutend dies Werk auf das Mittelalter gewirkt hat, sowohl durch die Fülle von Ideen, als die Menge und Mannichfaltigkeit des Stoffes. Die Literatur des Mittelalters bekundet dies auf den verschiedensten Gebieten. Namentlich aber wurde es auch für die Ansicht von dem klassischen Alterthum und seinem Verhältniss zum Christenthum auf lange Zeit massgebend, wie überhaupt für die universalhistorische Betrachtung der Vergangenheit. Und andererseits wurde nicht minder die Anschauung von den zukünftigen Dingen durch dieses Werk, das ebenso die Phantasie zu entzünden, als den Verstand zu fesseln wusste, bestimmt.

In stilistischer Beziehung verdient es im allgemeinen grösseres Lob als die Confessionen: die Darstellung ist klarer und einfacher und bewegt sich leichter und freier. Sie entsagt zwar auch nicht manchen Künsten der Rhetorik, wie der Antithese und dem Wortspiel, aber sie wendet sie öfters auch in treffender und geistvoller Weise an. Mehr Reiz gibt dem Stil die Ironie, die Augustin mit Feinheit zu gebrauchen weiss. Da wo der Gegenstand dazu auffordert, kommt auch das Gefühl zum lebhaftesten Ausdruck; es finden sich Stellen schwungvollster Beredsamkeit, die aus wahrer Begeisterung entströmt, 239 und andere wieder, wo die Darstellung von der Wärme des christlichen Gemüthslebens ganz durchdrungen ist, wie jene Schilderungen zum Preise des Friedens l. XIX, c. 12, wo selbst die wildesten und rohsten Naturen als seiner bedürftig und begehrend dargestellt werden. Ueberhaupt gehören die letzten Bücher wie die ersten zu den in der Ausführung gelungensten.

Wie die beiden von uns betrachteten Werke des Augustin nicht bloss durch ihre hohe allgemeine literarische Bedeutung vor allen andern dieses Autors eine bevorzugte Stellung verlangen, sondern auch schon durch die Eigenthümlichkeit ihrer Form, die sie keiner bestimmten Klasse seiner Schriften vollkommen einfügen lässt: so ist wenigstens das letztere noch bei einem dritten Werke der Fall, das auch von allgemeinem literargeschichtlichem Interesse ist, und zu einem grossen Theile seiner Schriften Ergänzungen bietet. Es sind die beiden Bücher der Retractationes , welche er um 427 verfasste, zu einer Zeit, wo er mit der Vollendung der Civitas dei den Höhepunkt seiner literarischen Thätigkeit erreicht hatte. In ihnen gibt er ein Verzeichniss aller seiner Schriften seit seiner Bekehrung zum Christenthum in chronologischer Ordnung, indem er im ersten Buche die bis zu seinem Episcopat, im zweiten die von da an verfassten aufführt; und zwar durchläuft er also seine literarische Production zunächst in der Absicht, eine strenge Selbstkritik zu üben, und alle Irrthümer, die ihm in seinen Büchern aufstiessen, zu berichtigen und so die Widersprüche zu entfernen, die zwischen den ältern und spätern Werken bei einer so langjährigen schriftstellerischen Thätigkeit nicht hatten ausbleiben können, zumal sich seine dogmatischen Ansichten doch erst auf dem Wege allmählichen Fortschreitens vollkommen ausgebildet hatten. Augustin gibt aber zugleich hier nicht selten sehr werthvolle Aufklärungen über die Veranlassung, Tendenz, Idee und Composition seiner Werke, deren rechtes Verständniss oft nicht wenig dadurch gefördert wird.

Die übrigen Schriften des Augustin lassen sich in die folgenden Klassen eintheilen: 1)  Dogmatisch-polemische; sie bilden die grosse Mehrzahl, liegen aber dem Bereich unserer Darstellung so fern, dass wir uns nur auf wenige Bemerkungen beschränken. Sie sind theils gegen die Manichäer, theils gegen die Donatisten, die Pelagianer oder die Arianer gerichtet. Einzelne dieser Werke, ihrem Ursprung nach 240 polemisch, erhalten doch eine ganz selbständige Ausführung, wie das bedeutendste dieser Klasse, das zur Bekämpfung des Arianismus unternommen worden war, die fünfzehn Bücher De trinitate , oder wie das gegen die Manichäer geschriebene Buch De vera religione .

2) Philosophische, darunter die ältesten uns erhaltenen Schriften des Augustin überhaupt, indem die wichtigern dieser Klasse noch vor der Taufe desselben in Cassiciacum im Winter 386–387 verfasst worden sind. Es sind einmal die drei folgenden Werke: drei Bücher gegen die Akademiker ( Contra Academicos ), ein Buch De vita beata , zwei De ordine; sie sind sämtlich aus den philosophischen Unterhaltungen Augustins mit dem Kreise von Schülern und Freunden, der ihn dort umgab, worauf wir schon oben ( S. 216) hinwiesen, hervorgegangen, und zwar sind die beiden letzten Schriften während der Abfassung der ersten, grössern, entstanden. Ihrer Entstehung entsprechend, sind alle drei in der Form von Gesprächen verfasst, die hier aber auf wirklich stattgefundenen Conversationen beruhen, welche, wie uns darin selbst mitgetheilt wird, alsbald aufgezeichnet wurden. Adhibito itaque notario, ne aurae laborem nostrum discerperent, nihil perire permisi. Contra Academ. l. I, § 4. – Mit Recht begann Augustin diese philosophischen Unterhaltungen mit dem ersten Thema, der Widerlegung des Skepticismus, den die Schule der Akademiker vertrat, indem er die Möglichkeit der Erkenntniss der Wahrheit zu begründen suchte. Denn erst der Besitz der Wahrheit, nicht das blosse Suchen danach gewähre das glückselige Leben. Dieser Satz, der die Nothwendigkeit der Erkenntniss der Wahrheit für den Menschen begründet, und den Gegenstand des ersten Buchs gegen die Akademiker bildet S. im übrigen über den Inhalt dieser, sowie auch der folgenden philosophischen Schriften die gewandt und geschmackvoll entworfenen Analysen Bindemanns, Bd. I, S. 295 ff., gab nun die Anregung zu der zweiten Schrift, oder zunächst zu dem philosophischen Gespräch, auf welches sie sich gründet. Das glückselige Leben besteht, so wird hier gefunden, in der vollkommenen Erkenntniss Gottes. Sie gibt erst die volle und ewige Befriedigung. – Die dritte der aufgeführten Schriften hat die göttliche Weltordnung, ›die Ordnung der Dinge‹, zunächst zum Gegenstand, und namentlich in wiefern dieselbe das Böse zugleich mit dem Guten umfasse. 241 Die Schwierigkeit aber, die die letztere Untersuchung seinen Schülern noch darbot, veranlasste Augustin, dieselbe abzubrechen (l. II, § 24), und dafür ihnen die Ordnung des Studiums zu zeigen, den Weg, auf welchem sie zu dem Höhepunkt der Wissenschaft gelangen können. Er legt hierauf das System der Wissenschaften dar, indem er den Begriff und das Wesen der einzelnen, bald mehr, bald weniger eingehend, in aller Kürze erörtert: Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Musik (d. h. zugleich Rythmik überhaupt, und Metrik insbesondere), Geometrie, Astronomie werden also behandelt Der Arithmetik wird nicht ausdrücklich gedacht. – eine Uebersicht, die trotz ihrer Kürze für das Mittelalter von besonderm Werth und Interesse sein musste.

Wenn nun diese Schriften, welche Augustin recht im Uebergang von der Philosophie zur Theologie zeigen, schon der Inhalt wichtig macht, da sie dem Mittelalter die lebhafteste Anregung zur Speculation boten, und ihm eine Schule der Dialektik waren, so wirkte ihre Form, und namentlich in letzterer Hinsicht, nicht minder bedeutend. Die Sokratische Methode ist hier mit grosser Gewandtheit befolgt. Die Lebendigkeit der wirklich stattgehabten Unterhaltung ist in die Darstellung übergegangen, die einen wahrhaft dramatischen Charakter gewinnt. Auch die Scene malt uns Augustin mitunter mit recht frischen Farben. S. z. B. De ord. l. I, § 25. So bekommen diese Schriften auch einen ästhetischen Werth, der ihnen den Eintritt in das Gebiet der allgemeinen Literatur eröffnet.

Von einem ähnlichen formellen Charakter ist noch eine damals in Cassiciacum entstandene philosophische Schrift, die zwei Bücher der Soliloquia . In diesen ›Alleingesprächen‹, welche aus dem Wunsche der Erkenntniss Gottes und, als ihrer Vorstufe, der des menschlichen Geistes entspringen, untersucht Augustin zunächst (im ersten Buche), wie der letztere beschaffen sein muss, um zu der Gotteserkenntniss gelangen zu können, wie er durch Glaube, Hoffnung und Liebe erst die dazu nothwendige Gesundheit sich erwerben muss, die Augustin selbst, wie er hier zur Einsicht kommt, noch nicht vollkommen besitzt; im zweiten Buch aber behandelt er als das wichtigste Moment der Erkenntniss des menschlichen Geistes die Frage seiner 242 Unsterblichkeit. Derselbe kann nicht untergehen, schliesst er, da die Wahrheit nicht untergehen kann, die im menschlichen Geiste eine solche Existenz hat, dass sie mit ihm selbst vernichtet werden würde. S. namentlich l. II, § 24. Aber manche Bedenken steigen ihm gegen diese Argumentation auf: er kommt hier noch nicht dazu, sie alle zu lösen. So wird die Aufgabe nicht durchgeführt: zu diesem Ende S. Retractat. l. I, c. 4 u. 5. verfasste er dann, nach Mailand zurückgekehrt, das Buch: De immortalitate animae . Die Soliloquia, die noch heute ein allgemeineres Interesse haben, da sie, als eine Ergänzung der Confessionen gleichsam, uns in das innere Geistes- und Gemüthsleben des Augustin tiefere Blicke zu thun erlauben, mussten aber durch den specifisch christlichen Genius, der namentlich ihr erstes Buch erfüllt, auf das Mittelalter noch eine besondere Einwirkung haben. Dies war nicht minder auch durch die Form der Fall. Auch sie sind in der eines Gesprächs verfasst, dessen Redner aber Augustin selbst und die Vernunft ( ratio ) sind. Vgl. Retractat. l. I, c. 4. Diese eigene Form des Dialogs weist auf die spätern lateinischen Zwiegespräche zwischen Seele und Leib hin, die danach auch in den Volkssprachen sich häufig finden, und zu der in den abendländischen Nationalliteraturen beliebten dialogischen Form der didaktischen Dichtung überhaupt, wenn ich nicht irre, die erste Anregung gaben.

Die die Soliloquien ergänzende Schrift über die Unsterblichkeit der Seele regte Augustin zu weiterm Nachdenken über das Wesen der Seele an, als dessen Frucht das danach in Rom, und auch wieder in der Form eines Dialogs (des Augustin mit einem Freunde, Evodius) verfasste Buch De quantitate animae erscheint, welches nach dem Hauptthema der philosophischen Unterhaltung den Titel führt. S. Retractat. l. I, c. 8. An diese Werke der Speculation schliesst sich endlich noch die später in Thagaste verfasste Schrift De magistro – worin Augustin mit seinem Sohne Adeodatus sich unterredet – an. Der wahre ›Lehrer‹ für die Erkenntniss der rein geistigen Dinge, so wird hier ausgeführt, ist die ewige Weisheit, Christus, welche im innern Menschen wohnt, und von jeder vernünftigen Seele befragt wird. Worte eines andern können nur hierzu auffordern, nicht selbst schon die Erkenntniss geben. Hauptsächlich wird letzteres ausführlich dargelegt.

243 Das einzige uns in seiner Integrität erhaltene Werk unter den von Augustin über die Disciplinen begonnenen S. oben S. 217., die sechs Bücher De musica ist auch in der dialogischen Fonn Wie auch alle andern nach Retractat. l. I, c. 6. verfasst (ein Lehrer und ein Schüler sind die redenden Personen); und diese Form ist wohl später zur Zeit der ersten Wiederherstellung literarischer Kultur, so namentlich für die Lehrbücher Alcuins, massgebend gewesen. Auch durch seinen Inhalt musste das Werk auf das frühere Mittelalter mannichfach einwirken. Es hat indessen nur die Rythmik zum Gegenstand, indem in den ersten fünf Büchern nach den allgemeinen Begriffsbestimmungen die Lehren vom Rythmus, Metrum und Verse behandelt werden, im letzten Buche dagegen, welches einen ganz eigenthümlichen Charakter hat, die innere Rythmik des Seelenlebens. Hier fand denn auch die Mystik des Mittelalters eine Nahrung.

3) Moralisch-asketische Schriften. Sie sind weder zahlreich, zumal wenn man die, deren Authentie nicht durchaus unzweifelhaft ist, in Abzug bringt, noch von einer besondern literargeschichtlichen Bedeutung. Erwähnt seien hier: De bono coniugali , durch Iovinians Polemik gegen das ehelose Leben veranlasst, das ›Gut‹ der Ehe gleichsam richtig zu stellen, und die an diese Schrift sich anschliessende De sancta virginitate Die beiden Bücher › De coniugiis adulterinis‹ gehören nur indirect hierher, insofern sie zunächst Streitfragen der Kirchendisciplin untersuchen.; ferner De mendacio und Contra mendacium , worin die Frage der Nothlüge behandelt, im zweiten Werk aber insonderheit der Gebrauch der Lüge zum Zwecke der Ausforschung von Ketzern (hier der Priscillianisten) streng getadelt wird. Von höherm Interesse ist die Schrift De opere monachorum , wie sie auch von einer weit tragenden Wirkung sein musste. Es wird darin die körperliche Arbeit der Mönche gefordert und gegen die, welche sie verwerfen, auf Grund der Bibel vertheidigt. Kulturgeschichtlich werthvoll und anziehend sind das Buch De divinatione daemonum und das an den heiligen Paulin gerichtete De cura pro mortuis gerenda , welches mit besonderer Rücksicht auf die Gräber der Märtyrer verfasst ist.

An diese Klasse reihen wir 4) die der Predigten ( sermones ) an, und um so eher, je mehr gerade in denen des Augustin das ethische Moment hervortritt. Die Anzahl der uns 244 erhaltenen ist eine gar grosse In der Benedictiner Ausgabe sind der für unzweifelhaft echt gehaltenen 363.; nur sind offenbar uns die einen mehr, die andern weniger vollständig überliefert, mögen sie in der Kirche nachgeschrieben oder von Augustin, nachdem sie gehalten, dictirt worden sein, denn vorher pflegte er nicht sie schriftlich auszuführen: vielmehr bereitete er sich nur in Gedanken vor, ja in einzelnen Fällen hat er auch, durch äussere Umstände veranlasst, die Predigt ganz improvisirt. So verschieden aber auch der Inhalt dieser Sermonen ist, indem sie theils an Texte des Alten, theils des Neuen Testamentes anknüpfen, theils auch an die Legenden von Heiligen, bei dem diesen gewidmeten Gottesdienst, so macht sich doch überall in der Regel das ethische Moment sehr entschieden geltend. Haben die einen auch eine dogmatische, andere eine polemische Tendenz – wie denn namentlich die Häretiker, Manichäer, Donatisten u. s. w., aber auch noch die Heiden Wie Sermo 240 ff. Vgl. auch Sermo 24, c. 6. bekämpft werden –, sind andere wieder speciell der Erklärung der Schrift gewidmet: der rothe Faden, der in allen sich wiederfindet, ist die Ermahnung zu sittlicher Läuterung und Erhebung. Hierzu stimmt auch, dass Augustin in seinem Werk De doctrina christiana l. IV, c. 59. von dem Prediger zum Schluss verlangt, dass sein Leben seinen Worten entspreche. Und in der That, Augustin selbst trachtete danach mit allem Eifer. Dies fühlt der Leser seiner Predigten noch heute durch, wie vielmehr musste es der Zuhörer empfinden. An manchen Stellen versichert es Augustin auch ausdrücklich. So z. B. Sermo 49, c. 7. Sed qui dico, putasne, facio ipse quod dico? Fratres mei, facio – – Odi vitia mea, cor sanandum offero medico meo. Persequor ea quantum posso etc. Die individuelle Wärme des Ausdrucks ruht in diesem ethischen Moment ganz wesentlich, ebenso wie das praktisch Volksthümliche, insoweit es seinen Sermonen eigen ist. Beides zeigt sich u. a. besonders bedeutend in den Fastenpredigten: wie schön verbindet Augustin da die Aufforderung zum Almosenspenden mit der zum Verzeihen. Dasselbe ist nur eine ›Art‹ des Almosens; Almosen und Fasten aber sind ›Flügel der Frömmigkeit‹. Sed orationibus nostris, quibus ad Deum facilius volando perveniant, eleemosynis et ieiuniis pennas pietatis addamus. Sermo 206. Eine solche Ausdrucksweise wirkt in den allegorischen Dichtungen des Mittelalters nach; man denke an den ›Roman des eles‹. Wie dringend redet er denen, die beleidigt 245 haben, zu, den Verletzten um Vergebung zu bitten; an alle richtet er diese Aufforderung und schliesst sieh ausdrücklich selber ein. Perinde omnibus dico – – dico et mihi ipsi. Sermo 211, c. 4. Auch der Herr soll sich mit seinem Sklaven versöhnen, wenn er auch nur durch huldvolles Benehmen, nicht durch directe Worte ihn um Vergebung bitten mag. Ibid. – Hieraus sieht man recht, mit welcher Weltklugheit Augustin, wo es nöthig, zu verfahren wusste.

Wenn aber in diesem ethischen Moment, das in Augustins Predigten von solcher Bedeutung ist, das reiche Gemüthsleben desselben seinen eigenthümlichen Ausdruck findet, so erscheint seine besondere geistige Begabung in der Dialektik seiner Darstellung, die ihr nicht selten eine wahrhaft dramatische Lebendigkeit gibt, indem sie, wie in seinen philosophischen Schriften, zu der Form des Zwiegesprächs führt. So z. B. Sermo 49, c. 9. Augustin hat dort für seine Ermahnung dem Feinde zu verzeihen, das Beispiel Christi angeführt. Und er fährt dann fort: Sed potuit hoc facere, dicis mihi: ego non possum. Ego enim homo sum, ille Deus: homo ego, homo ille Deus homo. Deus utquid homo, si non corrigitur homo? Sed ecce tibi loquor: o homo, multum est ad te imitari Dominum tuum, attende Stephanum conservum tuum. Certe Stephanus sanctus, homo erat, an Deus? Homo erat. Plane homo erat: hoc erat quod tu etc. etc. Dies Beispiel ist auf das Geradewohl genommen, dergleichen bieten sich fast auf jeder Seite dar. So erhält auch von dieser Seite der Ausdruck eine reiche individuelle Färbung. Augustin weiss den Geist zu fesseln, wie er das Gemüth zu ergreifen versteht. Der Stil ist dabei einfach und klar, und verschmäht den rhetorischen Pomp volltönender Perioden.

Wie diese Sermonen sich nicht mehr darauf beschränken, die biblischen Bücher Satz für Satz zu commentiren, wie dies früher der Fall war, so tritt auch die allegorische Deutung im allgemeinen im Verhältniss zurück, wenn auch Augustin sie keineswegs für ungerechtfertigt hält, oder verschmäht. Es finden sich davon auch hier sogar manche recht wunderliche Beispiele. So in der Predigt über den Zweikampf Davids und Goliaths, Sermo 32, wo die 5 Steine Davids das in den 5 Büchern Mose enthaltene Gesetz bedeuten; der Fluss aber, aus dem er sie nimmt, das unstete Volk ( populus fluxus) der Juden, das Einstecken der Steine in das › vas pastoritium‹ sogar den Uebergang des Gesetzes zur Gnade ( gratia). Denn: quid tam significans gratiam, quam lactis copia? – Auch Beispiele allegorischer Darstellung in der Anwendung der Personification finden sich, wie denn Sermo 86, c. 6, Luxuria und Avaritia redend eingeführt werden. – Dass bei der lebendigen Beziehung des Redners 246 zu seinem Publikum auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht diese Predigten nicht selten von Werth sind, lässt sich schon von selbst erwarten. Die Zeit und das Land, wo sie gehalten wurden, spiegelt sich in ihnen nicht minder ab, als der Geist und Charakter des Redners.

An diese Werke der lehramtlichen Thätigkeit Augustins reihen wir 5) ein paar Schriften desselben, die in dieser Thätigkeit andere fördern sollten, und die theils durch ihr literarisches, theils durch ihr kulturgeschichtliches Interesse eine besondere Hervorhebung hier verdienen. Es ist einmal das schon oben erwähnte Werk De doctrina christiana , das um 397 begonnen, aber erst nach Jahren, um 426, vollendet wurde. In vier Büchern abgefasst, soll es die ›Behandlung der heiligen Schrift‹ lehren, sowohl ihr Verständniss zu finden, als das gefundene vorzutragen: so werden hier die Principien der Hermeneutik, wie der geistlichen Beredsamkeit dargelegt. Es ist also, wenn auch nicht ausschliesslich, doch ganz vorzugsweise für Geistliche bestimmt; und ist auch dem Klerus des Mittelalters ein viel gebrauchter Leitfaden geworden. Es zeichnet sich auch dieses Werk, das in einem klaren, dem Gegenstand wohl angemessenen Stil geschrieben ist, durch das dem Augustin eigene Streben nach einer tiefern, philosophischen Begründung und systematischem Verfahren aus. Aus der ersten Abtheilung (Buch I bis III) erscheint uns hier besonders beachtenswerth die im dritten Buch gegebene Erörterung der Frage, in wie weit die weltlichen, von den Heiden überlieferten Wissenschaften dem christlichen Theologen von Vortheil sind; in der zweiten (Buch IV), wo Augustin das Studium der Rhetorik für nützlich auch dem christlichen Redner erklärt, verlangt er im Anschluss an Cicero von dem Beredsamen, so zu reden, dass er lehre, ergötze und rühre ( flectere ), damit er verständig, gern, folgsam gehört werde. Dem entsprechend unterscheidet Augustin, Cicero folgend, drei Arten des Stils, den einfachen, zierlichen und erhabenen, wovon er Beispiele aus den Briefen des Paulus, sowie den Werken des Cyprian und Ambrosius citirt. – Die andere Schrift, die hier noch in Betracht kommt, zeigt die praktische Lebenserfahrung und Weltklugheit unseres Kirchenvaters ebenso sehr, als die eben besprochene seine theoretische Bildung. Es ist das Buch De catechizandis rudibus , eine Anleitung für den ersten Unterricht in der christlichen Religion, welche Augustin 247 um 400 auf Bitten eines carthagischen Diakons Deogratias verfasste. Dies lichtvoll und ansprechend geschriebene Büchlein erscheint auch vom Standpunkt der Kulturgeschichte aus besonders werthvoll; schon allein wenn man die verschiedenen Weisungen betrachtet, die in Bezug auf die zum Christenthum übertretenden Heiden mit kluger Rücksicht auf die Verschiedenheit ihrer Bildung und der Motive ihres Uebertritts gegeben werden.

Eine andere Klasse bilden 6) die Bibelcommentare; auf diesem Felde hat aber Augustin so wenig eine neue Bahn eingeschlagen, die auf die allgemeine Literatur von Einwirkung gewesen wäre, dass wir von diesen Schriften hier ganz absehen können: nur das sei bemerkt, dass sie sowohl das Alte Testament, insonderheit die Psalmen, als das Neue betreffen, und dass auch er bei der Erklärung, namentlich des erstern, die allegorische Deutung mit Vorliebe pflegt, hierin offenbar dem Beispiel des Ambrosius folgend.

7) besitzen wir von Augustin noch eine reiche Briefsammlung. Sie enthält in der Benedictiner Ausgabe nicht weniger als 270 Episteln, aber unter diesen befindet sich allerdings auch eine Anzahl von an Augustin gerichteten Schreiben. Seine eigenen sind von sehr verschiedenem Inhalt und Interesse, ganz entsprechend seiner reichen Individualität, und dem langen Zeitraum, dem sie angehören; denn er erstreckt sich über mehr als 40 Jahre, von Anfang Da Augustin in dem ersten Briefe (an Nebridius) auf das Ende des letzten Buchs gegen die Akademiker sich bezieht, lässt sich ein früherer Termin, wie ›Ende 386‹, welchen die Benedictiner annehmen, nicht setzen. 387 bis 429, d. h. von der Zeit an, wo Augustin vor seiner Taufe in Cassiciacum noch mit seiner Schrift gegen die Akademiker sich beschäftigte, bis fast zum Ende seines Lebens, wo er als mächtigster Kirchenfürst und einflussreichster christlicher Autor starb. Welche reiche geistige Entwickelung, welche gewaltige praktische Thätigkeit liegt in diesem Zeitraum eingeschlossen, die beide, doch noch weit mehr die letztere als die erstere, in dieser Briefsammlung sich abspiegeln, welche namentlich für die Kenntniss des Charakters Augustins eine vielseitige und dabei lautere Quelle bildet. Was den Inhalt im einzelnen betrifft, so können wir einmal mehr oder weniger officielle Schreiben, deren eine grosse Zahl ist, unterscheiden; einige davon sind auch im Namen von Synoden 248 verfasst. Viele der Episteln dieser Kategorie beziehen sich auf die in Nordafrika damals sehr verbreiteten Häresien, vor allem auf die der Donatisten, ein paar auch auf das Heidenthum, das hier und da noch das Haupt zu erheben wagte. So Ep. 91 an Nectarius, welcher bei Augustin Fürsprache eingelegt hatte für seine Mitbürger von Calama, welche die Kirche beschimpft und die Priester verfolgt hatten (um 408); so ferner Ep. 232 an die Bürger von Medaura gerichtet, die Augustin unter Hinweisung auf das jüngste Gericht und die schon erfüllten Weissagungen zur Bekehrung zum Christenthum auffordert. Dieser Brief zeichnet sich durch seine treffliche Darstellung aus, welche Kürze, Fasslichkeit und Energie verbindet. Auch Angelegenheiten, welche die Disciplin, das Asylrecht (Ep. 113) der Kirche u. s. w. betreffen, veranlassen solche Schreiben, die eben aus dem bischöflichen Amt erfliessen. Hierher gehört auch der bemerkenswerthe Brief 153, an den Vicar von Afrika, Macedonius, worin Augustin auf dessen Anregung die Frage behandelt, warum die Geistlichen sich erlauben dürfen für die Verbrecher bei den Behörden zu interveniren. – Zu einer zweiten Kategorie lassen sich die Briefe vereinigen, und es sind ihrer auch gar viele, welche das Werk des Gelehrten sind, des christlichen Philosophen wie des Dogmatikers. Sie sind in der Regel durch directe Anfragen veranlasst. Und man ist erstaunt, mit welcher Unbescheidenheit und Zudringlichkeit der mit Amtsgeschäften so überhäufte Bischof selbst von ihm ganz fern Stehenden in dieser Beziehung in Anspruch genommen wurde, und was da alles gefragt wurde Man glaubte eben von diesem Orakel alles erfahren zu können; ganze Haufen von Fragen wagten einzelne auf einmal zu senden; s. Ep. 118. Um von den wunderlichen Fragen ein Beispiel zu geben, sei die von Augustin ep. 205 weitläufig beantwortete erwähnt: ›ob jetzt der Leib des Herrn noch Knochen und Blut habe?‹: schon die blossen Fragen bieten für die Kulturgeschichte ein reiches Material dar. Die Antworten werden mitunter zu kleinen Abhandlungen, wie denn solche Schreiben von Augustin auch besonders edirt wurden; werden ja einzelne auch in den Retractationen unter seinen Werken von ihm namhaft gemacht, wie Ep. 102, die als Büchlein den Titel erhielt: Sex quaestiones contra paganos expositae. Vgl. Retractat. II, c. 31. In diese Kategorie gehören auch seine mit Hieronymus über exegetische Fragen gewechselten Briefe S. oben S. 190., durch die sich der letztere so verletzt fühlte, ebenso wie der philosophische Briefwechsel mit Nebridius aus dem Ende der achtziger Jahre. – 249 Als eine dritte Kategorie lassen sich die Briefe unterscheiden, welche Augustin als Seelsorger verfasst hat, indem er zur Askese auffordert, zur Besserung ermahnt, in Gewissensfragen Rathschläge ertheilt, im Unglück tröstet, Briefe, die ihrem wesentlichen Inhalt nach überhaupt dem Bereiche der Ethik angehören. Hier mögen als Beispiel davon die beiden geschichtlich interessanten Schreiben an den Comes Bonifacius (Ep. 189 und 220) genannt werden, in deren erstem Augustin u. a. die Frage: in wie weit das Kriegshandwerk mit dem Christenthum sich verträgt, erörtert, in dem zweiten aber, das dem angesehenen Mann in das Gewissen redet, seine Weltklugheit und Gewandtheit einmal wieder in glänzendem Lichte zeigt. Diese Kategorie bildet den Uebergang zu der letzten, der Briefe freundschaftlicher oder vertraulicher Natur – deren nur wenige sind, wie einige der an Paulin gerichteten S. Epp. 27, 31, 42 etc. – oder solcher, die überhaupt nur ein persönliches Interesse haben, wie Empfehlungsschreiben u. dgl.

Was nun die Form angeht, so kann man nicht sagen, dass Augustin im Briefstil, wie Hieronymus, etwas eigenthümliches geleistet habe; sind doch auch der Briefe im engern und eigentlichen Sinne unter seinen Episteln so wenige: und hier tritt, wenigstens in den frühern, das alte rhetorische Element seiner Bildung mitunter in recht geschmackloser Weise zu Tag, wie in dem ersten Briefe an Paulin, in dem eine wahre Hetzjagd von Wortspielen sich findet. Die meisten Schreiben haben vielmehr den Charakter der Abhandlung oder des Sermons, und schliessen sich also auch im Stil an seine Werke der einen oder der andern Gattung, an die philosophischen, dogmatischen oder ethischen wie die Predigten an. Die Ausführung ist, wie natürlich, eine sehr ungleiche: je nach der Bedeutung des behandelten Gegenstandes sowie des Adressaten, auch je nach der Musse, die Augustin im einzelnen Falle zu Gebote stand, sind die Episteln mehr oder weniger sorgfältig abgefasst; manche gehören in Bezug auf die Darstellung zu seinen besten Leistungen.

Dass in dieser Briefsammlung uns ein sehr wichtiges Hülfsmittel zur Erkenntniss des intellectuellen und sittlichen Zustandes jener bedeutenden Uebergangsepoche vom Alterthum zum Mittelalter sich darbietet, ist wohl anerkannt, wenn auch 250 dasselbe noch nicht in seinem ganzen Werthe ausgenutzt worden ist. Zugleich tritt nirgends anschaulicher als hier die ungemeine Bedeutung, die Augustin schon für seine eigene Zeit hatte, uns entgegen. Er scheint die ganze Kirche zu beherrschen, und den fortschreitenden Geist der Zeit selbst zu lenken!

Endlich besitzen wir auch noch ein poetisches Product von Augustin, welches, so wenig es auch der Genialität dieses grossen Mannes entspricht, doch zu gut beglaubigt erscheint, um an seiner Authenticität zweifeln zu dürfen. Literarhistorisch ist es zugleich von nicht geringem Interesse durch seine Form, die eine mit Absicht volksmässig gewählte ist, wie Augustin selbst uns sagt. S. Retract. I, c. 20 und insbesondere die Stelle: Ideo autem non aliquo carminis genere id fieri volui, ne me necessitas metrica ad aliqua verba quae vulgo minus sunt usitata, compelleret. Er wollte also nicht ein Werk der Kunstpoesie verfassen, speciell nicht einen Hymnus, denn diese waren ja die einzigen dieser Gattung, die in die Kirche eingeführt waren. Von welcher Bedeutung diese Stelle für die Geschichte der Hymne ist, werde ich später zeigen. – Andere Augustin beigelegte Gedichte gehören ihm sicher nicht an. Es ist ein alphabetischer Psalm, ein Abecedarius Du Meril, Poésies populaires latines antérieures au XII e siecle. Paris 1843, S. 120 ff. – Vgl. Ferd. Wolf, Ueber die Lais S. 184, und W. Meyer, Anfang und Ursprung der lateinischen und griechischen rythmischen Dichtung (s. oben S. 93, Anm. 1), S. 20 ff., gegen Ende d. J. 393 verfasst, der in der Kirche unter Theilnahme des Volks gesungen, dieses über die Sache der Donatisten aufklären und gegen sie Partei ergreifen lassen sollte. Die Form ist ganz durch die volksmässige Rücksicht bestimmt. Es besteht das Gedicht aus zwanzig Strophen, die (in ihrem ersten Vers) mit den Buchstaben des Alphabets der Reihe nach von A bis V beginnen, sodass also das erste Wort der ersten Strophe mit A, das der zweiten mit B u. s. w. anhebt, wie dies ja bei den alphabetischen Psalmen der Bibel ebenso der Fall ist; und zwar hat Augustin diese Form gewählt, um dem Gedächtniss eine Stütze zu geben. Dies ist wohl in den Worten der Retract. l. l.: ›et eorum quantum fieri posset per nos inhaerere memoriae‹ mit angedeutet. Auf die zwanzig Strophen folgt ein Nachgesang von dreissig Zeilen. Allen Strophen aber geht eine und zwar dieselbe Refrainzeile, von Augustin Hypopsalma genannt, voraus, welche allein von dem Volke selbst gesungen wurde. Die Strophen bestehen, vom Nachgesang 251 abgesehen, in der Regel aus zwölf Zeilen, ein paar aus zehn. Die Zeilen sind Langzeilen von sechzehn Silben von einem fallenden Rythmus, die in zwei Hemisticha sich theilen; offenbar ein unter dem Einfluss der musikalischen Composition von den Gesetzen der Metrik emancipirter Sodass reine Kürzen an der Stelle von Längen in der Hebung erscheinen, z. B. str. 1, v. 3: Propter hoc Domínus, oder v. 9: videt hoc saecúlum mare; zugleich wird aber die Freiheit volksmässiger Aussprache von dem Dichter beliebig benutzt, nicht bloss i (auch e=j) und u bei folgendem Vocal bald als Vocal, bald als Consonant behandelt oder mit dem folgenden Vocal verschmolzen, sondern auch, wie es scheint, Apocope und Syncope zu Hülfe genommen, die in der Schrift nicht ausgedrückt ist, so ist str. 10, v. 3 exempl', str. 17, v. 6 adult'ri, im Nachgesang v. 2 consid'rare zu lesen. acatalectischer trochäischer Tetrameter. Alle Zeilen aber lauten in e aus, ein Reim, ganz analog dem bei Commodian (oben S. 93) beobachteten, die Refrainzeile jedoch hat zugleich einen noch volleren Binnenreim. Omnes qui gaudetis (de) pace, modo verum iudicate – ›de‹ möchte hier als ein späterer Zusatz, zunächst in der Stelle der Retractationen, wo diese Zeile sich citirt findet, erscheinen, von wo er dann in die Handschrift des Psalm selbst übergegangen. Oder sollte in gaudetis Syncope des i anzunehmen sein? – Was den Inhalt anlangt, so wird die Geschichte des Donatismus in den Hauptzügen gegeben, und gegen jede Absonderung von der allgemeinen Kirche überhaupt, selbst bei gerechtfertigten Klagen, geeifert; die im allgemeinen ganz schwunglose, äusserst trockene Darstellung erhält einige Lebendigkeit dadurch, dass sie sich bald in die Form directer Anrede an die Donatisten kleidet. Im Nachgesang aber wird die katholische Kirche selbst redend eingeführt, die als Mutter den Abfall ihrer Kinder beklagt, und diese zu sich zurückruft: hier allein erhebt sich die Diction zu einem warmen, das Herz ergreifenden Ausdruck.

 


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