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Zweites Kapitel.

Gedichte über die Genesis. Hilarius. Cl. Marius Victor.

Aus derselben Zeit, den ersten Jahrzehnten unserer Periode – d. h. den dreissiger bis fünfziger Jahren des fünften Jahrhunderts – sind uns ein paar Dichtungen erhalten, in welchen die biblische Geschichte des Alten Testamentes, und zwar ein Theil des ersten Buchs Mose in Hexametern behandelt erscheint, die also dem Vorgang der Dichtung des Iuvencus folgen. Die eine, Metrum in Genesin betitelt In den meisten Ausgaben der Werke des Hilarius von Poitiers, namentlich auch in der von Maffei (s. oben S. 134, Anm. 2), und in der von *Oberthür, Würzburg 1785. Tom. IV., ist ein kürzeres Gedicht von 369 197 Hexametern, dem eine Widmung von drei Distichen vorausgeht, nach der Ueberschrift an ›Leo Papa‹ gerichtet. Das Gedicht, früher mit Unrecht dem Hilarius von Poitiers, heute dem von Arles beigelegt, wird jedenfalls einen Hilarius zum Verfasser gehabt haben. Es hat hauptsächlich die Schöpfung zum Gegenstand; der Sündenfall mit seinen Folgen, die selbst die Natur treffen v. 174, ein Gedanke, wie er sich auch bei Prudentius findet, siehe oben S. 273., und die Sündfluth, nach der ein besseres Geschlecht erwächst, werden noch kurz berührt. Der biblische Stoff ist hier mit aller Freiheit behandelt, indem der Verfasser der Darstellung der heiligen Schrift nirgends unmittelbar folgt. Es ist das Gedicht keineswegs ohne Begeisterung und Schwung geschrieben, wie denn der Dichter auch häufig zur Apostrophe, namentlich Gottes, übergeht. So gesellt sich hier ein gewisses lyrisches Element zu dem epischen. – Einzelne Züge lassen übrigens leicht erkennen, dass die entsprechende Darstellung im ersten Buch der Metamorphosen Ovids unserm Autor bei der seinigen gegenwärtig war.

Die andere der beiden Dichtungen hat einen ganz andern Charakter, wie sie schon viel voluminöser ist. Es ist die Alethia seu Commentationum in Genesim libri III des Claudius Marius Victor. Claud. Marii Victoris oratoris Massiliensis Alethia rec. Schenkl, in: Poet. christ. minor., Pars I, p. 335 ff. – – Bourgoin, De Cl. Mar. Victore rhetore christ. V. saec. Paris 1883. (Diss.) Ihn glaubt man in dem ›Victorinus‹ oder nach andern Handschriften ›Victorius‹, welchen Gennadius im 61. Kapitel seines oft citirten Buches behandelt und als Commentator der Genesis erwähnt, wiederzufinden, und, wie mir scheint, nicht mit Unrecht. Derselben Ansicht ist auch Schenkl, s. p. 347. – Das Kapitel des Gennadius lautet: › Victorinus (Victorius), rhetor Massiliensis, ad filii sui Aetherii personam commentatus est in Genesim, i. e., a principio libri usque ad obitum Patriarchae Abrahae tres versu (nach zwei Mss. aber quattuor versu) edidit libros, christiano quidem et pio sensu, sed utpote saeculari litteratura occupatus homo et nullius magisterio in divinis scripturis exercitatus, levioris ponderis sententiam figuravit. Moritur Theodosio et Valentiniano regnantibus.‹ Auch das Urtheil des Gennadius trifft zu. – Für die Autorschaft des Victor zeugt noch (worauf Bourgoin S. 31 ff. zuerst hingewiesen hat) seine Neigung zum Semipelagianismus, der ja gerade in Massilien seine Heimath hatte. Sie spricht sich an verschiedenen Stellen oft genug aus, wie das Bourgoin, Teuffel widerlegend, zeigt. Danach würde unser Autor ein 370 Rhetor Massiliens gewesen sein (gestorben unter Theodosius II. und Valentinian III., d. h. also 425–450), und sein Werk seinem Sohne gewidmet haben. Dass er ein Laie war und Lehrer, macht auch seine Dichtung sehr wahrscheinlich. Den Laien verrathen schon einzelne kühne weltliche Zusätze; auf den Lehrer aber deutet hin, dass das Werk selbst, wie in der Praefatio ausdrücklich gesagt wird Der Dichter bittet dort v. 103 ff. Gott:
        – – da nosse precanti,
        Dum teneros formare animos et corda paramus
        Ad verum virtutis iter puerilibus annis,
        Inclita legiferi quod pandunt scrinia Moysis – –
, zunächst für die Jugend verfasst ist: wozu die von Gennadius erwähnte Widmung an den eigenen Sohn gut stimmt. – Diese Praefatio von 126 Hexametern ist ein an Gott gerichteter Hymnus, worin der Dichter den Höchsten preist, dessen Güte die Ursache der Schöpfung der Welt sei, deren er selbst nicht bedurfte; der Urheber des Bösen wurde einer der Engel (Lucifer) in Folge der Freiheit des Willens, die aber deshalb nicht anzuklagen sei; ebenso wenig ist dies Adam, ist seine Schuld durch Christus doch ausgeglichen worden: denn es ist mehr den Tod zu besiegen, als das Sterben nicht zu kennen. Dann bittet der Dichter Gott um Beistand zu seinem Werke, und um Verzeihung, wenn er des Metrums halber in der Anordnung gefehlt habe, wenn sein Ausdruck ungenau und der Sinn nicht getroffen; sein Glaube möge nicht Gefahr laufen, hiernach gemessen zu werden.

Das erste Buch, von 547 (523) Die hier wie im Folgenden in Klammern beigefügte Ziffer bezeichnet die Verszahl des Textes des Gagneius; ich füge dieselbe wegen der Verbreitung der auf diesen Text (den übrigens Schenkl auch im Anhang mitgetheilt hat) sich gründenden Ausgaben um so mehr hinzu, als ich dem Urtheil Schenkls über die Edition des Gagneius nicht ohne Einschränkung mich anschliessen kann. Hexametern, geht bis zur Vertreibung des ersten Menschenpaars aus dem Paradiese, umfasst also die drei ersten Kapitel der Genesis; das zweite, von 558 (460) Hexametern, geht bis auf Noahs Dankopfer (excl.) und begreift Kapitel 4–8, v. 19; das dritte Buch, von 789 (741) Hexametern, geht bis auf Sodoms Untergang (incl.), also von Kapitel 8, v. 20 bis Kapitel 19, v. 29 der Genesis. Ob hier das Werk in der That endete? Ein Schlusswort für das Ganze findet sich nicht: es könnte also ein viertes Buch, das bis zum 371 Tode Abrahams ging, wie man auf Grund der Angabe des Gennadius annehmen sollte Man muss dann die Lesart quattuor versu bei Gennadius adoptiren, die vielleicht gerade im Hinblick auf unsere Dichtung, als dieselbe nur noch in drei Büchern vorlag, geändert wurde; es lässt sich nämlich nicht wohl annehmen, dass das dritte Buch die Erzählung der Genesis bis auf Abrahams Tod fortgeführt hätte, und demnach nur der Schluss dieses Buchs verloren gegangen wäre, denn einmal würde dies Buch, das ohnehin schon länger als die beiden andern ist, einen zu unverhältnissmässigen und ungewöhnlichen Umfang bekommen, dann aber entspricht der Abschluss dieses Buchs ganz wohl dem der beiden ersten Bücher. Die Andeutung über den Inhalt des Werks, die in der Praef. v. 106 ff. sich findet, ist leider zu vag und dunkel, um darauf ein sicheres Urtheil in dieser Frage zu gründen. – Der Ansicht Schenkls (p. 348) kann ich nicht beipflichten: es ist zu berücksichtigen, dass die Subscription des zweiten Buchs mit einem › Incipit III‹ schliesst., verloren gegangen sein. – Die Behandlung des biblischen Stoffes ist eine eigenthümliche und entspricht dem Titel; es ist nämlich keine blosse Reproduction in poetischer Form, sondern der Verfasser will in ihr zugleich eine Erklärung des biblischen Berichtes geben. Dieselbe aber gibt er öfters in der Gestalt von Zusätzen zu der Erzählung selbst, die also, obgleich sie im allgemeinen dem Gange des biblischen Berichtes folgt, doch in Einzelheiten nicht selten abweicht – wobei hier nicht an den Aufputz poetischer Beredsamkeit zu denken ist, von dem ich hernach rede. Beispiele mögen dies zeigen. So hatte Gott am siebenten Tage zu schaffen aufgehört, aber nur die Gattungen         Septima lux magnum vidit cessasse Parentem,
        Sed generum numeros tantum desisse creare – –
I, v. 171 (162) f.
; so hat Gott, sagt unser Dichter (I, v. 243 [227] f.), im Paradiese alles vereinigt, was einzeln die Natur an verschiedenen Orten empfing; so wohnten dort vor dem Sündenfalle die Tugenden ( gloria, simplicitas etc. ) mit einer gewissen Leiblichkeit (I, v. 258); so erzittert die Welt, als Gott die Sentenz über die Schuldigen im Paradiese spricht und es entsteht dadurch der Tartarus (I, v. 472 [455] ff.). Ferner die Vollendung des Baues der Arche, der mit grosser Arbeit beschleunigt begonnen war, wird dann 100 Jahre hingehalten, damit die schuldigen Menschen noch bereuen können, aber dieser Aufschub der Strafe macht sie nur noch schuldiger (II, v. 425 [328] ff.); der von Noah ausgesandte Rabe kehrt nicht zurück, weil er Beute gefunden (II, v. 498 [395] f.) u. s. w. Aber es sind auch Erklärungen hinzugefügt, die nicht mit der 372 Erzählung verwebt sind: wie die Beantwortung der Frage, warum die Erzeltern nicht früher sich kleideten, eine Erklärung, die dazu unbiblisch ist S. I, v. 425 (411) ff. Der auf den Himmel allein gerichtete Sinn trägt keine Sorge um den Leib.; hierher ist auch die mystisch-allegorische Auslegung zu rechnen, wie sie sich hier und da im Gedicht findet.

Wenn nun schon durch die Erklärung der Stoff im einzelnen erweitert wird, so geschieht dies im grossen durch längere Digressionen und Excurse, die auch als solche von dem Dichter bezeichnet werden, und die zu einem biblischen Commentar gar nicht gehören. Excurse dieser Art sind der kurze Ausfall gegen den Polytheismus I, v. 407 (394) ff. in Anknüpfung an die Stelle der Rede der Schlange Gen. c. 3, v. 5: et eritis sicut dii , wo zum ersten Male der Polytheismus genannt worden sei, der Plural des Wortes Gott ausgesprochen; dann die längere Abschweifung (III, v. 136 [109] ff.) über die erste Entstehung des Polytheismus und Fatalismus, die samt der Sterndeuterei, Eingeweideschau und allen magischen Künsten der Teufel in die Welt einführt. In solche Verbrechen verfällt vor allen Nimrod, an dessen Name Genes. c. 10, v. 8 f. sich die Digression knüpft, die dieses ganze bloss genealogische Kapitel, auf das sonst hier nicht eingegangen wird, ersetzt. Um sich über den Verlust des einzigen Sohnes zu trösten, lässt Nimrod von ihm ein Marmorbild machen und diesem göttliche Ehre erweisen. Am interessantesten und auch in Beziehung auf Idee und Ausführung gelungensten erscheint aber die lange Abschweifung von dem biblischen Bericht im Eingang des zweiten Buchs. Der Dichter schildert hier die Lage der aus dem Paradies vertriebenen Erzeltern, wie sie eben auf der noch mit Urwald bedeckten Erde angelangt sind. Jetzt erst erkennen sie den vollen Werth des Paradieses, das sie verloren, dessen sie sich nun mit Sehnsucht erinnern. Der Hunger treibt sie zur Arbeit, aber sie wissen noch nicht das Land zu bestellen, musste dies doch vor allem dem Walde abgewonnen werden. Sie wenden sich im Gebet an Gott. Unterdessen erscheint aber die Schlange wieder. Eva fordert Adam auf, sie, die den Tod in die Welt brachte, selbst zu tödten. Sie schleudern Steine nach ihr, die sich zwischen Gestein zu verbergen sucht; sie entwischt, aber einer der Steine trifft einen Feuerstein, ein Funke entspringt, bald steht der 373 Urwald in Flammen – mit Schrecken und Staunen sehen zuerst das Feuer und seine Macht die Erzeltern. Der Brand, der selbst die Wurzeln der Bäume ergreift, öffnet den Schooss der Erde, die den Schatz ihrer Metalle aufdeckt; ein befruchtender Regen fällt und der gelockerte Boden lässt die ersten Saaten entspriessen. – Diese Partie zeigt allein schon, dass der Verfasser dichterischer Conceptionen fähig war, und ihnen auch nach klassischen Mustern in Sprache und Vers, die er mit Leichtigkeit behandelt, einen würdigen Ausdruck zu geben vermag. Freilich die Rhetorik, welche seit dem goldenen Zeitalter die römische Dichtung und namentlich das Epos durchaus beherrscht, tritt in den Werken der späten Epigonen nur um so mehr hervor, und der schlichten Naivetät der biblischen Darstellung gegenüber erscheint uns der äusserliche rhetorische Aufputz, wie er sich hier nicht selten findet, in einem desto ungünstigern Lichte, während die römischen Zeitgenossen daran ihren Gefallen fanden. Auch auf diesem Wege wurde der Stoff noch von dem Dichter erweitert. So wird III, v. 433 (389) ff. gelegentlich der Befreiung Lots durch Abraham (Gen. c. 14) eine Schlachtbeschreibung von dem Dichter gegeben, wobei Virgil, wie überhaupt, sein Führer ist.

 


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