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Elftes Kapitel.

Grausame Ausschließung.

 

Ein schleichendes Fieber folgte der langen Hinfälligkeit, welche die Furcht vor äußerer Finsterniß über meine ermatteten Nerven gebracht hatte. Dieses Fieber hat mir wahrscheinlich die Sehkraft wiedergegeben, indem es eine Ableitung der örtlichen Entzündung bewirkte, welchem Zweck auch die Bemühungen des Arztes gegolten hatte. Wie sehnte ich mich nach den sanften Liebkosungen und den kühlen Lippen Isola's, als ich mich ohne einen Schimmer der Außenwelt unruhig auf meinem Lager hin und her warf. Aber seit jenem einen Besuche war sie streng fern gehalten worden. Der Professor hatte keine Gelegenheit, mir seinen therapeutischen Vortrag zu halten. »Ein für alle Mal, Miß Valence,« sagte Dr. Franks, als er von jenem Vorschlag hörte, »wählen Sie zwischen meinen Diensten und dem Gefasel irgend eines gelehrten Vielwissers. Wenn Sie erstere vorziehen, werde ich mein Möglichstes thun und kann Ihnen fast mit Sicherheit Erfolg versprechen. Ich muß aber darauf bestehen, daß Sie meine Anordnungen strenge befolgen. Niemand außer Mrs. Shelfer und mir, darf Ihr Zimmer betreten. Was Ihre liebenswürdige Freundin betrifft, von der Mrs. Shelfer so eingenommen ist, so wird sie Ihnen fern bleiben, wenn sie Sie wahrhaft liebt. Sie hat Ihnen schon mehr geschadet, als ich in einer Woche wieder gut machen kann. Ich nehme das tiefste Interesse an dem Fall und fühle aufrichtige Theilnahme für Sie, aber wenn Sie mir nicht versprechen, Niemand ohne meine Erlaubniß bei sich zu sehen – ich meine, zu empfangen – so werde ich nicht mehr kommen.«

Dies klang sehr hart, aber ich fühlte, daß er Recht hatte.

»Keine Thränen, liebes Kind; weinen Sie nicht! Mein Gott, ich habe so viel von Ihrem Muthe gehört. Es ist schon genug Entzündung vorhanden. Weinen ist das Schlimmste, was Sie thun können. Das ist auch ein Grund, weßhalb ich Ihre Freundin nicht hier haben will. Wenn junge Damen sich gegenseitig ein Leid zu klagen haben, so weiß ich durch meine eigenen Töchter, was sie zu thun pflegen. Lachen dürfen Sie, so viel Sie mögen, doch in ruhiger Art, und ich glaube sicher, daß Mrs. Shelfer jeden Menschen unter allen Umständen zum Lachen bewegen kann. Nicht wahr, Mrs. Shelfer?«

»Gewiß, mein bester Herr Doktor, ich habe schon so viel mit Schelmen zu thun gehabt. Das heißt, wenn ich weiß, daß Charley nach Hause kommt.«

»Nun Adieu, Miß Valence. Ich möchte Ihnen aber rathen, daß Sie nicht so viel mit Ihren Farben spielen. Die Ausdünstung wirkt schädlich.«

»Oh, was kann ich, was soll ich nur thun, um diese endlose Nacht hinzubringen? Ich versuchte nur, ob ich ein Haus im Dunkeln aufbauen könne.«

»Schlafen Sie, so viel Sie nur irgend können. Ich gebe Ihnen leichte schlaferzeugende Mittel. Wenn Sie aber nicht länger schlafen können, so lassen Sie sich von Mrs. Shelfer Etwas vorlesen oder erzählen, und zerstreuen Sie sich durch ein wenig Musik. Ich will Ihnen meine Spieldose leihen, die vierundzwanzig Stücke spielt. Stellen Sie dieselbe in das Nebenzimmer, damit der Ton nicht zu laut an Ihr Ohr schlägt. Auch die Glasharmonika dürfen Sie spielen, aber nicht zu lange hintereinander. Sie werden sich bald im Dunkeln darauf eingeübt haben.«

Er war so freundlich, mir noch an demselben Tage beide Instrumente zu schicken, und sie haben mir über manche schwere, einsame Stunde hinweg geholfen. Die gute Isola kam alle Tage, um sich nach mir zu erkundigen, und einige Mal wurde sie von ihrem Bruder begleitet. Sie eroberte Mrs. Shelfer so vollständig, daß dieselbe ihr einen ihrer besten Canarienvögel schenkte. Ich wurde nicht müde, der kleinen Frau zuzuhören, wenn sie Isolas Schönheit beschrieb, und deren Besuch in der Küche bildete das Hauptereigniß des Tages. Mrs. Shelfer pflegte zu behaupten, daß der Erdboden nicht werth sei, daß die Beiden darauf gingen.

»So ein Paar, Miß! Sie so sanft und lieblich, und wie sie so leichtfüßig dahin trippelt, und solche Augen, und solch' schönes Pelzwerk! Er dagegen geht so gerade und so edel und vornehm. Sie würden sicherlich eine Meile laufen, Miß, um seinen Gang zu sehen.«

»Sie vergessen, Mrs. Shelfer, daß ich dies Vergnügen vielleicht niemals genießen werde.«

»Ganz recht, meine Beste. Aber wir Anderen können es doch haben.«

So war es. Darin lag der ganze Unterschied, doch nur für mich, nicht für die Anderen. Dieser Gedanke regte mich zum Moralisiren in meiner oberflächlichen Weise an – Etwas, das mir bei meiner concentrirten, subjektiven Natur sonst ganz fern lag. Aber der Verlust des Augenlichtes hatte mein geistiges Auge auf das Dunkel in meinem Innern gelenkt. Ich glaube, daß die Blinden im Allgemeinen weniger engherzig sind, als die Sehenden, weniger geneigt, meine ich, ihre Nächsten scharf zu beurtheilen, und nicht so anmaßend, zu verlangen, daß jeder Pulsschlag mit dem ihrigen übereinstimmen solle. Wenn die Augen nur Fenster sind, durch welche Tadelsucht und Bigotterie in unser Gehirn eindringen, wenn die Strahlen des Lichtes nur Pfeile und Wurfspieße der Böswilligkeit sind, dann ist es besser, keine Sehkraft zu besitzen, viel besser, blind zu sein, als eine enge Welt zu sehen, welche beständig das eigene Ich abspiegelt, Ich, das Sandkorn, welches an das Gestade der Ewigkeit geweht ist und schon dem nächsten Windstoß weichen muß; ein Stäubchen, von welchem Mond und Sterne Nichts wissen und dessen Gewicht die Erde kaum fühlt, obwohl ein Stäubchen, das sich im Fernglase Gottes zu einem Berg vergrößert; werde ich niemals begreifen lernen, daß ich nur nach seinem Maß gemessen werde? Werde ich stets versuchen, meine Nachbaratome, die mit mir in dem Sonnenstrahl tanzen, zu stoßen und zu verdrängen?



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