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Zweites Kapitel.

Der arme alte Tom.

 

Inspektor Cutting, welcher sofort, nachdem ich ihm den Diebstahl angezeigt hatte, zu mir kam, versicherte, daß er die bewußte Person recht gut kenne, daß er sie schon wegen verschiedener anderer Streiche auf dem Korn habe, und sie, trotzdem sie eine »Abgefeimte« sei, wie er sich in eleganter Weise ausdrückte, doch binnen kurzer Zeit erwischen würde.

Zu meinem großen Erstaunen kam Isola Roß weder an dem nächsten Tage, noch an dem darauf folgenden zu mir. Ich begab mich deßhalb auf den Weg, mich nach ihr umzusehen, obgleich ich selber über mein Thun verwundert war. Nach meiner Idee mußte die College-Straße ihren Namen nach irgend einem akademischen Gebäude haben, und daraus schloß ich, daß ich dort den Professor Roß und meine liebenswürdige Freundin finden würde. Ich ging also ohne Mrs. Shelfers Rath, die mich eine Stunde mit Schwatzen aufgehalten hätte, bei schönem Frostwetter aus, um mich nach dem College zu erkundigen.

Ich erfuhr, daß ein niedriges, unansehnliches Gebäude, an dem ich schon oft vorübergegangen war, und das am Ende der Straße lag, das einzige College dort sei. Als ich in einen kleinen Hofraum trat, um weitere Erkundigungen einzuziehen, fiel mein Blick auf einen jungen Menschen, der wie die Reitknechte meines Vaters gekleidet war. Er knallte mit einer langen Peitsche und pfiff dazu. Er trug ein strahlend rothes Halstuch, einen grünen Jagdrock und bis an die Kniee reichende schwarze Stiefel. Ich studirte seine Erscheinung einen Augenblick, weil es mir durch den Sinn fuhr, daß er eine recht hübsche Staffage bilden müsse, besonders in Wasserfarben, welche die grellen Töne mildern würden. Er bemerkte die Aufmerksamkeit, welche ich ihm schenkte und schien stolz darauf zu sein.

»Nun, Polly, mein Schatz, was steht zu Ihren Diensten?«

Er mußte total betrunken gewesen sein, denn anders war seine freche Anrede nicht zu erklären. Natürlich antwortete ich nicht, sondern ging weiter.

Er knallte, um mich zu erschrecken, so laut mit der Peitsche hinter mir her, als würde eine Pistole abgefeuert.

»Ein herrliches Füllen,« murmelte er, »aber verteufelt hohe Aktion.«

Was er meinte, verstand ich nicht, es war mir aber auch gleichgültig. Der Nächste, welcher mir in den Weg kam, war ein kleiner, ganz in Braun gekleideter Mann, der äußerst geschäftig that und nach dumpfigem Heu roch.

»Hätten Sie wohl die Güte, mir zu sagen, wo ich den Herrn Professor Roß finde?«

»Roß, Roß! Name ist mir unbekannt. Es gibt keinen Roß hier bei uns. Was lehrt der Professor?«

»Das habe ich nicht erfahren, aber es ist Etwas, das junge Damen studiren.«

»Es giebt keine jungen Damen hier. Aber ich sehe, Sie haben das Schoßhündchen der Frau Mama mitgebracht. Holen Sie es nur aus dem Arbeitsbeutel hervor. Lassen Sie es mich sehen.«

»Bin ich hier nicht in dem College?«

»Ja wohl, in dem besten von ganz London. Schnell, zeigen Sie mir den Hund.«

»Ich habe keinen Hund, mein Herr, ich muß mich geirrt haben.«

»Aber einen Ponny haben Sie doch? Ueberfüttertes Lieblingsthier. Schetländer Zucht, he?«

»Nein, ich habe weder Hunde noch Pferde und suche Miß Roß.«

»Meine junge Dame, Sie haben sich in der That sehr geirrt. Sie haben mich fünf Minuten lang in einer Vorlesung über die Navikular-Krankheit Das Kahnbein ( Os naviculare pedis) ist einer der Fußwurzelknochen. gestört. Meine Lehren werden durch einen arroganten jungen Menschen vom Lande angefochten, und ich suche Autoritäten.«

Damit eilte er fort, vermuthlich nach der Bibliothek.

Es war mir klar, daß ich mich geirrt hatte, und ich fragte, als ich mich wieder auf der Straße befand, im nächsten Laden, welches Gebäude es sei, in dem ich soeben gewesen.

»Oh, dort sind die Veteranen,« sagte die Verkäuferin: »das ist eine liebliche Bande!«

»Wie Soldaten sahen sie mir aber nicht aus.«

»Nein, nein, Miß, es sind die Veteranen, welche die kranken Pferde und Hunde in die Kur nehmen. Und klug sollen sie sein, wie ich gehört habe.«

»Wo ist denn das College für junge Damen?«

»Sie meinen wohl eine Mädchenschule? Die finden Sie, wenn Sie die Straße ein Stück hinuntergehen. Und in der High-Straße ist noch ein College für Knaben, die flache Mützen tragen.«

»Ich suche keine Schule, sondern ein College, das von jungen Damen besucht wird.«

»Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben, Miß.«

Ich kehrte zu Mrs. Shelfer zurück.

»Um Gotteswillen, Miß Valence,« rief die kleine Frau ganz athemlos vor Erstaunen, »bei den Kannibalen sind Sie gewesen? Sie können Gott danken, daß die Unmenschen Ihnen nicht die Haut abgezogen und Sie ausgestopft haben. Rathen Sie einmal, was sie meinem alten Tom gethan haben.«

»Wie sollte ich das errathen können, Mrs. Shelfer?«

»Nein, natürlich nicht, ich muß es Ihnen erzählen, meine Beste. Die Hallunken haben ihn recht gut gekannt, wie es scheint, noch aus der Zeit der seligen Miß Minto, als er einmal bei ihnen in der Kur war wegen einer Lachsgräte, die er sich in den Aesop geschluckt hatte, so sagten sie wenigstens; aber sie sind die größsten Lügner. Also – es wird am nächsten Boxertage » Boxing Day«, der zweite Weihnachtsfeiertag in England. ein Jahr, da kommt ein halbes Dutzend von den Bengeln, und Alle sehen so ehrbar aus, wie die Richter auf dem Rathhaus. Als ich die Thür öffne, reißen sie die Hüte ab, wie wenn ich zum wenigsten die Königin wäre. ›Was steht Ihnen zu Diensten, meine Besten?‹ sage ich. Shelfer war nicht bei der Hand, und trotz ihrer Höflichkeit hütete ich mich, sie einzulassen; nein, ich danke. ›Mrs. Shelfer,‹ sagte der Größte von ihnen, ein hohlwangiger junger Mensch, ›Sie sind im Besitz eines merkwürdigen Katers, eines Thieres, Madame, von unvergleichlicher Sympathie und Verwickelung der Organe. Unser Professor, Madame, hält einen Kursus von Vorlesungen über kanonische Hepatalgelika und Biliscalcullicus.‹ Im Original: »Canonical Heapatightnes of the Hirumbillycus«, was die Verballhornung durch Mrs. Shelfers noch sinnfälliger macht.

»Bravo, Mrs. Shelfer; was für ein gutes Gedächtniß Sie haben!«

»Nun ja, es geht an, besonders für lange Worte, wenn sie sich hübsch anhören. ›Aber, mein Herr,‹ sage ich etwas stutzig, ›daran leide ich Gott sei Dank nicht.‹ ›Nein, Madame,‹ sagte er, ›Ihr blühendes Aussehen widerspricht solcher Dialoge, der Herr Professor hat aber an Ihrem prächtigen Kater die Symbole davon bemerkt, als er neulich hier vorüberging, und er will das Thier, für das er die aufrichtigste Zuneigung hegt, zu unserer Belehrung und Vervollkommnung von dieser Krankheit kuriren. Herr Professor Sallenders läßt sich Ihnen, verehrte Madame, nun schönstens empfehlen und anfragen, ob Sie uns den lieben Kater zu seiner Heilung wohl mitgeben wollten. Der Herr Professor hat ihm schon früher einmal das werthe Leben gerettet, und deßhalb hegt er keine Zweifel, daß Sie seiner Bitte willfahren werden.‹ Nun sehen Sie, Miß, ich hatte keine rechte Lust, ihn fortzugeben, aber ich getraute mir auch nicht, den Professor zu beleidigen, nämlich wegen meiner anderen Thiere, denn er hätte sie alle, die Vögel miteingerechnet, behexen können, wozu er die Macht besitzt. Mein alter Tom lag am Kamin und wärmte sich den Pelz, gerade so, wie Sie das arme Vieh jetzt da sehen, Miß. Ich nahm ihn auf und legte ihn in einen Deckelkorb, und weil es draußen kalt war, deckte ich ihn noch mit einem Stück Flanell zu. Das Thier war so klug, Miß, Sie können's mir glauben, er wehrte sich mit seinen Pfoten gegen mich, denn er wußte, daß ich ihn in sein Unglück schickte, und fast hätte ich mich noch anders besonnen. ›Sie bringen ihn mir doch auch gesund wieder?‹ frage ich. ›Madame,‹ sagt der hohlwangige junge Mensch so feierlich wie von der Kanzel herab, und legt die Hand mit einer tiefen Verbeugung auf das Herz, ›Madame, noch vor Ablauf einer Stunde. Sie können sich ganz auf meine Veteranenehre verlassen.‹

»Aber Mrs. Shelfer, ich bin erstaunt. So einfältig wäre selbst ich nicht gewesen. Der arme alte Tom im Lager der Philister!«

»Na, Miß, ich wurde auch gleich, nachdem sie gegangen waren, sehr unruhig. Es war mir vorgekommen, als hätten sie sich so sonderbar umgesehen, und dann hatte mein alter Tom so entsetzlich in dem Korbe miaut. Bald hörte ich aus allen Ecken miauen, aus dem Wandschrank, aus der Uhr, ja, aus der Bratpfanne. Ich setzte meinen Hut auf, so schnell ich konnte, und rannte geradewegs nach der Akademie. Ich weiß auch nicht, wie es zuging, aber als ich dort war, zitterte ich vor Furcht am ganzen Leibe. Das Glück wollte, daß der Thorhüter gerade da war, ein netter, respektabler, verheiratheter Mann, der mit Charley befreundet ist. ›Curbs,‹ sage ich, ›wo ist der Professor Sallenders?‹ ›Aufs Land gereist,‹ sagt er, ›seit vorigem Freitag. Er bleibt nie über Weihnachten hier, Mrs. Shelfer, dazu ist er viel zu schlau.‹ Mir klopfte das Herz zum Zerspringen, und ich mußte mich an den Thorflügel lehnen, denn ich dachte, es wäre aus und vorbei mit mir. ›Oh, beruhigen Sie sich doch, liebe Frau,‹ sagte Curbs darauf, ›wenn Eines aus Ihrem Museum krank ist, so finden Sie ein halbes Dutzend gescheidte junge Menschen im Operationssaal dort drüben. Sie sind nur augenblicklich damit beschäftigt, einen großen schwarzen Kater entzwei zu schneiden; meiner Seel', der hat aber gequickt!‹ Ich stieß einen lauten Schrei aus, stürzte an Curbs vorüber, der mich für toll hielt, womit er nicht ganz Unrecht hatte, und riß die Thür auf. Da stand der hohlwangige junge Mensch an dem Tisch und schwang ein großes Messer über meinem armen Tom, der gebunden auf dem Rücken lag. Das Maul hatten sie ihm mit einem leinenen Bande verschlossen, seine Pfoten steckten in ledernen Beuteln und quer über ihn waren Stäbe geschnürt, wie über ein bratendes Kaninchen. Ein weißer Strich lief seinen ganzen Leib hinunter; wissen Sie, Miß, er hatte kein einziges weißes Haar, aber die Kannibalen hatten ihn rasirt und mit Mehl bestreut, um besser sehen zu können, was sie vorhatten. Als er mich sah, da blickte er mich so rührend mit seinen lieben alten Augen an Sie hätten gewiß geweint, Miß – er wollte so gern mit mir reden. Oh, das gute alte Geschöpf! Ich aber jagte die Bande aus einander, daß sie nach links und rechts hinflogen. Dem hohlwangigen Heuchler zerkratzte ich das Gesicht, bis ich denke, er kriegt die Biliscalcullicus und die Tommycalcullicus dazu. Die Polizei habe ich herbeigeholt, und kein Einziger von ihnen hat seinen Weihnachten in London gefeiert. Aber das arme Vieh ist nie wieder der Alte geworden. Von der Angst hat er um's Herz herum und hinter den Ohren weiße Haare bekommen. Wohl einen guten Monat lang zitterte er und wollte nicht vor die Thüre kommen, wenn der Mann mit dem Katzenfleisch rief; ja, noch jetzt rührt er es nicht an, wenn ein Speiler darin steckt.«

Die arme kleine Frau weinte vor Jammer und Zorn. Der alte Tom hatte sie die ganze Zeit angesehen, als verstehe er Alles, was sie erzähle, und jetzt sprang er auf ihren Schooß zeigte die Pfoten und schnurrte. Unterdessen hatte ich meinen Vorsatz geändert. Vielleicht hatte alle Rohheit, welcher ich an dem Tage begegnet war, meinen Stolz wachgerufen. So gut mir die hübsche Isola gefiel, und so sehr ich mich nach ihrer herzlichen, lebhaften Theilnahme sehnte, war ich dennoch entschlossen zu warten, bis sie mich aufsuchen würde. Deßhalb fragte ich Mrs. Shelfer auch nicht nach dem College, an dem der Professor Vorlesungen hielt. Was waren mir Liebe und warme jugendliche Herzen? Ich verdiente die Enttäuschung, weil ich vom Pfade der Pflicht abgeschweift war. Von jetzt an sollten alle meine Gedanken der Kunst gewidmet sein, aus der ich allein irgend welche Hoffnung schöpfen konnte, meinen Zweck zu erreichen, und am nächsten Tage schon wollte ich den Rath des Gemäldehändlers befolgen.



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