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Siebentes Kapitel.

Entwickelungsgeschichte der Hymnen.
Hymnen des Ambrosius.

So bedeutend auch der Einfluss des Ambrosius als Prosaiker auf die Folgezeit gewesen ist, so hat er doch als solcher, zumal auf die Literatur des Mittelalters, weit mehr durch den Inhalt als durch die Form seiner Schriften gewirkt, die nicht selten ja auch eine recht vernachlässigte ist, schon weil dem so vielfach von praktischer Thätigkeit in Anspruch genommenen Manne, der selbst die meisten dieser Schriften unmittelbar dienten, bei ihrer Menge die Zeit ganz und gar fehlte, an sie die letzte Feile in gründlicher Weise zu legen, oder gar ihre Composition in Musse heranreifen zu lassen. Eine ganz andere und weit grössere literarhistorische Wirkung hat dagegen seine Dichtung gehabt, seine Hymnen Die Ambrosius beigelegten Versinschriften (in Distichen) sind jedenfalls von zu geringem literarischen Interesse, um hier in Betracht zu kommen. S. über sie Bähr, S. 66. Sie finden sich in Ballerini's Ausgabe, Tom. V, p. 690 ff. – Auch wird dem Ambrosius von Alcuin, epist. ed. Jaffé 93, p. 389, ein Gedicht von 14 Hexametern: De ternarii numeri excellentia zugeschrieben., mit denen nicht bloss die christliche Lyrik, sondern eine specifisch christliche Poesie überhaupt im Abendlande erst wahrhaft erfolgreich anhebt, sodass man von ihnen auch den Beginn der modernen Dichtung datiren könnte. Diese Hymnen erscheinen als die reifste Frucht jenes Processes der Assimilation der antiken formalen Bildung von Seiten des Christenthums: hier entfaltet der Genius desselben zuerst frei die Schwingen zu einem durchaus originellen Aufflug in das Reich der Phantasie; diese Lyrik ist auf einem andern Boden als die heidnische erwachsen, wenn sie auch zunächst noch in die Formen derselben sich kleidet, welche sie aber wie ein eigenes Gewand sich anzupassen weiss. Hier ist, im Gegensatz zu den Anfängen der christlichen Epik, eine freie schöpferische Thätigkeit, die auch die Kunstform beherrscht, statt ihrem Einfluss zu unterliegen. Vor Ambrosius aber wissen wir von keinen andern lateinischen Hymnen, als 173 denen des Hilarius So sagt auch schon Isidor, Offic. eccl. I, c. 6: Hilarius Gallus, episcopus Pictaviensis, hymnorum carmine floruit primus; worauf Isidor fortfährt – eine Stelle, auf deren Wichtigkeit wir noch zurückkommen –: Post quem Ambrosius, Mediolanensis episcopus, – – copiosius in huius modi carmine claruisse cognoscitur, atque inde hymni ex eius nomine Ambrosiani vocantur, quia eius tempore primum in ecclesia Mediolanensi celebrari coeperunt, cuius celebritatis devotio dehinc per totius occidentis ecclesias observatur. Carmina autem, quaecumque in laudem Dei dicuntur, hymni vocantur., diese jedoch sind literarhistorisch nur indirect von Bedeutung gewesen, insofern sie wahrscheinlich zu denen des Ambrosius die Anregung gaben; wie wenig sie im übrigen gewirkt haben, zeigt sich schon darin, dass sie, wie oben bemerkt, nicht erhalten worden sind, und wir auch keine nähern authentischen Nachrichten von ihnen besitzen. Hieronymus gedenkt ihrer in dem lib. De vir. illustr. c. 100 nur mit den Worten: Est eius – – et liber hymnorum. Vgl. auch oben S. 142, Anmerk. – Wenn in dem oft citirten Beschluss des Concils von Toledo vom Jahre 633 neben den Hymnen des Ambrosius der des Hilarius gedacht wird, mit den Worten: › sicut hi (sc. hymni), quos beatissimi doctores Hilarius atque Ambrosius ediderunt‹, so lässt sich daraus noch keineswegs schliessen, dass man damals noch die echten Hymnen des Hilarius besass. Mindestens ist erst durch Ambrosius diese specifisch christliche Lyrik im lateinischen Abendlande eingebürgert worden.

Wenn wir ihre Entwickelungsgeschichte hier betrachten wollen Vgl. im allgemeinen: Ferd. Wolf, Ueber die Lais, Sequenzen und Leiche. Heidelberg 1841. – Augusti, Denkwürdigkeiten aus der christlichen Archäologie. Bd 5. Leipzig 1822. – Kayser, Beiträge zur Geschichte und Erklärung der ältesten Kirchenhymnen mit besonderer Rücksicht auf das römische Brevier. Bd. I. 2. Aufl. Paderborn 1881., müssen wir bis auf die ersten Anfänge des christlichen Gemeindegesangs zurückgehen. Drei Arten desselben unterscheidet bereits der Apostel Paulus: ψαλμοί, ὕμνοι, ᾠδαὶ πνευματικαί, wenn er die Epheser und Colosser ermahnt, durch solche sich mit dem heiligen Geiste zu erfüllen, Gott zu danken, und sich einander zu belehren und zu ermahnen. Epist. ad Ephes. 5, v. 19 f.; Ep. ad Coloss. 3, v. 15 f. Die letztere Stelle scheint im Hinblick auf die erstere geschrieben. Anzunehmen, dass der Apostel nicht drei verschiedene Arten habe unterscheiden wollen, sondern bloss eine dreifache Bezeichnung gegeben habe, ist eine Absurdität, die im Hinblick auf die Wiederholung in dem Briefe an die Colosser doppelt absurd erscheint. Man scheute aber eine solche absurde Annahme nicht, weil man die Stellen auf den Gottesdienst bezog, und da die oben gegebene Erklärung, namentlich was die ᾠδαὶ πνευματικαί betrifft, mit Recht Schwierigkeiten machte. Unter den Hymnen sind hier, der speciellen Bedeutung des Wortes im 174 Griechischen ganz entsprechend, ›Loblieder‹ zu verstehen, zu Ehren Gottes und Christi, und zwar die der Bibel, des Alten wie des Neuen Testamentes, die sogenannten Psalmlieder oder Cantica, wie das Triumphlied Mose (Exod. 15) und der Hymnus der Jungfrau Maria ( Evang. Luc. I, v. 46 ff.). Die einen wie die andern sind in der Form der Psalmen geschrieben, deren Wesen in dem Parallelismus der Glieder des Satzes ruht. Die pneumatischen Oden aber, welcher griechische Ausdruck in der lateinischen Bibel-Übersetzung durch cantica spiritualia wiedergegeben ist, können nur von dem heiligen Geiste ( πνεῦμα) eingegebene Gesänge bedeuten, die von den von ihm Ergriffenen improvisirt wurden, und die in Inhalt und Form sowie in der Art des Vortrags sich gewiss anfänglich an jene Psalmlieder oder ὕμνοι angeschlossen haben. Dies liegt schon in der Natur der Sache. Reminiscenzen aus den Psalmen und Psalmliedern werden den Text für eine begeisterte Paraphrasirung gebildet haben. Wie dies in dem weiter unten erwähnten Engelhymnus noch der Fall ist. Der Vortrag aber war zuerst überhaupt der recitirende der Psalmen, der zugleich mit diesen als ein geweihter aus dem Alten Bunde übernommen ward. Es handelt sich aber, was wohl zu beachten, in den beiden Stellen der Paulinischen Briefe keineswegs um eine liturgische Verordnung, sondern es hat dort der Apostel speciell die Liebesmahle im Auge, diese geselligen Vereinigungen der Gemeinde. Es zeigt dies einmal der Zusammenhang mit dem vorausgehenden Vers in der Stelle des Briefes an die Epheser, wo es heisst: καὶ μὴ μεϑύσκεσϑε οἴνῳ, ἐν ᾧ ἐστιν ἀσωτία etc. Es werden ja hier überhaupt Regeln der Sittlichkeit gegeben. Dann aber bestand noch zu Tertullians Zeit diese Sitte, wie die merkwürdige Stelle Apolog. c. 39 zeigt: Post aquam manualem et lumina, ut quisque de scripturis sanctis vel de proprio ingenio potest, provocatur in medium deo canere; hinc probatur quomodo biberit – eine Stelle, die gleichsam einen Commentar zu den beiden der Apostelbriefe bildet. Auch hier werden die cantica spiritualia von den Psalmen und Psalmliedern ausdrücklich unterschieden. Nicht im Wein, sagt der Apostel, sondern in solchen frommen Recitationen sollen sie sich dabei berauschen, im Gegensatz zu den Heiden.

Jene in der Form der Psalmen gedichteten pneumatischen Oden waren also die ersten specifisch christlichen Poesien, die 175 ersten geistlichen Lieder, nach denen der Bibel selbst. Sie kann noch eine der ältesten uns erhaltenen griechischen Hymnen repräsentiren S. darüber Bunsen, Hippolytus II, S. 89 ff., der Morgenhymnus, der als ὕμνος ἀγγελικός in der Liturgie der griechischen Kirche, übersetzt als doxologia magna in der der römischen sich erhalten hat. Es ist ein Lobgesang auf Gott und Christus im Anschluss an den Engelgesang im Evangelium Luc. II, v. 14, ebenso wie dieser in freien Zeilen rythmischer Prosa, die den Psalmen-Parallelismus zeigen. An Hymnen dieser ältesten Art, von denen sich noch ein paar andere Beispiele erhalten haben, reihen sich leicht solche, welche in metrischen Zeilen, die aber nicht zu Strophen gegliedert sind, und die auch noch oft jenen Parallelismus festhalten, verfasst wurden, wie es noch einzelne Hymnen des Gregor von Nazianz sind (so namentlich die auf Christus Σὲ τὸν ἄφϑιτον μονάρχην Δὸς ἀνυμνεῖν, δὸς ἀνείδειν Daniel, Thesaur. hymnol. III, p. 5 f. etc., indem uns ältere Beispiele fehlen. Die christlich-lateinische Poesie hat solche auch aus dem vierten Jahrhundert aufzuweisen, vielleicht noch vor Ambrosius, aber keine Originalwerke, in den schon oben erwähnten Uebersetzungen der Cantica des Exodus Spicil. Solesm. I, p. 187., Numeri Num. c. 21, der Gesang der Juden am Brunnen, Spicil. Solesm. I, p. 243., Deuteronomium Deuter. c. 32, das Lied des sterbenden Moses, Spicil. Solesm. I, p. 253 ff., welche in phaläcischen Versen ohne Strophenbildung wiedergegeben sind. Diese Cantica werden hier auch ausdrücklich hymni genannt. So das zweite Spicil. Solesm. I, p. 242, v. 691: Domini dum laudes hoc canit hymno, worauf das Lied folgt. Ein weiterer Schritt in der Entwickelung dieser christlichen Dichtungsart bestand aber darin, die metrischen Zeilen zu Strophen zu verbinden, strophische Hymnen zu dichten: ein Schritt, der mindestens bereits um die Mitte des zweiten Jahrhunderts geschah in dem dem Pädagogen des Clemens Alexandrinus beigefügten griechischen Hymnus, dessen strophische Form mit Sicherheit unlängst nachgewiesen ist. In scharfsinniger und durchaus überzeugender Weise von Thierfelder, De Christianorum Psalmis et Hymnis usque ad Ambrosii tempora. Leipzig 1868. So hatte diese christliche Dichtung, 176 die ursprünglich in die Form der hebräischen Poesie sich gekleidet, diese mit der der griechischen Lyrik vollkommen vertauscht.

Dass die christlich-griechische Hymnenpoesie, insonderheit die zum Preise Christi, danach vielfach gepflegt wurde, zeigen uns verschiedene Nachrichten, namentlich in Urkunden, die uns Eusebius' Kirchengeschichte aufbewahrt hat, wenn wir daraus auch freilich nichts über die Form der Hymnen erfahren. Einen besondern Aufschwung aber erhielt sie durch die Häretiker, die sich ihrer zur Popularisirung ihrer Dogmen bedienten und sie zuerst in den Gottesdienst selbst einführten, um demselben zugleich einen besondern ästhetischen Reiz zu verleihen; denn mit der der Antike entlehnten metrischen Form war selbstverständlich auch die hellenische Vortragsweise verbunden, ein modulirter Gesang an der Stelle der hebräischen Recitation, womit die unmetrischen Hymnen wie die ᾠδαὶ πνευματικαί vorgetragen waren. Indem nun namentlich auch die Arianer die Hymnodie in der angezeigten Weise pflegten, so scheint gerade dieser Umstand schon den Hilarius, dessen ganzes Leben ja der Bekämpfung des Arianismus gewidmet war, zur Abfassung seines lateinischen Hymnenbuches als eines Antidotum, während er im Orient weilte, bewogen zu haben. Und die Hymnodie der Arianer ist es denn auch, die ganz unzweifelhaft den Ambrosius, der zugleich das Beispiel des Hilarius vor Augen hatte, veranlasst hat, Hymnen zu dichten, und zwar sogleich zu dem Zweck sie in die Kirche einzuführen, was wohl von Hilarius auch geschah, aber ohne dauernden Erfolg. Dafür scheint die Stelle des Hieronymus lib. II ad Galat. Praef. zu sprechen: Hilarius in hymnorum carmine Gallos indociles vocat. Ambrosius' ganze schriftstellerische Thätigkeit wird ja durch praktische Rücksichten bestimmt. Wir hören auch zuerst von seiner Hymnendichtung bei der Gelegenheit, als sein Kampf mit dem Arianismus den Höhepunkt erreichte, und im Verein mit einer Erweiterung und Bereicherung der Liturgie überhaupt, die er damals einführte, und zwar auch als ein dem Feinde selbst entlehntes Hülfsmittel auf das Volk zu wirken. Als Ostern 386 der arianische Hof Valentinians II. und seiner Mutter Justina die schon im Jahre zuvor gestellte Forderung der Uebergabe der Basilica Portiana in Mailand an den arianischen Bischof 177 Auxentius erneute, und Ambrosius diese Forderung wiederum abschlug, sagt er in der während dieser gefährlichen Lage gegen Auxentius gehaltenen Predigt, die zwischen seinen Briefen publicirt ist (§ 34) Nach ep. 21., die folgenden für unsere Untersuchung äusserst wichtigen, früher kaum überhaupt berücksichtigten Worte: Hymnorum quoque meorum carminibus deceptum populum ferunt. Plane nec hoc abnuo. Grande carmen Das Wortspiel wird dem Leser nicht entgehen, carmen ist hier im Sinne von ›Zauber‹ genommen. istud est, quo nihil potentius. Quid enim potentius quam confessio Trinitatis, quae quotidie totius populi ore celebratur? Certatim omnes student fidem fateri, Patrem et Filium et Spiritum sanctum norunt versibus praedicare. Facti sunt igitur omnes magistri qui vix poterant esse discipuli. Hieraus geht ganz unbestreitbar einmal hervor, dass Ambrosius Hymnen zunächst im Interesse des orthodoxen Dogmas dem Arianismus gegenüber gedichtet hatte – er lehnt den Vorwurf ja nicht ab; dann, dass er sie in den Gottesdienst eingeführt, und endlich, dass dort an ihrem Gesange das Volk selbst Theil nahm, dieser nicht allein von den Klerikern ausgeführt wurde, was in dem letzten Satze noch einmal besonders hervorgehoben wird; endlich mit dem Worte certatim kann ein antiphonischer oder ein Wechselgesang angedeutet sein.

Zu dieser ältesten Nachricht von den Hymnen des Ambrosius, die um so mehr die wichtigste ist, als sie von dem Autor selbst herrührt, kommt nun zunächst die bekannte, aber nicht überall richtig verstandene Stelle in den Confessionen des Augustin. Dieser erzählt Buch IX, Ende c. 6, wie sehr er bei Gelegenheit seiner Taufe durch Ambrosius (Ostern 387) von den Hymnen und Liedern ( hymni et cantica ) der Kirche ergriffen worden sei, und fügt in dem folgenden Kapitel hinzu, dass erst seit einem Jahr die Mailänder Kirche diese Art des Trostes und der Ermahnung zu celebriren begonnen hätte, als Justina in ihrer arianischen Ketzerei den Ambrosius verfolgte. Die fromme Gemeinde hätte da, bereit mit ihrem Bischof zu sterben, die Nacht in der Kirche durchwacht. Seine Mutter sei unter den Betenden eine der eifrigsten gewesen; er selbst, Augustin, zwar noch nicht erwärmt von dem Geiste Gottes, sei doch aufgeregt worden durch den Schrecken und die Angst 178 der Stadt. Tunc hymni et psalmi ut canerentur secundum morem orientalium partium, ne populus moeroris taedio conlabesceret, institutum est; und dieser Gebrauch sei von da an beibehalten, und schon in vielen, ja fast allen Gemeinden der Welt nachgeahmt. Augustin sagt hier, wie der Zusammenhang mit dem Vorausgehenden und die Vergleichung der oben ( S. 177) gegebenen Stelle der Predigt gegen Auxentius zeigen, zweierlei, einmal, dass damals im Abendland zuerst beim Gottesdienst Hymnen eingeführt wurden Und darin hatte er Recht, wenn es sich um einen dauernden Erfolg handelt. Vgl. oben S. 170, Anm. 1., und zweitens, dass diese und die Psalmen damals zuerst nach der Weise des Orients gesungen wurden. Unter dem orientalium partium ist aber gewiss speciell Oder der Ausdruck umfasst die syrische und griechische Kirche zugleich, versteht sich nur die orthodoxe. die syrische Kirche zu verstehen. Die Bezeichnung passt schon an sich besser für sie, als für die griechische. Die syrische Kirche beanspruchte aber auch die Ehre, die Antiphonen zuerst eingeführt zu haben, und andererseits waren hier wohl zuerst in die Liturgie der Orthodoxen Hymnen im engern Sinne des Wortes, also unbiblische, aufgenommen worden durch den Freund Basilius' des Grossen, Ephräm, der selbst solche gedichtet, um seine Gemeinde, die Edessener, welche Musik und Gesang sehr liebten, vor den mit diesen verknüpften weltlichen Vergnügungen leichter zu behüten. Er benutzte ältere Melodien des Häretikers Harmonius, die er mit orthodoxen Texten versah. Ephräm war aber noch ein Zeitgenosse des Ambrosius, er starb 373.

Verbinden wir nun mit der Nachricht des Augustin und der Mittheilung des Ambrosius selbst noch die seines Biographen Paulinus, eines Mailänders, der zu seinem Klerus gehörte. Nachdem dieser in der Lebensgeschichte des Ambrosius des Streits mit dem arianischen Hofe gedacht, und wie die Kirche von den Soldaten umlagert worden, bemerkt er: Hoc in tempore primum antiphonae, hymni et vigiliae in ecclesia Mediolanensi celebrari coeperunt , und fügt dann, ganz wie Augustin, hinzu, dass sich dieser Gebrauch nicht bloss in dieser Kirche erhalten, sondern über fast alle Provinzen des Abendlandes verbreitet habe. Vita S. Ambrosii, c. 13. Diese Mittheilung ergänzt erklärend die beiden 179 andern. Es beweist diese Angabe nämlich, was wir oben schon bemerkten, dass Ambrosius damals nicht nur die Hymnodie in seine Kirche einführte, sondern die Liturgie überhaupt bereicherte. So nahm er auch den nächtlichen Gottesdienst der Vigilien, der auch gerade den Arianern eigenthümlich war, auf, vielleicht indessen allein in Folge des äussern Anlasses, dass das Volk mit ihm in der Gefahr die Nacht hindurch in der Kirche wachte. Die Art aber, wie Paulin die Antiphonen neben den Hymnen aufführt, erklärt, was Augustin sagt; die Einführung des antiphonischen Gesanges des Orients erfolgte zwar gleichzeitig mit den Hymnen, beschränkte sich aber nicht auf diese. Auch die Psalmen liess Ambrosius antiphonisch vortragen. Beide, die antiphonische Vortragsweise und die Hymnodie, waren zuerst im Orient in die Kirche eingeführt worden. Der antiphonische Vortrag der Psalmen fand sich schon bei den Juden und zwar seit alter Zeit, wie denn die eigenthümliche Form jener hebräischen Dichtung, der erwähnte Parallelismus, von selbst darauf hinführen musste; andererseits war der Wechselgesang in der griechischen Chorlyrik, wie die Chorgesänge der Tragödie zeigen, nicht minder ursprünglich, wenn auch die Antiphonie der Zeile und der Strophe etwas verschiedenes ist, was freilich nicht übersehen werden darf. Wie aber der antiphonische Gesang der Psalmen und der der Hymnen in der Kirche des Ambrosius ausgeführt wurde, diese Frage zu erörtern, liegt ausser der Sphäre der literarischen Untersuchung wie meiner eigenen Befähigung.

Unter den uns erhaltenen ›Ambrosianischen‹ Hymnen sind nur vier, von welchen die Autorschaft des Ambrosius wirklich sicher documentirt ist; denn die blosse Bezeichnung hymnus Ambrosianus , die noch gar manchen, auch von ältern Schriftstellern, wie Beda, gegeben ist, ist nicht nur kein genügendes, sondern noch gar kein Zeugniss für ihre Authenticität: man nannte nämlich Ambrosianische Hymnen auch solche geistliche Gedichte, die in der Form und nach dem Vorbild der Hymnen des Ambrosius verfasst waren, die nach Art derselben gesungen wurden So sagt Beda, De arte metr. c. 11: Hymnos vero, quos choris alternantibus canere oportet, necesse est singulis versibus ad purum esse distinctos, ut sunt omnes Ambrosiani. Die › concatenatio‹ (das Enjambement) war hier nicht gestattet: nur ist zum Verständniss der Stelle sehr zu beachten, dass Beda unter › versus‹ Langzeilen versteht, die Kurzzeilen versiculi nennt, sodass er in diesem Hymnenversmass – welches er auch nicht dimeter iambicus, sondern metrum iambicum tetrametrum nennt – unter einem versus zwei ›Verse‹ begreift. – Vgl. ferner für die Bedeutung des Ausdrucks hymni Ambrosiani oben S. 113, Anm. 1 die Stelle des Isidor sowie Walahfrid Strabo De eccles. rerum exord. c. 25: In officiis, quae b. Benedictus abbas ordinavit, hymni dicuntur per horas canonicas, quos Ambrosianos ipse nominans vel illos vult intellegi, quos confecit Ambrosius, vel alios ad imitationem Ambrosianorum compositos. Sciendum tamen multos putari ab Ambrosio factos, qui nequaquam ab illo sunt editi., und gerade das letztere musste vorzugsweise 180 massgebend sein; Ambrosianische Hymne wurde also die Bezeichnung einer Species der christlichen lateinischen Dichtung, oder noch mehr des Kirchenliedes Wie dies ausdrücklich Isidor a. a. O. sagt., und bedeutete darum im einzelnen Falle noch nicht eine Hymne des Ambrosius. Jene vier documentirten Hymnen des Ambrosius aber sind: 1.  Deus creator omnium , 2.  Aeterne rerum conditor , 3.  Iam surgit hora tertia – alle drei bezeugt durch Augustin Der den Ambrosius als ihren Verfasser unter Anführung von Citaten nennt, und zwar von der ersten in Confess. IX, c. 12, von der zweiten in Retractat. I, c. 21, von der dritten in De natura et gratia c. 63. Mit der ersten tröstete sich Augustin bei dem Tode seiner Mutter, wie er an jener Stelle der Confessionen schreibt; Monica starb aber 387, so gehört diese Hymne zu den ältesten des Ambrosius. Zur Beglaubigung der zweiten kann auch mitwirken ihre theilweise Benutzung im Hexaëmeron des Ambrosius (s. oben S. 153, Anm. 3), obgleich diese allein, versteht sich, noch keine Beweiskraft hätte. –, 4. Veni redemptor gentium , vielleicht auch durch Augustin, sonst durch andere sichere Zeugnisse noch aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts beglaubigt. In einer Predigt Augustins (Nr. 372), deren Authenticität aber nicht ganz feststeht, wird darauf hingedeutet; in dem Bruchstücke der Anrede des Papstes Coelestin an die Bischöfe vom Jahre 430 wird mit Anführung der ersten Strophe Ambrosius als Verfasser genannt, ingleichen mit Citat eines Verses in der Epistel des Faustus an Gratus vom Jahre 445. S. Daniel, Thes. IV, p. 4 ff., wo auch noch spätere Zeugnisse, wie zwei von Cassiodor, sich finden. Diese vier Hymnen genauer zu betrachten, ist für die Geschichte dieser so äusserst wichtigen Dichtungsart von grösster Bedeutung: hier können wir ihren eigentlichen Ausgangspunkt beobachten, denn mit den Hymnen des Ambrosius hebt erst wahrhaft die Geschichte der lateinischen Hymne an, wie wir sahen.

181 Betrachten wir zuerst die Form, so sind alle vier Hymnen, die sämtlich, eine jede, 32 Verse zählen, in iambischen Dimetern, die zu vierzeiligen Strophen verbunden sind, verfasst; und, was von der grössten Bedeutung, das Metrum ist mit aller Sorgfalt beobachtet, die Quantität genau gewahrt Nur einmal findet sich eine Kürze in der Arsis durch den Ictus verlängert ( castús in der ersten Hymne, v. 15). – Allerdings muss man bei der Untersuchung der Quantität den richtigeren, auf ältere Handschriften gestützten Text Mone's bei der 1. und 4. Hymne, und nicht den unkritischen Daniels zu Grunde legen., der Hiatus durchaus vermieden; selbst der Spondäus nur an erster und dritter Stelle zugelassen. Die früher allgemein verbreitete Ansicht, dass die christlich-lateinische Lyrik mit Gedichten beginne, die das Metrum, die Quantität vernachlässigen, ist also eine grundfalsche Schon von vornherein bei dem Verhältniss der musikalischen Composition zum Metrum im Alterthum ganz unwahrscheinlich, wie man bei einiger Ueberlegung hätte sogleich erkennen müssen., und die sogleich eine durchaus schiefe Auffassung der ganzen Geschichte dieser Dichtungsart gibt. So ist die Darstellung Westphals, Griech. Metrik, 2. Aufl. S. 59 ff. ganz falsch geworden, weil er ohne literarhistorische Kritik Hymni Ambrosiani mit Hymnen des Ambrosius identificirte. Letztere geht vielmehr in formeller Beziehung direct von dem Boden der heidnisch-antiken Kunstpoesie aus, wie denn der Iambus kein ursprünglich volksmässiges lateinisches Versmass, wohl aber, und zwar der Dimeter, in dem Zeitalter des Ambrosius ein Modeversmass der ›Literatur‹ war, in dem Epen geschrieben wurden, und das sich wohl dazu eignete, in den kurzen vierzeiligen Strophen populär zu werden. Hatte es den Beifall der Gebildeten von vornherein, so konnte auch das Volk Gefallen daran finden. Der kunstmässige Charakter der Hymnen des Ambrosius zeigt sich aber insbesondere noch in dem häufigen Widerstreit von Wort- und Versaccent, und zwar auch im Ausgang des Verses, und öfters selbst ohne dass auch nur die letzte Hebung mit einem Nebenaccent zusammenfiele. Letzteres liess sich freilich bei der Kürze der Dimension dieser Verse auch oft nicht vermeiden; dies zeigen die Epoden des Horaz ganz ebenso als diese echten Hymnen des Ambrosius, was im Hinblick auf die oben citirte Stelle Westphals S. 61 hier bemerkt sein mag. In Betreff der Wahl des Versmasses, mit Einschluss der Strophenbildung, ist, glaube ich, für Ambrosius das Beispiel des Hilarius massgebend gewesen, schon weil man Hilarius sonst wohl 182 Hymnen in der Form der Ambrosianischen nicht beigelegt haben würde. Wahrscheinlich aber dünkt mir, dass derselbe das Versmass dem der griechischen Hymnen der Arianer des Morgenlandes nachgebildet hat, das freilich auch direct auf Ambrosius influiren konnte. Es ist uns zwar keine Nachricht über dieses Versmass erhalten, aber der iambische Dimeter, allerdings der katalektische, war im Griechischen nicht bloss ein sehr altes, sondern auch ein sehr volksmässiges Metrum, in welchem unter anderm Tanzlieder verfasst waren. Wie das der Bottiäischen Jungfrauen bei Plutarch, Quaestr. graec. 35 ἴωμεν εἰς Ἀϑήνας; s. Westphal, a. a. O. S. 492. – Prudentius hat dies Metrum einmal angewandt, Cathem. VI.

Wenn wir nun den Inhalt der Hymnen ins Auge fassen, sowie die Darstellungsweise, so erscheinen diese ebenso christlich, als die Dichtungsform antik. Die drei ersten Hymnen sind für drei der täglichen Gebetszeiten bestimmt. Vgl. das 1. Buch der apostol. Constitutionen, und Bunsen, Hippol. II. S. 53. Die erste ist ein Abendlied und entspricht dem Gebet beim Schlafengehen: so wird hier Gott für den verflossenen Tag gedankt, und um seinen Schutz während der Nacht gegen die Anfechtungen des bösen Feindes gebeten, die namentlich die Keuschheit bedrohen. Die zweite ist ein Morgenlied, worin der Anbruch des Tages mit frommen Wünschen begrüsst wird, und entspricht dem Gebet beim Erwachen zur Zeit des ersten Hahnenschreis, die dritte ist für die dritte Tagesstunde bestimmt, die Tertia , die eine Gebetstunde war, weil Christus in dieser an das Kreuz genagelt wurde, wie auch der Eingang dieser Hymne ausspricht. Die vierte Hymne aber ist ein Weihnachtslied, und als solches in der Kirche des Ambrosius, wie danach in den Galliens und Italiens gesungen, wie dies Faustus a. a. O. bezeugt. Diese Hymne zeigt von allen vier den alterthümlichsten Charakter, wie sie denn wohl in ihrem Stil auch die frühesten Hymnen des Ambrosius vertritt. Sie ist nämlich rein dogmatischer Natur, indem sie die Menschwerdung des Erlösers feiert, der selbst Gott, ›dem ewigen Vater gleich‹ ist ( aequalis aeterno patri ); die ältesten christlichen Hymnen aber waren, wie auch die griechischen Beispiele zeigen, und die ganze dargelegte Entwickelungsgeschichte dieser Dichtung bekundet, von eben dieser Natur, und ebenso waren auch jene Hymnen des 183 Ambrosius, durch die das Volk getäuscht zu haben ihm die Arianer vorwarfen; sie verherrlichten die Dreieinigkeit, wie die oben S. 177 angezogene Stelle der Rede des Ambrosius gegen Auxentius ganz klar zeigt. In unserer vierten Hymne stehen die citirten Worte auch wie eine Versicherung des katholischen (nicäischen) Bekenntnisses dem Arianismus gegenüber. Das Alterthümliche des Stils aber – und dies Wort hier in der doppelten Beziehung: auf Sprache wie auf Dichtungsart, genommen – gibt sich nicht bloss in den dem Alten Testament entlehnten Bildern, viel mehr noch in dem hebräischen Parallelismus der Glieder kund, wie er hier namentlich in der fünften Strophe so vollkommen sich wiederfindet: Egressus eius a patreRegressus eius ad patremExcursus usque ad inferosRecursus ad sedem Dei. So erinnert diese Hymne in Inhalt und Stil an die ältesten christlichen überhaupt, welche an die ᾠδαὶ πνευματικαί sich unmittelbar anschliessen.

Die beiden ersten Hymnen sind dagegen rein paränetischer Natur, und zeigen darin den specifisch römischen Charakter, der zugleich recht dem des Ambrosius selbst entspricht. Das moralisch-lehrhafte Moment ist ja auch die Stärke der Horazischen Lyrik. Die dritte Hymne, ihrem Zweck der Erinnerung an den Kreuzestod des Erlösers zufolge, ist zwar von dogmatischem Inhalt, aber von einer paränetischen Tendenz, sodass sie also gemischter Natur ist: und so sehen wir in den vier echten Hymnen des Ambrosius schon die verschiedenen Species dieser Dichtungsart vertreten. Die beiden ersten Hymnen, die am meisten ein nationales und zugleich individuelles Gepräge haben, zeigen auch die meisten ästhetischen Vorzüge; hier kann man zugleich recht die Eigenthümlichkeit und vollkommene Originalität dieser christlichen Lyrik in ihrer Darstellungsweise, der antik-römischen gegenüber, beobachten. Nicht bloss meine ich damit jene Herrschaft des Gemüthslebens, worin der Mensch ganz aufgegangen erscheint, und die diese Lyrik zu einem so innigen Ausdruck des Gefühls macht, sondern das Verhältniss des Menschen zur Natur, die, möchte man sagen, dem Pinsel des Dichters die Farbe liefert. Die Natur erscheint hier ihrer Selbständigkeit beraubt, nur im Dienste ideeller sittlicher Mächte. Sie ist die Dienerin Gottes, ihres Schöpfers, dessen unmittelbaren Geboten sie folgt, dessen Werkzeug sie ist zum Heile des Menschen. Aber auch der Teufel kann sich 184 ihrer zeitweilig bemächtigen zum Verderben desselben. So wird die Natur leicht selbst zum symbolischen Ausdruck der sittlichen Welt; namentlich ist das Tageslicht das Symbol Christi, die Nacht dagegen das des Bösen, des Heidenthums. Die symbolische und die wirkliche Bedeutung spielen dann häufig in einander. So in der zweiten Hymne v. 29: Tu lux refulge sensibus. Hiermit hängt zusammen, dass der metaphorische Ausdruck ein freierer und kühnerer wird, als in der antiken Poesie, wenn z. B. der Hahn (im zweiten Hymnus) nicht bloss der Herold des Tages, sondern auch das nächtliche Licht der Wanderer heisst. So antik diese Dichtung in ihren Anfängen in Bezug auf die Dichtungsform ist, so echt christlich ist sie sogleich in Bezug auf ihre Darstellung, die allein durch die neue Weltanschauung bedingt ist.

 


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