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Angenehme Täuschung.
Guidice blieb so viele Tage hindurch in meiner Obhut, daß er zuletzt fest überzeugt war, mein Hund zu sein und kein Anrecht an irgend ein anderes menschliches Wesen zu besitzen. Für Unterhalt und ärztliche Pflege entschädigte er mich überreichlich, indem er mir wiederholt zu seinem Bildniß saß, welches mir schließlich zu seiner Befriedigung sowohl wie zu der meinigen gelang. Obgleich er durchaus kein eitler Hund war, gab es kein größeres Vergnügen für ihn, als sich malen zu lassen, und sofort nach dem Frühstück nahm er die kleidsamste Stellung ein und wartete mit Spannung auf das Erscheinen des Pinsels. Den großen Kopf hielt er ein wenig nach seitwärts geneigt, in den dunkelbraunen Augen lag ein Blick würdevoller Theilnahme, und die breiten, zwischen röthlich gelben Haarbüscheln herabhängenden Ohren glichen kleinen lehmfarbigen Rieselbächen in einer herbstlichen Landschaft. Er hätte ein würdiges Modell für einen echten Künstler gegeben, der ihn nicht allein abgebildet, sondern auch mit seinem künstlerischen Geiste belebt haben würde. Er war jedoch viel zu sehr Gentleman, um meine schwachen Versuche zu verhöhnen, da er sah, daß ich mir die möglichste Mühe gab. Oft blickte er ernsthaft auf das Bild und dann auf mich, hinkte zu mir hin, stieß mich an, winselte ein wenig und seufzte darüber, daß ihm die Sprache fehlte. Dadurch wollte er mir stets kundgeben, daß er Etwas geändert zu haben wünsche, doch es währte lange Zeit, ehe ich entdecken konnte, was er meinte. Ich versuchte jede mögliche Aenderung in den Linien und Farben, aber Alles war vergeblich. Endlich bemerkte ich, daß er mehr mit der Nase als den Augen kritisirte, und der Fehler also im Geruch liegen müsse. Dies war eine glückliche Idee. Ich stellte Guidice endlich zufrieden. Nachdem ich den Schatten um die Schnauze gezeichnet hatte, nahm ich, ehe ich die Farbe auflegte, einen reinen, trockenen Pinsel und fuhr damit leicht um seine eigenen salzigen Nüstern, wobei ich die Schnittwunde sorgsam vermied. Dann tupfte ich auf ein trockenes Stück Farbe, und nun traf ich die Schnauze des lieben Hundes so gut, daß ich das Bild fortziehen mußte, damit er es nicht in seiner schnüffelnden Begeisterung beschädigte. Jetzt erst besaß sein Porträt das von ihm beanspruchte Leben.
Inzwischen besuchten mich Isola und ihr Bruder fast täglich. Letzterer war natürlich sehr besorgt um seinen lieben Hund und konnte diese Sorge nur durch langes Zusammensein mit ihm vermindern. Merkwürdigerweise traf es sich meistens, und mit der Zeit immer häufiger, daß Isola während dieser Besuche eine besondere Sehnsucht nach Mrs. Shelfers Gesellschaft empfand, die sie nur genießen konnte, wenn sie sich nach der Küche hinunter verfügte. Dort verdrängte ihr Einfluß bald den meinen und sogar den der Mrs. Shelfer bei allen Hausthieren, ausgenommen bei dem alten Tom, der die Beständigkeit selber war und bei der von Dankbarkeit für mich durchdrungenen Amsel. Doch fragte ich nicht viel danach, so lange nur Guidice zu mir hielt.
Ueber diesen großen Hund, wie er in den Willen des Himmels ergeben am Boden lag, beugten Conrad und ich uns in höchst eifriger Diagnose, bis es ganz in der Ordnung schien, daß unsere Locken sich berührten. Aus dieser Stellung pflegten wir uns beklommenen, zitternden Herzens, mit einem schuldbewußten Erröthen auf den Wangen, emporzurichten. Dann währte es gewöhnlich sehr lange, ehe Eines dem Anderen in die Augen zu sehen wagte. Trafen sich die Blicke dennoch, wie es unvermeidlich war, so senkten sie sich oder wendeten sich ab, je nachdem der Hund oder eine vorüberziehende Wolke unsere Blicke auf sich lenkte. Hierauf folgte gewöhnlich irgend eine gleichgültige Bemerkung, für die der Zuhörende das tiefste Interesse zu heucheln pflegte.
Warum nur trachteten wir so danach, uns selber zu täuschen – einander können wir uns dennoch nicht betrügen. Warum fühlten wir uns so verlegen und schuldig und wünschten uns von Herzen hundert Meilen weit von einander entfernt, obgleich wir wußten, daß dann der ganze Raum dazwischen unser Herzeleid kaum zu fassen vermocht hätte? Den Grund hiervon kennen wir so wenig wie irgend ein Sterblicher. Den Anlaß aber mögen Diejenigen errathen, welche sich schon in gleicher Lage befunden haben.
Ich habe vom ersten Augenblick an gefühlt, daß es so und nicht anders kommen müsse, wenigstens was mich betraf; seit dem Tage wußte ich es, als er mit Isola gekommen war und mich nicht erkannt hatte. Weiß er jetzt, daß ich die Clara Vaughan bin, die er einst so hartnäckig zu vermeiden suchte? Meine Wimpern sind so lang und dunkel wie jemals, die von ihnen beschatteten großen Augen sind von einem so tiefen Grau, wie das Dämmerlicht in einem Weidengebüsch. Meine Wangen haben ihre Rundung wiedergewonnen, mein Haar hatte nicht gelitten. Hurtig zum Spiegel, nun, da er fort ist, um zu sehen, ob ich noch mir selber gleiche, Antlitz und Gestalt noch geeignet sind, Conrad's Liebe zu gewinnen.
Nein, ich gleiche nicht mehr mir selber. Es ist kein Wunder, daß er mich nicht wieder erkennt. Der finstere Zug, der beständig auf meinem Antlitz lag, ist verschwunden. Es ist ein Unterschied, wie zwischen einem tiefen, düsteren Brunnen und einer sonnigen Quelle. Ich sehe ein lächelndes, anmuthiges Mädchen, das den Stempel hoher Abkunft in jedem Zuge, Selbstbewußtsein in jeder Bewegung zeigt. Unter der klaren Haut ihrer Wangen glüht die Röthe freudigen Staunens, die frischen Lippen theilt ein glückliches Lächeln, die schöngeformten Schultern schimmern durch eine Fülle nachtschwarzer Locken; ihre Stirn, die freilich noch ernst und gedankenvoll ist, straft die glänzenden Augen fast Lügen, die von Liebe und Lebenslust blitzen. Auf einen Augenblick erhöht Genugthuung den Ausdruck des Gesichtes. Mein thörichtes Selbst lächelt mein eitles Selbst an. Aber das Lächeln hat einen wärmeren Ursprung als die eitle Hoffahrt eines jungen Mädchens. Ich lächle, weil ich sehe, daß Jemand, dem ich nicht gefiele, in Bezug auf Aeußeres, schwer zufrieden zu stellen sein müßte, daß aber der Eine, an den ich denke, nicht schwer zufrieden zu stellen ist. Der Gedanke an ihn –
Mein Vater pflegte einen schönen Vers aus »Hero und Leander« zu citiren:
Á?äïõò ?ãñ?í ?ñåõèïò ?ðïóôÜæïèóá ðñïóþðïõ.
Thauige Röthe der züchtigen Scham ausstrahlend vom Antlitz.