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Vierzehntes Kapitel.

Rufinus.

Unter den Prosaikern dieser Periode sind von allgemeiner literarhistorischer Bedeutung vorzüglich noch drei, welche dieselbe auf dem Felde der Geschichtschreibung gewannen. Zwei davon schliessen sich an Hieronymus, der dritte an Augustin an. Jene sind Rufinus, der dem Hieronymus in der Jugend ebenso innig befreundete, als im Alter verhasste, und Sulpicius Severus, derselbe, mit welchem Paulin von Nola eine herzliche Freundschaft durch das ganze Leben verband. Beide aber, Sever wie Rufin, gehörten der streng asketischen Richtung an, der auch Hieronymus huldigte; aber obgleich ihr ein Theil ihrer Schriften selbst unmittelbar dient, hat dieselbe sie doch keineswegs gehindert, die klassische Bildung in einem 322 höhern Grade, als viele der Zeitgenossen dies vermochten, sich anzueignen, und in der Darstellung ihrer Werke zu verwerthen, was freilich dem Severus noch in einem ungleich bedeutenderen Masse gelang, als dem Rufin.

Tyrannius Rufinus S. unten S. 323, Anm. 2. war etwa in der Mitte der vierziger Jahre des vierten Jahrhunderts in der Nähe von Aquileja geboren; früh in dieser Stadt in ein Kloster eingetreten, erhielt er dort die Taufe und seine erste theologische Ausbildung: er wird daher auch nach Aquileja, als wie nach seiner Vaterstadt, beigenannt. So war Rufin selbst von seiner Jugend an der Askese ergeben, die damals in Aquileja eine bevorzugte Stätte hatte, wie wir schon in dem Leben des Hieronymus bemerkten. Dieser wurde eben durch sie dort mit Rufin auf das engste verbunden. Die Begeisterung für die Askese war es denn auch, die Rufin, wie Hieronymus, nach dem Orient, insonderheit nach Aegypten, der Heimath derselben, führte, wo er noch bei Lebzeiten des Athanasius (im Anfange der siebziger Jahre) eintraf und die erste Zeit Melania begleitete. Dort besuchte er die Schüler und Nachfolger des Antonius, die Einsiedler und Mönche, deren Leben er zum Theil hernach beschrieben hat, indem seine Schwärmerei für die Askese hier die grösste Genugthuung fand; aber er erweiterte auch seine theologischen Kenntnisse durch die Bekanntschaft mit dem gelehrten Didymus in Alexandrien, dessen Schüler er wurde. Dort, wo er eine Reihe von Jahren verweilte, gewann er für die griechischen Kirchenväter, und insonderheit für Origenes, das grosse Interesse, dem wir seine, zum Theil für uns so wichtigen Uebersetzungen derselben verdanken. Erst um 377 folgte er seiner Freundin nach Jerusalem, um da seinen Aufenthalt zu nehmen, wo er mehrere Jahre als Mönch auch auf dem Oelberg lebte. Zwei Decennien blieb er dort. In dieser Zeit gerieth er mit Hieronymus, der ja auch nach Jerusalem hinzog, in die heftigen Origenistischen Streitigkeiten. 397 kehrte Rufin nach Italien zurück, nachdem er vorher mit Hieronymus sich ausgesöhnt hatte. Der Friede zwischen beiden aber sollte nicht lange dauern. Durch die Uebersetzung einer griechischen Vertheidigungsschrift des Origenes sowie die Uebertragung seines Werkes Περὶ ἀρχῶν selbst mit einer Vorrede, worin Rufin der demselben einst von Hieronymus gezollten 323 Lobsprüche gedachte, veranlasste er eine literarische Fehde mit dem letzteren, in welcher beide die schonungslosesten Streitschriften mit einander wechselten. Rufin lebte nach seiner Rückkehr aus dem Orient meist in Aquileja, mit literarischen Arbeiten beschäftigt – indem der grösste Theil der von ihm edirten damals entstanden ist –, bis der Einfall der Westgothen ihn nöthigte, nach dem Süden zu flüchten. In Messina starb er 410.

Die Zahl seiner Publicationen ist keine geringe; bei weitem die meisten aber sind Uebersetzungen aus dem Griechischen, und zwar von rein theologischen Werken, so des Basilius des Grossen (u. a. auch seiner Mönchsregel), des Gregor von Nazianz, des Clemens von Rom, und namentlich des Origenes, worunter auch so wichtige sind, als das oben erwähnte Werk Περὶ ἀρχῶν und die Clementinischen Recognitionen, Bücher die nur durch die Uebersetzung des Rufin uns erhalten blieben. Rufin war vor allem Uebersetzer. So charakterisirt ihn auch Gennadius, c. 17, wenn er beginnt: Rufinus, Aquileiensis ecclesiae presbyter, non minima pars fuit doctorum ecclesiae, et in transferendo de graeco in latinum elegans ingenium habuit. Und so ist denn auch von den zwei Werken desselben, die von allgemeiner literarhistorischer Bedeutung, allein uns hier näher interessiren, mindestens das eine, wenigstens zum grössten Theil, eine Uebertragung. Ich meine die Bearbeitung der Kirchengeschichte des Eusebius Ecclesiasticae historiae Eusebii Pamphili libri IX Ruffino Aquileiensi interprete ac duo ipsius Ruffini libri – – ad Vatican. mss. codd. exact. notisque illustr. labore ac studio P. Th. Cacciari. Rom 1740. 4°. (Angeschlossen eine Dissert. de vita, fide etc. Ruffini). – Kimmel, De Rufino Eusebii interprete. Gera 1838., des ersten Werks dieser Art überhaupt, eine Bearbeitung, welche Rufin auf Anregung des auch von Hieronymus hoch verehrten Bischofs von Aquileja, Chromatius unternahm, um die durch den Einfall des Alarich Tempore quo, diruptis Italiae claustris ab Alarico duce Gothorum, se pestifer morbus infudit, et agros, armenta, viros longe lateque vastavit Prooem. Ep. ad Chromatium. niedergebeugten Christen aufzurichten, indem sie über der Geschichte der Vergangenheit der Kirche die traurige Gegenwart vergessen sollten. Also wurde dies Werk von Rufin in den Jahren 402–403 verfasst. Rufin begnügte sich aber nicht damit, die Arbeit des Eusebius dem Abendlande in weitern Kreisen zugänglich zu machen, sondern er führte sie auch vom Jahre 324, wie weit nur die 324 Kirchengeschichte des Eusebius ging, bis auf Theodosius des Grossen Tod (Anfang 395) fort, indem er zwei Bücher (X und XI) hinzufügte, die zehn des Eusebius aber auf neun reducirte. Er liess nämlich die langen Aktenstücke, woraus das letzte Buch des Eusebius vornehmlich besteht, weg und verschmolz den Rest desselben mit dem neunten.

Schon dies Verfahren kann zeigen, dass Rufins Bearbeitung nichts weniger als eine treue Uebersetzung ist. Er schaltet vielmehr mit seinem Original, wie Kimmel in seiner sehr gründlichen Untersuchung im einzelnen erwiesen hat, mit grosser Freiheit. Namentlich wird er auch von der der Historiographie seiner Zeit eigenen Tendenz zu abbreviiren beherrscht. Er strebt nicht bloss, ganz im Gegensatz zu seiner Vorlage, nach einem gedrungenen Ausdruck, sondern er lässt auch vieles aus, was ihm für die Geschichtserzählung nicht nothwendig, wie namentlich Urkunden, oder auch nur ungeeignet erscheint, indem er in letzterer Beziehung nicht bloss eine literarische Kritik, sondern auch eine theologische Censur übt. S. dafür Kimmel, l. l. p. 147 ff. Das Streben nach Kürze tritt im allgemeinen auch in den letzten, von ihm selbständig verfassten Büchern hervor, wie er sich denn auch selbst dort zu ihm bekennt. So sagt er l. XI, c. 4: – – Verum si singulorum mirabilium gesta prosequi velimus, excludimur a proposita brevitate. Vornehmlich aus zwei Rücksichten erfährt dasselbe aber mitunter eine Einschränkung; einmal aus stilistischer, namentlich bei der Uebersetzung: der Klarheit und Eleganz des Ausdrucks zu Gefallen fügt da Rufin selbst zuweilen einzelnes als Erläuterung oder Schmuck der Rede hinzu Kimmel, l. l. p. 160 ff., 187.; die andere Rücksicht ist eine stoffliche: wo es gilt die Askese zu verherrlichen und die Wunderthaten der Heiligen zu verkünden, erinnert sich Rufin gar nicht, oder nur zu spät ›der Kürze, die er sich vorgesetzt hat‹; so fügt er, während er so viele wichtige Edicte diesem Vorsatz opferte, eine lange Episode über die Wunder des Gregorius Ponticus, des Thaumaturgen, im siebenten Buche ein, in welcher er gerade die allerunglaublichsten in aller Breite berichtet, und ebenso wird er im elften Buche (c. 4) bei der Erzählung von den Verfolgungen der heiligen Mönche Aegyptens durch den Arianer Lucius äusserst weitläufig, indem er, sie zu preisen, Anekdoten 325 von ihren Mirakeln ausführlich erzählt. Gerechtfertigter erscheint es dagegen, wenn unser Autor bei dem durch ein Erdbeben gescheiterten Versuch der Juden, ihren Tempel wieder aufzubauen, mag er auch darin das unmittelbare Eingreifen der Hand Gottes sehen, länger verweilt in einer anschaulichen und lebendigen Darstellung, die er mit stilistischer Kunst erfolgreich erstrebt (l. X, c. 27 ff.); oder wenn er eine eingehende Schilderung des Tempels des Serapis in Alexandrien, dieses Götterbildes und seiner Zerstörung gibt (l. XI, c. 23), welche für das Heidenthum in Aegypten selbst ein tödtlicher Schlag war. – Wenn schon die Uebersetzung Eile verräth und nichts von der strengeren Gewissenhaftigkeit des Historikers zeigt, so ist die eigene Fortsetzung des Rufin noch mehr ein rasch hingeworfenes Werk, ohne gründliche Vorstudien, das also zu verfassen die von Eusebius beibehaltene mosaikartige Compositionsweise wesentlich erleichterte. Rufin hatte nicht den Sinn des Historikers, er dachte ja auch nicht an die Nachwelt, sondern an die Mitwelt bei der Abfassung dieses Werkes, zur ihrer Erbauung und Zerstreuung war es geschrieben: und doch sollte es für das ganze Mittelalter das Werk des Eusebius selber vertreten.

Ein in dem Mittelalter nicht minder verbreitetes und viel gelesenes Buch, das zugleich noch im Beginne der neueren Zeit, von Anfang der Buchdruckerkunst an bis in das 17. Jahrhundert vielfach herausgegeben So führt allein Schönemann, Biblioth. Patr. I, aus dem 15. Jahrhundert 10, aus dem 16. 14 Drucke auf., selbst von Luther, wenn auch mit der nöthigen Einschränkung, empfohlen So erschien auf Luthers Veranlassung und mit einem Vorwort von ihm eine von Schönemann nicht erwähnte Ausgabe › in usum ministrorum verbi, quoad eius fieri potuit, repurgatae‹, Wittenberg 1544., und in die verschiedenen neueren Sprachen öfters übersetzt wurde S. Schönemann, a. a. O. S. 614 ff., ist das andere Werk des Rufin, das wir hier noch zu betrachten haben. Es ist eine Sammlung von Lebensgeschichten ägyptischer Mönche, daher Vitae patrum betitelt – später auch Historia eremitica oder monachorum genannt Am besten in: Vitae Patrum, de vita et verbis seniorum etc. opera et stud. Herib. Rosweydi. Antwerpen 1615. fol. – welche Rufin, wie er im Prolog sagt, in Erinnerung an seine Reise nach Aegypten und das viele 326 Wunderbare, das ihm Gott dort zum Heile seiner Seele zeigte, auf den öfters ausgesprochenen Wunsch der Mönche des Oelbergs verfasst hat, um auch anderen den Weg zur Frömmigkeit und Askese zu weisen. Das Buch soll für das Mönchsleben Propaganda machen. Der Verfasser unternahm es, non tam ex stilo laudem requirens, quam ex narratione rerum aedificationem futuram legentibus sperans: dum gestorum unusquisque inflammatus exemplis, horrescere quidem seculi illecebras, sectari vero quietem, et ad pietatis invitatur exercitia. Es besteht aus 34 Kapiteln von sehr verschiedener Grösse, von welchen aber nicht jedes immer das Leben eines Mönches enthält, vielmehr wird auch in einzelnen von mehreren, ja von ganzen Gemeinschaften (wie den Klöstern der Nitrischen Wüste), und im letzten Kapitel von den Gefahren der Reise gehandelt. In der Darstellung, die durch einen einfachen, leicht verständlichen Ausdruck vortheilhaft sich auszeichnet, schliesst sich das Werkchen, was die ausführlicheren Vitae angeht – denn manche Kapitel enthalten nur ganz kurze Charakteristiken –, im allgemeinen an die Heiligenleben des Hieronymus an, der, wenn nicht irgend eine griechische Vorlage anzunehmen ist (was ja wohl möglich) Die Uebereinstimmungen der Vitae Rufins mit dem griechischen Werk eines jüngeren Zeitgenossen, Palladius (der Historia Lausiaca) scheinen manchen für die Annahme einer gemeinsamen griechischen Vorlage zu sprechen. Sie können sich aber auch aus der Benutzung des Rufinschen Buchs durch Palladius selbst erklären. Andererseits macht man aber auch geltend, dass einzelne Angaben nicht zu der Person des Rufin und der Zeit seines Aufenthaltes in Aegypten passten. (S. Möller im Artikel Rufinus in der Real-Encycl. f. protest. Theol. 2. Aufl. Bd. 13, S. 100.) Die Frage wäre noch genauer zu untersuchen., dem Rufin hier den Weg gewiesen haben wird. Der Satz des Prologs: › Quamvis ad tantarum rerum narrationem minus idonei simus, nec dignum videatur ingentium rerum exiguos ac parvos fieri auctores‹ erinnert auch an die oben S. 203, Anm. 1, angedeutete Stelle des Eingangs der Vita des Hilarion. Das Werkchen musste um so mehr aber auf die Phantasie der Leser im Mittelalter wirken, als die reellen Wunder jenes merkwürdigen Landes, das die Scenerie der Geschichten bildet, mit den ideellen der Asketen sich mischen; es findet sich mitunter etwas von der Anziehungskraft des Robinson Crusoe darin. Auch fehlt es andererseits in der That nicht, was ja auch Luther anerkennt, unter so manchem Thörichten und Absurden an wahrhaft erbaulichen Stellen, in denen eine gesunde Moral in 327 populär-praktischer und doch würdiger Weise gepredigt wird, wie z. B. in der ersten Vita die Warnung des Johannes vor der Ruhmredigkeit. Für den Historiker aber ist von eigenthümlichem Interesse, die grosse Mannichfaltigkeit in den Erscheinungen der Askese, die sich hier darbietet, zu beobachten, und wie bereits darin alle die Besonderheiten der spätern verschiedenen Mönchsorden im Keime sich zeigen. So in Bezug auf das Gelübde des Schweigens, der Tracht u. s. w., s. z. B. c. 3 und 6.

 


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