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XXIX.

Ich bin zu Ende und habe dir nun nichts mehr zu erzählen, liebe Gundel. Du bist jetzt herangewachsen; wir leben in Gemeinschaft und leben glücklich.

Blicke ich noch einmal zurück auf mein Leben, so reihet sich Sorge an Sorge, dazu viel Kummer und gar mancherlei Jammer; und doch kommt's mir vor, wenn ich jetzt daran denke, als wäre mir ein überaus glückliches und gesegnetes Leben beschieden gewesen. Denn das Schlimmste ist mir erspart geblieben – ein schlechtes Gewissen. Nicht, daß ich immer Recht getan habe, Gundel, nicht, daß ich, weil ich gefehlt, nicht Ursache gehabt hätte zu bereuen; aber wenn ich auch aus Unverstand und Übereilung falsch handelte, mit Willen habe ich niemand wehe getan, noch irgendeinen geschädigt. Tag und Nacht habe ich vor meinem Gewissen Wacht gehalten. »Siehe zu«, sagte ich zu mir, »daß du im Alter nicht mit Scham und Reue auf dein Leben zurückzublicken brauchst.«

Darum bin ich auch nicht mehr traurig, wie du weißt, Gundel. Den Stab, auf den ich mich nach Isabellas Tode stützen mußte, habe ich beiseite gelegt und gehe aufrechten Ganges einher; vermag wohl auch, so mich Gott nicht abruft, noch mancherlei Gutes zu wirken. Schallen die fröhlichen Stimmen meiner Kinder und Enkel im Hause, so ist mein Herz wieder jung mit ihnen; an ihren Freuden nehme ich teil, und für ihre Kümmernisse habe ich ein offnes Ohr.

Dieweil ich erfahren, daß ich aus meinen Irrtümern gelernt habe, und daß mich das Unglück stark gemacht hat, bete ich nicht zu Gott, er möge dein Leben ungetrübt und ohne Stürme dahinfließen lassen; aber ich bete, daß er dich beharrlich mache; nichts ist stärker als Beharrlichkeit, denn sie führet zum Ziele.

Doch weil dein Gemüt zum Grübeln neigt, Gundel, sage ich dir noch eins: Die Welt läßt die Seele freilich ungesättigt, denn sie ist nur einem Traume zu vergleichen; aber es ist dem Menschen auch nicht gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehn; wir werden alle wie Mose mit einer Decke vor dem Angesicht geboren. Darum, liebe Gundel, halte dich allein zu Gott und schicke dein Gemüt zu ihm so viel du kannst; denn alles, was du nicht vermagst, er wird dir's vollbringen helfen.

Anno domini 1590 am 16. Januarius habe ich meine Lebensgeschichte zu Ende geführt, also daß ich den Punkt setzen und Amen dazu sagen darf.

 


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