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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Eine Exekution.

 

Wie schon beschlossen war, unternahm ich am folgenden Montag, da mein armer Onkel sich etwas besser befand, die Fahrt nach London. Er wollte mir einen Diener zur Begleitung mitgeben, was ich aber ablehnte, weil ich zu lange an Selbstständigkeit gewöhnt gewesen. Ich sollte am Morgen einen telegraphischen Bericht über Befinden und Stimmung meines Patienten erhalten und versprach dagegen, auch von mir Nachricht zu geben. Mrs. Shelfer hatte ich meine Ankunft nicht mitgetheilt, weil sie dann jedenfalls zu meiner theuren Isola geplaudert hätte und ich diese sowohl wie ihren Bruder zu überraschen wünschte. Häufig hatte Isola mich nach meiner Familie gefragt, doch wußte sie nur, daß ich eine in verarmten Verhältnissen lebende Waise war, die ganz allein in der Welt stand. So sehr ich sie liebte, wußte ich doch recht gut, daß sie kein Geheimniß bewahren konnte, und jedes Mal, wenn sie mich wegen meiner »eisernen Maske« neckte, entgegnete ich ihr, daß sie erst das Geheimniß ihrer eigenen Herkunft entdecken müsse.

Als ich der mächtigen Großstadt entgegendampfte, welche Gluth war da in meinen Wangen, welche Unruhe in meinem Herzen! Wem konnte ich nicht auf dem Bahnhof oder in den Straßen begegnen, und jetzt, wo die Armuth beseitigt war – welches Hinderniß konnte uns nun noch trennen? Freilich beabsichtigte ich nicht, mich ganz der Liebe und verzärtelnden Einflüssen zu überlassen, ehe ich nach besten Kräften meine Pflicht gegen den Todten erfüllt hatte. Doch irgend ein Verlöbniß konnte doch stattfinden, irgend eine feste Aussicht, daß Keines von uns später allein in der Welt stehen würde. Wie aber konnte ich wissen, ob er mich überhaupt liebte?

Indessen hatte ich hierüber so meine eigenen Vermuthungen. In manchen Dingen sind die Augen die besten Geheimpolizisten. Aber ich hatte nur so gar kein Glück. Wäre dieses nicht ein zu großes Glück gewesen, um zur Wahrheit zu werden? Mrs. Shelfers Thür wurde auf mein Klopfen weder durch ihre eigene geschäftige Person geöffnet, noch durch den listigen Charley, sondern durch einen kurzen, dicken Mann, in dessen etwas jüdischem Gesicht wichtige Selbstgefälligkeit und Vertraulichkeit ausgedrückt waren. In einer Hand trug er ein Glas Porter, in der anderen eine Rolle Papier, auf dem Kopfe einen fettigen Hut, und eines seiner Beinkleider war bis zum Knie abgerissen.

Als ich ihm meinen Namen genannt und Einlaß begehrt hatte, nahm er nicht die geringste Notiz von mir, sondern setzte die Papierrolle wie eine Trompete an den Mund und rief in den Gang hinein: »Balaam, hier giebt's was Neues! Am Ende sind es doch keine Lügen gewesen. Hab' mein Lebtag nicht geglaubt, daß die Alte ein wahres Wort über die Lippen bringen würde. Habe sie darin höher taxirt. Zum Teufel, wenn da nicht das junge Mädchen selber gekommen ist!«

»Immer sachte, Balak«, (der Andere sprach mit vollem Munde) »bleibe an der Thür, sage ich. Man hat doch nie Zeit, sein bischen Essen in Ruhe zu verzehren. Es wird wohl eine Finte sein, ich werde mal nach ihr hinschielen.«

Nun erschien ein zweiter Mensch von ganz ähnlichem Aeußern und Wesen, der einen großen Knochen in der Hand hatte, an dem er unausgesetzt während der Unterredung nagte. Er beehrte mich in der That mit einem schielenden Blick, und Keiner der beiden Männer machte Miene, mich einzulassen.

»Bitte, was hat dies zu bedeuten?« fragte ich in hochfahrendem Ton. »Ich kann unmöglich das Haus, in dem ich wohne, verwechselt haben. Dies ist doch, wie ich glaube, Mrs. Shelfers Haus?«

Anstatt mir zu antworten, schloßen Sie die Thür so weit, wie die Sicherheitskette reichte, und ließen mich noch draußen stehen, wo ich außer mir vor Entrüstung eine Erörterung über meine Person anhören mußte, während der Droschkenkutscher den Vorgang mit verständnißvollem Grinsen beobachtete.

»Nun, Balaam, was hältst Du von ihr?«

»Ein ungewöhnlich hübsches Mädchen und verteufelt aristokratisch dazu. Aber das will noch nicht besagen, daß die Sache ganz klar ist, weißt Du. Hat sie Gepäck bei sich, Balak?«

»Nein, Kamerad. Und das sieht faul aus, wenn ich es mir recht überlege. Halt, ich will sie mir noch einmal ansehen.«

»Nein, das überlasse mir. Mache die Kette los und stemme Deinen Fuß in die Thürspalte. Sie kann uns nicht Beide fortstoßen, ohne sich thätlicher Beleidigung schuldig zu machen.«

Zu meiner Demüthigung und Empörung wurde ich einem abermaligen Kreuzfeuer aus den halbtrunkenen Augen unterworfen. Ich kehrte ihnen den Rücken zu und stampfte in meinem Aerger mit dem Fuße. Der Droschkenkutscher nickte mir beifällig zu. Diese kleine Bewegung war so unverstellt, und sie enthüllte solche zierliche Stickerei (denn ich liebe einen geschmackvollen Unterrock), daß Balaams hartes Herz davon erweicht wurde. Eine glänzende Idee fuhr gleichzeitig durch sein vorsichtiges Gehirn.

»Halt, Balak, nimm Deinen Fuß fort. Sie kann sich nicht an uns vorbeidrängen, glaube ich; es würde Widersetzlichkeit gegen das Gericht sein. Was meinst Du dazu?« Und er flüsterte seinem unsaubern Kollegen Etwas zu.

»Wahrlich, das ist der klügste Einfall, der mir je vorgekommen ist. Dir kann Einer den Verstand nicht absprechen, ebensowenig wie mir Courage und Fäuste.«

»Hören Sie, junge Dame,« begann Balaam in diplomatischem Ton, »ich und mein Kamerad, wir sind hier im Namen des Gesetzes, sonst, das können Sie mir auf meinen heiligsten Eid glauben, hätten wir niemals ein hübsches junges Mädchen« (hier warf er mir zwei Seitenblicke zu, die für einen gelten sollten) »so lange auf den harten Steinen draußen stehen lassen. Wir wissen nur nicht, ob Sie ehrliches Spiel treiben, es giebt zu viele Schlauköpfe, und hier innen haben wir es mit einer abgefeimten alten Schwindlerin zu thun. Hören Sie also, was ich Ihnen jetzt zu sagen habe. Da ist ein Hund, so groß wie ein Löwe, in der Stube, welche die Ihrige sein soll, und der zeigt die Zähne wie kein Guter. Wir fürchten uns, die Nase in die Thür zu stecken, wenn wir es auch von Amtswegen müssen. Sie können ihn hier schon knurren hören, wie das Tosen von der Strand- und Fleet-Straße zusammen genommen. Und meinem Kameraden Balak hier hat er, mit Erlaubniß zu sagen, schon sein halbes Beinkleid abgerissen und er kann von Glück sagen, daß er so davon gekommen ist. Wenn Sie uns aber auf Ihr Ehrenwort versprechen wollen, gerades Weges in die Vorderstube hineinzugehen, so haben ich und mein Kamerad beschlossen, Sie einzulassen.«

»Natürlich will ich das,« sprach ich über ihre Furcht lächelnd. Ich bezahlte also die Droschke, nahm meine kleine Reisetasche und rannte die Treppe hinan. Balaam und Balak wagten sich nicht um die Ecke.

»Sie müssen den Schlüssel umdrehen, Miß,« rief Einer von ihnen, »wir waren gezwungen, ihn einzuschließen.«

»Oh Guidice, mein Liebling Guidice!« Mehr ließ er mich nicht sagen: seine Tatzen lagen auf meinen Schultern, und ich konnte vor seinen Küssen kaum zu Athem kommen. In meiner Freude vergaß ich die beiden Männer und ihr geheimnißvolles Treiben vollständig und warf mich auf einen Sessel, während Guidice, außer sich vor Entzücken, versuchte, mir auf den Schooß zu springen. Er winselte und jauchzte und konnte keinen Ausdruck für seine Freude finden, bis er endlich den großen Kopf zurückwarf und Alles in einem Wauwau erklärte, das gewiß noch in der Oxford-Straße zu hören war. Da ließ sich ein kurzes Klopfen vernehmen, und Mrs. Shelfer erschien. Sie sah wohler aus als sonst.

»Liebe Mrs. Shelfer, wie freue ich mich, Sie zu sehen! Sie werden wahrlich immer jünger.«

»Und Sie, Miß, Sie sehen wunderschön aus, wunderschön, meine Beste! Und so kostbare Sachen« (ich war etwas besser als sonst gekleidet), »kostbar, Miß Vaughan, und wie kleiden sie Ihnen! Da spreche mal Einer noch von Miß Isola; wahrlich, es wäre, als wollte man eine Zigeunerin mit 'ner Königin vergleichen! Verzeihen Sie, Miß, wenn ich fragen darf, wie viel haben Sie dafür gegeben? Ich glaube, das geht noch über mein Taffetkleid.«

»Nichts, Mrs. Shelfer; nur einen kleinen Kuß.«

»Herr, Du meine Güte, Miß, dann haben Sie sich verlobt und wenigstens mit einem Lord. Ich habe auch gehört, daß Sie Ihr großes Besitzthum wiedererlangt haben, das ja wohl mehr als ganz Middlesex nebst Regent-Park werth ist. Ach, der arme, schlanke junge Mensch, der alle Tage herkommt, um sich nach Guidice umzusehen und sich nach Ihnen zu erkundigen!«

»So sprechen Sie doch keinen Unsinn, Mrs. Shelfer (das Herz hüpfte mir vor Freude, doch wollte ich nicht, daß sie es bemerke). »Ich will nur hoffen, daß Sie ihm kein Wort von diesen dummen Gerüchten gesagt haben.«

»Ich, Miß? Trauen Sie mir so etwas zu?«

»Ja, ich lese es in Ihrem Gesicht, daß Sie es gethan haben, Mrs. Shelfer. Es hat übrigens nichts zu sagen, wenn Sie ihm nur meinen Namen nicht genannt haben.«

Es kam mir keinen Augenblick in den Sinn, daß mein Geld Conrad abschrecken könne.

»Nein, bei meiner ewigen Seligkeit!« Und sie bekreuzte sich, was ich noch nie von ihr gesehen hatte.

»Jetzt, Mrs. Shelfer, will ich Ihnen einige hübsche Kleinigkeiten zeigen, welche ich für Sie in der Reisetasche habe.«

Nun hüpfte sie vor Freude, denn sie fand viel Vergnügen an Nippsachen. Darauf legte sie den Finger an die Lippen, ging horchend zur Thür und kam dann mit geheimnißvoller Miene zurück.

»Bitte, Miß, Sie sind so gütig, entschuldigen Sie, daß ich mir die Freiheit nehme, Sie darum zu bitten; nicht wahr, Sie würden Nichts dagegen haben, wenn Guidice die Tasche in seine Pfoten nähme? Ich brauchte alsdann nicht bange zu sein, daß sie es kriegen könnten.«

»Was in aller Welt geht hier vor? Warum ließen Sie mich nicht ein? Wer sind diese widerwärtigen Leute?«

»Oh, es ist Nichts, Miß, Nichts, was der Rede werth ist. Wenn sie nur bei der Inventur nicht so mit meinen Möbeln herumstoßen wollten; diejenige, welche sie das letzte und vorletzte Mal aufgenommen haben, würde ganz dieselben Dienste thun. Aber sie berechnen sie jedes Mal von Neuem, die Spitzbuben, und erfrechen sich, die Stühle als »lackirt und mit amerikanischem Leder überzogen« aufzuschreiben, wo es doch echter Maroquin ist, als ob Miß Minto –«

»Aber, Mrs. Shelfer, so sagen Sie mir doch in zwei Worten, was es zu bedeuten hat; ist es eine Auktion?«

»Nein, nein, Miß, das will ich nicht hoffen. Es ist nur eine Exekution Hier im Sinne von ›Zwangsvollstreckung‹. und die beiden Männer sind Gerichtsbeamten; sie sind recht höfliche Leute und sie wissen Seemuscheln und Porter zu beurtheilen. Dies sind dieselben, welche das letzte Mal hier waren. Ich hätte es aber lieber gesehen, wenn die alten gekommen wären, ein paar so gemüthliche alte Burschen, die auch mitunter ein Auge zudrückten. Aber der schieläugige Gauner –«

»Sie haben meine Sachen doch nicht etwa angerührt, Mrs. Shelfer?«

»Nein, Miß; Nichts, was der Rede werth ist, nur das, was sie im Schlafzimmer fanden; hier wagen sie sich wegen Guidice nicht herein. Ihr Leben wollten sie nicht riskiren; hätte ich gewußt, daß sie kommen würden, so hätte ich ihn an die Hausthür gestellt. Sie schlossen ihn sofort ein, als er dem einen Kerl ein Stück aus dem Bein gebissen hat. Himmel, hat der ein Geheul ausgestoßen!«

»Sie wollen doch nicht sagen, daß sie meine Sachen im Schlafzimmer in Beschlag genommen haben?«

»Allerdings, Miß. Ich sagte, sie gehörten Ihnen und das wollten sie natürlich nicht glauben. Die Flügelthüre war geschlossen, aber Guidice würde sie gesprengt haben, wenn sie nicht die Bettstelle davor gerückt hätten. Mein Gott! Noch niemals in meinem ganzen Leben habe ich einen Hund so wüthend gesehen. Er war wie ein brüllender Löwe.«

»Das hat er brav gemacht. Guidice, ich lobe Dich; ich habe große Lust, Dich hinauszulassen und was noch mehr ist, ich werde es thun, wenn sie mir meine Sachen nicht zurückgeben. Sicherlich können sie doch kein Recht auf mein Eigenthum haben, Mrs. Shelfer?«

»Gerade, was ich auch gesagt habe, weil der Exekutionsantrag nicht vom Hauswirth gestellt ist. Sie wollen aber nicht glauben, daß es Ihre Sachen sind.«

»Wenn sie es nicht sehr bald glauben, so soll Guidice sie davon überzeugen. Wer aber ist der Urheber von dem Allen und warum scheinen Sie so gleichgültig dabei zu sein? Ich würde mir sicherlich die Augen ausweinen.«

»Mein liebes Herzchen, dies ist das fünfzehnte Mal, daß sie in den letzten vier Jahren gekommen sind. Zuerst war ich schrecklich aufgebracht und weinte, bis ich ganz entstellt aussah; jetzt aber denke ich, es sei ein Besuch, und trinken thun sie, als wären sie es, so viel ist sicher. Die Inventuren müssen Sie übrigens schon wer weiß wie oft gesehen haben, ich wickle sie immer um die Lichte. Nur eins kommt mir nicht gerade ehrenhaft vor, obwohl es, wie ich glaube, gesetzlich ist. Sie lassen es sich bezahlen, und noch dazu sehr hoch, daß sie bei mir essen, und viermal täglich muß ich ihnen Fleisch geben. Der Balak, der, dessen Hosen –«

»Wer hat die Exekution beantragt, und wie hoch beläuft sich die Forderung?«

»Oh, es ist natürlich einer von Charley seinen Wechseln oder Schuldscheinen. Quinlan aus der Maiden-Gasse hat ihn eingeklagt, und Charley sagt, daß er weiter Nichts dafür bekommen hat, als ein halbes Pfund Tabak und einen Wagen voll Brunnenkresse. Sie werden gleich hier sein, da Sie den Hund jetzt im Zaum halten können. Entschuldigen Sie, Miß, ich sehe, Sie haben einen von den neumodischen weiten Röcken an, die so rund herum abstehen, herrliche Dinger, ich muß mir auch so einen anschaffen, ehe sie wieder kommen. Könnten Sie sich wohl damit auf das Sopha setzen, Miß, und noch drei von den besten Stühlen mit unter den Rock und vielleicht noch das Theeservice auf den Schoß nehmen?«

»Was in aller Welt meinen Sie, Mrs. Shelfer?«

»Ja, sehen Sie, Miß, sie dürfen auf keinen Gegenstand Beschlag legen, der in Gebrauch ist, glaube ich, und Sie haben so viel Platz in Ihren Kleidern.«

»Glauben Sie, daß ich beabsichtige, sie auch nur für einen Augenblick hier hereinkommen zu lassen? Nun will ich einmal in mein Schlafzimmer hineinsehen. Komm', Guidice.«

»Oh, Miß, was haben sie für eine Jagd auf Charley's doppelläufige Flinte gemacht! Sie ist aber auch ein wirkliches Prachtstück, und der Schuft Quinlan hat es auf sie abgesehen. Die ganze Nachbarschaft hier herum weiß es; sie ist aus der Werkstatt eines berühmten Büchsenschmiedes, und es ist die beste, die er je gemacht hat. Sie gehörte dem Bruder der seligen Miß Minto, und sie sollen sie nicht haben, nein, nicht ein Einziger von ihnen. Eher würde ich sie damit erschießen. Ich habe sie an dem sichersten Platz aufbewahrt, den ich kenne, und zweimal im Jahr sehe ich nach, ob sie auch nicht rostig wird.«

»An welchem sicheren Platz haben Sie sie untergebracht?«

Sie legte ihren kleinen Mund an mein Ohr und flüsterte:

»Beim Pfandleiher, Miß, in Barbican. Er hat sie nun schon sechs Jahre. Sie ist für ein Viertel ihres Werthes angenommen, aber das ist um so besser für mich. Ich brauche weniger für das Aufbewahren zu bezahlen, und ich trage den Schein Tag und Nacht auf der Brust. Denken Sie, meine Beste, sie glaubten schon, sie hätten sie gefaßt. Sie hatten sich einen Schlüssel zu der Kiste ausprobirt, welche Sie immer so sorgsam verschlossen hielten, und sie glaubten ganz sicher, sie sei darin. Ha, ha, ha, wie habe ich gelacht, als sie sie aufschlossen!«

»Was, sie haben sich unterstanden, meine Mahagonikiste zu öffnen?« Es war das Behältniß, in dem sich meine kostbaren Reliquien befanden.

»Freilich haben sie das gethan, Miß, und was für merkwürdige Sachen fanden sie darin! Ein reizendes Messer, mit Edelsteinen besetzt, das für den Herzog von Wellington als Bayonnet passend wäre, und Gypsformen, die wie Schusterleisten aussahen, ein farbiges Papier mit sonderbaren Buchstaben darauf und eine lange schwarze Haarsträhne und einen Plan mit – Himmlischer Vater, was in aller Welt ist Ihnen? Wasser! Wasser! Sie sehen ja aus wie der Tod – Balaam, Balak!«

»Still, Mrs. Shelfer!« Ich war auf das Bett gesunken. »Lieber hätte ich 10,000 Pfund Sterling verloren, als daß jene Kiste von den gemeinen Buben besichtigt, durchstöbert und sogar mit in ihr Verzeichniß aufgenommen wurde. Wenn ich es kann, so werde ich sie aber bestrafen lassen und ebensowohl Sie selber, Sie unbescheidenes, abscheuliches, neugieriges altes Weib!«

Sie blieb ganz ungerührt, obwohl sie mir später sagte, daß sie solche Augen noch nie gesehen hatte, bis ich sie glücklicherweise »altes Weib« nannte. Als sie dies hörte, warf sie sich über den Handtuchständer, bedeckte ihre Augen mit den Händen und schluchzte, als solle ihr das Herz brechen. Ich hatte ihre empfindlichste Seite getroffen – ihr Alter. Zwei Minuten lang fühlte ich nicht das geringste Erbarmen mit ihr, sondern ließ sie ruhig weinen. »Es geschieht ihr ganz recht,« dachte ich. Hatte sie auch vielleicht nicht hindern können, daß die Leute die Kiste öffneten, so war sie doch nicht berechtigt, darüber zu schwatzen und sich daran zu ergötzen, wie sie augenscheinlich gethan. Ueberdies wußte ich, daß sie stets darauf gebrannt hatte, den Inhalt jener Kiste kennen zu lernen, und manches Mal hatte ich ihre Anschläge vereitelt. Jetzt hatte sie gründlich triumphirt, und ich hätte kein Weib sein müssen, um das ruhig zu erdulden. Bald jedoch begann ihre große Betrübniß, die sich in fortwährendem Schluchzen und Sprechen kundgab, mich zu rühren, und ich zweifelte zuerst daran, ob sie solches Herzeleid wirklich verdiene; darauf gelangte ich zu dem Glauben, daß sie nichts Böses gethan, und zuletzt zu dem Schluß, daß ich mich einer Rohheit schuldig gemacht habe. Nun stürzte ich auf sie zu, um sie mit Liebkosungen zu beschwichtigen; ich trocknete ihre Thränen mit meinem eigenen Batisttuch, dessen Berührung sie besänftigte, denn es war mit Spitzen besetzt, und bat sie fünfzig Mal in allerlei thörichten Worten um Verzeihung. Sie vollständig aufzurichten gelang mir aber erst durch Folgendes:

»Ich sage Ihnen, liebe Patty, wenn ich erst Ihr Alter erreicht haben werde, also 35 Jahre alt bin (sie zählte mindestens 52), dann werde ich vollkommen verdienen, hierfür ein ›altes Weib‹ genannt zu werden, und ohne Zweifel viel älter erscheinen, als Sie jetzt aussehen.«

»Ganz recht, meine Beste, da haben Sie ganz recht.« Dieser Ausdruck bewies mir, daß sie wieder ganz die Alte war. »Da sagte mir noch heute der Schlächterbursche, ein sehr netter junger Mensch, sein schönes schwarzes Haar erinnerte mich an Ihres, Miß, und es war ganz mit Nierenfett zusammengeklebt –«

»Nun, Mrs. Shelfer, lassen Sie uns nach meiner Kiste schauen –«

»Gewiß, gewiß, meine liebe Miß Vaughan; aber was glauben Sie wohl, was er sagte? ›Nun, William John,‹ sage ich, ›es muß ein gutes Stück, ein zartes, junges Stück Fleisch sein, denn die Herren, welche hier zum Besuch sind,‹ (Balaam und Balak, Miß) ›die mögen gern gutes, zartes Fleisch.‹ ›Madame,‹ sagt er, und dabei verbeugt er sich so tief mit seiner Mulde, ›Sie sollen ein Stück Fleisch haben, gerade so zart und jung, wie Sie selber sind.‹ Das war doch hübsch gesagt, nicht wahr, meine Beste?«

»Wunderschön, Mrs. Shelfer. Aber jetzt sehen Sie sich nach meiner Kiste um.«

»Gewiß, gewiß, Miß Vaughan. Aber es war so hübsch wie ein Valentinsbrief; finden Sie das nicht auch?«

»Wo ist sie?«

»Unten, Miß, in meiner kleinen Wohnstube.«

»Dann schicken Sie mir sofort einen der Männer damit herauf.«

Alsbald kam Balaam mit der Mahagonikiste unter dem rechten Arm herauf, doch warf er einen ängstlichen Seitenblick auf Guidice. Er griff an seinen fettigen Hut, denn Mrs. Shelfer hatte ihn inzwischen durch Berichte über meinen Reichthum in Erstaunen gesetzt, und dann blickte er zweifelnd und besorgt auf seine Last.

»Setzen Sie die Kiste bitte dorthin« – ich wies auf ein paar Stühle – »der Hund wird Ihnen in meiner Gegenwart Nichts thun. Auf welche Summe ist diese Exekution verfügt?«

»Die Schuld beläuft sich auf fünfzehn Pfund Sterlinge, die Kosten bis fünf Uhr vier Pfund zehn Schillinge.«

»Hier ist das Geld, geben Sie mir eine Quittung.«

»Was, Miß! Sie wollen doch nicht Alles bezahlen?«

»Freilich will ich das.«

»Mit Verlaub, Miß, das kann ich nicht gestatten. Ich habe allerdings Pflichten gegen meinen Auftraggeber, aber ich habe auch Pflichten gegen das Publikum, ganz abgesehen von Charley, der ein alter Freund von mir ist, und von Mrs. Shelfer, die stets für so gutes Essen sorgt. Sie sähe es gewiß nicht gern, wenn Sie betrogen würden, Miß. Bezahlen Sie zehn Pfund für die Schuld, Miß, das ist viel mehr, als die Kläger dafür gegeben haben und erwarten. Unter uns gesagt, Miß, jedes Stück von diesen Möbeln ist schon für ein Dutzend Auktionen aufgeschrieben, und wir kommen eigentlich nur der Form wegen, denn Nutzen hat es doch nicht.«

Kurz und gut, ich zahlte zehn Pfund für die Schuld und vier Pfund für die Kosten, worauf Balaam mich mit einem höchst ausdrucksvollen und vertraulichen Blicke ansah.

»Ich hoffe, Miß, Sie werden mich nicht für unhöflich halten, aber Sie haben sich so nobel gezeigt, daß ich Ihnen wohl Etwas sagen möchte, was Sie nicht ungern hören würden. Ich habe schon einmal das genaue Ebenbild von Ihrem Dolch gesehen.«

»Wissen Sie das sicher? Bitte, wo?« Ich zitterte vor Erregung.

»In einem Hause in Somerstown, bei Gelegenheit einer Exekution vor ungefähr acht Jahren.«

»Wie hießen die Leute dort?«

»Dallyhorse oder Sellycorse, oder so ähnlich. Es waren Ausländer, und sie waren erst soeben nach England gekommen. Ich kann Ihnen den Namen richtig sagen, wenn ich die Akten nachgesehen habe. Ja, es war das genaue Ebenbild von Ihrem, nur war keine Schlange darauf.«

»Wissen Sie, was aus den Leuten wurde?«

»Nein, das weiß ich nicht, und ich möchte auch nicht wieder mit ihnen zusammentreffen. Eine ganz gemeine Sorte Parlez-vous, sie haben mich beinahe verhungern lassen. Ich habe aber gehört, daß sie jetzt auf einem hohen Pferde sitzen und eine vornehme Stellung haben.«

»Wissen Sie genau, daß die Waffe ebenso war wie diese? Sehen Sie sich diese noch einmal an.«

»Miß, ich kann einen Eid darauf ablegen, daß sie einander auf's Haar gleichen ohne die kleine Schlange. Ich habe ihn damals genau betrachtet, denn ich sah noch nie einen gleichen, und ich hatte schon eine Menge ausländischer Waffen vorher in Händen gehabt. Und der Herr hatte ihn so gut versteckt. Wir entdeckten ihn durch eine Katze, welche eingesperrt war.«

»Und was geschah mit dem Dolche? Hat Ihr Auftraggeber ihn an sich genommen?«

»Oh nein, Miß. Als der Herr dahinter kam, daß wir ihn gefunden hatten, da war er sehr aufgeregt, obgleich er es sich nicht merken lassen wollte. Er ging aus, verschaffte sich das Geld irgendwo und schickte uns im Nu aus dem Hause.«

»Wie viel Mitglieder zählte die Familie?«

»Lassen Sie mich nachdenken. Sie hatten nur ein halbes möblirtes Haus gemiethet. Da war erstlich Dallihorse selber, dann eine sonderbare Dame und einige Kinder. Wie viele es waren, weiß ich nicht, denn sie ließen sie nicht zum Vorschein kommen; außerdem war noch ein nettes junges Mädchen da, welche das Kochen für sie besorgte, und knapp genug war es.«

»Welchen Beruf hatte er? Und wer war sein Gläubiger?«

»Was er war, weiß ich nicht. Er ließ sich, glaube ich, Künstler nennen, aber mir sah er mehr wie ein Seemann aus. Ich war wegen einer Rechnung aus einem Speisehaus hinter ihm her. Ein toller, hitzköpfiger Kerl war er, ich dachte, er würde mich spießen, als ich sein Dolchmesser nahm. Er war ein ziemlich großer Mann, schlank gewachsen und lebhaft, und was hatte er für schwarze Augen.«

»Gut, Balaam, wenn Sie den Mann aufspüren und ausfindig machen, wo er jetzt wohnt, so will ich Ihnen zweihundert Pfund Sterling geben. Hier sind zehn Pfund Sterling für Sie als Handgeld.«

Balaam war so erstaunt, daß er mich beinahe gerade ansah.

»Mit Verlaub, Miß, darf ich es Balak sagen? Ich würde nicht froh sein können, wenn ich es nicht thäte. Wir arbeiten immer zusammen, und es würde kein ehrliches Spiel sein.«

»War er damals mit Ihnen zusammen, und kann er ein Geheimniß bewahren?«

»Ja, Miß, er war dabei, und ich würde ihm jedes Geheimniß anvertrauen. Ich kann ohne ihn Nichts werden lassen.«

»Dann dürfen Sie es ihm gern sagen, aber nicht in diesem Hause. Hier ist meine Adresse, damit Sie wissen, für wen Sie in Thätigkeit sind. Lassen Sie sich nicht mit der Polizei ein. Behalten Sie die ganze Angelegenheit strenge für sich. In zwei Tagen verlasse ich London; wenn Sie in der Zeit nichts entdecken, so schreiben Sie mir hierher. Ich werde Sorge tragen, daß die Briefe richtig befördert werden. Sie brauchen nur das Eine auszukundschaften, und wenn ich es als richtig befunden habe, so zahle ich Ihnen die zweihundert Pfund.«

»Würden Sie etwas dagegen haben, wenn Sie es uns ein bischen aufschrieben?«

»Ja; ich habe viele Gründe, es nicht niederzuschreiben. Sie dürfen sich aber nach mir erkundigen, ob mir zuzutrauen ist, daß ich mein Wort nicht in Ehren halten würde.«

Nachdem ich seine Adresse »Balaam Levison, Dove Court, Chancery Lane« erhalten, entließ ich ihn, und ich hörte noch, wie er auf jeder Treppenstufe stehen blieb, um über die seltsame Sache nachzugrübeln.

Sodann kam Mr. Shelfer nach Hause und war hocherfreut, die Exekutoren zu sehen, und da das Vergnügen gegenseitig war, und das von mir bezahlte Geld in ihren Taschen brannte, so war das natürliche Ergebniß ein sehr lustiger Abend. Es wurde, wie ich nur zu deutlich hören konnte, in unerschöpflichem Maß auf meine Gesundheit getrunken, und von Zeit zu Zeit unterbrachen komische Lieder, die von drei lauten Stimmen mit den dazu gehörenden Nasentönen gesungen wurden, wobei selbst Pattys dünner Diskant aus dem Chor herauszuhören war, meine trüben und einsamen Gedanken.

 

Ende des zweiten Bandes.

 


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