Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Eine plötzliche Enttäuschung.
An demselben Abend, als meine geliebte Isola gegangen war, und ich mich noch dreimal einsamer als sonst fühlte, kam Mrs. Shelfer um mir zu sagen, daß ihr Onkel John da sei und mich gern sprechen wolle. Obgleich er mehrmals gekommen war, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen, hatte er mich seit dem ersten Tage meiner Blindheit nicht gesehen.
Nachdem er seine Freude über meine Genesung ausgesprochen hatte, versicherte er mir, daß ich dieselbe weder dem Doktor noch mir, sondern nur dem Glück zu danken hätte, daß ich die Flüssigkeit erst berührt, nachdem deren Kraft beinahe verflogen gewesen sei.
»Haben Sie irgend eine Nachricht für mich?« unterbrach ich ihn. Mit der Wiederkehr meiner Kräfte begann ich das mir zugefügte Unrecht heftiger zu empfinden.
»Ja, und ich fürchte, daß Sie es für eine schlimme Nachricht halten werden. Sie verlieren meine Hülfe für eine Zeitlang.«
»Wieso? Sie sprachen soeben von meinem Glück; ich bin stets unglücklich.«
»Ich bin nämlich in einer Sache, die zu kitzlich und schwierig für irgend Einen meiner Kollegen ist, außer Landes beordert. Morgen verlasse ich England.«
»Wie lange werden Sie fortbleiben?«
»Das kann ich nicht bestimmen. Es mag ein Jahr, auch zwei währen. Vielleicht komme ich gar nicht zurück. Abgesehen von der Gefahr bin ich nicht mehr so rüstig, wie in meinen jüngeren Jahren.«
Ich war wie niedergeschmettert. Sollte ich niemals eine Aussicht auf Erreichung meines Zieles haben? Alle Mächte der Erde, des Himmels und der Hölle schienen sich gegen mich verschworen zu haben. Dann wieder kam mir ein Hoffnungsstrahl, der aber sofort durch die Erinnerung an seine Worte verdunkelt wurde.
»Gehen Sie nach Italien?«
»Nein, nach Australien.«
Nun schwand mir alle Hoffnung, und eine Zeitlang konnte ich kein Wort sprechen. Endlich sagte ich:
»Herr Inspektor Cutting, das Wenigste, was Sie thun können, und wozu Sie überdies verpflichtet sind, besteht darin, daß Sie mir vor Ihrer Abreise Alles, auch das Geringste mittheilen, was Sie im Laufe Ihrer Nachforschungen entdeckt haben. Etwas haben Sie sicher in Erfahrung gebracht, sonst würden Sie mich nicht zu jenem Unternehmen veranlaßt haben. Längst habe ich gefühlt, daß Sie irgend etwas vor mir verborgen hielten. Jetzt können Sie keinen Beweggrund mehr dafür haben. Nun bin ich allein berechtigt, Ihr Geheimniß zu erfahren; ich und Niemand sonst. Keinem Anderen werde ich den Fall übergeben. Wie viel ich in Folge Ihrer Verschwiegenheit gelitten habe, kann Niemand außer mir selber wissen. Von nun an will ich keine Hülfe mehr. Seit drei Monaten sind Sie auf der Fährte, und fast will es mir scheinen, daß Sie Nichts ausfindig gemacht haben.«
Zu diesen Worten veranlaßte mich einestheils meine Heftigkeit, anderntheils wollte ich ihn dadurch zu Aufklärungen reizen. Seine schwächste Seite war der Stolz auf seine Schlauheit.
»Sie sollen jetzt nicht mehr durch meine Verschwiegenheit leiden. Ich hatte meine guten Gründe, vor Ihnen geheim zu halten, was ich weiß, und einer davon bestand in Ihrer eigenen Hastigkeit. Jetzt will ich Ihnen Alles sagen.
Wie Sie richtig bemerkten, ist dies nun meine Pflicht, wenn Sie mich nicht autorisiren wollen, einen Nachfolger an meiner Statt zu ernennen, ehe ich abreise.«
»Das werde ich sicher nicht thun. Das Vertrauen, das ich Ihnen geschenkt, kann ich auf keinen Unbekannten übertragen.«
»Noch eine Aussicht bleibt. Lassen Sie mich offiziell über den Fall berichten. Es ist möglich daß meine Vorgesetzten ihn für wichtiger erachten, als meine neue Mission, bei der es sich um die Wiedererlangung eines beträchtlichen Besitzthums handelt.«
»Nein, das werde ich nicht gestatten. Ich habe mich einer einzigen Aufgabe gewidmet, und ich allein kann sie vollbringen. Sie soll nicht auf Andere übergehen. Ich fühle jetzt wieder, daß es meine Bestimmung ist, dieses dunkle Geheimniß zu entwirren; durch mich selber und meinen eigenen Muth muß es geschehen. Als ich Ihre Hülfe in Anspruch nahm, durchkreuzte ich mein Schicksal. Seitdem habe ich nur Unfälle gehabt. Es giebt in irgend einer Sprache ein Sprichwort: ›Wer das Schicksal durchkreuzt, soll dem Zufall preisgegeben werden.‹«
»Miß Valence, ich hätte mir niemals träumen lassen, daß Sie so abergläubisch sind.«
»Nun berichten Sie mir Alles, was Sie gethan und entdeckt haben, sowie Ihre daraus gezogenen Schlüsse.«
Er sagte mir Alles in wenigen Worten, und seine Schlüsse waren auch die meinen. Jedem außer mir würden die Gründe, auf welche er sie basirte, als unzulänglich erschienen sein. Ich bemühte mich nach Möglichkeit, den schwachen Faden zu verfolgen. Ehe er mir Lebewohl sagte, gab er mir noch einen letzten Rath.
»Miß Valence, wenn Sie während meiner Abwesenheit Ihre Beweise in so weit festgestellt haben, daß Sie der Gewalt bedürfen, oder wenn Sie vorher einen männlichen Beistand gebrauchen sollten, so wenden Sie sich an meinen Sohn. Sie können ihn stets durch Patty Shelfer erfragen. Er ist zwar erst Sergeant und kein Mitglied der Geheimpolizei; aber der junge Mann hat gediegene Fähigkeiten, er hat alle meine Fähigkeiten und mehr noch in sich. Ach, er wird, will's Gott, am Ruder sein, wenn ich im Grabe liege.«
Seine schlauen Augen erhielten einen sanften Ausdruck, während er sprach, und er gefiel mir wegen dieser kleinen Schwäche zehnmal so gut. Er wußte natürlich, daß ich einem jungen Manne nicht solches Vertrauen schenken konnte, wie ihm. Als er unter vielen guten Wünschen beiderseits und mit einem kleinen Geschenk von mir fortgegangen war, fühlte ich, daß ich einen verständigen, ehrlichen und treuen Freund verloren hatte.