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Achtzehntes Kapitel.

Ein interessanter Patient.

 

Sobald meine Sehkraft völlig hergestellt war und Dr. Franks mir die Erlaubniß ertheilt hatte, nahm ich meine Zeichnungen wieder auf und arbeitete, bis mich die Augen schmerzten. Dies war das Zeichen, auf dessen Eintreten ich meinem Versprechen gemäß sofort aufhören mußte. Dann pflegte ich in der Dämmerstunde hinaus und nach dem großen Platze zu laufen, wo die frische reine Luft des Himmels wehte. Bei der Kirche an dem oberen Ende begann ich und rannte sechs Mal rund um den viereckigen Platz herum, bis mir der Athem ausging. Die Elevin des College erinnert mich, daß es nicht möglich sei, rund um ein Viereck zu gehen. Thut nichts, ich schreibe einfach, wie ich spreche, und würde meine ungekünstelte Muttersprache nicht mit dem feinsten Französisch vertauschen, das doch nur die Sprache der Ziererei und Spitzfindigkeit ist.

Es war die höchste Zeit für mich, meine Kasse wieder zu füllen. Dr. Franks hatte mir viel weniger berechnet, als ich zu hoffen gewagt. Wie zitterte ich, als ich das Couvert öffnete. Welcher noch so heftige Schreck ist nur halb so schlimm, wie die schleichende Furcht vor anwachsenden Schulden. Ich hatte noch die ärztlichen Rechnungen aus der Zeit im Gedächtniß, als ich eine Erbin war, aber diese schien mir doch außer allem Verhältniß. Die Summe konnte ihn kaum für seine zahlreichen Gänge entschädigen.

Da schoß mir eine unglückselige Idee durch den Kopf – hatte er mir vielleicht so wenig berechnet, weil er wußte, daß ich arm bin? Ich zog Mrs. Shelfer zu Rath; sie mußte doch die Londoner Preise kennen. Die kleine Frau beruhigte mich sehr schnell. Sie erklärte, daß es reichlich genug sei und fügte hinzu, daß sie an meiner Stelle einen Abzug für baare Bezahlung machen würde.

»Oh, Sie kleinliche Seele! Ich würde verdienen, zum zweiten Male blind zu werden, wenn ich das thäte!«

Trotz alledem wurde mir das Geld mit jedem Tag knapper, und von meinen großen Einkünften war noch lange Nichts fällig. So mußte denn Mr. Oxgall ein zweiter Besuch abgestattet werden.

Isola bestand darauf, mich zu begleiten. Zu meiner Ueberraschung bemerkte ich, daß sie trotz ihrer schlichten Sanftmuth mehr Begriff von geschäftlichen Dingen hatte als ich. Der Grund lag wahrscheinlich darin, daß sie viel weniger Stolz besaß. Der meinige hätte den Vertraulichkeiten eines Händlers gegenüber keine Grenzen gekannt. Wer als Verkäufer auf einem Piedestall steht, wird oft die Erfahrung machen, daß das Geld nicht zu ihm heraufkommt. Ob dies oder der goldige Zauber ihres Wesens schuld war, mag Mr. Oxgall entscheiden. Der Mann der bemalten Leinwand (für den ich übrigens aufrichtige Achtung empfinde, weil er mich so wenig und so geschickt betrog) – dieser Mann betrachtete Isola mit großen Augen und offenem Munde, kurzum mit einer Bewunderung, die er sonst kaum für Etwas zu bezeigen pflegte, das außer dem Bereich der Oelfarben lag. Dem Könige der Maler hätte aber auch keine himmlische Vision ein süßeres Bild vorspiegeln können. Die Farbe ihrer strahlenden Augen, der warme Ton ihrer zarten Wangen, das vollkommene Ebenmaß in den Umrissen ihres Antlitzes und ihrer schöngeformten Glieder – dies Alles war von dem welligen, reichen Haarschmuck bis zum leichtgeschwungenen Bogen des zierlichen Fußes von der sprudelnden Lebenslust unschuldsvoller, fröhlicher Jugend belebt.

Es war nicht zu verwundern, daß der Gemäldehändler seine Augen mit der Hand beschattete, scharf hinsah, sie rieb und wieder hinblickte. Ich habe schon oft respektable ältliche Herren gesehen, ehrbare Staatsbürger, deren höchste Verirrung in einem keck aufgesetzten Hut bestand, und die so wenig daran dachten, ein junges Mädchen zu insultiren, wie daran, ihre eigenen Töchter als Preise für einen Wettkampf von Wilddieben einzusetzen – von diesen Ehrenmännern, wie auch von den einfachen biederen Geistlichen (auf dem Lande giebt es noch einige solche) habe ich, Clara Vaughan, es mit angesehen, wie sie, wenn Isola ihnen begegnete, still standen, mit den Augen blinzelten, dann, als sie vorüber war, über die Straße stürzten und mit den Händen in den Rocktaschen zum Schein in ein Schaufenster hineinblickten. Dann, während sie in allen Taschen nach ihrer Brille suchten, marschirten sie in höchster Eile vorwärts, bis sie wieder quer über die Straße gingen und sich etwa fünfzig Schritt von uns entfernt mit der Brille auf der Nase wieder in den Anblick der ausgestellten hauptstädtischen Waaren vertieften. Aber wenn der leichte Fußtritt nahte, haben sich alle diese Herren in seltener Uebereinstimmung umgewendet und mit zerstreuter und verlegener Miene ihre grauen, grünen oder mattblauen Augen auf Isolas veilchenblaue Sterne gerichtet. Und wenn sie ihnen entschwunden war, bemerkte ich, daß sie mich anblickten, um bei mir Sympathie für ihre unklaren Empfindungen zu suchen. Isola wußte dies natürlich, und es erfüllte sie mit stolzer Freude. Sie schätzte die alten stattlichen Herren, und Keiner dachte auch nur jemals daran, sie zu insultiren.

»Ein hübsches Mädchen« hätte wohl Niemand sie nennen können (außer einem Mr. Shelfer) der Ausdruck war ihrer durchaus unwürdig; selbst »ein schönes Mädchen« wäre kaum bezeichnend gewesen, so zart und schön sie auch war. Aber »ein liebliches Mädchen,« das lieblichste, welches je gesehen worden, so würde Jeder sie sofort genannt haben.

Trotzdem Isola diesen wie alle ihre Vorzüge kannte, lag Dünkel ihr so fern, daß es manche unansehnliche, schmutzige Person mit einem Plattfuß und fuchsrothem Borstenhaar geben kann, die dreimal so eitel ist. Sie besaß allerdings ihren kleinen Stolz, der sie aber nur mit einem anmuthigen Schein umgab und nie andere Frauen in ihren Augen verdunkelte. Sie wird ihre Schönheit erst dann schätzen lernen, wenn sie sich verliebt, und glücklich wird der Gegenstand ihrer Liebe zu preisen sein, wenn sie die Seine werden kann.

Unser Mr. Oxgall also schien nur den einen Wunsch zu haben, sie sprechen zu sehen und zu hören, was sie nicht ohne Absicht that. Ich liebe es, wenn ein Sechziger noch jugendlicher Empfindungen fähig ist. Ich sehe es ihm sofort an den Augen an, ob seine Bewunderung rein und erlaubt ist. Ist sie das, so erwidere ich sie. Giebt es einen klareren Beweis, daß sein Herz noch nicht vertrocknet ist, wie sein Körper, daß er noch Sinn für etwas Anderes als todten Mammon hat, mit einem Wort, daß er keine verknöcherte Mumie ist?

Werde ich jemals mit diesem Geschäft zu Ende kommen? Noch niemals bin ich so unentschlossen gewesen. Es handelt sich um keine geringere Summe als fünf Pfund. Fünf Guineen, was hübscher klingt, war der Betrag, mit dem Isola Mr. Oxgall davon kommen ließ. Ich glaube, sie hätte zehn erhalten können, aber sie besaß ein ausgezeichnetes Gewissen. Es ging wie ein Patentchronometer mit Kompensationspendel. Das meinige war noch zarter besaitet. Ich konnte mir nicht denken, daß meine Landschaft sammt der neuentdeckten Perspektive so viel Geld werth sein solle und wollte eine Guinee herunterlassen, doch Isola wollte Nichts davon hören.

»Miß Valence«, sprach sie, »ich bin Ihre Unterhändlerin in Bezug auf diese schöne Landschaft, die Ihnen so viel Mühe verursacht hat. Entweder erklären Sie sich mit meinen Forderungen, die mäßig genug sind, einverstanden oder entziehen mir die Agentur und beginnen Ihren Handel mit Mr. Oxgall › de novo‹, wie wir im College sagen.«

Zwischen ihrer Schönheit und meiner Biederkeit wußte der arme Mr. Oxgall nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Ich hörte ihn murmeln, daß er lieber fünfzig Auktionen durchmachen wolle, selbst wenn es bei George Robin wäre. Hätte Isola ihm jedoch am nächsten Tage wieder ein Bild zum Verkauf angeboten, so würde er ganz demselben Zauber erlegen sein. So nahm ich denn das Geld. Jetzt aber spielte mir mein böser Dämon, der sich so lange hatte ducken müssen, einen seiner gewöhnlichen Streiche. Wir hatten thörichterweise den großen Hund Guidice zu unserem Vergnügen und seiner Belehrung mitgebracht. In Mr. Oxgalls Laden betrug er sich mit bewunderungswürdigem Anstand. Schweifwedelnd und langsam ging er mit Kennermiene, ein Auge geschlossen, von Bild zu Bild. Hier sah er einen schottischen Dachshund, den er kaum eines Schnupperns würdigte, dort eine Bulldogge, die er mit verächtlichem Knurren begrüßte. Das einzige wirklich erhabene Kunstwerk, welches er entdecken konnte, war ein Interieur mit einer ungewöhnlich gut gemalten Speckseite im Vordergrund. Vor diesem Gemälde ließ er sich nieder, wahrscheinlich in Erwartung einer Einladung. Er war aber ein so wohlerzogener Hund, daß er Nichts ohne Erlaubniß und ein langes Tischgebet anrührte.

Mr. Oxgall bestand unglücklicherweise (wie ich glaube, hauptsächlich um sein Zusammensein mit Isola zu verlängern) darauf, uns nach dem nebenan befindlichen Laden eines Vergolders zu führen, wo er uns meine erste, inzwischen verkaufte Zeichnung im Rahmen zeigen wollte. Er erklärte, daß man ein Bild erst dann richtig beurtheilen könne, wenn es eingerahmt sei. Als ich mehrere große Spiegel in dem Laden bemerkte, schlug ich vor, Guidice draußen zu lassen. Doch blieb er nicht auf der Straße. Kaum hatten wir ein Gespräch über die Wirkung, welche der Rahmen auf mein Bild ausübte, angefangen, so stürzte Guidice herein und blickte mit würdevoller Miene um sich. Der Laden war lang, und wir standen mit dem Inhaber desselben am äußersten Ende. Ich sah, was kommen würde und eilte herbei, doch es war zu spät. Guidice hatte den schönsten Hund erblickt, den er je gesehen, einen wahrhaft ebenbürtigen Gegner. Mit erhobenem Schweif stellte er sich kampfbereit auf die Hinterfüße, und grimmig knurrend warf er sich auf den Feind. Ein Krach – der größte Spiegel war ein Wrack, und Guidice die Klippe darunter. Eine Zeit lang blieb er betäubt liegen, dann aber kam er zu meiner größten Freude auf mich, nicht auf Isola, zugewankt, legte seine verwundeten Pfoten in meine Hände und seine blutende Schnauze in meinen Schooß und erklärte mir Alles mit der innigen Bitte um Theilnahme. Diese gewährte ich ihm bereitwilligst bis zu Thränen und Küssen. Isola wollte ihn schelten und sogar schlagen, doch das duldete ich nicht. Er hatte einen anderen großen Hund zwischen sich und uns stehen sehen, wie konnte er anders als ihn angreifen? Ich ließ sofort einen Schwamm und Wasser bringen und wusch ihm die verwundeten Vorderpfoten. Dann fiel mir Inspektor Cuttings Mittel ein, und ich ließ durch Isola Arnika holen. Doch das Blut wurde wider mein Erwarten nicht dadurch gestillt. Entweder war die Tinktur nicht gut, oder die Haare verhinderten die Wirkung. Während ich seine Pfoten in die Schüssel hielt, winselte er und leckte mir das Gesicht, bis es ganz blutig war.

Inzwischen dachte der arme Vergolder mehr an seinen Spiegel, als an das edle Fleisch und Blut. Auch der Gemäldehändler war ganz außer sich.

»Mr. Oxgall«, rief ich, indem ich dem verwundeten Thier das Blut von der Schnauze wusch, »sprechen Sie nicht davon. Nennen Sie mir den vollen Werth des Spiegels, und ich will ihn zahlen. Was sind Glas und Quecksilber, ja, sogar Gold im Vergleich mit einem so herrlichen Hunde? Du wedelst noch nicht einmal mit dem Schweif danach, nicht wahr, mein goldiges Kleinod? Na, so gib mir noch einen Kuß, Du braves Thier!«

Das brave Thier war ganz meiner Ansicht. Seine schönen Augen waren unverletzt geblieben. Isola aber dachte nicht halb so romantisch wie ich. So wenig sie selber nach Geld fragte, konnte sie es nicht leiden, daß eine Freundin die Börse zog. Sie hatte von der Natur die Gabe erhalten, alle Männer um die Finger zu wickeln, und dazu rief sie jetzt noch die Kunst zu Hülfe, so daß dem schon halb besiegten Mr. Oxgall kein Ausweg mehr blieb.

Sie entschied folgendermaßen. Der Vergolder sollte, in Anbetracht seiner Geschäftsverbindung mit Mr. Oxgall, und weil er den Spiegel leichtsinnigerweise der Gefahr ausgesetzt habe, mit dem Selbstkostenpreis zufrieden sein. Dieser Betrag sollte von uns dreien zu gleichen Theilen gezahlt werden, von Mr. Oxgall, weil er uns hergeschleppt habe, von ihr als der Herrin des Hundes und von mir als der Urheberin der Expedition. Sie habe einen Cursus von Vorlesungen über Jurisprudenz gehört, und ihr Urtheil sei besser, als das eines Richters, weil sie die ganze Begebenheit mit angesehen habe, und der Hund ihr gehöre, das heißt, ihrem Bruder, was aber gleichbedeutend sei. Was den Eigenthümer des Spiegels beträfe, so müsse er sich besonders glücklich schätzen, an so ehrliche Leute gerathen zu sein. Auch habe er alle Stücke obenein erhalten, von denen sie sich das größte für Guidice ausbitte, um ihm die Haare vor demselben zu kämmen. Und so geschah es auch in der That.

Als unsere liebe Portia Weibliche Hauptfigur in Shakespeares »Der Kaufmann von Venedig«; Portia erscheint am Ende verkleidet als der junge »Advokat« Balthasar und präsentiert in letzter Minute die Lösung. ausgeredet hatte, und Alles geordnet war, kam mir der Gedanke, daß keine Vorlesung über Jurisprudenz Unrecht in Recht verkehren könne. Mr. Oxgall war ebenso schuldlos wie ich und Isola, letztere hatte aber den unglücklichen Hund mitgebracht, was ich von Anfang an widerrathen hatte. Als zeitweilige Besitzerin des Hundes hätte sie den Verlust allein tragen müssen, was sie auch gern gethan haben würde, wenn sie es nur von diesem Gesichtspunkte angesehen hätte. Trotzdem wollte sie mir durchaus ihre letzten drei Guineen geben (so hoch belief sich das Drittel, welches ich bezahlt hatte), was ich natürlich nicht annahm. Sie hatte kein Geld bei sich, also bezahlte ich ihren Beitrag, nahm das Geld jedoch später zurück. Mr. Oxgalls Drittel vergütete ich ihm (ohne sie deßhalb um Rath zu fragen), als ich ihm mein nächstes Bild verkaufte. So hatte ich fünf Guineen verdient und sechs verloren. Wird es mir stets so ergehen, wenn ich mich bemühe, etwas Geld zu erwerben?

Auf meine dringenden Vorstellungen (Isola konnte mir Nichts abschlagen, wenn ich sie im Ernst um Etwas bat) wurde mein Liebling Guidice mir in einer Droschke mit nach meiner Wohnung gegeben. Ich wußte, daß er in dem Stalle, wo er in Pension gegeben war, die Pflege nicht haben würde, welche seine Wunden erforderten, und daß er im Hause des Professors Roß, der die Hunde nicht leiden konnte, keine Aufnahme gefunden hätte. Letzterer glaubte schon, daß er dem Hunde eine große Gnade angedeihen lasse, wenn er ihn durch die alte Cora nach seinem Stall zurückbegleiten ließ, nachdem er den ganzen Nachmittag mit seiner Herrin herumgewandert war. Wie verabscheue ich solchen niedrigen Undank! Ein Thier soll uns mit Leib und Seele dienen, uns kriechend umschmeicheln (was Guidice freilich nie gegen den Professor that, sondern ihn vielmehr grimmig anknurrte) und wir versetzen ihm zum Dank einen Fußtritt, den wir nur um seiner treuen Ergebenheit willen wagen dürfen.

Welche Freude gewährte es mir, Guidice zu pflegen, und wie dankbar war er! Als wir nach Hause kamen, wusch ich seine Wunden abermals, dieses Mal mit warmem Wasser. Nachdem das Blut gestillt war, verband ich seine Pfoten und legte ihm ein Pflaster auf die Schnauze. So lag er behaglich nicht weit vom Kaminfeuer, und in seinem Wesen sprach sich Stolz auf die ihm angediehene Pflege und ein gewisser interessanter Leidenszug aus. Isola beachtete er kaum, vielmehr machte er sich endlich mit der Reizbarkeit eines Kranken ungefähr folgendermaßen verständlich: »So laß mich doch ungestört, Isola. Clara versteht einen Hund, und ich habe sie viel lieber als Dich.« Er folgte mir dann mit den Augen überall hin und bat mich, zu ihm zu kommen, und mich mit ihm zu unterhalten, was ich aber unterließ, weil ihm Ruhe nothwendig war.



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