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Sechszehntes Kapitel.

Auf dem Eise.

 

So kräftig und elastisch ich bin, so üben dennoch Luft und Wetter eine große Herrschaft über mich aus. Ebenso war es stets bei meinem theuren Vater. Zwei ohne Bewegung im Zimmer verlebte Tage hatten genügt, ihn so unbehaglich zu stimmen, wie eine Pflanze im Keller.

Mürrisch und unverträglich konnte Nichts ihn machen, aber wenn er nicht fischen, jagen oder seine kleinen Gartenarbeiten verrichten konnte, dann war er wie verwandelt. Das war keine günstige Zeit, durch Liebkosungen Etwas von ihm zu erreichen – er sang nicht, er pfiff nicht, und selbst sein Mittagsschläfchen blieb aus.

Auch ich passe nicht für eine sitzende Lebensweise, obgleich ich, wenn es sein muß, mehrere Stunden hinter einander schreiben oder zeichnen kann. Wie hübsch ist es aber, während der Zeit irgend eine Bewegung von außen wahrzunehmen, das Emporschnellen eines Blattes oder den Flug einer Wolke. Den Sperling beneide ich, weil er hüpfen kann, wenn auch nur über den Rinnstein.

Ein ganzer langer Monat ist jetzt verflossen, seit ich nicht mehr draußen gewesen, abgerechnet, wenn ich ohne Hut hinausgelaufen war, um ein wenig Luft zu schöpfen. So lange war ich nicht zwischen den vier Wänden eingesperrt, seit ich aus der Wiege gekrochen bin. Wir haben scharfen, hellen Frost. In London scheint es härter zu frieren, als im Westen von Gloucestershire, wenn auch nicht halb so reinlich.

Isola kommt, und sie gleicht einem in Popeline und Hermelin eingehüllten Porzellanröschen. Auf ihrem mazarinblauen anschließenden Sammethütchen nicken überall Schneeglöckchen, mit denen es bestreut aber nicht überladen ist. Ich begrüße die Frühlingsboten, und meine Lebensgeister regen sich schon. Isola hat einen Jokus vor, wie die jüngeren Elevinnen es nennen, und sie sehnt sich von Grund ihres Herzens, mich tüchtig herumzuhetzen. Wird ihr süßes Herz sich jemals nach etwas sehnen ohne es sofort zu erhalten? Nimmer, dessen bin ich sicher, wenn ein anderes Herz den Gegenstand der Sehnsucht bildet.

»Nun, Du ehrbare alte Großmutter? Du bist eigentlich jünger als ich, trotz all' Deiner Erlebnisse, und dann wieder bist Du alt genug für Mutter Hubbard aus dem alten Kinderreim »Old Mother Hubbard« ist im Druck erstmals für das Jahr 1805 nachgewiesen; die tatsächliche Entstehungszeit ist noch ungeklärt.. Oh, meine Bänder und Falbeln, wenn ich so groß wie Du wäre und eine halb so lange Taille hätte, was für einen Anzug müßte ich dann haben! Wenigstens einen für fünfzehn Guineen. Komm' jetzt mit mir, Du bettlägerige Stubenhockerin; es friert Ziegel- und Kieselstein. Ich bin ganz ausgelassen, und Guidice jagt Tom in der Küche eine tödtliche Angst ein.«

Sie tanzte in meinem Zimmer herum, wie ein vom Winde erfaßtes Blatt. Der Elfenkönig aus der Geschichte meines Cordis konnte nicht leichtfüßiger und nicht halb so hübsch gewesen sein. Wie sie es anstellte, so um die »Staatsmöbel« herumzuwirbeln, konnte nur sie selber wissen. Was würde die gute Mrs. Shelfer dazu gesagt haben? Trotz ihrer Angst um die Möbel würde sie, wie ich glaube, gelacht und die lieben Füßchen bewundert haben.

»Komm' schnell, Clara, mein Kind! Denkst Du, daß ich hier den ganzen Tag stillstehen soll?«

»Wenn Du das ›Stillstehen‹ nennst, so definire mir, bitte, als Elevin des College den Begriff der Bewegung.«

»Oh, ich möchte so schrecklich gern Schlittschuh laufen, und Papa und Conrad wollen es nicht leiden. Sie sagen, es sei unpassend. Aber weßhalb nur in aller Welt? Was kann es auf der Welt Hübscheres geben? Auf einem Fuß würde ich sogar gleiten; ihnen zum Trotz will ich aber doch Schlittschuh laufen, und auf Deine Begleitung, liebe Clara, habe ich dabei gerechnet.«

»Ich eine Schlittschuhläuferin? Kannst Du Dir das von mir denken?«

»Nein, ich weiß, daß Du viel zu ernst dazu bist. Und dennoch steckt mehr Humor in Dir, als in hundert solcher Possenreißerinnen, wie ich eine bin. Jedenfalls wollen wir hingehen, um zuzusehen. Schnell den Hut aufgesetzt, ich kann keine Minute mehr warten. Nimm Dir etwas über die Augen. Conny wird dort sein, wie ich weiß.«

Im Nu war mein in der Schachtel verbleichender Hut, der gewiß nicht böse war, an das Tageslicht zu kommen, auf meinem Kopfe befestigt.

»Nun noch möglichst viel warmes Zeug, Liebste. Du hast keine Ahnung, wie kalt es ist, und dabei kaum Sonnenschein genug, um den langen Winterschlaf von Deinen Augen fortzuküssen. Laß sie mich einmal anschauen, Donna. Oh, wären meine doch nur halb so glänzend. Sie können gar nicht aus England stammen.«

»Nun, Isola, sprich keinen Unsinn. Jeder Zoll an mir ist englisch und kein Zoll von Dir, wenn Deine Augen auch blau sind. Du bist entweder durchweg schottisch oder sonst eine Schweizerin.«

Anstatt zu antworten, begann sie, den »Schweizerbuben« » The Merry Swiss Boy« stammt ab von »Der Schweizer Bue« in › The Tyrolese Melodies, Vol 1‹ London 1827 von Ignac Moscheles, und geht auf das Zillertal zurück. zu singen und wollte wieder anfangen zu tanzen; doch trieb ich sie die Treppe hinunter. Guidice war in der Küche, wo Tom oben auf der Kaffeemühle stand und Bannflüche auf ihn herabzeterte. Es war ein prächtiger Hund von der jetzt so seltenen Rasse der Maltheser Bluthunde, lang in den Flanken, mit falbem Haar, starken Kiefern, breiten herabhängenden Ohren und ernsten Augen. Er schenkte Tom nicht mehr Beachtung, als wäre derselbe ein gegen den Strich gebürsteter alter Hut gewesen, und die Vögel, welche sämmtlich ängstlich herumflatterten, schien er für britische Schmetterlinge anzusehen. Er kam gemächlich auf mich zu und legte seine große feuchte Schnauze feierlich in meine Hand. Da erkannte ich meinen Freund, der vor langer Zeit in der Villa-Allee meine Bekanntschaft gesucht hatte.

»Aber Du Götzenbild (eine populäre Persönlichkeit besitzt stets fünfzig Spitznamen, und Isola hatte wenigstens hundert, die sie alle gern hörte), was für Heimlichkeit und Verstellungskünste entdecke ich in Dir! Du weißt, wie ich die Hunde liebe und erwähntest niemals die Existenz dieses prächtigen Kerls in meiner Gegenwart?«

»Liebe gute Donna, sieh nicht so entrüstet d'rein. Er gehört mir nicht und geht nur mit mir, wenn es ihm befohlen wird. Auch dann betrachtet er es noch als eine große Gunst. Sieh nur seine langen geschmeidigen Schritte. Er tritt genau wie ein Leopard auf, nicht wahr, Du frommer Panther? Es wundert mich, daß er so zutraulich gegen Dich ist. Er ist durchaus nicht böse, außer wo er es sein soll, doch schließt er selten Freundschaften.«

»Wem gehört der Hund?«

»Nun, Conrad, und ich glaube, Conny hält mehr von ihm als von mir. Vorwärts, Du gelbes Mammuth! Er thut wahrhaftig, als wenn er den ganzen Tag nicht von Deiner Seite gehen will.«

»Alle Hunde haben mich lieb, Isola. So war es schon in meinen Kinderjahren. Sie wissen, wie ehrlich ich bin.«

»Ja, das will ich meinen, Donna; mitunter bist Du sogar zu ehrlich. Aber auch ich bin ehrlich genug, und er weiß es nicht zu würdigen. Nun, marsch vorwärts, Guidice. Wirst Du Dich den ganzen Tag da andrängen?«

Wir gingen, und der große Hund schritt hinter uns her, mit seinem Kopf ganz gleichmäßig die Richtung zwischen uns Beiden innehaltend. Er veränderte seinen Platz keinen Zoll breit, mochten wir langsam gehen oder laufen, was wir thaten, sobald wir in leere Straßen und in den Park gelangten.

Oh, kalte Luft des Himmels, die frisch vom klaren Nordpol herweht, wo der große Bär den kleinen Bären mit der Wachsamkeit einer Mutter umkreist! Wie stählt sie die Sehnen und verleiht jedem Schritt neue Schnellkraft, wie läßt sie die jugendlichen Augen blitzen, und färbt die Wangen mit Aurorens Purpur. Wir vergessen uns selbst und denken nicht daran, wie unsere Kleider um uns her wehen. Unser Geist wird vom Nordwind getragen, wir sind nichts weiter als Schneeflocken, er läßt uns glitzernd durch die Luft dahinwirbeln!

Im Park, der von den leicht mit Schnee bedeckten Gräben durchzogen war, wie die weiße Scheitellinie unser Haupthaar durchschneidet, gelangten wir an eine breite Eisfläche. Von fern her tönte ein surrendes, hohlklingendes Geräusch, als wenn auf eine leere Schachtel geklopft wird. Die Eisbahn glich nicht dem Eise zu Vaughan Park. Sie war von einem Ende bis zum anderen mit Rissen und Furchen bedeckt und wie mit grauem Pulver bestreut. Tausende von Menschen waren darauf, die theils Schlittschuh liefen, theils glitschten oder einander mit krummen Stöcken hitzig verfolgten. Andere fegten mit kurzen Besen darüber hin, dazwischen riefen Verkäufer ihre Eßwaaren aus, und Schlittschuhe wurden zum Verleihen ausgeboten. Alle aber waren auf dem Gipfelpunkt der Fröhlichkeit und lachten, neckten, schrieen, tranken und forderten neues Getränk. Hin und wieder segelte auch ein großer Virtuose (der es wenigstens in seinen eigenen Augen war) stolz an den Frauen vorüber, sich mit gekreuzten Armen und einer langen Cigarre im Munde auf einem und dann auf dem andern Fuße wiegend. Diesen Schlittschuhläufern gönnte ich von Herzen einen tüchtigen Fall. Die wahrhaft hervorragenden Künstler verachteten diese untergeordnete Art von Schaustellung und Jeder von ihnen hatte seinen besonderen Kreis von Bewunderern um die Stelle versammelt, die er sich wegen des glatteren und jüngeren Eises ausgesucht.

Am Uferrande standen unzählige Kinderwärterinnen mit den ihnen anvertrauten Kleinen. Die Mädchen kicherten bei jedem Zuruf, der von der Eisbahn zu ihnen herüberschallte, während die ungeduldigen Kinder sie durch Zupfen und Zerren zum Weitergehen zu bewegen suchten. Den Hintergrund des winterlichen Schauplatzes, der je weiter entfernt, desto farbloser erschien und nur durch einzeln vorübergleitende Figuren unterbrochen ward, bildeten mehrere mit niederem Gebüsch bepflanzte Inseln, die von offenem Wasser umgeben waren, auf dem langhalsige Wasservögel herumruderten, Eisleute ihre flachen Boote hin und her stießen, und Warnungstafeln errichtet waren. Ganz in der Ferne zur Rechten befanden sich einige Leinwandzelte für Unglücksfälle. Die weite Aussicht wurde hie und da von zusammengewehten Eis- und Schneemassen begrenzt.

Als wir hier am Ufer standen, verließ Guidice uns schmachvollerweise und setzte mit so tollen Sprüngen, daß es für einen gesetzten Hund ein Skandal war, über das Eis gerade auf einen der Zauberkreise zu, wo die großartigen Schlittschuhläufer wie durch Dampf getrieben im Kreisel herumwirbelten. War es anzunehmen, daß zwei so muthige Mädchen wie wir feige dort stehen bleiben würden? Zuerst betrat ich das Eis und suchte Isola ebenfalls hinaufzulocken, indem ich ihr die Hand reichte. Trotz ihrer keck gerühmten Lust zum Schlittschuhlaufen, war Isola anfangs so ängstlich, daß sie sich dicht an meiner Seite hielt, und am liebsten wieder zurückgelaufen wäre. Ihre niedlichen Füßchen wurden jedoch bei jedem Schritte dreister, und sie wagte sogar, in die Hände zu klatschen und zu hüpfen. Für mich war die Sache nicht mehr neu, abgesehen von der Menschenmenge und der Unebenheit des Eises. Ich war sogar muthig genug, auf einem Fuß zu gleiten. Lief mitunter ein schwerer Mensch an uns vorbei, daß das Eis sich krachend bog, wahrscheinlich absichtlich, um uns zu erschrecken, so lachte ich mit klopfendem Herzen dazu. Isola war erstaunt. Sie hatte mir nie so viel Dreistigkeit zugetraut. Was kümmerte es mich, wenn hundert Leute mich anstarrten? Ich that nichts Unschickliches, und Dutzende von Damen waren dort. Die ganze Scene, die Luft und mein jugendlicher Frohsinn brachten mein Blut in Bewegung, und oh, gepriesenstes aller Güter, mein köstliches Augenlicht war wieder da! Wie belebend und aufregend war das Gefühl, daß ein Ausgleiten genügte, um ein Bein zu brechen, ein Krach, um zu ertrinken.

Doch wie gewöhnlich hatte ich für meine Verwegenheit zu leiden. Zuerst folgten wir Guidice und fanden ihn im Mittelpunkt des Kreises, um welchen sich die zahlreichste Zuschauermenge versammelt hatte. Dort lief der Hund aufrecht mit seinem Herrn, einem der besten Läufer, zusammen Schlittschuh. Guidice war ernsthafter denn je, aber sehnsüchtig blickte er beim Herumwirbeln nach einer Möglichkeit aus, um zu entkommen. Wie er, die schweren Vorderpfoten auf seines Herrn Schulter gestützt, mit herabhängendem Schweif, die Augen bei jedem widerwilligen Luftsprung traurig rollte und die Zunge weit aus dem Maule hängen ließ, war es ihm deutlich anzusehen, daß seine Würde und Selbstachtung bedeutend litten. Als Conrad herankam und mit uns sprach, bat ich ihn eindringlich, Guidice freizugeben, was sofort zur großen Enttäuschung der Umstehenden, aber zur grenzenlosen Freude des Hundes geschah, der mir dankbar die Hand leckte.

»Aber Donna,« rief Isola etwas mißvergnügt, »er hält Dich für seine Herrin, gegen mich würde er nie so sein, und wenn ich ihn hundert Jahre lang liebkoste.«

Ich fühlte, wie mir das warme Blut in das Antlitz stieg und die Röthe, welche der Nordwind mir auf die Wangen gelegt, tiefer färbte. Ich beugte mich über den Hund, um es zu verbergen, und dann zog ich Isola, so gern ich gesehen hätte, wie ihr Bruder Schlittschuh lief, etwas rücksichtslos auf den rauheren Theil der Eisbahn zu. Conrad sah ein wenig erstaunt und verletzt aus, doch begann er mit anscheinend höchst philosophischem Gleichmuth von Neuem seine Figuren zu beschreiben.

Als Isola und ich, mit unseren gerötheten Wangen und blitzenden Augen die Schritte von unschuldiger Freude belebt, um eine Ecke bogen, sahen wir uns einer Anzahl gewöhnlich aussehender Männer gegenüber, die hier mit flachen Steinen allerlei Wurfspiele trieben und als Ziel eine große zinnerne Kanne aufgestellt hatten.

Wir wendeten uns sofort um, aber trotzdem hatten uns die schärfsten und listigsten Augen von ganz London erspäht. Ein Mann jagte uns auf unter den Stiefelsohlen befestigten Knochen, welche die Stelle von Schlittschuhen vertraten, nach. Wir hätten ihm trotzdem leicht entkommen können, aber sollte ich, wie ein erschrecktes Dienstmädchen davonlaufen? Ich zwang Miß Isola zum Stillstehen und machte Front gegen den Feind. Es war Niemand Anders, als Mr. Shelfer, derselbe bescheidene und schüchterne Mann, der mich nie anzusehen wagte. Obgleich noch ein Dutzend Männer hinter ihm kamen, beunruhigte ich mich nicht im geringsten, da ich seine außerordentliche Blödigkeit und Zurückhaltung kannte. Desto mehr setzte mich seine Anrede in Erstaunen.

»Jetzt, Jungens, giebt es einen Hauptspaß! Mir nach, sage ich! Ihr seht hier die zwei hübschesten Mädchen in London.«

Der gemeine Schuft! Ich bemerkte, daß er total betrunken war. Aber trotz meines Erschreckens, denn außer ihm und seinen Genossen war Niemand in der Nähe, konnte ich mich doch kaum des Lachens erwehren. Den Kopf ließ er, wie gewöhnlich, herabhängen. Die lange, dünne Nase, der tief unter den buschigen Brauen hervorlugende Blick, die mageren, nach innen gezogenen Backen, der hohe, vormals im Besitz eines ehrbaren Geistlichen gewesene Cylinderhut, dessen Beulen den klaffenden Kiemen eines Fisches glichen, die ganze Gestalt durch den komischen Muth und die Keckheit des Gottes Bacchus auf ein Paar knirschenden Markknochen getragen, während hinter ihm seine zahlreichen, gähnenden Taschen dem Winde preisgegeben waren – dies war das Wesen, vor dem Mrs. Shelfer sich in Demuth beugte.

»Clara, mein Schatz, bleiben Sie doch stehen!« rief der unverschämte Trunkenbold.

Ich war ohnehin stehen geblieben und sah ihm jetzt voll in das Gesicht. Im ersten Augenblick schüchterte mein Blick ihn ein, doch die Anderen kamen ebenfalls heran.

»Das nenne ich Harmonie, zum Donnerwetter noch mal. Seht die Büsche und Bäume; wie sie da stehen, liegt in jedem einzelnen Harmonie! Schöne Bäume und schöne Mädchen, das ist ganz mein Fall! Das allein nenne ich Natur. Häuser! Pah, in Gebäuden und Bethäusern liegt keine Harmonie. Bäume und hübsche Weiber, die lobe ich mir. Brauchst es meiner Alten daheim nicht zu sagen, die versteht Nichts davon. Isola ist das niedlichste Entchen, das man nur auf dem Wasser schwimmen sieht, aber Clara, die ist, so wahr ich lebe, ein Schwan. Enten sind auch passabel, aber ein Schwan ist gerade mein Fall. Ein Schwan und schöne Bäume, darin liegt Harmonie! Bob Ridley, was gilt die Wette, daß ich diesen Schwan küsse? Sieh mal die Augen, Bob, und wie sie auf den Füßen steht. Wunderbar, daß noch Eis auf der Stelle ist.«

Der gemeine Bube hatte eine lange Pfeife mitten im Gesicht, wie Pächter Huxtable gesagt haben würde, und bei jedem frechen Satz blies er eine Rauchwolke von sich.

»Ich wette, Charley, Du küßt das Staatsmädel nicht!« rief sein Freund, der ebenso berauscht war, wie er selber.

»Paßt auf, es gilt!« Und der Niederträchtige taumelte auf mich zu.

Ich zog meine geballte Faust aus dem Muff, und in seiner schwankenden Bewegung fuhr er gerade mit dem Gesicht dagegen. Wie es eigentlich zugegangen, weiß ich selber nicht, aber der Zusammenstoß ließ ihn zurücktaumeln, und er starrte mich verblüfft an. Ehe er sich noch besinnen konnte, kam Conrad wie ein Habicht dahergeschossen, der im Begriff ist, sich auf eine Eule zu stürzen. Mit wunderbarer Sicherheit hielt er an und entwand Shelfer den Krückstock, hakte ihn in dessen Rockkragen und zog den unglücklichen Wicht mit rasender Geschwindigkeit hinter sich her. Die Funken sprühten von Conrads Schlittschuhen, während er dem offenen Wasser zustürzte. Guidice galoppirte in tollen Sprüngen hintendrein, versuchte aber vergebens mitzukommen. Alle Leute blieben stehen, um den Ausgang zu beobachten. Shelfer warf die Arme verzweiflungsvoll umher und schrie aus Leibeskräften. Er wußte sich nicht zu helfen, und seine Zähne klapperten, wie die Knochen an seinen Stiefeln. Am Rande des offenen Wassers hielt Conrad plötzlich wie eine in Zusammenstoß gerathene Lokomotive an, hakte Mr. Shelfer los und ließ ihn mit voller Gewalt fortsausen. Letzterer zappelte und kreischte vergeblich, mit hoch erhobenen Armen fiel er kopfüber in das Wasser hinein. Die Eisleute kamen schleunigst mit Kähnen, Tauen und Haken, doch kaum war der schwere Körper untergetaucht, so spritzte das Wasser zum zweiten Mal empor. Diesmal war es Guidice, der sich auf einen Wink seines Herrn in das Wasser stürzte, den armen Verehrer der Harmonie herauszog und ihn dann an den Strand, das heißt auf das feste Eis legte, von wo er in eines der Zelte gebracht wurde. Wie ich später hörte, machte er sich dort einen lustigen Nachmittag mit den Leuten, von denen er natürlich die meisten genau kannte. Jedenfalls hat ihm die Lektion nichts geschadet. Er beleidigt nie wieder eine Dame, noch, was viel schlimmer ist, ein armes ehrliches Mädchen, das keine Erziehung genossen hat, und das von Niemand beschützt wird. Was mich betrifft, so glaube ich, daß er mich mit keinem Blinzeln seiner scharfen Augen wieder anzuschauen wagte. Ich liebe strenge Gerechtigkeit, gleich gut, ob sie unter Gottes freiem Himmel geübt oder von den Geschworenen im Gerichtshof verkündigt wird, aber ich fand, daß Master Conrad zu weit gegangen war. Er hatte kein Recht, das Leben des armen Menschen zu gefährden, und das sagte ich ihm, als er so kaltblütig wie möglich zurückkam. Er versicherte mir, daß er des Mannes Leben durchaus nicht gefährdet habe, da er die Tiefe des Wassers bei den Inseln kenne, und sie nur fünf Fuß betrage. Nun erst erglühte ich in dankbarer Erregung, und gern hätte ich ihm den Kuß gegeben, der Mr. Shelfer so theuer zu stehen gekommen war. Im nächsten Augenblick erwachte das Gefühl der Demüthigung in mir, und ich brach in Thränen aus bei dem Gedanken, was mein Vater dazu gesagt haben würde, wenn er gesehen hätte, wie sein in Liebe und Luxus verhätscheltes Kind auf solche Weise beleidigt wurde. Isola und Conrad, die meine Geschichte nicht kannten, begriffen nichts hiervon.

Sie begleiteten mich sofort nach Hause. Unter den obwaltenden Umständen wagte Conrad mir seinen Arm zu bieten, den ich ohne Bedenken annahm. An der Hausthür verabschiedete er sich, doch Isola begleitete mich mit Guidice, der den Auftrag erhielt, sie sicher heim zu geleiten, in das Haus; einestheils, um mich nicht meiner Stimmung zu überlassen, anderntheils um Mrs. Shelfer darüber zur Rede zu stellen, wie sie sich unterstehen könne, solchen verworfenen, betrunkenen Mann zu haben, wofür wir beiden Mädchen sie schon verurtheilt hatten.



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