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Sally's erster Brief.
Der Brief meiner kleinen Sally gewährte mir die innigste Freude. Er war durchweg sehr deutlich geschrieben, und sie mußte wenigstens acht Tage dazu gebraucht und sich fast jedes Mal die Hände gewaschen haben. Satzzeichen waren nicht darin, ich habe aber einige hinzugefügt. Die Orthographie war verhältnißmäßig richtig, doch habe ich sie etwas nach der gegenwärtig herrschenden Methode verändert.
»Bitte, liebe gute Miß Clara, Mutter und ich lassen Sie mit respektvoller Liebe schönstens grüßen und hoffen, Sie nicht zu beleidigen indem Sie die Güte haben möchten, diesen kleinen Korb gütigst anzunehmen, mit dem Wunsche, daß es zehnmal so viel sein möge und daß Sie Alles ganz allein aufessen, liebe Miß. Das Schweinefleisch ist alles nach unserer eigenen Methode zurechtgemacht und ganz gesund, und wir haben kein Härchen darauf sitzen lassen, weil Sie das nicht gern haben, liebe Miß. Vielleicht haben Sie die schwarze Sau noch im Andenken, die immer den Schwanz nach der rechten Seite drehte, dieselbe, wissen Sie, Miß, welcher Tim den Ring durch die Schnauze zog, als ich meine erste Vorschrift abschrieb, und all' die anderen Kinder hinausliefen, das Meiste ist von derselbigten, Miß. Vater meint auch, daß er glaubt Sie bekämen in London nie Butter zu sehen, aber Beany Dawe sagt, das wäre nicht so, denn es würde dort sehr viele aus Thran und Bücklingen gemacht.
Liebe Miß, Tabby Badcock wollte letzten Sonntag über das Eis in der alten Sägegrube gehen, die geradeüber von dem Oberschuppen ist, da habe ich ihr gesagt es hält nicht, und da ist sie eingebrochen und wäre beinahe ertrunken, wenn nicht unser kleiner Jack über die Pfosten gekrochen wäre, daß sie sich an seinen Hacken festhalten konnte. Mutter sagt, Sie würden sich gefreut haben, wenn Sie gesehen hätten, was sie dafür von Tim gelöst hat, als er aus der Kirche nach Haus gekommen, daß sie ihr bestes Kleid so eingeschmutzt hatte.
Liebe Miß, der Beany Dawe war hier als Sie fort waren und hat ein Gedicht auf Sie gemacht, was Vatern so gefallen hat, daß er so viel Cider trinken durfte wie er mochte; und wie er da hat nach Haus wollen, ist er beim Breakneck-Berg in einen Graben gefallen. Wie er da wieder zu sich gekommen ist, da hat der Weg sich verkehrt herumgedreht, und Beany weiß auch nicht, wie es zugegangen ist, aber er ist hier › nolus wolus‹ wieder zurückgekommen; so hat er gesagt, und ich könnte mich d'rauf verlassen, daß es so geschrieben wird. Seitdem ist er nun noch immerzu hier und sägt die Ulmen aus dem unteren Gehölz entzwei und schläft auf dem Zwiebelboden, und Suke sagt, sie kann keine Nacht vor dem Lärm schlafen, den er mit seinem Versemachen angibt. Mutter sagte, Suke solle ihn die Treppe hinunterwerfen, das sei ihm schon recht, aber Vater hat es verboten und sagt, daß er ein tüchtiger Kerl ist, der sein Essen und Trinken verdient, wenn er auch Verse macht.
Liebe Miß, er hat mich das Schreiben lehren wollen, aber Vater sagte, das sei nicht nöthig, weil ich es besser gelernt hätte, als bei ihm. Und ich sagte, er könne Tabby Badcock belehren, wenn er will, aber nicht mich. Das sollte mir fehlen.«
Wie sie wohl die hübschen Locken beim Schreiben dieser Stelle geschüttelt hat. Ich wünschte, daß ich sie dabei hätte sehen können.
»Liebe Miß, dieß muß ich schreiben, wenn er nicht dabei ist, denn sonst würde er mir Alles zu Versen machen. Tim Badcock habe ich fest versprechen müssen, Ihnen zu schreiben, daß Vater auf dem Ringplatz beim Jahrmarkt in Barnstaple acht Tage, nachdem sie fort war, so ungeschickt gewesen ist und einen Cornwaller bis hoch in den Kronleuchter gehoben hat, so daß der, wie er wieder heruntergekommen ist, ein Licht so fest im Halse stecken hatte, daß der Doktor es hatte anbrennen und mit dem Blasebalg hatte anfachen müssen, ehe er ihn wieder zurecht gekriegt hat. Der Cornwaller ist jetzt wieder besser, sagt Tim, aber er hat sich vorgenommen, sich nie wieder auf das Ringen in Devonshire einzulassen.
Liebe Miß, Vater sagt, ehe dieser Brief abgeht, will er noch den alten Hasen schießen, der im oberen Gehölz sitzt, und wenn die Königin Viktoria ihn auch dafür zu Zwangsarbeit transportiren läßt. Tim hat schon viermal nach ihm geknallt, aber er sagt, das Pulver habe nicht getaugt.
Liebe Miß Clara, alle Eier, die meine kleine schwarze Henne gelegt hat, seit die letzte Gerste eingebracht ist, die sollen in den Truthahn mit dem schwarzen Kamm eingenäht werden. Er stolzirt jetzt noch auf dem Hofe herum und guckt mich ganz vergnüglich an, während ich dies schreibe. Sie hat aber noch nicht mehr als ein Dutzend gelegt, obschon ich sie jeden Morgen und jeden Abend mit Pfeifen gelockt habe, wie wir immer gethan, Miß, wenn Sie gut bei Laune waren. Aber die anderen Hühner haben noch gar nicht gelegt.
Liebe Miß, Vater sagt, weil er solche Menge Vieh verkauft hat, ist er ganz ängstlich, so viel Geld im Haus zu haben und darum hat er Muttern gesagt, daß sie die Pacht zum kommenden Mariä-Verkündigungs-Tage 25. März. in den Truthahn mit dem weißen Kamm einnähen soll, wenn er geschlachtet ist und er hofft, Sie möchten es nicht für ungut nehmen.
Liebe Miß Clara, wir haben drei Briefe von Ihnen gehabt und ich lese sie jeden Sonntag Abend an Vater und Mutter vor, aber der Postjunge Joe glaubt, daß ihm einer verloren gegangen ist, wie er den Esel nach dem Regen durch den Bach gepeitscht hat. Gewiß kann Joe es aber nicht sagen, weil er nicht zu den studirten Leuten gehört wie wir, Miß, und er die Briefe blos an den Stecknadeln kennt, die sie ihm in Martinhoe in den Aermel stechen. Er sagt aber, es wäre gewiß etwas von Porzellan darin gewesen, er sei gleich untergegangen. Mutter hat ihm einen kleinen Schlag mit der Scheuerbürste auf den Kopf gegeben, damit er die königliche Post künftig besser besorgen soll und da hat er nicht schlecht geheult. Einen Brief für den Pastor hat er in den Schmutz fallen lassen, aber wir haben ihn in einem Eimer abgewaschen und ihn nächsten Sonntag an den Pastor abgegeben. Der Postjunge Joe ist seitdem nicht wieder zu uns herangekommen und in Martinhoe haben sie erzählt, daß wir gar keine Briefe mehr kriegen sollten. Vater sagt aber, dann wolle er dem Posthalter dort ganz gehörig seine Fäuste zeigen.
Liebe Miß Clara, wir würden schon früher geschrieben haben, aber Mutter sagt, ich müßte erst zwölf Hefte vollgeschrieben haben, jede Woche eins, damit die Leute in London sehen sollten, wie sie schreiben und buchstabiren müßten. Vater sagt, London ist in Gloucestershire, aber ich glaube nicht, daß es dort ist, und Beany Dawe schüttelt den Kopf und will es nicht sagen, aber Mutter glaubt, daß er es auch nicht weiß.
Liebe Miß, wir haben vor einem Monat oder länger ein neues Baby bekommen, und Mutter hat sich ausgedacht, weil es ein Mädchen ist, und wenn Sie Nichts dagegen hätten, Miß, und es nicht für eine zu große Freiheit halten würden, daß wir es Clara taufen wollten. Bitte Miß, sagen Sie es aber, wenn es vielleicht ein zu hoher Name oder sonst unpassend ist. Vater fürchtet, daß er sich für Unseresgleichen zu vornehm anhört, aber Mutter sagt, daß die Huxtables schon hundert Jahre lang zu Coom und Parracombe als brav und rechtschaffen bekannt seien.
Liebe Miß, Vater hat letzte Woche auf dem Markt in Coom gehört, daß nächstens der Franzose in's Land fallen wird, und sie haben für ganz sicher erzählt, daß sie zuerst nach London kommen, und er bittet Sie, es ihn gleich wissen zu lassen. Dann will er mit dem großen Eschenbaum aus dem Challacombe-Walde, wo der Epheu darauf wächst, zu Ihnen kommen, damit daß sie Ihnen Nichts thun sollen.
Wissen Sie, Miß, der junge Mensch, der Sie aus der großen Schlucht gerettet hat, ist am Tage nachdem Sie fort waren, hier gewesen und hat nach Ihnen gefragt. Mutter glaubt, daß er nichts Gutes im Schilde führt, weil daß er nicht herein kommen und keinen Tropfen Cider trinken wollte.
Vater sagt, es macht ihm jeden Abend das Herz schwer, wenn er denkt, daß Sie so ganz allein in der sündhaften Stadt London sind, und er geht immer den Weg entlang, bis an das weiße Thor, weil er hofft, Sie könnten kommen, und Mutter sagt, wenn Sie in London rothe und blaue Bilder verkaufen, möchte sie wohl, daß Sie uns welche für die schicken, wofür Vater die Würste gegeben, wir würden die dann gar nicht mehr ansehen.
Liebe Miß Clara, Sie werden gewiß erstaunt sein, daß ich schon so schreiben und buchstabiren kann. Vater sagt, es muß in der Familie liegen, ich will aber nun nicht wieder an Sie schreiben, bis ich ein neues Dutzend Hefte fertig habe. Oh, liebe Miß, wie gern möchte ich, daß Sie wieder hier wären, aber Vater sagt, ich soll nicht so viel darüber schreiben, weil er fürchtet, es würde Sie zum Weinen bringen, Miß. Alle Kinder, ausgenommen das neue Baby, das Sie noch nicht gesehen hat, schicken Ihnen herzliche Grüße und hundert Küsse, und ebenso Vater und Mutter und Timothy Badcock und Tabby und Suke und Beany Dawe, nun daß er es weiß, daß ich an Sie schreibe.
Ich verbleibe, liebe Miß Clara, Ihre dankbare und Sie liebende, gehorsame Schülerin
Sarah Huxtable.
Dieses ganze papierne Geschreibsel auf der Bank beim Feuer unterzeichnet von
X John Huxtables Handzeichen
X Honora Huxtable ihrs.