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Erstes Buch.
Von Minucius Felix bis auf die Zeit Constantins.

Wenn die Literatur eines Zeitalters mit der allgemeinen Bildung desselben immer in einer innigen Wechselwirkung steht, so ist doch die Art der Wechselwirkung in verschiedenen Perioden eine verschiedene. Von den beiden Factoren dieses Processes nämlich verhält sich bald der eine, bald der andere vorzugsweise activ, indem entweder die Literatur mehr durch den allgemeinen Stand der Bildung, als dieser durch jene bestimmt und bedingt wird, oder umgekehrt die allgemeine Bildung ganz wesentlich unter dem Einflusse der Literatur sich befindet und die Antriebe zu einer neuen Richtung und Entwickelung von ihr empfängt, in der dann gleichsam der productive Geist der Zeit oder der Nation wie in einem Sammelpunkt sich vereinigt. Den letzteren Charakter tragen zumeist die Perioden der literarischen Blüthe, den andern stets die der Anfänge. Dieser ist denn auch, und selbst in hervorragender Weise, dem ersten Zeitalter der christlich lateinischen Literatur eigen. In diesen Jahrhunderten, wo das Christenthum noch um seine Existenz rang, in äussern und innern Kämpfen, erscheint auch die Literatur nur den Zwecken des sich schützenden und consolidirenden Gemeinwesens dienstbar, dessen augenblickliche Bedürfnisse meist ihre Schöpfungen hervorrufen, ja fordern: nur die begeisternde Macht der hohen welterschütternden Ideen ist es, sowie der neue, frisch aufsprudelnde Quell des durch das Christenthum befreiten und vertieften Gemüthslebens, was die Werke dieses Zeitalters über die Vergänglichkeit einer Tagesliteratur oder die gebundene Beschränktheit einer, blossen Nützlichkeitsrücksichten ergebenen Dienstbarkeit zu einem dauernden idealen Werth und einer ästhetischen Freiheit erhebt. Die unter den gegebenen Verhältnissen allerdings nur spärliche Literatur ist selbst also in dieser Periode der treueste Ausdruck der 4 wechselnden Lage und fortschreitenden Entwickelung der christlichen Gesellschaft im Abendland: das Spiegelbild zu verstehen, ist aber eine Kenntniss des Bildes nothwendig.

Wie sich stets während der Zeiten des Verfalls und der Auflösung einer Bildungsstufe der Menschheit die neue, die an ihre Stelle tritt, vorbereitet, sodass sie mitten aus den Trümmern hervorwächst, und dieselben Elemente, welche die alte Weltanschauung zerstören, die neue befruchten, nähren und entwickeln, lässt sich wohl von keiner Zeit sicherer erkennen und nachweisen, als von jener des wichtigsten Umschwungs der Weltkultur. Eine oberflächliche Betrachtung freilich, wie sie hier noch die herkömmliche ist, sieht in der römischen Kaisergeschichte, und namentlich von Commodus an, nichts weiter als ein grauenhaftes Bild sittlicher und materieller Zerstörung, das zu schildern so langweilig als widerwärtig ist: die heidnische Welt, greisenhaft abgelebt, in oft Ekel erregender Lethargie hinvegetirend, im vollsten feindlichsten Gegensatz zu den jugendlichen Anfängen des Christenthums, deren nur beiläufig da gedacht wird, wo sich dieser Gegensatz in den Verfolgungen am lebhaftesten äussert – einer solchen Betrachtung erschienen diese Jahrhunderte am alleruninteressantesten, und sie sind deshalb, obgleich sie in der That eine der wichtigsten Epochen der Menschheit bilden, bis fast auf die Gegenwart von den Historikern in beinahe unbegreiflicher Weise vernachlässigt worden. Man übersah namentlich gänzlich, wie trotz jenes grossen Gegensatzes des Heidenthums und des Christenthums, der allerdings vorhanden, doch nur dem der Vergangenheit und Zukunft gleicht, die Fortbewegung der Geister, so verschieden auch die Wege auf heidnischer und auf christlicher Seite sind, eine einheitliche ist, insofern sie nach gemeinsamen Zielen geht; von den verschiedensten und entgegengesetztesten Stellen der Peripherie auslaufend, treffen sich die Linien doch in einem concentrischen Mittelpunkt. Nur wirken in der heidnischen Welt die Elemente des Fortschritts meist vereinzelt, ohne innern Zusammenhang unter einander, und fast immer direct zerstörend und auflösend auf die überlieferten Institutionen, während sie in der christlichen Welt in organischer Einheit, neue Einrichtungen der Gesellschaft und des Staates unmittelbar begründen. Mit diesen wurden denn in dem folgenden Zeitalter die Reste jener zerfallenen Institutionen verschmolzen.

5 Das Reich der Römer war zum Weltreich geworden, namentlich dadurch, dass es den Osten, die Theile der einstigen Weltherrschaft Alexanders, sich einverleibt hatte: denn so war es in den Besitz der ganzen damaligen Weltkultur gekommen. Die Blüthe derselben, ja, mehr noch, das sie beherrschende Element, dem auch die römische Bildung bereits dienstbar war, war der Hellenismus. Dieser bildet wahrhaft die Grundlage des Kosmopolitismus, der, zunächst im Kreise der Stoiker, die Frucht einer höhern Humanität trug. Die Idee des Weltbürgerthums hatte sich zugleich mit der stoischen Philosophie, und als ein integrirender Bestandtheil derselben, zur Zeit und unter dem Einfluss der Gründung des orientalischen Weltreichs Alexanders entwickelt. Sie ging gleichsam mit dem Erbe Alexanders auf Rom über; aber sie gedieh und entfaltete sich auf römischem Boden noch kräftiger. Auf der einen Seite wirkte dahin schon der auf das Ethische so vorzugsweise gerichtete Sinn der Römer, auf der andern die Lage der politischen Verhältnisse. Denn einmal schien nunmehr unter der Herrschaft der Kaiser fast der ganze bekannte Orbis terrarum vereinigt, von welchem Rom selbst zu einer ›Epitome‹ geworden war Wie Polemo, ein Sophist des 2. Jahrh., nach Galen Rom nannte.; dann aber war durch die Vereinigung aller politischen Gewalt in den Händen eines Einzigen, der durch ein Cabinet, zumeist von freigelassenen Griechen gebildet, regierte, der römische Nationalstaat in seinem innersten Wesen zerstört, ganz ebenso, wie die der unterworfenen Völker vernichtet waren: die Standesunterschiede, dem göttlich verehrten ›Herrn‹ gegenüber aufgehoben, hatten damit überhaupt ihre eigentliche Bedeutung verloren; endlich war durch die Ertheilung des römischen Bürgerrechts in immer weitern Kreisen und durch die Zulassung der Provincialen zu den höchsten Aemtern bis auf den kaiserlichen Thron selber auch der Vorzug des herrschenden Volks aufgehoben: unter Caracalla war dieses Nivellirungssystem bereits durchaus vollendet. Das Individuum war emancipirt, aber auf Kosten des antiken Gemeinwesens; der Mensch konnte nicht mehr als ζῶον πολιτικόν, wie es von Aristoteles geschieht, definirt werden. Wenn schon in Cicero's Pflichtenlehre die universi generis humani societas ein massgebendes Princip ist, so erhebt bereits Seneca den Staat der Welt, der alle Menschen zugleich mit den Göttern 6 umfasst, weit über den Nationalstaat, dem wir durch unsere Geburt angehören. De otio (Dial. VIII) c. 4. Die von den Stoikern von Anfang an so nachdrücklich betonte Verwandtschaft aller Menschen als Vernunftwesen, welche auch eine allgemeine Menschenliebe fordere, wird bei Epiktet selbst zur Brüderlichkeit, die sich auf die gemeinsame Abstammung von Gott gründet S. Zeller, Phil. der Griech. III, 1, S. 278., indem bei ihm schon die philosophische Betrachtungsweise in eine religiöse übersetzt erscheint. Diese Aufhebung der Identification des Menschen mit dem Bürger, in welcher die Stärke der Republiken des Alterthums gelegen hatte, bildet die Grundlage einer höhern Humanität, die sich auch in den Fortschritten der Gesetzgebung, in mannichfachen Reformen und selbst neuen Staatseinrichtungen kundgibt, ohne dass da irgend ein Einfluss des Christenthums anzunehmen wäre. So gewinnt schon das römische Recht jene idealere Ausbildung, durch die es befähigt wurde, auch für den modernen christlichen Staat eine Norm zu werden. Die Beschränkung der väterlichen Gewalt im Interesse der Humanität gibt der Frau eine würdigere Stellung, und erkennt in dem Schutz, den sie dem Kind gewährt, die Berechtigung des Individuums gegenüber der Familie an. Schon wird von der Wissenschaft der Abortus dem Morde gleichgestellt, und die Aussetzung der Kinder für ein Vergehen erklärt. Der Staat erkannte solche Kinder seit Trajan wenigstens als frei an. Auch den Sklaven wurden Menschenrechte eingeräumt, der Grausamkeit der Herren durch die Gesetzgebung Grenzen gezogen. Selbst direct schon huldigt der Staat reinen Humanitätszwecken, indem arme Kinder auf öffentliche Kosten ernährt werden.

Aber welche Fortschritte auch der Kosmopolitismus im Laufe des zweiten und im Anfang des dritten Jahrhunderts in der Gesetzgebung bewirkte, welche Frucht höherer Gesittung er auch innerhalb des Kreises der philosophisch Gebildeten tragen mochte, sein Einfluss auf den römischen Staat war nur ein verderblicher, ein auflösender und zersetzender. Wie durch das Nivellirungssystem der Kaiser das Standesbewusstsein, so wurde durch die Aufhebung des politischen Unterschieds des herrschenden von den beherrschten Völkern das römische 7 Nationalgefühl in seinem Kerne geschädigt; und selbst die Beschränkung der väterlichen Gewalt musste das Selbstbewusstsein des römischen Bürgers noch mehr schwächen. Die unumschränkte Herrschaft im eigenen Hause war gewissermassen das Pfand der Theilnahme an der Herrschaft im Staate gewesen, denn dieser war auf die Familie gegründet. Der Staat selbst aber war, seit seiner Erweiterung zum Weltstaat, mehr und mehr eine bureaukratische Maschine geworden, die zu ihrer obersten Leitung der Hand eines Einzelnen bedurfte. Ein Weltstaat, wie dieser, konnte nur eine Weltmonarchie sein. Die Monarchie selbst aber nahm mit der Zeit immer mehr, namentlich seit Commodus und Septimius Severus, den halborientalischen Charakter einer Militärdespotie an, indem auch hierin das ältere, orientalische Weltreich Alexanders, allerdings durch Vermittelung seiner Nachfolger, normgebend mitwirkte; von dort auch stammte, wie bereits früher die Einrichtung des Hofes, die Vergötterung der Herrscher. War nun schon durch August dem römischen Volke die Theilnahme an der Regierung in Wahrheit entrissen und so der eigentliche Quell der specifisch nationalen Bildung verschüttet, denn die Grösse dieses Volkes wurzelte gerade in dieser Einseitigkeit einer rein politischen Erziehung: so war doch noch dem Volk in Waffen Vgl. hierzu Tacitus, Annal. IV, c. 5, novem praetoriae cohortes, Etruria ferme Umbria delectae aut vetere Latio et colonis antiquitus Romanis. in den Prätorianer-Cohorten bei der Besetzung des Throns ein theils stillschweigender und indirecter, theils aber, in kritischen Zeitläufen, offenkundiger und direct entscheidender Einfluss geblieben. Aber unter der Einwirkung des kosmopolitischen Princips wurde ihm auch dieser entzogen, seit der Afrikaner Septimius Severus die Prätorianer zu einer Garde umbildete, welche aus den besten Soldaten aller Legionen des Reichs zusammengesetzt wurde, unter denen nichtromanisirte Barbaren um so mehr die Oberhand gewinnen mussten, als ihnen eine grössere physische Kraft inwohnte; denn mit dem Sinken der moralischen war auch die physische Kraft der Römer und Italiker niedergegangen. Um so eher musste der Thron selbst jetzt Provincialen anheimfallen, unter welchen sich bald darauf sogar Germanen und Orientalen befinden, die kaum von der hellenischen, geschweige der specifisch römischen Bildung 8 oberflächlich berührt waren. Wenn schon ein Hadrian und ein Marc Aurel ihrer Bildung nach mehr Hellenen als Römer zu nennen waren, so herrschte in Elagabal der reine Asiate in den excentrischsten Formen des orientalischen Despotismus. Wie herabgewürdigt musste der römische Geist sich fühlen in den Herzen, in welchen er noch eine Stätte fand! – Und während nun über die Herrschergewalt die Legionen fremder Söldner verfügten, drohte bereits seit dem Anfang des dritten Jahrhunderts die Auflösung und Zertrümmerung des Weltreichs. Schon nach dem Tode des Septimius Severus wurde eine Theilung des Reichs beabsichtigt; nach der Ermordung des Alexander Severus aber folgte bis auf Diocletian (235–284) gar kein stetiges sicheres Regiment mehr: in raschem Wechsel nahm ein General nach dem andern den Thron ein, indem nicht selten mehrere zugleich sich Augustus nannten, bis denn zur Zeit des Gallienus sogar 19 Statthalter sich selbständig erklärten, während gleichzeitig Aufstände der Provincialen erfolgten, wie in Gallien, in denen bereits das Streben nach einer Loslösung aus dem Verbande des Reichs und einer staatlichen Unabhängigkeit sich kundgibt. Und im Laufe dieses Zeitraums brachen immer kühner auch die auswärtigen Feinde über die Grenzen im Occident wie Orient; besiegt sah man einen Imperator im Kampf gegen die Gothen fallen (251), und zehn Jahre später einen andern, von den Persern überwunden, in die Gefangenschaft geschleppt. Der einzige Staatszweck wurde nunmehr das Interesse der Selbsterhaltung den äussern und innern Feinden gegenüber, welches denn auch die neue Constituirung des Reichs durch Diocletian bestimmte; und dieser Vorläufer Constantins verlegte schon den Schwerpunkt des Reichs in den Orient, indem er Nicomedien zum Regierungssitz des ersten Augustus machte.

Dass in solchen Zeiten, wo der Stolz der ewigen Roma so gedemüthigt wurde, das Gefühl von der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen immer tiefer alle Schichten der Gesellschaft durchdrang und jenen naiven selbstbefriedigten Genuss der Gegenwart, wie er der antiken Weltanschauung eigenthümlich war, der gealterten und überlebten Welt vollends zerstörte, ist um so leichter zu begreifen, als die Aussicht in die Zukunft des Reichs eine ganz dunkle, durch keinen Hoffnungsstern erleuchtete war. Wenn hierbei in den höhern Klassen 9 die moralischen, mussten in den untern die materiellen Motive stärker wirken; auf diesen Klassen lastete ja namentlich von Jahr zu Jahr schwerer der Steuerdruck, sie trafen die Nachtheile des Verfalls der Landwirthschaft, des Handels und der Gewerbe unmittelbarer und schwerer. Einen Trost suchte man nun theils in den Erinnerungen an eine ferne Vergangenheit, die Blüthe der republikanischen Zeiten, die man auf Kosten der traurigen Gegenwart in einem um so idealeren Lichte sah, theils in den Hoffnungen auf ein anderes, zukünftiges Dasein jenseits des Grabes, Hoffnungen, welche den Tod erleichtern konnten, der von so vielen Seiten drohte, und zugleich so oft nicht der Uebel grösstes, sondern das sicherste und einzige Heilmittel derselben schien. Eine erhöhte religiöse Stimmung, die aus dem Innersten der Menschennatur sich entwickelte, durchdrang die heidnische Welt. Gegenüber den gewaltigen unaufhörlichen Erschütterungen des öffentlichen Lebens, welche alles Ehrwürdige in den Staub warfen und das Niedrigste emporhoben, gegenüber so manchen grossen allgemeinen Calamitäten, wie sie damals das Reich heimsuchten, für die der zerrüttete Staat am wenigsten eine Hülfe bieten konnte, wurde das Gefühl der Abhängigkeit des Menschen von höhern Mächten wie das Bewusstsein seiner sittlichen Verderbniss immer mehr gesteigert und lebendig. Die wahrhaft gebildeten Römer suchten schon länger in der Philosophie, zunächst und vornehmlich der stoischen, Trost, welche die Geringschätzung der äussern Dinge, die Unterwürfigkeit unter das über allen waltende Schicksal, die asketische Entsagung und sogar den Selbstmord, soweit diese zur Behauptung der innern Freiheit nothwendig waren, lehrte; aber sie setzte ein Selbstvertrauen voraus, eine Tapferkeit der Seele, welche in den ›sittlich Kranken‹, die der Stoicismus heilen wollte – denn so fassten den Beruf der Philosophie schon ein Musonius, ein Epiktet auf S. Zeller, a. a. O. S. 655 und 662; ἰατρεῖόν ἐστιν τὸ τοῦ φιλοσόφου σχολεῖον heisst es in Epict. Dissert. – mit der Zeit immer seltener sich fand: so versagte denn einerseits der Trost, den diese Philosophie bieten konnte, andererseits schlug sie aber selbst eben deshalb auch, wie das Beispiel Marc Aurels zeigt S. Zeller, a. a. O. S. 680., jene mystisch religiöse Richtung ein, der bereits 10 durchaus der Pythagoräismus und Platonismus im griechischen Orient huldigten, nämlich die: den Boden der reinen Wissenschaft zu verlassen und eine unmittelbare göttliche Offenbarung zu Hülfe zu nehmen.

Wenn nun selbst in den Höchstgebildeten der Heiden die Zeitverhältnisse ein solches religiöses Bedürfniss erweckten, das der der antiken Bildung eigenen Selbstbefriedigung ganz widerstritt, wie viel mehr musste dasselbe der Fall sein bei der Menge der Halbgebildeten und der Masse des Volks! Konnte dies Bedürfniss aber in der römischen Nationalreligion damals eine Genugthuung finden? Mit nichten. Die Nationalreligion der Römer hatte auch einen durchaus politischen Charakter erhalten, als sie sich zugleich mit dem Staate entwickelte: sie war Staats- und Familien-Religion, oder vielmehr Kultus, im Interesse des Gemeinwesens, nicht des Individuums. Der Bürger hatte viel mehr als der Mensch an ihr einen Antheil. Unter dem Einfluss der hellenischen Weltkultur aber wurde ihr nationaler Charakter grossentheils verdunkelt, ihr substantieller Inhalt verflüchtigt, unter dem Einfluss des Kosmopolitismus das Gebiet ihrer Herrschaft immer enger beschränkt. Mit der Einwanderung der griechischen Kunst und Poesie, und ihrer Naturalisirung möchte man sagen, wurde auch die römische Religion hellenisirt, oder, wie Zeller sich treffend ausdrückt Religion und Philosophie bei den Römern (Berlin 1866), S. 18., in das griechische immer mehr umgedeutet. Die griechische Skulptur lieferte die Götterbilder, die römische Dichtung war ganz erfüllt und durchdrungen von der griechischen Mythologie, die sie sich leicht assimilirte, indem sie die allerdings verwandten griechischen Götter mit den römischen Nationalgottheiten identificirte. Die Poesie wirkte in dieser Richtung auf das ganze Volk unmittelbar durch das Theater, auf die Gebildeten am intensivsten durch die Schule, indem die klassischen Dichtungen, namentlich Virgils Epos, die erste Grundlage des Unterrichts bildeten. Mit der Verbreitung der griechischen Philosophie aber wurde diesen Gestalten der Phantasie in dem Kreise der Gebildeten alle reale Bedeutung genommen, theils durch euhemeristische, theils durch allegorische Auslegung.

Je mehr aber das Römerreich seine Eroberungen ausdehnte, desto mehr fanden auch ganz fremde, namentlich orientalische 11 Gottesdienste Eingang, ja mit dem Siege des kosmopolitischen Princips Bürgerrecht, in Rom selbst, wie im Abendland überhaupt. Die kleinasiatischen, ägyptischen und persischen Sacra mit ihren Mysterien lockten die Menge um so mehr, als sie in dem, was sie öffentlich schauen liessen, durch ihre Fremdartigkeit imponirten, und zum Theil auch durch ihre üppige Sinnlichkeit die Phantasie entzündeten. In ihren Geheimdiensten suchten nun die Halbgebildeten vorzugsweise das so wesentlich erhöhte religiöse Bedürfniss einer Hingabe an die Gottheit, einer Läuterung des Innern, einer Sicherung der Hoffnung auf persönliche Unsterblichkeit zu befriedigen. Und dies erreichten auch subjectiv manche ohne Zweifel hier bis auf einen gewissen Grad, durch die Wirkungen der Askese, den die Phantasie mächtig ergreifenden nächtlichen Gottesdienst und die Betrachtung der Gottheit als höchster, geheimnissvollster Naturkraft. Aber diese Gottesverehrung, die nur den Eingeweihten zu Theil wurde, war noch exclusiver als die Weisheit der Philosophen. Die Masse des Volks, von der einen wie von der andern ausgeschlossen, war allein der Superstition ängstlich ergeben, die allerdings ihre Herrschaft auch über alle Klassen erstreckte. Das Volk glaubte und fürchtete vorzugsweise jene Mittelwesen, die, Diener der höchsten Götter, die Natur beherrschen sollten, und das Menschenleben, sowohl die Gemeinwesen als die Individuen, überwachten, Elementargeister und Seelen Verstorbener, Dämonen und Genien, mit denen die Laren, Larven und Lemuren sich mischten, gute und böse Geister, die geheimnissvoll das Schicksal der Menschen in Händen hielten. Ihnen war insonderheit der ganze Bereich des Zufalls, so gross für den Ungebildeten, zumal in einer so wechselvollen Zeit, zugewiesen. Magier und Astrologen des Orients waren jetzt vornehmlich die Priester dieses Aberglaubens, neben welchem die officielle Superstition der Staatsreligion mit ihrer Vögel- und Eingeweideschau, ihrem heiligen Feuer der Vesta, all ihren Cerimonien und Begehungen unangetastet fortbestand in den mumienhaft conservirten Formen, die aber keine nationale Begeisterung mehr umgab, kein von Hoffnungen auf die Zukunft erfüllter Glaube, sondern die Furcht des Aberglaubens. Als Kultus blieb die Staatsreligion unangefochten von den Heiden aller Klassen, wie weit auch ihre religiösen Anschauungen auseinander gingen. Aber ein Bedürfniss des Herzens, wie es damals erwacht war, 12 konnte sie nicht befriedigen. Dieses drängte auch unwillkürlich zum Monotheismus hin. Die volle Hingabe an die Gottheit verlangte diese individuell gedacht; sein ganzes Selbst kann man aber nur einem Einzigen hingeben, und die vollste Verehrung musste in diesem Einzigen alles Höchste vereinigen. Und so sehen wir denn auch in jenen orientalischen Geheimdiensten die eine Gottheit alle andern ersetzen und in sich gleichsam aufnehmen, alle Attribute des Göttlichen werden dieser einen beigelegt und sie mit allen möglichen Nationalgottheiten identificirt: so Isis mit der Grossen Mutter, der Minerva, der Venus, der Diana, Proserpina, Ceres, Juno, Bellona, Hecate gleichzeitig; diese dea multinominis ist für die Eingeweihten ihrer Mysterien das numen unicum , welches Himmel, Erde und Unterwelt beherrscht. Apuleius, Metam. XI, c. 5. Aber nicht bloss das Gemüth in der gesteigerten religiösen Empfindung, sondern auch der nüchterne Verstand musste in jener Zeit zu solcher monotheistischen Identification geführt werden, denn die bunte zahllose Menge von Gottheiten, welche gewissermassen die Provinzen, Landschaften und selbst Städte des Weltreichs in den römischen Olymp als ihre Vertreter sandten, trieb den Polytheismus auf eine solche Spitze, dass er in den Monotheismus umschlagen musste, wo er sich nicht in dem Pantheismus verflüchtigte.

Auch die Armuth des geistigen Lebens bei den Heiden des Abendlandes in dieser Periode musste der religiösen Richtung des Zeitgeistes förderlich sein. Auf eine Zeit der höchsten geistigen Regsamkeit war eine wahre Stagnation gefolgt. Ein Blick auf die literarische Entwickelung Roms seit Tiberius lässt dies erkennen. Sie steht ganz im Einklang mit der von uns angestellten kulturgeschichtlichen Betrachtung. Die Emancipation des Subjects von der nationalpolitischen Gebundenheit unter dem Einfluss des Kosmopolitismus hatte der Prosa der silbernen Latinität in ihren besten Erzeugnissen einen Gedankenreichthum des Inhalts im Verein mit einer Mannichfaltigkeit und Lebendigkeit individuellen Ausdrucks gegeben, dass die Werke eines Seneca und Tacitus, die Briefe eines Plinius, der Dialog von den Rednern bereits einen ganz modernen Charakter zeigen. Form und Sprache erscheinen in solchen Werken 13 nur als Werkzeug und Material des genialen Subjects, das seiner ganzen Individualität einen unbeschränkten Ausdruck geben möchte. Hier erhebt sich die antike Bildung über sich selbst, aber freilich auf Kosten der römisch-nationalen. Der Einfluss des weltbürgerlichen Hellenismus ist es, der die Schranken des Klassicismus sprengt: der universalen Bildung verdanken jene Schriftsteller den Reichthum von Individualität, die ihren Ausdruck in den Grenzen der klassischen Prosa um so weniger halten mag, als diese Schriftsteller in ihren Werken sich selbst zunächst genugthun, dann an die gebildete Welt, nicht an das Volk, die Nation, sich wenden. Phantasie und Empfindung wirken in ihren Schriften im Verein mit dem Verstande mit gleichem Rechte. So erhält diese Prosa einen poetischen Zug, wie sie denn auch nicht verschmähte, in Stil und Wortschatz aus dem Felde der Dichtung sich zu bereichern. Sie bezeichnet den Höhepunkt der literarischen Bewegung der nachaugusteischen Zeit, während die Poesie selbst, mit wenigen Ausnahmen, in denen sie sich gerade der Prosa nähert, eine kümmerliche Epigonenexistenz fristet. Indess jener Höhepunkt wurde nur erreicht und behauptet, weil und so lange die nationale Kraft nicht erschöpft war; aber die Weltbildung, die sie befruchtend solche Werke erzeugte, löste sie gerade auf. Nur um so rascher wurde sie erschöpft. Die Folge war, dass schon zur Zeit Hadrians und der Antonine die griechische Literatur im lateinischen Abendlande selbst die römische verdrängte und ganz in den Schatten stellte; die Gunst dieser Kaiser und ihrer nächsten Nachfolger, wie der Gebildeten überhaupt, wandte sich ihr ganz vorzugsweise zu, und diese Begünstigung blieb, insoweit in dem dritten Jahrhundert von literarischen Interessen die Rede sein konnte, bis der Schwerpunkt des Reichs selbst in den Osten verlegt war. Der Hellenismus musste ja in dem griechischen Schriftthum sein naturgemässes Organ finden, und die griechische Sprache vermochte in ihrem unerschöpflichen Reichthum und ihrer ausserordentlichen syntaktischen Geschmeidigkeit allen Wandlungen des Gedankens leicht zu folgen, ohne dass ihr Organismus erschüttert wurde. Vergeblich suchte die lateinische Literatur sich dadurch zu behaupten, dass sie an die ältern, von dem Hellenismus gar nicht berührten vorciceronianischen Schriftsteller sich anschloss, diese als Muster des Stils hinstellte, als wenn von solcher fernen Vergangenheit die nationale 14 Kraft auf die Gegenwart übergehen könnte; diese alterthümelnde Schule war als eine Reaction gegen den Hellenismus schon in Seneca's Tagen aufgetreten, jetzt kam sie aber erst zu Wort, als die Literatur des Fortschritts verstummte. Da der altrömische Geist sich nicht wieder beleben liess, ja dieser Zeit selbst das rechte Verständniss desselben fehlen musste, so war dieser alterthümelnden Literaten, als deren Vertreter ein Fronto gefeiert wurde, Absehen durchaus auf die Form gerichtet: veraltete, weithergeholte Wörter, von neuem aufgeputzt, sollten dem Schriftsteller die Originalität gewähren, die er in seinem Genie oder nur in einer geistigen Eigenthümlichkeit nicht mehr finden konnte. In solchem, wenn auch impotenten Streben nach Originalität zeigt sich doch immer noch die fortschreitende Bewegung der Zeit, die aber im Heidenthum eben nicht zum Ziele gelangte. Es ist der Subjectivismus, dem es nur an innerm Gehalt fehlt, sich geltend zu machen. Dieselbe dem Klassicismus feindliche Tendenz gibt sich auch in dem kecken Auftreten des landschaftlichen Geistes in der Literatur kund, wie er in den Schriften einzelner Autoren, so des begabten Apuleius, sich zeigt: auch hier finden wir die Macht der Individualität im Stil und Ausdruck, die sich nicht bloss von dem Zwang der Ueberlieferung einer geweihten grossen Vergangenheit, sondern von der Herrschaft des römischen Genius selbst emancipirt. Aber gab ausser der Eigenthümlichkeit auch die Grösse und Bedeutung des Inhalts eine solche Berechtigung?

So führte also in der heidnischen Welt die nie ruhende fortschreitende Bewegung des Genius der Menschheit nur zur Auflösung des Bestehenden in Staat, Religion und Literatur, und diese Auflösung musste die Sittlichkeit in hohem Grade gefährden, sodass nach Zerstörung des auf eine nationale Republik sich gründenden Patriotismus der nackte Egoismus das herrschende Princip werden musste, zumal in einer Zeit, wo mit dem öffentlichen Leben auch jedes private bedroht schien. Während dies nun geschah, wurde in der christlichen Gesellschaft, die mitten in der heidnischen überallhin zerstreut, an den Hauptstätten der Kultur aber vorzugsweise vertreten, gegen Ende des zweiten Jahrhunderts bereits den Weltkreis erfüllte, der Grund eines neuen politischen und sittlichen Lebens gelegt, dessen Fundamentalprincip nicht der durch die Nationalität, die 15 Stammesverwandtschaft bedingte antike Patriotismus, sondern die Bruderliebe des Nächsten war, ein Princip, das im vollsten Einklang mit dem den heidnischen Staat auflösenden Kosmopolitismus stand. Die christliche Gemeinde kannte keinen Unterschied der Abstammung, für sie gab es keine Barbaren, keine Peregrini, sie kannte nur eine Republik: die Welt. Ihre Bürger waren die Menschen alle als Brüder. Die Brüderlichkeit, das Kriterium der Menschlichkeit, schloss das Bürgerrecht dieser Weltrepublik in sich. Die christliche Gemeinde kannte auch keinen Unterschied des Standes, keine Vorzüge der Geburt und des Vermögens. Wer in sie eintrat, entsagte diesen, d. h. sie geltend zu machen, ein Vorrecht darauf zu gründen. Alle waren gleich als Brüder, als Kinder Gottes. Hier war principiell gerechtfertigt, ja gefordert, was das den antiken Römerstaat zerstörende Nivellirungssystem des kosmopolitischen Kaiserthums bewirkte. Die Aequitas ist das Erforderniss der wahren Gerechtigkeit, meinten die Christen. Aus freier Wahl gingen die hervor, welche die christliche Gemeinde regierten, die Aeltesten und der Bischof. Indem man so auf die ersten Anfänge des Staatslebens zurückging, erblühte hier ein frischer Gemeingeist, während dieser aus dem heidnischen Municipalleben, das nur noch eine bureaukratische Maschine zur Steuererpressung schien, längst entwichen war. Auch mit diesem Gemeinwesen der Christen hing die Religion auf das innigste zusammen, ja noch inniger als dies in der antik-römischen Republik der Fall war, war es doch selbst auf die Religion gegründet; aber sein Kultus war kein leerer Ceremoniendienst, es trennte keine Schranke den Priester vom Volke, noch hatte der Grundsatz des allgemeinen Priesterthums eine Hierarchie sich nicht entwickeln lassen. Auch jener Gegensatz von Gelehrten und Ungelehrten war hier aufgehoben; allen stand es frei zu philosophiren; nicht bloss theilten die Ungebildeten mit den Gebildeten dieselbe Weltanschauung, es wurden ihnen auch durch die Predigten und den innigen gesellschaftlichen Verkehr aller Gemeindeglieder die Mittel zu einer höhern Bildung gewährt, eine intellectuelle und sittliche Erziehung zu Theil: eine Religion von solchem speculativen Gehalt musste zu stetem Nachdenken anregen. Noch war ja das Dogma nicht in die engen Schranken gebannt, die die Freiheit des Gedankens verkümmern sollten.

16 Das auf dem Grundsatz der Brüderlichkeit ruhende Princip der Gleichheit, das also, im vollsten Gegensatz zu der zwar äusserlich nivellirten, aber innerlich tief zerklüfteten heidnischen Welt, das innige Gemeindeleben der Christen beherrschte, regenerirte nun auch und hob das Familienleben durch die vollkommene Gleichstellung der Frau mit dem Manne. Die Familie, die im Alterthum sozusagen in dem Staat aufgegangen war, nur eine seinen Zwecken gewidmete Anstalt noch schien, erhielt eine selbständige Existenz wieder, eine von rein humaner, nicht mehr bürgerlicher Natur. Die Ehe wurde hier aus einem neuen, höhern Gesichtspunkte betrachtet, sie war keine blosse Anstalt mehr, dem Staate Bürger zu geben, die sich eben aus dieser Rücksicht unter den Kaisern der staatlichen Begünstigung erfreut hatte; sie sollte eine Vereinigung mehr noch der Seelen als der Leiber sein, bestimmt Gott zu verherrlichen, sein Reich zu mehren, und dieses Leben zu überdauern. Sie sollte eine Anstalt sittlicher Erziehung sein in der Wechselbeziehung der Eltern zu einander und zu den Kindern. Wie die Religion der Grund war, auf dem sich das Gemeinwesen aufgebaut, so gab sie auch dem ehelichen Bunde die Weihe; und auch die Familie hatte schon ihren Kultus. So wurde erst im Christenthum durch diese ideale Ansicht von der Ehe dem Weib die volle Freiheit und Selbständigkeit gegeben, welche als eine Forderung des Zeitgeistes auch schon die heidnische Gesetzgebung anstrebte, die aber von dem christlichen Gesichtspunkt aus erst vollkommen berechtigt erscheinen konnte. Das Christenthum befreite, indem es das Gemüth zuerst in seine vollen Rechte einsetzte, das Weib auch zuerst wahrhaft innerlich; jetzt erst konnte dasselbe im Vollgefühl seiner ihm eigenen Natur und ihrer hohen Bedeutung seines menschlichen Berufs vollkommen sich bewusst werden und ihn zu erfüllen den reichsten Wirkungskreis finden. Daher kam es, dass in den höchsten Ständen des heidnischen Abendlandes die Frauen es vorzugsweise waren, die sich zuerst und schon frühe mit Begeisterung dem Christenthum zuwandten. All die Fülle von Bildung, deren sie sich erfreuten, all der die Sinne fesselnde Glanz und Luxus, der sie umgab, selbst die Rolle, die sie schon in der Gesellschaft spielten, ja zuweilen sogar in dem Staatsleben, all das vermochte nicht ihnen zu gewähren, was nur die Religion der Liebe einem weiblichen Herzen bieten konnte. Das weibliche Ideal ist ein Werk des 17 Christenthums, und wird erst durch dieses eine Macht im Reiche des Gedankens wie der Phantasie.

Wie nun also der Familie im Christenthum aus dem Grundsatz der Brüderlichkeit höhere sittliche Zwecke erwuchsen, so erweiterte er auch die des Gemeindelebens im Interesse einer höhern Humanität. Die Sorge für die Armen und die Kranken erschien als eine ihrer wichtigsten Aufgaben: besondere Aemter, und sie gehörten zu den angesehensten, das der Diakonen und der Diakonissen, waren ihr gewidmet. In dem auf die Nächstenliebe gegründeten Gemeinwesen musste die Pflege der Caritas eine Bethätigung des Gemeingeistes sein. Hierin fanden auch die Heiden ein Merkmal des Christenthums. So Lucian, Peregrin. c. 13. – Die Sklaverei, dieser Krebsschaden des antiken Staates, wurde mindestens doch als ein ›Uebel‹ erkannt gleich der Krankheit, wie man es denn auch aus dem Sündenfall der Erzeltern herleitete, ein Uebel, das man zwar nicht vollkommen auszurotten wagte und auch nicht vermochte, wohl aber zu lindern und zu verhüten bestrebt war. Den Sklaven fügte ihr Stand keinen Makel an, waren sie doch auch Brüder, und alle Christen ohne Ausnahme servi Dei . Wie die Freilassung der Sklaven zu den guten Werken gehörte, ebenso der Loskauf der Kriegsgefangenen, aus welchen ja die Sklaven vornehmlich hervorgingen.

So sehen wir nach allen Richtungen hin in dem neuen, christlichen Gemeinwesen erreicht oder weiter geführt, was die Besten des alten, heidnischen mit mehr oder weniger klarem Bewusstsein, die Masse aber im dunkeln Drange erstrebte.

Auch als Religion kam das Christenthum allen den verschiedenen Neigungen der Zeit entgegen, die in ihm zu einer höhern Einheit verbunden erscheinen. Vor allem musste der den Nationalkulten feindlichen monotheistischen Tendenz eine Religion entsprechen, die auf der Basis des strengsten Monotheismus aufgewachsen, in ihrer idealen Entwickelung alles nationalen Charakters sich entkleidet hatte; die, wie keine, darbot was auch die Masse des Volks suchte, Trost für die Leiden der Gegenwart, und zugleich in Hinsicht auf die Zukunft als wahren Eckstein ihres Lehrgebäudes die Verheissung der Unsterblichkeit in sich trug. Indem man sich zu dieser 18 Weltreligion bekannte, an deren Entwickelung die Bildung des Orients wie die des Occidents ihren Antheil hatte, das Judenthum wie der Hellenismus, – und in dieser Vereinigung liegt das Geheimniss der Grösse und der Erfolge des Christenthums – vertauschte man nicht eine Nationalreligion mit einer andern. Die Götter des Morgenlandes wie des Abendlandes, bei denen man vergeblich Hülfe gesucht, waren hier beide entsetzt, und in die bunte Schar jener gefürchteten Mittelwesen verwiesen, der Dämonen: im Glauben an diese begegneten sich die Christen mit den Heiden, vor ihren bösen Einflüssen vermochten sie jedoch allein sich zu schützen.

Nicht minder aber kam die christliche Religion auch den Gebildeten entgegen. In der Abwendung von dem Staatsleben, in jenem Sichzurückziehen auf das eigene Innere, dort das Glück zu suchen, in der Gesinnung als sittlichem Masstab des Handelns, in der Verherrlichung der Tugend und der Bekämpfung der Sinnlichkeit, welche selbst bis zur Askese ausartete, erschien das Christenthum dem Stoicismus verwandt, nur dass es den Egoismus desselben durch die Bruderliebe aufhob. Während dem Stoicismus gegenüber das moralische Element des Christenthums massgebend war, bot sein speculatives der Offenbarungsphilosophie der Neupythagoräer und Platoniker eine homogene Seite. Und musste nicht endlich jene Menge der Halbgebildeten, die unter der Herrschaft ihrer Phantasie in den Mysterien Befriedigung und Erlösung suchten, auch von diesen ›neuen Mysterien‹ Vgl. Lucian, Peregrin. c. 11: τὸν μέγαν γοῦν ἐκεῖνον ἔτι σέβουσι τὸν ἄνϑρωπον τὸν ἐν τῇ Παλαιστίνῃ ἀνασκολοπισϑέντα, ὅτι καινὴν ταύτην τελετὴν εἰσήγαγεν ἐς τὸν βίον angezogen werden, die noch mehr vor der Welt sich verhüllten, und unter den einfachsten Symbolen den tiefsten Inhalt verbargen? – Auf alle aber, die Gebildeten wie die Ungebildeten, musste diese Religion durch den Muth und die Standhaftigkeit ihrer Bekenner keinen geringen Eindruck machen, wie er denn gerade in der That viele bekehrt hat; hier bot sich eine neue Quelle sittlicher Kraft und Grösse, deren Mangel die römische Welt schon lange tief empfand, nachdem mit dem republikanischen Patriotismus jene virtus selbst zu Grabe gegangen, die man noch immer in der Aufopferung eines Scaevola, eines Regulus pries.

19 Auch der frische feurige Kultus des Idealen, wie er in den Predigten und Schriften der Christen mit Begeisterung gepflegt ward, erfüllte ein Bedürfniss der im Materialismus untergegangenen Zeit. Der Bruch mit dem Klassicismus, die Subjectivität erscheinen hier, wie später im einzelnen gezeigt werden wird, durch das neue Bewusstsein gerechtfertigt, ja gefordert, selbst die Emancipation des landschaftlichen Geistes mindestens entschuldigt; die Neuheit des Inhalts ging mit der Neuheit der Form, die geniale Kühnheit ersetzte in jenem nicht selten, was sie in dieser verfehlte. Eine neue Literatur entstand, eine neue Kunst bereitete sich vor.

Wenn nun also das Christenthum in jeder Beziehung darbot was das Heidenthum suchte, oder was ihm mangelte, wenn der Fortschritt der Kultur nur in und durch das Christenthum in jenem Zeitalter vollkommen verwirklicht werden konnte, so begreift sich zwar bei alledem leicht, dass es nur allmählich sich ausbreitete, je nachdem nämlich die Bedürfnisse, die die Zeit empfand und die es erfüllte, dringender wurden und es selbst in seiner Entwickelung fortschritt; nicht aber, wie es bei dieser Lage der Dinge von den Heiden geradezu, und so heftig verfolgt werden konnte. Um diese Verfolgungen, die eben in unserer Periode am schlimmsten auftreten, und auf die erste Gestaltung der christlichen lateinischen Literatur von so bedeutendem Einfluss waren, zu erklären, muss man vor allem eine doppelte Art derselben unterscheiden. Die Verfolgung ging entweder vom Volk oder vom Staat aus; die erstere war immer nur eine locale, durch bestimmte Anlässe erregte, die jeder Zeit in dem weiten Reiche vorkommen konnte und vorkam, bald mehr, bald weniger häufig, bald in grösserer, bald in geringerer örtlicher Ausdehnung. Sie fand theils mit der Connivenz, theils unter dem Widerstreben der Behörden statt. Die feindselige Gesinnung gegen die Christen, aus der solche Verfolgungen entsprangen, hatte ihren Grund vornehmlich in Unwissenheit und Roheit, wurde aber nicht selten erst durch den Eigennutz einzelner und den Hass der Juden auf ihre leidenschaftliche Höhe getrieben. Vgl z. B. Apostelgesch. c. 19, v. 24 fg., und insbesondere v. 33. Da die Christen sich grundsätzlich von dem öffentlichen Leben fern hielten, so traute man ihnen, deren Religion und Gemeinwesen doch auf die Bruderliebe aller Menschen sich 20 gründete, jenen Hass gegen das Menschengeschlecht zu, den schon Tacitus ihnen beilegt. Von einem solchen Hass aber liess sich alles böse erwarten. So machte sie das abergläubische Volk selbst für öffentliche Calamitäten verantwortlich, die ganz ausserhalb des Bereichs der menschlichen Machtsphäre lagen. Die aber daran dachten, solchen Unsinn zu begründen, führten den Zorn der Götter über den Atheismus der Christen an: weniger der Monotheismus derselben, als vielmehr sein idealer Charakter musste der heidnischen Menge ganz unfassbar sein. Dasselbe war mit der Nächstenliebe der Fall, dem Kern der christlichen Sittlichkeit. Die Liebe konnte der grosse Haufe nur sinnlich sich denken, und so erschien ihm ein Gemeinwesen, das auf das Princip der Bruderliebe sich gründete, als eine Verbindung zum Zweck eines sich aller sittlichen und natürlichen Schranken entledigenden Geschlechtsgenusses. Alle Bande der Gesellschaft mussten von solchen Frevlern bedroht erscheinen, die man nunmehr eines jeden Verbrechens für fähig hielt. Es versteht sich, dass eine solche Ansicht Ausführlicher, im einzelnen, wird sie weiter unten die Geschichte der Apologien kennen lehren. der öffentlichen Meinung der Ungebildeten, welche die geringste nähere Bekanntschaft mit dem Christenthum zerstörte, sich immer persönlich und örtlich sehr modificiren musste.

Die Stellung, welche der Staat dem Christenthum gegenüber einnahm, musste natürlich auch auf die Anschauungen der Menge und ihr thatsächliches Verhalten gegen die Christen von Einfluss sein. Bis auf Decius ging die Initiative der Verfolgung des Christenthums aber nicht vom Staate aus. Verfolgungen wie die Neronische in Rom waren kein Werk der Politik, sondern der Persönlichkeit des Kaisers aus rein egoistischem Motive. So verfuhren bis auf Decius die Behörden gegen die Christen nur auf Denunciationen hin, wenn auch der blosse Name ›Christ‹ schon zur Anklage, ja zur Verurtheilung genügte. Der Staat sah zwar in den Christen eine ungesetzliche, gegen seine Ordnung innerlich sich auflehnende geheime Verbindung, eine Hetärie, aber er achtete sie lange Zeit, weil sie nirgends aggressiv auftraten, für zu ungefährlich, um ohne bestimmten thatsächlichen Anlass gegen sie einzuschreiten. So verordnete Trajan auf eine Anfrage des Plinius, als Statthalters von 21 Bithynien, ausdrücklich, die Christen sollten nicht aufgesucht werden. Und diese Politik der Zurückhaltung von Seiten des Staats wurde denn auch später bis zur Mitte des dritten Jahrhunderts im allgemeinen befolgt, wenn auch Septimius Severus gegen den Proselytismus der Christen wie der Juden in Palästina Verordnungen erliess, und einzelne Beamte sich auch Ausschreitungen erlaubten.

So wenig aber dem Staat auch von dem Christenthume bekannt war, das eine wenigstens lag klar vor aller Augen, dass die Christen der Staatsreligion jede Huldigung versagten, vielmehr selbst eine jede Berührung mit ihr mit ängstlicher Scheu vermieden. Sie erschien aber als das wichtigste Institut des Staats, das gewissermassen seine Existenz verbürgte, sodass ihre Negation den Staat selber in Frage stellte. In der That bildete auch das christliche Gemeinwesen einen Staat im Staate, dessen Mitglieder bei einem Conflict seiner Ordnungen mit den öffentlichen keinen Augenblick im Zweifel sein durften, jenen zu folgen. Das ganze Bemühen der Christen ging nur dahin, einen solchen Conflict zu vermeiden, indem sie sich soviel als möglich von der heidnischen Gesellschaft isolirten. Mit der weitern Ausbreitung des Christenthums aber, die mit dem Verfall des heidnischen Staatswesens Hand in Hand ging, wurde dies nur um so weniger möglich, und die Gefahr, die dem Staat von dem Christenthum drohte, immer grösser und zugleich offenbarer. Andererseits aber machte sich seit dem Anfange des dritten Jahrhunderts der jetzt immer mehr und mehr zunehmende Einfluss des Religionssynkretismus und des Orients auch zu Gunsten des Christenthums geltend, indem er seine Ausbreitung, namentlich auch unter den höhern Ständen, nicht wenig förderte und selbst auf mehrere Kaiser der Art wirkte, dass die christliche Religion nur als ein Kultus gleich den unzähligen andern im Reiche betrachtet wurde. Zu ignoriren war das Christenthum nicht mehr; es war eine Macht geworden, mit der man rechnen musste. Und so beginnt ganz natürlich zugleich mit dem fruchtlosen reactionären Bestreben, altrömisches Wesen wiederherzustellen, wie es Decius um die Mitte des dritten Jahrhunderts zuerst versuchte, auch die directe Verfolgung des Christenthums von Seiten des Staats.

Diese Art der Verfolgung, wo die Initiative vom Staate selber und nicht vom Volke ausging, war eine ganz andere. 22 Sie hatte stets zum directen Object das christliche Gemeinwesen selbst, nicht Individuen, sie richtete sich daher vorzugsweise gegen die Häupter desselben, sie war keine locale, sondern immer eine allgemeine, wohl vorbereitet und organisirt. Aber das Christenthum war mehr als eine Hetärie: es war eine neue Weltanschauung, die sich nicht mit materiellen Waffen bekämpfen liess, und sein Gemeinwesen war, auch als politischer Organismus, auf so einfachen naturgemässen Grundlagen, die aus seinem Lebensprincip sich von selbst ergaben, aufgeführt, dass es, wenn heute zerstört, morgen von neuem wiederhergestellt war. Daran scheiterte denn auch schon die Verfolgung des Decius, die durch den baldigen Tod dieses Kaisers auch nur kurz dauerte, und die unter Valerian, die nach ein paar Jahren (257) darauf folgte, sodass Gallien, sein Mitregent, es für gerathen hielt, mit der christlichen Kirche Frieden zu schliessen, indem er zu ihren Gunsten die ersten Toleranzedicte erliess, wodurch den Christen ihre Kirchen- und Begräbnissplätze wieder eingeräumt und sie selbst vor Beunruhigung durch die Heiden geschützt wurden. Es war damit die seit dem Anfang des Jahrhunderts bis auf Decius thatsächlich vorhandene Duldung der christlichen Kirche wiederhergestellt und hatte überdies eine directe officielle Weihe erhalten. Die Folge war, dass das Christenthum in den nächsten vierzig Jahren bis zum Anfang des vierten Jahrhunderts immer rascher sich ausbreitete, namentlich auch in den höhern Ständen (wozu nicht wenig der fortschreitende Sieg des Monotheismus überhaupt über den Polytheismus beitrug), und sich immer fester in sich consolidirte. Als nun Diocletian seine Reorganisation des römischen Staats durchgeführt und befestigt hatte, konnte es nicht fehlen, dass auch der Versuch erneuert wurde, die dem heidnischen Staate fremde feindselige Macht, die derselbe in seinem Schosse trug, ohne sie sich assimiliren zu können, zu vernichten, und um so mehr, je gewaltiger sie in der letzten Zeit herangewachsen war: dann erst konnte das Werk des Diocletian auch für die Zukunft gesichert erscheinen.

So trat denn 303 die letzte grosse und die schlimmste Verfolgung des Christenthums von Seiten des Staats ein, welche von Diocletian, aber auf die Anregung des Galerius, ausging, und von diesem auch besonders fortgesetzt wurde, weshalb sie besser die Galerianische als die Diocletianische zu nennen wäre. 23 Ihr Resultat musste über die Weltherrschaft zwischen Christenthum und Heidenthum entscheiden. Sie blieb erfolglos. Ihr Urheber selbst, Galerius, musste bereits 311 den moralischen Sieg des Christenthums anerkennen, durch das von seinem Krankenlager erlassene Toleranzedict, welches das Christenthum in den vorigen Stand wieder einsetzte, ja seine Gläubigen verpflichtete, für des Reichs und des Kaisers Wohl zu beten. Constantin und Licinius aber machten in ihren Kriegen mit den andern Imperatoren, der eine mit Maxentius (312), der andere mit Maximin (313), das Christenthum bereits zu ihrem Bundesgenossen. Schon vor dem letzten Kriege hatten sie im Januar 313 beide vereint das wichtige Mailänder Edict erlassen, worin nun allgemeine unbeschränkte Religionsfreiheit mit besonderm Bezug auf die Christen gewährt wurde. Ein jeder solle verehren können was er wolle, und so auch jeder ungehindert zum Christenthum übertreten. Alle confiscirten Güter sollten alsbald der christlichen Kirche und Gemeinde zurückgegeben werden.

Hiermit war der Sieg des Christenthums entschieden, in dem Edict hatten sich die Kaiser selbst bereits auf den Standpunkt der religiösen Toleranz, den die Christen, als von dem Wesen der Religion überhaupt geboten, von den Heiden immer verlangt hatten, also auf einen christlichen, gestellt. Die Religion wurde hier als Sache der innern Ueberzeugung betrachtet. Der Geist des zur Herrschaft gelangten Monotheismus, der das ganze Edict erfüllt, war es, der die Kaiser jenen Standpunkt einnehmen liess. Der Sieg wurde aber erst ein definitiver, nachdem auch Licinius von Constantin überwunden, und dieser so zur Alleinherrschaft gelangt war (323). In seinem ehrgeizigen Streben nach ihr hatte Constantin die Macht des Christenthums sich immer mehr dienstbar zu machen getrachtet, durch fortwährend sich steigernde Begünstigung der Kirche und des Klerus; dem gegenüber suchte Licinius dann eine Stütze in dem Heidenthum, indem er das der Sympathien mit dem Nebenbuhler verdächtige Christenthum so viel als möglich zu unterdrücken strebte; er begann von neuem, wo Diocletian begonnen hatte. Mit seiner Niederlage war die des Heidenthums besiegelt. Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der Zeit von August bis zum Ausgang der Antonine. 3 Thle. Leipzig 1862–71. – Boissier, La religion romaine d'Auguste jusqu' à la fin des Antonins 2. éd.. Paris 1878. – Burckhardt, Die Zeit Constantins des Grossen. Basel 1853. – Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwickelung. Bd. III, 2. Aufl. Leipzig 1865–68. – F. Ch. Baur, Kirchengeschichte der drei ersten Jahrhunderte, 3. Ausg. Tübingen 1863. – C. Schmidt, Essai historique sur la société civile dans le monde romain et sur la transformation par le christianisme. Strassburg 1853. – Aubé, Histoire des persécutions de l'église jusqu' à la fin des Antonins. 2. éd. Paris 1875. – Derselbe, Les chrétiens dans l'empire romain de la fin des Antonins au milieu du 3. siècle. Paris 1881. 25

 


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