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Achtzehntes Kapitel.

Vincentius von Lerinum.

Wie diese aus dem klassischen Alterthum überlieferte formale Bildung gerade in Gallien, und namentlich im südlichen, zu Anfang dieser Periode noch eine Heimath hatte, bezeugt auch ein anderer Autor mit einer der wichtigsten populärtheologischen Schriften, die, obgleich aus speciellen Verhältnissen ihrer Zeit entsprungen, doch eine weithin tragende Bedeutung hatte, sodass sie selbst in der Gegenwart noch angezogen wird. Es ist das Commonitorium des Presbyter Vincentius Lerinensis S. oben S. 459, Anm. 2, und Vincentii Lerinensis commonitor. ed. et notis illustr. E. Klüpfel. Wien 1809., so genannt, weil er dem Kloster Lerinum angehörte, wo er auch dieses Werk 434 schrieb. Auch er gab dasselbe pseudonym, und zwar unter dem Namen Peregrinus heraus. Es ist diese Denkschrift zunächst, so stellt es der Verfasser im Eingang dar, für seinen eigenen Gebrauch geschrieben worden, um der Schwäche seines Gedächtnisses zu Hülfe zu kommen: er wollte, um sich gegen die Hinterlist neuer Ketzereien zu schützen, die Aussprüche der ›heiligen Väter‹ sich aufzeichnen Er hielt es für keinen geringen Vortheil: › si ea quae fideliter a sanctis patribus accepi, litteris comprehendam, infirmitati certe propriae pernecessaria, quippe cum adsit in promptu unde imbecillitas memoriae meae adsidua lectione reparetur‹. c. 1. Vgl. damit den Schluss dieses Kapitels und den des Kapitels 29., zumal die klösterliche Musse, deren er sich nach einem stürmischen Weltleben jetzt erfreute, zu solcher Beschäftigung ihn einlud. Er wollte seine Aufzeichnungen tagtäglich durchgehen, verbessern und ergänzen: was er zur Entschuldigung für den Fall gesagt haben will, dass die Schrift zufällig etwa in andere, fromme Hände käme. Diese ganze Einleitung, die der Schrift einen so harmlosen Anstrich gibt, worauf man wenig geachtet zu haben scheint, beweist für ihren actuellen polemischen Charakter, und macht die Annahme, dass sie im Interesse des Semipelagianismus gegen den Augustinismus gerichtet ist, zur Gewissheit, wie auch ihre pseudonyme Herausgabe über allen Zweifel dies erhebt. Die Schrift erscheint auch als eine ganz 469 andere, als man nach jener Ankündigung erwartet. Denn die von Vincenz für sein Gedächtniss aufgezeichneten Aussprüche der Väter finden sich gar nicht – was man merkwürdiger Weise bislang gar nicht beachtet zu haben scheint; denn wir können darunter doch nicht die auf der Synode von Ephesus citirten verstehen, da sie Vincenz nicht selber ausgezogen, und ebenso wenig die paar Stellen, die für die Bedeutung der Tradition aus den Werken der Väter angeführt werden. Ich möchte gern annehmen, dass jene von Vincenz aufgestellte Sammlung von Aussprüchen der Väter in der gestohlenen Partie des zweiten Buchs gewesen sei, wenn nicht in der Recapitulation ganz darüber geschwiegen würde. Man muss also denken, Vincenz habe sie bei der Publication des Buchs schliesslich weggelassen. Vincenz gibt nämlich eine methodisch entwickelte Anweisung über die Kriterien des wahren katholischen Glaubens, um diesen von dem falschen ketzerischen unterscheiden zu können. Die Norm der Bibel, sagt er, genügt dafür nicht, weil letztere verschiedener Auslegung unterworfen ist, die Häretiker selbst sich auf die Bibel beriefen; zu ihrer richtigen Interpretation eben bedarf es noch der Norm der Tradition der katholischen Kirche. Als wahrhaft katholische Ueberlieferung aber ist nur das zu betrachten, was überall, immer, und von allen geglaubt worden ist. Universitas, antiquitas, consensio sind die Merkmale der katholischen Tradition. Der Verfasser zeigt dann, wobei er verschiedener Häresien gedenkt, wie nach dieser Anweisung im einzelnen Falle zu verfahren sei, er vertheidigt seine Sätze gegen verschiedene Einwürfe, und begründet sie durch Aussprüche der Bibel. Dies bildet den Inhalt des ersten Buchs.

In einem zweiten erwies er dann das Verfahren an einem concreten Beispiel der jüngsten Vergangenheit, der Verurtheilung des Nestorius durch die ›vor fast drei Jahren gehaltene‹ c. 29. Danach lässt sich die Abfassungszeit der Schrift genau bestimmen. ökumenische Synode von Ephesus; diese Verurtheilung erfolgte nämlich auf Grund von Aussprüchen von zehn angesehenen Kirchenvätern des Morgen- und Abendlandes, welche wie Erklärungen von Richtern oder Zeugen aus ihren Schriften recitirt wurden. Das zweite Buch wurde aber, nach Gennadius, zum grössten Theil dem Verfasser gestohlen, und wie es scheint gerade diese Aussprüche und andere von ihm gesammelte Actenstücke der Synode; nur der Schluss, der von dem Inhalt der ganzen Schrift eine Recapitulation gibt, blieb erhalten, und die 470 letztere scheint mir, was das zweite Buch anlangt, nach dem Diebstahl von Vincenz selbst noch erweitert worden zu sein. So erklärt sich auch meines Erachtens vollständig die Art, wie sich Gennadius c. 64 ausdrückt, wenn er sagt: Cuius operis quia secundi libri maximam in schedulis partem a quibusdam furatam perdidit, recapitulato eius paucis sermonibus sensu pristino, compegit et uno in libro edidit. Auf eine nachträgliche Erweiterung der Recapitulation weist aber die Darstellung in einzelnen Zügen nach meinem Gefühl mit Sicherheit hin. Daher ist denn auch die Recapitulation des Inhalts des zweiten Buchs viel langer und ausführlicher als die des ersten. – Die Schrift zeichnet sich übrigens durch einen einfachen Seine Absicht ging auch auf einen facilis communisque sermo, nicht einen ornatus et exactus, wie er c. 1 sagt., klaren und verhältnissmässig correcten Ausdruck, weniger durch eine sorgfältige Disposition aus.

 


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