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Siebentes Kapitel.

Paulinus von Pella.

Noch gehört dem Gebiet der erzählenden Poesie die Dichtung eines andern Paulin an, die ungefähr um dieselbe Zeit geschrieben. Es ist das in 616 Hexametern verfasste Dankgedicht, Eucharisticos So nach der Handschrift statt des gewöhnlichen Eucharisticon. Was diesen Titel betrifft, so findet er sich schon bei Statius, Silv. l. IV, 2, wo so ein speichelleckerisches Gedicht in Hexametern genannt ist, in welchem der Autor dem Domitian seinen überschwenglichen Dank für – eine Einladung zur kaiserlichen Tafel sagt. Auch kehrt der Titel bei einem Gedicht des Apollin. Sidonius wieder, s. Carm. XVI, weiter unten., des Paulinus von Pella. Paullini Carmen eucharisticum, prolegomenis et adnotationibus illustr., auctore L. Leipziger. (Doctordissert.) Breslau 1S58. – Auch findet es sich angehängt an die oben S. 402, Anm. 1 citirte Ausgabe des Paulinus Petric. von Daum. – * Paulini Pellaei Eucharisticos, rec. Brandes, in: Poetae chr. min. Pars I (Corp. scr. eccl. Vol. XVI) p. 263 ff. (Prolegg.). – – Brandes, Zu Paulinus von Pella in: Zeitschr. f. d. österr. Gymnas. 1881, S. 326. So hat derselbe 406 nämlich die Geschichte seines Lebens, die er in diesem Gedicht in seinem 84. Jahre v. 12 ff.:
        Altera ab undecima annorum currente meorum
        Hebdomade, sex aestivi flagrantia solis
        Solstitia et totidem brumae iam frigora vidi.

Dass hier unter › altera ab undecima‹ die zwölfte und nicht die dreizehnte Woche zu verstehen ist, ist an sich schon sehr wahrscheinlich, da der Verfasser sonst 90 Jahre gezählt haben würde, aber diese Auffassung verträgt sich auch allein mit den übrigen Daten.
gibt, betitelt, wie denn auch der Titel genauer Eucharisticos Deo sub ephemeridis meae textu lautet. Diese Autobiographie soll eine Gott dargebrachte Danksagung sein, dem der Dichter, wie er im Vorwort sagt, nicht bloss für das in der Jugend genossene Glück, sondern auch für das Unglück, das ihn vom 30. Jahr an verfolgte, seinen Dank schuldet: durch das letztere lehrte ihn Gott nämlich, das gegenwärtige Glück nicht zu hoch zu schätzen, noch auch andererseits im Unglück zu sehr zu verzagen, da er darin den Beistand seines Erbarmens erfuhr. Nicht also des Ruhmes wegen habe er diese ›Ephemeriden‹ geschrieben; nicht für Fremde, sondern zu eigenem Frommen: so entschuldigt er im voraus bei den ›Gelehrtern‹ das carmen incultum . Die Lebensgeschichte, welche uns hier in verhältnissmässig schlichter Sprache, die allerdings in Construction und Ausdruck oft ganz prosaisch ist, erzählt wird, ist interessant genug, indem sie uns nicht bloss das treue Conterfei eines liebenswürdigen Charakters gibt, dessen Anspruchslosigkeit, Wahrhaftigkeit und Herzensgüte von diesen Zeilen überall wiederglänzen, sondern auch ein lebendiges Gemälde seiner Zeit, das in seinem Detail nicht nur sehr anziehende Beiträge zur Sittengeschichte, sondern auch werthvolle Thatsachen und Daten uns liefert, wie von der Geschichtschreibung der Völkerwanderung bereits anerkannt ist.

Paulin – so erfahren wir hier – zu Pella geboren, wo sein Vater, damals Vicar von Macedonien, residirte, kam bald nach der Geburt nach Carthago, wohin derselbe als Proconsul versetzt wurde, aber auch nur auf kurze Zeit, um dann nach Bordeaux, der Heimath der Vorfahren, in das grossväterliche Haus S. weiter unten S. 408, Anm. 2. gebracht zu werden. Dort erhielt er seine erste 407 Ausbildung, der er alles Lob zollt, indem er zugleich beklagt, wie seitdem der wissenschaftliche Sinn gesunken. Mit der Ilias und Odyssee begann der grammatische Unterricht – denn das Griechische war seine Muttersprache geworden, weniger wegen seines Geburtsortes, in dem er nur sehr kurze Zeit verweilt hatte, als weil das Hausgesinde aus Griechen bestand; die Lectüre Virgils, die darauf alsbald folgte, machte ihm daher viel Arbeit. Mit aller Pietät und Dankbarkeit gedenkt er dann der trefflichen Erziehung durch seine Eltern, nur bedauernd, dass sie mit seinem Wunsche, Mönch zu werden, nicht übereinstimmten. Doch wie es Gott gefügt, sei es am besten. Eine Erkrankung, die den eben fünfzehnjährigen traf, nöthigte ihn leider die Studien zu unterbrechen. Auf den Rath der Aerzte gab er jetzt zur Stärkung seines Körpers sich ganz ritterlichen Uebungen und Vergnügungen hin, von denen der Dichter manche interessante Einzelheiten mittheilt; vornehmlich die Jagd, insonderheit die mit dem Falken, sowie das Ballspiel ergötzten ihn. Freilich überliess er sich jetzt auch manchen jugendlichen Ausschweifungen. Jedoch mit der für die Sitten jener Zeit bezeichnenden Einschränkung:
        Hac mea castigans lege incentiva repressi,
        Invitam ne quando ullam iurisve alieni
        Adpeterem, carumque memor servare pudorem
        Cedere et ingenuis oblatis sponte caverem,
        Contentus domus inlecebris famulantibus uti.
v. 162 ff.
So lebte Paulin bis zum zwanzigsten Jahre, wo er mit einem Mädchen aus altem angesehenen Hause, aber von zerrütteten Vermögensverhältnissen, sich vermählte. Indess durch Fleiss und Ordnung gründete er sich bald einen Wohlstand, der ihm alle Genüsse eines grossen Gutsherrn bot Er war zufrieden, ein schönes, geräumiges Haus zu besitzen, eine wohl besetzte Tafel, zahlreiche Dienerschaft, durch Geschmack ausgezeichneten Hausrath, schöne Wagen und Pferde. v. 205 ff., da der Ehrgeiz ihn nimmer quälte. Dies behagliche Leben führte er bis zum dreissigsten Jahre. Da trat die Wendung in seinem Schicksale ein: sein Vater starb und zugleich erfolgte der Einbruch der Feinde.         Sed transacta aevi post trina decennia nostri
        Successit duplicis non felix cura laboris,
        Publica quippe simul clade in commune dolenda
        Hostibus infusis Romani in viscera regni
        Privata cum sorte patris de funere functi.
v. 232 ff.
Welche Feinde? S. darüber S. 408, Anm. 2.
Er litt durch die Invasion, noch mehr aber durch 408 Erbschaftsstreitigkeiten mit dem Bruder. Schlimmer wurde noch seine Lage, als gegen seinen Willen ihn der Usurpator Attalus zum Schatzmeister seines nicht existirenden Schatzes machte (414). Von den Gothen in Bordeaux ausgeplündert, flüchtete er nach Bazas, wo er durch einen Sklavenaufstand selbst in Lebensgefahr geräth, aber die Stadt vor der Einnahme durch die Gothen rettet, indem er deren Hülfstruppen, die Alanen gewinnt, die mit ihrer Wagenburg sie schützend umschliessen – ein lebendiges Kriegsbild aus jenen stürmischen Zeiten! In wenigen Versen gezeichnet, v. 383 ff.:
        Vallanturque urbis pomeria milite Alano,
                                –         –
        Mira urbis facies, cuius magna undique muros
        Turba indiscreti sexus circumdat inermis
        Subiecta exterius; muris haerentia nostris
        Agmina barbarica plaustris vallantur et armis.

Nach diesen schweren Erlebnissen nahm Paulin von neuem den schon früher gehegten Plan auf, nach der illyrischen Halbinsel auszuwandern, wo er noch manche Güter von Seiten seiner Mutter besass; aber seine Frau konnte sich zu einer Seereise nicht entschliessen. Auch trug er sich wieder mit dem Gedanken, Mönch zu werden. Die Rücksicht auf seine Familie hielt ihn auch davon ab, aber er widmete sich wenigstens einem asketischen Leben (v. 469) und geistlichen Studien, namentlich der Untersuchung häretischer Dogmen, zu denen er selbst hinneigte. Aber er kam von dem Abweg zurück und kehrte ›die Sacramente zu Ostern empfangend‹ zu den Altären der Kirche zurück. Er war in den Vierzigen damals. Diese für die Datirung des Gedichts besonders wichtige Stelle v. 474 ff. ist leider in verderbtem Texte überliefert. Sie lautet, indem ich die Emendationen des letzten Herausgebers Brandes in Klammern beifüge:
        Post autem exacta iam [ter] trieteride quinta
        Rite recurrente statuto tempore pascha
        Ad tua, Christe Deus, altaria sacra reversus,
        Te miserante, tua gaudens sacramenta recepi
        Ante hoa ter decies super et his (bis) quattuor annos.

Nimmt man die Emendationen an und bezieht den ersten Vers auf die ganze Lebenszeit, so erklärt sich die Stelle leicht in Anbetracht, dass der Autor 83 Jahre bei der Abfassung der Dichtung zählte (s. oben S. 406, Anm. 1). Auch steht dann der Annahme des Jahres 376 durch Brandes als Geburtsjahr nichts mehr entgegen, sobald man nur mit ihm den Einfall der Barbaren, welcher im 30. Jahre des Verfassers, wie er selbst erzählt (s. oben S. 407) erfolgte, in das Jahr 406 setzt. Dann kann Paulin als ein Enkel des Dichters Ausonius (s. S. 406), der 379 Consul war, erscheinen, da nach v. 49 sein Grossvater diese Würde bekleidete, als er im 3. Jahre stand. Für diese Annahme spricht allerdings, wie ich mich nunmehr überzeugt habe, manches (s. namentlich Brandes' Prolegg. und seine Abhandlung), aber auch nicht weniges dagegen, mag man als Vater des Paulin mit Brandes an den Sohn Ausons Hesperius oder mit Seeck ( Symmachi Opp. p. LXXVII f.) an den Schwiegersohn Thalassius denken. Auch fällt es schwer, den Einfall der Barbaren nicht auf die Gothen zu beziehen und damit nicht in das Jahr 412 zu setzen, da doch später nur von den Gothen die Rede ist und der Verfasser zwischen ihrem Einfall und dem im Jahre 406 angenommenen durchaus nicht unterscheidet. – Nach den Annahmen von Brandes wurde das Gedicht 459 verfasst sein; theilt man sie nicht, und setzt den Einfall der Barbaren in das Jahr 412 (was eine andere Auffassung und Lesung der oben citirten Stelle [für his hos] verlangte, wie ich sie in der ersten Auflage versuchte), so würde sich das Jahr 465 ergeben.
– Bald stand er 409 ganz allein da, nur auf Gott angewiesen, der Tod entriss ihm Schwiegermutter, Mutter und Frau, seine zwei Söhne gingen ihre eignen Wege: so zog er verarmt nach Marseille, wo mehrere fromme Freunde von ihm wohnten, um in der Nähe der Stadt von einem kleinen Gütchen zu leben, das er selber bestellte. Aber das Glück war ihm nicht hold. Von Sorgen und Jahren gebeugt, kehrte er nach Bordeaux zurück. Da kam ihm in der äussersten Noth Gott zu Hülfe: ein Gothe sandte ihm von freien Stücken den Preis für Land, das er von ihm zu kaufen wünschte, wenn auch die Summe freilich dem Werthe nicht entsprach. Hierfür wie für alles dankt der Dichter Gott, den er bittet, ihm den Muth gegen alle Widerwärtigkeiten aufrecht zu erhalten, – Gott, dem er im Leben wie im Tode angehören will.

Diese Ergebung in den göttlichen Willen, dieses unerschütterliche Vertrauen auf die Vorsehung, wovon das Gedicht erfüllt ist, geben den stilistisch wie metrisch oft so mangelhaften Versen S. über die Mängel von Sprache und Vers die fleissige Zusammenstellung von Leipziger, l. l. p. 10 ff.; namentlich ist das verhältnissmässig häufige Eintreten des Hiatus bemerkenswerth: dass auch dem Paulin Virgil Vorbild war, ist dagegen kaum zu erwähnen nöthig. Vgl. im übrigen Brandes, Prolegg. p. 276 ff. und Indices p. 318 ff. einen gemüthlichen Reiz und einen erhöhten individuellen Ausdruck, die uns, auch abgesehen von dem historischen Interesse, bis zu Ende zu fesseln vermögen. Wie vortheilhaft sticht dieser freie wahrhaftige Erguss eines christlichen Herzens trotz seiner formellen Mängel gegen jene künstlichen unwahren, gemachten rhetorischen Producte der heidnischen Panegyristen und der ihnen nachfolgenden Namenchristen ab! 410

 


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