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Zwanzigstes Kapitel.

Philosophie. Claudianus Mamertus.

Die christliche Speculation ist in unserm Zeitalter, und zunächst noch im fünften Jahrhundert, wenigstens durch ein für jene Zeit nicht unbedeutendes Werk repräsentirt, welches zugleich auch in stilistischer Beziehung bemerkenswerth ist: es ist dies die damals hoch gerühmte Schrift des Claudianus Mamertus Claudiani Mamerti Opera rec. Engelbrecht. Wien 1885 ( Corp. scr. eccl. lat. Vol. XI). – – Ritter, Geschichte der Philosophie. 6. Bd. – Guizot, Histoire de la civilisation en France. 6 e lec. – Schulze, Die Schrift des Claud. Mamertus über das Wesen der Seele. Dresden 1883. (Leipziger Dissertation.) De statu animae . Der Autor gehörte zu den nächsten Freunden des Apollinaris Sidonius, welchem er auch die Schrift gewidmet hat. Demselben verdanken wir auch genauere Nachrichten über ihn. S. namentlich die Epist. 11 des IV. Buchs der Epp. des Sidonius, welche ein Elogium des Claudian nach dessen Tode gibt, und eine ihm zu Ehren verfasste Naenia. Vgl. auch Gennadius, l. l. c. 83. Durch die klassische Literatur Griechenlands wie Roms nicht minder als durch die christliche gebildet, in seiner Jugend als Mönch ganz einer gelehrten Musse hingegeben, erwarb sich Claudian nicht bloss ein umfassendes Wissen, sondern gewann auch die speculative und dialektische Neigung und Befähigung, die ihn im Kreise seiner Freunde zum wissenschaftlichen Berather, zum Leiter ihrer Disputationen machte. Später Presbyter der Kirche von Vienne, der sein Bruder als Bischof vorstand, wurde er dessen rechte Hand, indem er die Liturgie und namentlich den Kirchengesang leitete. Mit einem Wort, er verwerthete seine klassische Bildung überall 474 im Dienste des Christenthums. Er starb um das Jahr 474, nachdem sein philosophisches Werk etwa vier Jahre vorher herausgekommen war.

Es wurde durch eine kleine, uns erhaltene Flugschrift des Bischofs von Riez Faustus Ueber ihn s. die ausführliche Praef. von Krusch zu der Ausgabe seiner Briefe im Anschluss an die Ausgabe des Sidonius von Lütjohann (s. oben S. 419, Anm. 1), p. LIV ff. und 265 ff. veranlasst, welche aber anonym in Form einer Epistel erschienen war. In der Ausgabe des Claud. Mamertus von Engelbrecht p. 3 ff. Siehe eine Analyse der Schrift von Schulze, a. a. O. S. 6 ff. Der Brief hatte den Zweck, den Arianismus zu widerlegen. In derselben wurde die Körperlichkeit der Seele, wie alles Erschaffenen, behauptet und zu beweisen versucht. Diese Schrift zu widerlegen, verfasste Claudian sein Werk, das auf dieselbe stets Bezug nimmt, aber den Stoff selbständig ordnet. Nur führen kurze Bemerkungen des Faustus hier zu langen Erörterungen, obschon Claudian die Freiheit einer polemischen Gelegenheitsschrift für die seinige in Anspruch nimmt und manches nur angedeutet, statt ausgeführt haben will. S. das Widmungsschreiben und den Schluss des Werkes; in jenem die Stelle: Scripsi igitur pauca haec veluti quaedam rationum semina etc. Es zerfällt das Werk in drei Bücher. In dem ersten werden schon alle Hauptargumente vorgebracht: nachdem die Impassibilität Gottes bewiesen, zeigt der Verfasser, dass die Seele schon deshalb unkörperlich sei, weil sie nach dem Bilde Gottes geschaffen, und Gott auch unkörperliches, der Vollständigkeit der Welt wegen, schaffen musste; die Seele sei aber Gott nur ähnlich, ihm nicht gleich; – ein anderer Hauptgrund der Unkörperlichkeit der Seele ist die Illocalität derselben, welcher von Claudian um so mehr ausgeführt wird, als der Gegner gerade auf die entgegengesetzte Behauptung vor allem sich stützte; ferner der Mangel der Quantität, der sich schon aus der Illocalität ergibt, während dagegen die Qualität der Seele zukommt, wodurch sie von Gott selbst sich unterscheidet, der auch dieser Kategorie nicht unterworfen ist. Dies sind die Hauptargumente – da eine vollständige Analyse dieser rein philosophischen Schrift zu geben uns fern liegt. Im zweiten Buch führt der Verfasser zur Unterstützung seiner Beweise Autoritäten ins Feld, zuerst die alten Philosophen, die Griechen namentlich, von denen er Plato hoch erhebt (c. 7), 475 dann aber auch die Römer (c. 8), wobei er die auch durch Faustus angeregte Frage erörtert, in wie fern der Seele, wie allem von Gott Geschaffenen (nach lib. Sapient. c. 11, v. 21), Mass, Zahl und Gewicht zukäme; hernach beruft er sich auch auf die Kirchenväter (c. 9), die Bibel und insonderheit den Apostel Paulus, dessen Verzückung in den dritten Himmel schliesslich sehr ausführlich besprochen wird (c. 12). Im dritten Buche werden noch verschiedene Einwände gegen die Unkörperlichkeit der Seele, die von Faustus oder auch von andern vorgebracht waren, zurückgewiesen und zugleich die bereits vorgebrachten Argumente verstärkt, die denn am Schlusse in einer Recapitulation zusammengefasst werden. Gerade diese Recapitulation zeigt aber, wie Ritter (S. 569) sehr richtig bemerkt, recht deutlich ›die Unbeholfenheit, mit welcher Claudian seine Begriffe handhabt‹, und, fügen wir hinzu, wenn man sie mit dem Werke selbst vergleicht, wie wenig scharf und systematisch die Disposition des Stoffes in demselben ist, was auch schon unsere kurze Inhaltsangabe wird haben erkennen lassen. Der Verfasser empfand dies auch wohl selbst, wie wir oben andeuteten. Trotzdem ist das Werk für seine Zeit keineswegs zu unterschätzen: es zeugt nicht bloss von einer damals seltenen Gelehrsamkeit und dialektischen Schulung des Geistes, sondern auch von einer Freiheit und Selbständigkeit des Denkens, die für jene Tage alle Anerkennung verdient. Dieselbe offenbart sich auch in der Kühnheit, womit Claudian aus dem Sprachschatz der fernen Vorzeit wie der Gegenwart schöpft, allerdings mit Verzicht auf Eleganz des Ausdrucks S. über die Sprache Claudians die gründliche Untersuchung von Engelbrecht in den Sitzungsber. der Wiener Akad. der Wissensch. phil.-hist. Cl. Bd. 110, S. 423 ff., der u. a. namentlich auch den Einfluss des Apuleius geltend macht (S. 438 ff.).; aber es kommt ihm in der That zunächst nur auf die Sache, und nicht auf den Stil an, er ist fern von allem Haschen nach rhetorischer Wirkung, von Phrasenmacherei – was seinem Freunde Sidonius, der das gerade Gegentheil zeigt, imponirte So gesteht denn Sidonius Epp. l. IV, ep. 3: Denique et quondam, nec iniuria, haec principalis facundia computabatur, cui paucis multa cohibenti curae fuit causam potius implere, quam paginam; nachdem Sidonius vorausgeschickt: Nova ibi verba, quia vetusta; quibusque conlatus merito etiam antiquarum litterarum stilus antiquaretur; quodque pretiosius, tota illa dictio sic caesuratim succincta quod profluens: quam rebus amplam strictamque sententiis sentias plus docere, quam dicere.; mit dieser damals so seltenen Tugend verbindet sich doch oft eine in kurzen 476 schlagenden Sätzen lebhaft vordringende Darstellung, welche an die der Dialoge seines Meisters Augustin erinnert. Denn dass dieser zunächst sein Lehrer und Vorbild war, lässt sich nimmer verkennen. Wir besitzen noch von Claudian zwei Briefe, von welchen der eine an seinen Freund, den Bischof Apollinaris Sidonius, der andere an den Rhetor Sapaudus gerichtet ist. In letzterem beklagt er das Darniederliegen der Wissenschaften. S. beide Briefe in Engelbrechts Ausgabe S. 198 und 203, den ersten auch in der des Sidonius, Epp. l. IV, ep. 2. – Ein paar Hymnen sind Claudian mit Unrecht beigelegt worden.

 


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