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Drittes Kapitel.

Sedulius.

Auch die Evangelien fanden um dieselbe Zeit Auf Grund der Subscription des Consuls Asterius (er war es 494) und eines daran sich schliessenden Epigramms desselben, welche den Anschein erwecken müssen, als habe Asterius zuerst die Dichtung des Sedulius aus dessen Nachlass edirt, hat man (so noch Teuffel) dieselbe in das Ende des 5. Jahrhunderts gesetzt, zumal man fälschlich annahm, das Epigramm sei an den Macedonius gerichtet, was gar nicht der Fall ist. Die Widmung des Opus paschale (s. unten) zeigt klar, dass das Carmen schon vor diesem von dem Dichter selbst publicirt war, worauf auch die Widmung des Carmen selbst hinweist. Die Einwendung Boissiers (am unten a. O. S. 557, Anm.), dass Sedulius in der Widmung des Opus nur sage, er habe das Carmen dem Macedonius zur Durchsicht vor der Herausgabe gesandt, erscheint ungerechtfertigt, indem Sedulius ebenda zu seiner Entschuldigung denselben Gegenstand zweimal behandelt zu haben, auf drei editiones des Werks des Hermogenianus und darauf hinweist, dass Origines fast alles dreifach › edirt‹ habe. Der Ausdruck editio in beiden Fällen macht die Annahme Boissiers ganz unhaltbar. Asterius' Angabe erklärt sich daher nur durch die Annahme, dass zu seiner Zeit das Carmen bereits verschollen war, vielleicht in Folge der Edition des Opus; und man muss zwischen der Ausgabe des Asterius und der Abfassungszeit einen längern Zwischenraum annehmen. S. über die Subscription Jahn, Berichte der k. s. Ges. d. Wiss. III, p. 53. – Zu meiner Datirung stimmt auch der Platz, den Sedulius in der Reihe der von Isidor ( De vir. illustr.) aufgeführten Autoren einnimmt, wo er Avitus und Dracontius weit vorausgeht, zu den Autoren zählt, welche zur Ergänzung des Werkes des Gennadius von Isidor behandelt wurden. von neuem eine poetische Behandlung, und auch in einer freiern Weise als durch Iuvencus. Es geschah dies in dem Paschale carmen des 374 Sedulius Caelii Sedulii opera omnia ad mss. codd. vaticanos aliosque, et ad veteres editiones recognita a Faust. Arévalo. Rom 1794. 4°. (Prolegg.) – * Sedulii opera omnia, rec. Huemer. Acced. excerpta ex Remigii expositione in Sedulii Paschale carmen. Wien 1885. ( Corp. scr. eccl. lat. T. X.) – Huemer, De Sedulii poetae vita et scriptis. Wien 1878. – Leimbach, Patristische Studien. I. Caelius Sedul. und sein Carm. paschale. Goslar 1879 (Wissenschaftl. Beilage zum Jahresber. der Realschule 1. O. zu Goslar). – Boissier, Sedulius, im Journal des Savants 1881. (Septembre.), worin die ›göttlichen Wunder‹ Christi, ›der als unser Pascha geopfert ist‹ (so sagt der Verfasser selbst in der Widmung), auf Grund der vier Evangelien in vier Büchern besungen werden Quatuor igitur mirabilium divinorum libellos, quos ex pluribus pauca complexus usque ad passionem et resurrectionem ascensionemque domini nostri Iesu Christi quatuor evangeliorum dicta congregans ordinavi – – , denen aber ein einleitendes fünftes Buch vorausgeht. Das Werk ist einem Presbyter Macedonius gewidmet. Diese in Prosa geschriebene Widmung gibt uns nicht bloss über die Absichten des Dichters, sondern auch über ihn selbst die einzige zuverlässige Auskunft. Sedulius, so erfahren wir hier, hatte ursprünglich mit weltlichen Studien sich beschäftigt, und sein dichterisches Genie den ›unfruchtbaren Spielen‹ der Profanpoesie gedient, als sich seiner das Erbarmen Gottes annahm und er ihm ›den Kultus des erleuchteten Herzens widmete‹. Er wendet sich nun der geistlichen Dichtung zu, da er sein Pfund nicht vergraben dürfe: er will zeigen, wie weit er in der christlichen Doctrin fortgeschritten ist, dank vor allen dem Macedonius. Es trieb ihn aber zur Abfassung seines Werkes noch ein besonderer Grund an: er will auch andere zur Wahrheit 375 ermahnen, sich selbst damit im Guten bestärkend. Die poetische, metrische Form aber wählte er, weil es viele gibt, welche die Disciplin der weltlichen Studien hauptsächlich durch die Reize der Poesie anlockt; die Prosa lesen sie nachlässig, während sie die Verse begierig aufnehmen und ihrem Gedächtniss einprägen. et multi sunt, quos studiorum saecularium disciplina per poeticas magis delicias et carminum voluptates oblectat. Hi quicquid rhetoricae facundiae perlegunt, neglegentius adsequuntur, quoniam illud haud diligunt: quod autem versuum viderint blandimento mellitum, tanta cordis aviditate suscipiunt, ut in alta memoria saepius haec iterando constituant et reponant.

Nach einem kurzen Prolog von acht Distichen, hebt der Dichter das erste Buch (368 Hexameter) mit der Frage an, warum er die herrlichen offenbaren Wunder Christi verschweigen solle, während die heidnischen Dichter die Mythen, die nur Erdichtungen sind, in allen Formen der Poesie mit vollen Backen besingen. Man sieht, wie jene Wunder dem christlichen Dichter den Mythus ersetzen sollen. Christus, den Weg des Heils, will der Dichter preisen; zu ihm soll sich aller Sinn hinwenden, bei ihm sollen namentlich die noch in der heidnischen Bildung Befangenen Hülfe suchen. Der Dichter wendet sich dann an den allmächtigen Gott mit der Bitte, ihm den Weg zu seiner Stadt, dem himmlischen Jerusalem, zu weisen. Unter seiner Führung sei der Weg nicht schwierig, da seinen Befehlen die ganze Natur gehorche, dergestalt, dass mitten im Eise die Ernte, im Frühjahr der Wein reifen würde, wenn er es beföhle. Von den Zeichen, die Gott von dieser Herrschaft über die Natur, dieser Wunderkraft, gegeben, will der Verfasser nur einiger gedenken. Es werden darauf kurz die folgenden Wunder des alten Bundes vorgeführt: Enochs Versetzung in den Himmel, Sarahs Schwangerschaft, Isaacs Opfer, – insofern der Widder freiwillig zum Altar kommt Vgl. v. 223 f. –, Lots Frau, der brennende Busch, der Stab Mosis, der Durchzug durch das rothe Meer – ein Typus der Taufe (v. 142) –, der Mannaregen, das aus dem Fels durch Moses geschlagene Wasser, Bileams Esel, der Stillstand der Sonne, Elias von Raben genährt und zum Himmel im Feuerwagen auffahrend, ein anderer Helios, Ezechias, Jonas, die drei Männer im feurigen Ofen, Nebucadnezar, der zum Thier wird, Daniel in der Löwengrube, Nachdem der Dichter diese 376 Wunder noch einmal resumirt und darauf hingewiesen, wie dem Belieben des Schöpfers sein Werk folgen müsse, wendet er sich gegen die Heiden, welche Bilder, Thiere und die Elemente verehren, um dann den begonnenen Weg weiter zu gehen. v. 282. Nachdem er die Wunder des alten Bundes, die der Vater im Verein mit dem Sohn und dem heil. Geist vollbracht, erzählt habe, will er nun die des Neuen Testaments berichten, welche der Sohn im Verein mit dem Vater und dem heil. Geiste gethan. Die Dreieinigkeit sei der wahre Glaube: ihn vertheidigt er dann gegen Arius' und Sabellius' Lehren. Er sieht darauf schon die Burg Christi, in die er als sein Soldat aufgenommen zu werden ihn bittet. Er hofft eben das ewige Leben als Preis seiner christlichen Gesinnung, die er durch seine Dichtung bewährt. Aehnlich wie Iuvencus, s. oben S. 115. So bildet das erste Buch nur eine Einleitung zu dem Ganzen. Sollte dies in der That ursprünglich nur vier Bücher gezählt haben (wie man nach der oben S. 374, Anm. 2 angeführten Stelle der Dedication wohl annehmen könnte), so wird von unsern fünf das erste mit dem zweiten eins gebildet haben, das freilich dann doppelt so gross als die andern gewesen sein würde. Die Hinweisung auf Adam am Schluss des ersten Buchs setzt dies mit dem Anfang des zweiten in die nächste Verbindung.

Im Eingang des zweiten Buchs (300 Hexameter) gedenkt der Verfasser in lebendiger Darstellung des Sündenfalles, indem er namentlich Eva anklagt: ihre Schuld sühnt die ›heilige Maria‹, die wie eine sanfte Rose aus stachlichen Dornen entspriesst. Es werden dann zunächst die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben des Heilandes bis zu dem ersten von ihm vollbrachten Wunder auf Grund der Evangelien, vornehmlich des Matthäus, in der Kürze erzählt, nämlich die Empfängniss, die Geburt (wobei die Schönheit Christi im Hinblick auf Psalm 18, Vers 6 und Psalm 44, Vers 3 gepriesen wird), die Begrüssung der Hirten und der Magier, der Kindermord des Herodes, das Erscheinen des zwölfjährigen Christus im Tempel, seine Taufe, die Versuchung des Satan, die Wahl der Apostel – bis Vers 230: diese Partie ist vielleicht die beste des ganzen Werkes, indem sie durch eine grosse Lebhaftigkeit und Beweglichkeit der Darstellung sich auszeichnet, die den Leser fortdauernd zu fesseln weiss. An sie schliesst sich noch eine erklärende Umschreibung des Vaterunser. – Das dritte Buch (339 Hexameter) beginnt 377 nun die von Christus gethanen Wunder zu berichten, indem der Dichter mit dem ersten, dem der Hochzeit von Cana (hier sowie bei der Wiedererweckung des Sohnes des Regulus von Capernaum im Anschluss an Johannes) anhebt; darauf folgen die von Matthäus von Kapitel 8 bis Kapitel 17 erzählten, und den Schluss bildet merkwürdigerweise die Frage der Jünger, wer von ihnen der grösste im Himmelreich sein werde, und ihre Beantwortung durch Christus, Matth. c. 18 init. – Das vierte Buch (308 Hexameter) beginnt dann mit der Rückkehr Christi von Galiläa über den Jordan nach Judäa, Matth. c. 19, v. 1 f., worauf der Dichter in seinem Berichte der Wunder diesem Evangelisten noch bis c. 21 folgt (dabei aber hier den Einzug in Jerusalem übergehend), um alsdann die nicht bei Matthäus sich findenden Wunder aus den andern Evangelisten, zunächst aus Lucas, zum Theil auch aus Marcus, dann aus Johannes zu ergänzen bis zum Einzug in Jerusalem, welchen er denn am Schlusse dieses Buchs nach der Wiedererweckung des Lazarus erzählt. – Im fünften Buch (438 Hexameter), wo der Dichter im Anfang auch noch speciell Johannes (c. 12 f.) folgt S. über die biblische Vorlage im weiter Folgenden, wie über sie überhaupt Leimbach, S. 11 ff. und 45 ff., wird das Leiden, der Tod, die Auferstehung, die Erscheinungen Christi und seine Himmelfahrt geschildert, und mit einer Umschreibung der beiden letzten Verse des Evangelium Johannis das Werk geschlossen.

Die Behandlung des biblischen Stoffes ist schon durch die Aufgabe, die sich der Dichter gestellt hat, eine viel freiere als in der Historia evangelica , obgleich er sich, wie wir sahen, auf die Erzählung der Wunder allein nicht beschränkt, und dies ist – von dem ersten Buche natürlich hier abgesehen – nicht bloss in dem zweiten und im letzten Buche der Fall, wenn auch hier vornehmlich, indem auch in den beiden übrigen hin und wieder andere Züge aus dem Leben Christi erzählt werden, wie bereits angedeutet, und wie im vierten (v. 222 ff.) die Begegnung Christi mit der Samaritanerin und die mit der Ehebrecherin. Sedulius setzt, im Unterschied von Iuvencus, offenbar eine Kenntniss der evangelischen Geschichte, im allgemeinen mindestens, bei seinem Leser voraus: so verknüpft er meist nur sehr lose und äusserlich, oder auch gar nicht die aus dem 378 Zusammenhang der biblischen Erzählung herausgenommenen Thatsachen, die oft nur wie aufgezählt erscheinen; zugleich reproducirt er sie in einer viel freiern, subjectiven Weise, indem er öfters, die Thatsache bloss andeutend, mehr seinen Empfindungen und Betrachtungen über dieselbe Ausdruck verleiht. Dies gibt seinem Werk einen weit originellern Charakter und in seinen besten Partien oft eine dramatische Lebendigkeit: Treue im Ausdruck bei der Wiedergabe der Bibel lag nicht in seiner Absicht. Dass trotz dieser Originalität auch Sedulius zeigt, wie er bei Virgil in die Schule gegangen, versteht sich; er scheut sich selbst nicht, einmal einen ganzen Vers aus der Aeneis zu entlehnen. In der pittoresken Anschaulichkeit einzelner Beschreibungen, wie III, v. 90 ff. oder IV, v. 175 ff., und in der Versmalerei (s. III, v. 52 ff.) bekundet er sich als seinen gelehrigen Schüler. Aber es fehlt auch nicht hier und da an rein rhetorischen Spielereien. z. B. II, v. 84 f.
        – – legemque legendo
        Neglegis et regi regum tua regna minaris.

Dergleichen ist aber selten. Vgl. auch II, v. 7 f. – Auch Wortspiele des Witzes finden sich, so wenn es von der Geburt des Blindgebornen heisst IV, v. 253: in lucem sine luce ruit. S. andere Beispiele bei Boissier, l. l. S. 565.
In einzelnen Partien ist mir das häufige Eintreten des leoninischen Reims sehr aufgefallen, so namentlich im zweiten Buche von v. 82 an.

Auch ein dem Iuvencus gegenüber eigenthümlicher Zug unseres Dichters, der mit dem oben Gesagten zusammenhängt, ist die nicht selten zu findende mystische Erklärung, die er den biblischen Thatsachen beifügt. So entspricht die Vierzahl der Evangelisten der der Jahreszeiten, die Zwölfzahl der Jünger der der Tagesstunden und Monate (I, v. 360 ff.); so weisen die drei Stunden, wo die Sonne beim Tode Christi verfinstert war, auf die drei Tage hin, die er im Grabe lag (V, v. 241 ff.)         (Lux) Non absens mansura diu, sed mystica signans
        Per spatium secreta suum; quippe ut tribus horis
        Caeca tenebrosi latuerunt sidera caeli,
        Sic Dominus clausi triduo tulit antra sepulcri.
; so wird auch der Erzählung von dem zur Quelle Siloa gesandten Blinden eine mystische Deutung gegeben (IV, v. 263 ff.)         – – Cognoscite cuncti,
        Mystica quid doceant animos miracula nostros.
, ebenso 379 der Zerreissung des Vorhangs des Tempels (V, v. 273 f.), dem Fischzug des Petrus Joh. c. 21 (V, v. 401 ff.) u. s. w. Hier sei auch die folgende Stelle über die Form des Kreuzes ausgehoben V, v. 188 ff.:
        Neve quis ignoret, speciem crucis esse colendam,
        Quae Dominum portavit ovans, ratione potenti
        Quattuor inde plagas quadrati colligat orbis.
        Splendidus auctoris de vertice fulget Eous,
        Occiduo sacrae lambuntur sidere plantae,
        Arcton dextra tenet, medium laeva erigit axem.

Auf diese Dichtung liess Sedulius später eine Uebertragung derselben in Prosa (auch in 5 Büchern) folgen, die er im Gegensatz zu dem Carmen Paschale opus nannte. Auch dies ›Opus‹ widmete er dem Macedonius, auf dessen Aufforderung hin er es verfasst hatte, wie er in der Widmung desselben sagt. Er stellt dort das Werk unter den Schutz der Autorität des Macedonius, etwaigen Verkleinerern gegenüber, die ihm Untreue in der Ueberlieferung vorwerfen könnten, weil in der Prosa manches enthalten, was in dem Gedicht sich nicht finde. Aber er habe nicht sowohl geändert, als vielmehr nur vervollständigt. Was dem ersten Werke gefehlt hätte, sei dem zweiten hinzugefügt. – Und in der That machen solche Ergänzungen den materiellen Unterschied beider Werke aus, wie denn z. B. Stellen der Bibel, namentlich des Alten Testaments, auf die im Carmen nur hingedeutet ist, in dem Opus wörtlich wiedergegeben sind, sodass das letztere hier und da dem erstern zur willkommenen Erklärung dient. Auch sonst finden sich an wichtigern Stellen die Worte der Bibel selbst in dem Opus hinzugefügt, wodurch es einen kirchlichern Charakter erhält. Die Prosa, die allerdings offenbar eine poetische sein soll, bildet in ihrem geschraubten und schwülstigen Ausdruck einen merkwürdigen Gegensatz zu dem Gedicht, das im allgemeinen gerade durch eine schwulstfreie leichte Darstellung sich auszeichnet, und deshalb nicht bloss von den Dichtern der nächsten Epoche, einem Venantius Fortunatus, Aldhelm und Beda, sondern auch in dem Zeitalter Karls des Grossen, und selbst noch in dem des Humanismus sehr hoch geschätzt wurde.

Wir besitzen von Sedulius noch zwei Gedichte, davon ist das eine eine ›Elegia‹, 55 Distichen, worin die Künstelei der Epanalepsis durchgeführt ist: ja dieser zu Gefallen ist wohl 380 das Gedicht überhaupt geschrieben, welches zum Lobe Christi verfasst, grösstentheils wenigstens Facta des alten Bundes zu solchen des neuen in typische Beziehung setzt, indem der Hexameter dem Alten Testament, der Pentameter dem Neuen gewidmet ist: dazu musste sich allerdings gerade die Epanalepsis wohl eignen. Eins der besten Distichen diene als Beispiel, v. 7 f.:
        Sola fuit mulier, patuit qua ianua leto:
        Et qua vita redit, sola fuit mulier.
Man hat deshalb das Gedicht auch Collatio veteris et novi testamenti betitelt. Der metrischen Spielerei sind Präcision und Klarheit des Ausdrucks nicht selten geopfert. Für die typologische Kenntniss ist das Gedicht nicht ohne Interesse, das sonst keinen, am wenigstens poetischen Werth hat. Mehr ist dies der Fall in dem andern, auch literarhistorisch interessanten Gedichte.

Es ist dies ein alphabetischer Hymnus auf Christus in der Form der ambrosianischen, in welchem die Anfangsbuchstaben der Strophen der Reihenfolge des Alphabets entsprechen, wie bei dem Augustinischen Psalm (s. oben S. 250). So besteht er, indem hier kein Buchstabe übergangen ist, aus 23 vierzeiligen Strophen, in welchen die wichtigsten Momente aus dem Leben des Heilands kurz besungen werden. Der Ausdruck ist einfach und doch nicht gewöhnlich; und eine innige Empfindung spricht aus mancher Stelle in ihm. So hat sich denn auch die Kirche schon frühe Theile dieses Hymnus angeeignet und beim Gottesdienst verwandt, nämlich die ersten sieben Strophen (A bis G) als Weihnachtslied, dann die achte, neunte, elfte und dreizehnte (H, I, L, N) als Lied zum Epiphanienfeste. S. Daniel, Thes. hymnolog. I, p. 143 ff. – Ganz ähnlich verfuhr man ja auch mit Hymnen des Prudentius, s. oben S. 255. – Der Hymnus des Sedulius findet sich auch bei Du Meril, Poésies popul. lat. antér. au XII e 8., p. 142 ff.

Merkwürdiger, als durch Inhalt und Darstellung, ist dieser Hymnus in Bezug auf den Vers. Es zeigt sich da in einzelnen Zügen bereits ein bedeutungsvoller Unterschied von den Hymnen des Ambrosius wie auch des Prudentius. Zwar ist die Quantität der Silben hier nicht weniger beachtet als in jenen; kaum einmal ist eine Kürze durch die Arsis gehoben; auch 381 erscheint der Spondäus nicht im zweiten Fusse, ausser bei einem fremden Eigennamen: dagegen aber wird einmal bereits der Hiatus zugelassen (v. 17); was aber am wichtigsten ist, der Widerstreit des grammatischen und des Versaccentes erscheint viel seltener als bei Ambrosius, ja im Innern des Verses, im zweiten und dritten Fusse, ganz in der Regel nicht; es finden sich sogar zwei ganze Strophen (B und L), in welchen der Widerstreit gar nicht eintritt. Und, was nicht zu übersehen, dies ist bei einem Dichter der Fall, der, wie sein Paschale carmen zeigt, die beste Schule gemacht hat, der in diesem sich als reinen Kunstdichter im klassischen Sinne bewährt hat. Höchst beachtenswerth aber ist ferner, dass zugleich in diesem Hymnus der Reim bereits in einer so ausgedehnten Weise Anwendung findet, dass er geradezu als ein Kunstmittel zu betrachten ist, das sich hier offenbar Hand in Hand mit der zuletzt erwähnten volksmässigen Eigenthümlichkeit, der Herrschaft des grammatischen Accentes, einstellt. Allerdings um so leichter bei einem Dichter, der, wie wir oben S. 378 bemerkten, schon eine Vorliebe für den Reim besass. Von einem zufälligen sporadischen Eintreten des Reimes kann hier ebenso wenig mehr die Rede sein, als von einer Anwendung im Geiste der antiken Kunstpoesie: er erscheint vielmehr hier als ein musikalisches Element, das dem Rythmus eine Zierde verleiht und die Hebung der Schlusssilbe des Verses verstärkend das Metrum trägt und markirt, so also einen Ersatz für das seltnere Eintreten des Widerstreits von Vers- und Wortaccent bieten kann. So zeigt sich hier schon der Verlauf der spätern metrischen Entwickelung angedeutet, welchen diese Dichtungsart, die von der Basis der antiken quantitativen Kunstpoesie ausgeht, unter dem Einfluss des in der Volkssprache über die Quantität zum vollkommenen Siege gelangten Accentes und der vom Metrum mehr und mehr sich emancipirenden musikalischen Composition nehmen sollte. – Merkwürdig ist zu beobachten, wie bereits auch die verschiedensten Arten des Reimes, natürlich ohne Absicht des Dichters, in diesem Hymnus sich zeigen, aber die einfachsten und volksmässigsten, der gepaarte Reim und die Einreimigkeit, durchaus vorherrschen; und wie dem vollständigen der blosse Vocalreim zur Seite geht, der allerdings bei volksmässiger Aussprache schon damals in vielen Fällen ein 382 vollständiger wurde, da gar manche der auslautenden Consonanten bereits verstummt waren. Hierdurch scheint auch die Einreimigkeit noch mehr vertreten: sie findet sich in den Strophen A, C, K, L, P, R, Y, Z. – (A und Y sind durchaus nur als einreimig aufzufassen, nicht = abba, weil das auslautende m sicher stumm war.) Auch gleitende Reime finden sich in Strophe H.

Um so werthvoller erscheint aber dieser Hymnus in allen diesen Beziehungen, als er doch durch den Namen seines Verfassers wenigstens eine ungefähre Datirung sichert: nach dem oben Bemerkten würde er wenigstens noch in das zweite Drittheil des fünften Jahrhunderts zu setzen sein. Von den dem Ambrosius beigelegten Hymnen gehören manche sicher auch diesem Jahrhundert an, wie Splendor paternae gloriae Daniel, Thes. hymnol. I, p. 24 f., Mone, Lat. Hymnen I, p. 373; ein höheres Alter wird bezeugt durch seine Erwähnung in der Regula des Bischofs von Arles, Aurelianus, der 555 starb, s. Daniel, l. l. IV, p. 15. oder Illuxit orbi iam dies , den Daniel dem Ambrosius zuschreibt Mone, a. a. O. p. 77; Daniel IV, p. 11 ff. Er glaubt, dass auf diesen Hymnus die Stelle in Cassiodors Psalmencommentar Ps. 74, v. 8 sich beziehe, die man bisher auf den Hymnus › Inluminans altissimus‹ bezogen; und allerdings hat er darin Recht, dass sie auf jenen Hymnus noch mehr passt, und zwar aus einem Grunde, den er ganz übersehen hat, nämlich wegen des V. 15: Pallor ruborem parturit; aber das Zeugniss Cassiodors kann überhaupt hier nicht genügend sein., und auch in diesen zeigt sich bereits der Widerstreit von Vers- und Wortaccent weniger als in den authentischen Hymnen des Ambrosius und zugleich der Reim schon öfter, während dagegen der Hymnus Inluminans altissimus in beiden Rücksichten den vier authentischen Hymnen des Ambrosius sich anschliesst, und auch in der ganzen Darstellungs- und Ausdrucksweise, ohne doch den Charakter einer blossen Copie zu haben Wie z. B. › Somno refectis artubus‹ oder › Consors paterni luminis‹. Daniel, l. l. I, p. 26 f., dergestalt, dass vieles für die Autorschaft des Ambrosius bei ihm spricht Auch das Zeugniss Cassiodors (s. oben Anm. 3) würde die Präsumtion noch verstärken, wenn die erwähnte Stelle auf diesen Hymnus zu beziehen wäre, und dies würde sicher der Fall sein, wenn in v. 14 ruborem statt saporem zu lesen wäre, und die Vertauschung jenes mit diesem Wort lässt sich leicht annehmen. S. den Hymnus bei Mone I, p. 75, Daniel I, p. 19 f., er wie der erstgenannte finden sich auch in der ältesten Hymnenhandschrift, s. Siona IX, S. 82., jedesfalls er im Alter den genannten wie dem Hymnus des Sedulius noch vorauszusetzen ist. Dass auch in allen diesen Hymnen die 383 Quantität beobachtet ist, versteht sich von selbst, denn die von uns oben ( S. 250, Anm. 1) gegebene höchst wichtige Bemerkung des Augustin zeigt, wie noch Ende des vierten Jahrhunderts der streng metrische, d. h. quantitative Charakter der Hymnen als so selbstverständlich betrachtet wurde, dass er keine Ausnahme zuliess; und es wird hiermit unsere Ansicht über die Versform der ältesten dieser Art Hymnen, speciell der des Ambrosius vollkommen bestätigt. Um so weniger ist der Hymnus › Lucis largitor‹ (s. oben S. 136, Anm. 1) dem Hilarius beizulegen, weil in demselben bereits das quantitative Princip im Schwanken sich befindet.

 


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