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Zuerst will ich niederschreiben, wer meine Eltern gewesen sind, denn es gebührt sich, die voranzustellen, denen wir das Leben verdanken.
Mein Vater, Kaspar Ittenhausen, gehörte zu den Augsburger Geschlechtern. Als er noch ein Knabe war, starb sein Vater; die Mutter aber verstand auch ohne den Hausherrn das Regiment zu führen. Nach des Sohnes Erinnern war sie eine harte und gar stolze Frau. Er wagte nimmer traulich mir ihr nach Kinderart zu reden.
Hielt ihn nun die Mutter unter zu strammer Zucht, so sah ihm dafür Ohm Konrad Zenk, der Mutter Bruder, zu viel nach. Wenn der Zügel aber bald zu straff und bald zu lose gehalten wird, kommt ein Rößlein nimmer in den richtigen Gang. Das mochte wohl auch Ohm Zenk erkennen, und darum bestand er darauf, daß mein Vater auf die Universität nach Bologna geschickt wurde, allwo er Rechtswissenschaft studieren sollte.
Als er nun dem »Gefängnis« – wie er Augsburg damals nannte – entflohen war, ging die Jugendlust mit ihm durch; er hing die Juristerei an den Nagel, trieb mit andern Studenten tolle Streiche und kam von einem Ort zum andern. In Venedig, dahin er oftmals reiten mußte, um seine Wechsel einzulösen, befreundete er sich mit Meister Tizian Vecellio, der ihn später in Augsburg besuchte. Daraus kann man ersehen, daß mein Vater kein roher Gesell gewesen ist, und daß er, obwohl er nicht das römische Recht studierte, sich doch andere Kenntnisse erworben hat. In Florenz und Rom, wo er zumeist lebte, verkehrte er viel mit Künstlern und Gelehrten, und da es ihm an Geld nicht fehlte, kaufte er, was ihm gefiel, Antiquitäten, Münzen und seltene Manuskripte. Das schöne Land Italia war ihm zur zweiten Heimat geworden.
Seine Mutter ließ in ihren Briefen nicht merken, wie sehr sie die Trennung von dem einzigen Sohne schmerzte; denn ihr fast harter Stolz verschloß ihr den Mund. Aber als Krankheit ihren starren Willen brach, entfuhr ihr, daß sie vor Sehnsucht nach seinem teuern Antlitz verschmachtete.
Dieses Zeichen ihrer Mutterliebe, davon der Ohm ihm gleich eine Nachricht zugehn ließ, rührte des Sohnes Herz, und ohne zu säumen machte er sich auf den Weg. Von Rom bis Augsburg ist aber ein gar weiter Weg und ein mächtiges Gebirge türmt sich dazwischen auf, das er in schlechter Jahreszeit nur mit großer Gefahr zu überschreiten vermochte. Als er endlich die Vaterstadt erreichte, fand er die Augen aber geschlossen, die so voll Sehnsucht nach ihm ausgeschaut hatten.
Nun erst merkte er, was ihm die Mutter gewesen war, und trug Herzeleid um ihre verlorne Liebe. Ihr zu Ehren ließ er auch in der St. Annenkirche ein kostbares Grabmal errichten, das dir nicht unbekannt ist, liebe Gundel.
Weil Ohm Zenk fürchtete, daß sein Schwestersohn wieder nach Italien gehen möchte, versuchte er ihn in Augsburg zu fesseln. Es dünkte ihm, daß mein Vater ein Mann geworden, den seine Vaterstadt wohl brauchen könne und auf den sie auch stolz sein dürfe. Er machte ihn mit Gelehrten und kunstsinnigen Männern, auch mit der Frau bekannt, die für ihn eine gute Gefährtin schien.
Dorothea Grimmin, eines Medicus Tochter, sollte meine Mutter werden. Frühe verwaist, wurde sie im Kloster zu St. Margarethen erzogen und galt für eine sittsame, kluge und auch schöne Jungfer.
Nachdem mein Vater sich mit ihr verlobt hatte, gedachte er sein väterliches Haus – am Weinmarkt das Eckhaus – auszubauen und dabei mit Geld nicht zu knausern.
Der Baumeister Jakob Zwizel zeichnete den Plan und Hans Burgkmaier malte in dem Prachtzimmer auf nassem Wurf die Decke; die Wände aber wurden mit gewirkten Teppichen behängt. Von außen schmückte Joseph Lechsperger das Haus mit schönen Bildern; doch die Vorlagen für den Hausrat zeichnete mein Vater selbst. Manch ein schönes Stück davon ist noch erhalten worden.
Nachdem nun alles prächtig vorgerichtet war, führte mein Vater und Ohm Zenk mit Stolz und Freude die junge Braut durch das Geschlechterhaus. Aber alle die Pracht und Herrlichkeit machte nicht den Eindruck, den sie sich davon versprochen hatten.
Meine Mutter war zwischen engen Klostermauern, im Umgange mit schlichten Nonnen aufgewachsen. Sie besaß einen frommen, demütigen Sinn und die Pracht ängstete sie. Sie kam sich wie ein Gast, doch nicht wie die Herrin vor, und anstatt sich darüber zu freuen, wurde sie stiller und stiller, bis sie in Tränen ausgebrochen ist.
Der schlichte Sinn ist ihr durchs Leben geblieben. Viele, viele Jahre danach, als mein Lorenz mich in das stattliche Haus führte, das wir noch heute bewohnen, ermahnte sie mich, ich solle mir nicht einbilden, daß ich was Besseres geworden sei, weil ich nun in einem prächtigeren Hause wohnen würde. »Ich habe das schöne Haus, in das mich dein Vater geführt hat, auch wieder verlassen müssen; Gott allein aber weiß, ob euer Reichtum bis an dein Ende dauern mag.«
Anno 1521 erfuhr meine Mutter das erste große Leid. Weil die Pest damals in Augsburg wütete, floh, wer Zeit und Geld genug besaß, hinaus aufs Land. Meine Eltern sollten in Raimund Fuggers Landhaus ein Unterkommen finden. Aber gerade, da sie sich zur Abreise rüsteten, erkrankte meine Schwester Salme und war an demselben Abend noch eine Leiche, und der kleine Sebastian folgte ihr in den Himmel nach. Mir ist von den Geschwistern keine Erinnerung geblieben, da ich damals kaum zwei Jahre gezählt habe. Wie mir die Mutter berichtet, soll ich mich aber vor dem Vater in einer Trauerkappe, aus der nur die Augen vorschauten, arg gefürchtet haben; seit jener Zeit sind die Art Kappen verboten worden. Dafür wurde mein Vater später mein bester Freund; ja nach der Mutter Rede hat er mich gar verwöhnt.
Schau ich, da ich diese Worte schreibe, in die frühe Kinderzeit zurück, sehe ich an einem mächtig großen Tische, auf dem viel Bücher liegen, den Vater sitzen. Von der Decke hängt an messingner Kette ein Leuchterweibchen, das in einem Fischleib endigte und in ihren Händen Kerzen trug. Ich aber war ein so einfältiges Dirnlein, daß ich mich vor seinen Augen fürchtete und mich verkroch, blieb ich einmal allein im Zimmer. Doch vor Menschen bin ich nicht scheu gewesen, und wenn ich mich vor dem gelehrten Doktor, Konrad Peutinger, versteckt habe, geschah es, weil er mich mit stachlichem Barte küßte. Aber ich mocht's auch nicht leiden, daß Herr Hieronymus Fugger meiner gar nicht achtete. Ich wollte beachtet sein, und wenn er mit dem Vater gar eifrig konferierte, stellte ich allerhand an, um mich bemerkbar zu machen. Einmal lief ich rings um die Herren wie ein schnurrendes Rädlein, bis dem Fugger schwindlig wurde; da griff mich der Vater auf und setzte mich auf sein Knie; ich hielt's bei ihm aber nicht lange aus, weil die Herren weiter disputierten; nun holte ich meine Docke und legte sie dem Fugger in den Arm; als das auch nichts half, stellte ich mich zwischen die Herren und krähte so laut ich's vermochte:
»Hinter der Donaubrück
Steht ein schön Häusle,
Sitzt ein schön Mädle drin,
Singt als wie ein Zeisle.«
Da aber nahm's mit dem Übermut ein Ende, und was mir Mutters Hand versetzte, hat nicht nach Zucker geschmeckt.
Es kommt mir aus dieser Zeit noch eine Erinnerung.
Erzherzog Ferdinand war mit seiner jungen Gemahlin nach Augsburg gekommen, und um ihr eine Kurzweil zu bieten, ließ er Lebkuchen backen – kleine Stücklein mit aufgepreßtem Bildnis. Nun warfen die Herrschaften die Lebkuchen hinunter in den Hof, wo eine große Schar Kinder darüber herfiel und sich mit Schreien und Balgen darum riß; das aber machte den Herrschaften gerade Vergnügen.
Mein Vater, der mit mir einen Gang ins Freie getan hatte, kam an dem Hof vorüber, und damit ich besser zuzuschauen vermöchte, nahm er mich auf den Arm. Kam nun ein Lebkuchen geflogen, breitete ich meine Arme aus, als ob ich ihn fangen wollte, klatschte dann die leeren Händlein zusammen und nickte dem Vater gar ernsthaft zu: »Nix gefange! Wieder nix gefange!« – Ward aber durch den Mißerfolg nicht betrübt, sondern gar lustig, so daß mein Jauchzen und Zappeln von den Herrschaften an den Fenstern bemerkt wurde. Darauf sendete mir die Frau Erzherzogin einen feinen Knaben mit gar köstlichen Leckerlen und ließ sagen, das sei so etwas für meinen frohen Mut. Dem Pagen lohnte ich die Gabe mit einem Kuß und winkte auch meinen Dank nach den Fenstern hinauf.
In unserm Hause am Weinmarkt war ein reger Verkehr. Mein Vater liebte fröhliche Menschen zu sehen, und weil er gut zu erzählen verstand, war es ihm recht, daß man ihm auch gern zuhörte.
Die Frauenzimmer aber liebten nimmer den Mund lange still zu halten, und wenn sie erst wieder unter sich waren, rief die Lauingerin eifrig: »Laßt uns jetzt ein Schwätzle machen! Mir sitzt's schon auf dem Herzen. Jesses! Jesses! Wenn der Ittenhausen nur nicht gar so viel von dem Land Italia hermachte! Bei uns in Augsburg leben wir doch auch nicht hinterm Berge. Nur, was die Mägde anlangt …« – Da fielen gleich die andern ein und ward ein großes Lamentieren: denn die Anne, die Käthe, die Ursel, die Grete, sie taugten alle nichts.
Wenn der Vater die Mutter nicht um sich wußte, war's ihm nimmer wohl. Mit ihrer Stickerei – sie hatte im Kloster darin große Kunstfertigkeit erlangt – saß sie meist im Erkerfenster und horchte auf das Gespräch der Männer. Da nun mein Vater mit viel klugen und gelehrten Herren verkehrte, bekam sie mancherlei Kenntnisse, ohne daß jemand davon wußte. Kam dann in ihrer Rede wohl etwas heraus, blickte sie der Vater gar verwundert an. »Schau, schau, Teutiche, was du da für heimliche Gedanken auskramst. Ich meine, du bist eine Gelehrte, nur willst du es keinen merken lassen.«
In einem Punkte aber stimmten die Eltern nicht überein: Der Vater schlug alle Ehrenämter aus, die ihm angetragen wurden. Er meinte, daß ihm das Geschick fehle, mit den Leuten zu verkehren. Die Mutter aber sagte, wer zu den Ersten gehöre, dürfe sich nimmer der Pflichten entziehen, die Geburt und Stellung ihm auferlegten.
Wie mich dünkt, hatte der Reichtum und ein müßiges – nimmer möchte ich sagen ein träges – Leben dem Vater an angestrengter Arbeit die Lust benommen. Seine Neigung waren seine Sammlungen, das Studieren in Büchern und Manuskripten, wie eine gelehrte Unterhaltung. Ein Verkehr mit geringen Leuten, bei denen er die Bildung vermißte, oder gar mit gemeinem Volke, war ihm zuwider; er gab den Armen, deren Unsauberkeit ihn peinlich berührte, nur Geld, um sich ihrer wieder zu entledigen. Während die Mutter der Gabe ein freundliches Wort gesellte und so ihren Wert verdoppelte.
Jedermann freute sich, der Mutter süße Stimme zu hören. Ein Lied, das ich vor andern liebte, ist mir noch im Gedächtnis geblieben. Es stammte aus des Vaters Vorrat und war von einem Bartscherer, Jost Artus, auf einer Fahrt nach dem heiligen Lande gedichtet worden:
»Vom Vaterland
So fern, so fern,
Hat mich erkannt
Der Abendstern
Und lacht mich an.
Ich kenne dich und deine Bahn;
Hier siehst du mich.«