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Anno 1538 herrschte unter den angesehenen Familien in Augsburg eine große Aufregung. Von den alten Geschlechtern waren nur noch acht Familien vorhanden. Die Langenmantel vom Sparren, die Langenmantel vom doppelten R., die Ilsung, die Ravenspurger, die Rehlinger, die Welser, die Herwart und die Hofmaier. Da es nun in diesen Familien einhundertzweiundzwanzig Glieder männlichen Geschlechtes gab, so war wohl nicht zu befürchten, daß sie allsobald aussterben würden; trotzdem fand man für gut, neue Geschlechter aufzunehmen. Nach langen Beratungen einigte man sich über folgende Bedingungen: Alle diejenigen sollten aufgenommen werden, welche erstens fünfzig Jahre den Geschlechtern Stubengenossen gewesen, zweitens die, welche von Geschlechtern aus Straßburg, Ulm und Nürnberg abstammten, drittens Adelige und Ritter.
Man sagte damals, daß von mancher Seite dabei nicht rechtlich gehandelt worden sei, und so es mir ein Vergnügen wäre Unliebsames zu berichten, würde es mir daran nicht fehlen. Denn wenn sich auf der einen Seite der Hochmut breit machte, war es gar widerwärtig, wie man auf der anderen Seite nach der Ehre drängte. Hatte der eine einen Vorteil errungen, suchte ihn der andere gleich zu schmälern, um sich an seinen Platz zu stellen. Da wurden Ahne und Urahne hervorgeholt und an ihrem Namen gemäkelt. Da schrieb man nach Nürnberg, Straßburg und Ulm um Informationen; und manches, was einer längst vergessen wähnte, tauchte wieder auf – ihm nicht zur Freude.
Die meisten Widerwärtigkeiten trafen Doktor Ambrosius Jung, Herrn Georg Regel und Herrn David Dettigkofer, deren Hausfrauen von geringem Herkommen waren. Aus dieser Ursache wollten die Geschlechter sie nicht dulden, obgleich man den Männern die Ehre nicht abzuschlagen vermochte. Es gab viel Streit, bis man sich endlich verglich. Der Dettigkofer aber bekam's satt, und ist später mit seinem ganzen Hausstand wieder nach Lindau gezogen, woher er stammte.
Dem Vater ward oft ganz ekel von all dem Gezänk und Geklatsch in der Geschlechterstube; doch wurde bei ihm kein Anstand erhoben, da seine Mutter eine Geschlechterin gewesen war und seine Familie schon über fünfzig Jahre in der Geschlechterstube gesessen hatte.
Nachdem in dieser leidigen Sache endlich alles geordnet war, wurde im Dezember beschlossen, die Fastnacht mit einem Geschlechtertanz zu feiern.
»Diesmal soll unser Bärbel auch dabei sein«, bestimmte der Vater.
Ich merkte aber gleich, daß die Mutter andrer Meinung war. »Du bedenkst wohl gar nicht, was so ein Tanz für Unkosten macht, Kaspar?«
»Es soll uns auf ein paar Pfund Schilling Heller diesmal nicht ankommen, Teutiche. Ich will auch einmal meine Freude haben und das Bärbel an der Stelle sehen, wo es hingehört; auch meine Teutiche soll sich putzen wie es einer neugewählten Geschlechtersfrau ansteht.«
Wie es nun die Sitte verlangte, gingen elf junge Herren in der Stadt umher, zu dem Tanze einzuladen. In unser Haus kamen Herr Balduin Hofmaier und der Ritter Eglof von Schragen.
Sie waren äußerst kostbar, ganz in Rot gekleidet; das Wams von Kremesin-Atlas, die Hosen mit rotem Doppeltaft durchzogen und das wollne Mäntelein bis auf den Gürtel mit seidnen Schnüren zugeknöpft. Auf dem Haupt trugen sie grüne Kränze mit goldnen Schnüren umwunden.
Als ich den Herren auf des Vaters Geheiß Wein und Kuchen reichte, erschrak ich fast vor dem glühenden Blicke, den mir der Ritter zuwarf. Er verneigte sich tief und ergriff das Weinglas: »Dieses Glas trinke ich Euch, holde Jungfrau, und hoffe, daß es nicht das letzte Glas sein möge, welches ich auf Eure Gesundheit leere.« – Dann, zu meinem Vater gewendet: »Ihr verdienet in strenge Buße genommen zu werden, Herr Ittenhausen, weil Ihr eine liebreizende Jungfrau vor den Augen aller Bewunderer verborgen haltet.«
Darauf mein Vater: »Ein Kaufmann mag wohl seine Ware auslegen, damit sie Käufer finde. Für eine Jungfrau aber geziemt es das Haus zu hüten, und je weniger man von ihr sieht und redet, um so besser für sie und den Gatten, der sie einmal heimführt.«
»Ich wage nicht zu widersprechen, Herr Ittenhausen«, versetzte Balduin Hofmaier; »aber ich hoffe, daß Ihr eine Ausnahme gestattet und unsre Bitte nicht abschlagt. Ich sehe es der Jungfrau an, daß sie große Lust hat, den Tanz mitzumachen; an Verehrern wird es ihr dabei nicht fehlen. Erlaubt, daß ich mich schon heut darunter zähle.«
Da fuhr der Ritter Eglof mit flammendem Blick dazwischen: »Um Vergebung, Herr Hofmaier, aber die Jungfrau habe ich zu meiner Königin erwählt.« – Und er küßte mir die Hand.
Wäre der Hofmaier nicht so klug gewesen, zu schweigen, hätten sie wohl Streit bekommen. Mir klopfte das Herz und die Mutter sah geärgert aus. Kaum waren die Herren zur Tür hinaus, rief sie: »Die werden dem Bärbel loses Zeug in den Kopf setzen, und sie wird eine eitle hoffärtige Dirne werden.«
Der Vater aber redete dagegen: »Meine liebe Teutiche, die Schmeichelei ist das Zuckerbrot der Jugend. Erst wenn die Zähne wackeln und ausfallen, kommt Mutter Weisheit und ruft: ›Das Süße hat sie verdorben.‹ Aber, so sie nur nicht im Übermaß davon genießt, kann die Jugend schon ein gut Teil vertragen. Vor dem Übermaß aber wollen wir unser Bärbel behüten. Einen Geschlechtertanz soll sie mitmachen – keinen zweiten. Ich hoffe, daß sie den Kopf dabei steif hält, damit ihr die jungen Herren ihn nicht verdrehen.«
An den Anzügen sollte diesmal nicht gespart werden und sie fielen gar prächtig aus. Ich trug ein karmesinrotes Bruststück und ein gleichfarbiges Barett mit einer langen weißen Straußenfeder. Mein Oberkleid von dunkelblauem Brokat war mit einer Goldborte geziert. Das feine Hemd, in unzählige Fältchen gelegt, war dicht am Hals mit einem reichen goldnen Saum versehen. Den samtnen, mit Gold besetzten Gürtel trug ich lose um die Hüften, so daß das eine Ende lang herabfiel.
In ihrer schlichten Werkeltagskleidung war mir die Mutter wie eine alte Frau erschienen; denn der Jugend fehlt der Maßstab, das Alter zu bestimmen; aber an diesem Tage erkannte ich, daß sie noch eine gar schöne und stattliche Frau sei. Sie trug ein Kleid von schwarzem Samt mit gelbem Atlas untergelegt und reichlich geschlitzt, nicht nur am Leibchen und den Ärmeln, sondern auch den Rock ringsum mit Schlitzen und Puffen gesäumt. An Schmuck, der noch von meines Vaters Mutter stammte, fehlte es ihr auch nicht.
»Schaut Euch die Mutter einmal an«, rief ich übermütig dem Vater zu. »Sieht sie nicht wie eine Königin aus? Ihr müßt ein Auge auf sie haben, denn ich wette, man wird darauf ausgehen, sie Euch abspenstig zu machen.«
Der Vater freute sich unsrer. »Tausend, wie seht ihr beide aus! Nun habe ich ein Recht, mich als den stolzesten Mann zu fühlen; denn zwei Frauenzimmer wie meine Teutiche und mein Bärbel kann wohl kein andrer auf den Geschlechtertanz führen.«
»Du schlimmer Gesell«, aber selbst die Mutter mußte dabei lachen, »du treibst es ja noch ärger wie die losen Buben. Meinst du, ein Mann könne nicht seine Frau, und ein Vater nicht seine Tochter eitel machen?«
Herr Anton Fugger, der mit seiner ganzen Sippe auch unter die Geschlechter aufgenommen worden war, schickte uns seine Sänften, weil an diesem Tage ein arger Schneesturm tobte. So kamen wir gleich großartig mit Dienern in Livree nach dem Tanzhause.
Es war kein stattliches Haus und wohl schon über hundert Jahre alt; dasjenige, in dem deine Mutter getanzt hat, ist viel später – ich denke anno 57 erbaut worden. Ich aber staunte über die Pracht des Saales, der mit Teppichen und grünen Tannenreisern geschmückt war.
Nachdem das Wetter nachgelassen hatte, schien die Sonne durch die runden Scheiben, und der Schnee erhöhte noch den Tagesglanz. Aber die vornehme Gesellschaft, in großem Staate, brauchte das Licht auch nicht zu scheuen.
Bald nach elf Uhr bliesen die Trompeter zur Tafel und wir ließen uns an zweiunddreißig gedeckten Tischen nieder. Ich aber habe der feinen und kostbaren Speisen wenig geachtet; das Schauen machte mich satt und ich war auch voll Erwartung der Dinge, die danach kommen würden.
Die Stadtpfeifer machten auf einem mit Teppichen behangnen Gerüst Tafelmusik; sobald sie aber pausierten, bekamen zwei Narren Gelegenheit, ihren Witz zu zeigen.
Die Geschlechter hatten wie üblich einen Narren bestellt und ihm aufgetragen, sollten Doktor Ambrosius Jung, Georg Regel und David Dettigkofer ihre Hausfrauen mitbringen, möchte er mit boshaften Reden ihnen die Lust zum Wiederkommen verleiden.
Da das kein Geheimnis geblieben war, zog Dettigkofer vor, dem Feste fernzubleiben; Doktor Jung und Georg Regel aber wünschten für ihre Hausfrauen das Recht zu erkämpfen und hatten diese, gar kostbar gekleidet, mitgebracht. Sie wollten auch den Spottreden des Narren den Stachel abstumpfen und bestellten darum einen zweiten Narren.
Der Hauptkampf ward übrigens bis auf den Schluß des Mahles aufgespart; denn zuerst hechelten die Narren, wie es Sitte, die Gäste, und weil sie nur Schwächen geißelten, die jedermann bekannt waren, erregten sie viel Gelächter.
Als aber der Wein die Köpfe erhitzte, und die Stimmen lauter, die Laune toller wurde, schüttelte der erste Narr seine Kappe, so daß die Schellen klirrten und rief:
»Was will Doctor Ambrosius Jung fangen an,
Und auch Georg Regel lobesam?
Haben nicht aus dem Geschlecht geheiratet,
Haben geheiratet keine adligen Frauen.«
Ich konnte sehen, wie die Regelin bald blaß, bald rot wurde, zumal sich an allen Tischen ein schallendes Gelächter erhob. Ich müßte lügen, wollte ich sagen, daß mir des Narren Rede Spaß gemacht hätte.
Nun bemerkte ich, daß Doktor Ulrich Jung, des Doktor Ambrosius Bruder, beide höchst anerkannte Ärzte, dem anderen Narren einen Wink gab.
Allsogleich sprang dieser, ein buckliges Männlein, auf einen Stuhl, schüttelte seine Kappe und schrie mit einer dünnen, aber durchdringenden Stimme in den Lärm hinein:
»Haben sie geheiratet nicht adlige Frauen,
Sind die trotzdem gar lieblich zu schauen.
Der Ilsung spricht: Adel hin – Adel her,
Wollt', daß meine Käth' so lieblich wär.«
Nun vermochten zwar einige ihr Lachen nicht zu unterdrücken, weil Frau Käth' ein ganz besonderes altes, häßliches und zanksüchtiges Weib war; aber weil die meisten dafür waren, die Frauenzimmer von geringer Herkunft auszuschließen, folgte seinen Worten kein lauter Beifall. Auch ließ der erste Narr, der seine Spottreden schon vorbereitet hatte, gleich eine neue los:
»Sie klopften leise an die Tür,
Der Welser spricht: wer steht dafür?
Zwei sauber geputzte Weibelein,
Die wollen zu den Geschlechtern hinein.«
Ohne sich erst zu besinnen, schwang der Bucklige sein Käppchen und krähte:
»Rechten, Spielen und Bauen,
Bürge werden, viel vertrauen,
Über seinen Stand sich zieren,
Gäste laden und bankettieren,
Auf die Weis'
Kommt man leis'
In das Geschlechterhaus.«
Weil dadurch gar mancher getroffen wurde, lachte und klatschte er um so ärger, und ein ordentlicher Sturm brauste los. Kaum hatte sich aber derselbe gelegt, fing der erste Narr wieder an:
»Der Langenmantel spricht mit Bedacht:
Doktor Ambrosius Jung hat mich krank gemacht.
Hat mit Bosheitspillen mich vergeben,
Nun muß ich lassen schier mein Leben.«
Doch ehe nur der Beifall losbrechen konnte, war der Bucklige mit der Antwort bereit:
»Doktor Ambrosius Jung spricht mit Bedacht:
Der Langenmantel hat mich furios gemacht,
Habe ein Weib in allen Ehren,
Dem will er hier den Eintritt wehren.«
Da schrie der erste Narr:
»Ihr Vater war ein Schlächter,
Ihr Vater schlachtet Schwein.«
Worauf der Bucklige sofort antwortete:
»Ja wäre er ein Kaiser,
So ließ er euch nicht herein.«
Da schrie der erste wieder:
»Wenn der Regelin Vater kein Schneider wär',
So hätt' sie gefunden in Augsburg mehr Ehr'.«
Drauf der Bucklige:
»Wenn aber ihr Vater ein Ritter wär',
So raubt' er viel Gut und hätte drum Ehr'.«
Und bekam die Lacher alle auf seine Seite; auch fand seine Kunst der schnellen Widerrede viel Bewunderer.
Unterdes ging es immer lauter bei dem Feste zu, so daß mir fast bange wurde. »Ach Vaterle, wie wüst toben die großen Herren«, klagte ich und war froh, daß ich geschützt zwischen Vater und Mutter saß.
Nachdem das Mahl beendet war, erschienen Knaben mit grünen Kränzen auf den Locken; sie brachten silberne Kannen, Wännlein und Handtücher. Denn da man sich damals noch nicht der Gabeln bediente, war es Sitte, nach dem Essen die Hände zu säubern.
Das mag dir wunderlich erscheinen, Gundel. Nur zu leicht glaubt man, daß es gerade wie heute auch einst gewesen wäre, und daß, was wir besitzen, auch unsre Ahnen besessen hätten. Aber während der langen Jahre meines Lebens habe ich beobachtet, daß die Zeiten nicht nur in den großen Sachen mannigfache Veränderungen mit sich bringen, sondern auch in den unscheinbaren des täglichen Gebrauches. Obgleich ich nun nicht immer das Neue loben kann, muß ich die Gabeln doch zu den Gegenständen rechnen, da man sich nur wundert, warum sie nicht früher benutzt worden sind. Denn weit mehr wie manche Predigt haben sie die Sitten verfeinert.
Jetzt muß ich aber wohl wieder auf den Geschlechtertanz zurückkommen.
Als einer der Knaben auch an mich herantreten wollte, schob ihn Ritter Eglof beiseite, beugte ein Knie und reichte mir das Wännlein hin, welches er mich zu benutzen bat.
Die Galanterie gefiel mir zwar über die Maßen; aber sie verwirrte mich auch; ich wagte nicht aufzusehen, weil ich fühlte, daß alle nach mir blickten, und gewiß nicht alle mit freundlicher Gesinnung, da manche Mutter nur der eignen Tochter eine Ehre gönnt. Und die Mütter, Gundel, die sind sich gleich geblieben, im Guten wie im Bösen, heute wie damals, und werden sich gleich bleiben durch alle Zeiten.
Zum Glück bliesen die Trompeter zum Aufbruch. Sogleich hörte man das Scharren der Stühle, und die Unruhe, welche das Aufstehen so vieler Menschen verursacht; es entstand ein Tumult, der nicht sobald vorüberging, weil die Tische hinausgeschafft, die Fußböden gekehrt und die Kerzen angezündet wurden.
Die Frauenzimmer begaben sich indessen auf die erhöhten Sitze, die für dieselben hergerichtet waren. Da fanden nun auch die Jungfern Zeit, mich wegen meines Anbeters zu necken. Käthe Vöhlin aber warnte mich vor dem Ritter. »Er ist ein gar lustiger Zeisig, der sein Lied alle Tage vor einer anderen Türe singt.«
Da hörte ich, wie die Remboldin zu ihrer Nachbarin sagte: »Habt Ihr's bemerkt, daß sich die Regelin und Jungin samt ihren Eheherrn aus dem Staube gemacht haben? Und hatten sich doch Wunder wie fein ausstaffiert; aber hier gilt's nicht, daß Kleider Leute machen; hier wird gefragt: in welchem Neste bist du flügge geworden.«
Darauf entgegnete die andere: »Wenn mich das Unglück getroffen, daß mein Vater ein Schlächter gewesen wäre – Gott soll mich bewahren, daß ich gewagt hätte, mich unter die Geschlechter zu drängen. Wer aus Spatzenei gekrochen, muß sich halt zu den Spatzen halten.«
In dem Augenblick sah ich auch den buckligen Narren wieder; er drängte sich zwischen den Herren hindurch, schwang sich die drei Stufen herauf und beugte ein Knie vor mir; dann sprach er:
»Kein schöner Jungfräulein
Hab' ich nie gekannt.
Ihr Name fein
Ist mir gar wohl bekannt.
Sie ist wie rotes Gold,
Die Schönst' auf Erden.
Ach Gott, dem sie sollt' eigen werden,
Nicht mehr er begehren sollt'.«
So ist der Mensch, Gundel! Soeben hatte ich mich über den Hochmut der Geschlechtersfrauen geärgert; im Herzen aber war ich selbst eine hochmütige Dirne. Obwohl jetzt alle nach mir hinschauten, gerade wie vorher, wurde ich lange nicht so verlegen; denn der vor mir kniete war ja nur ein Narr und zählte nicht zu meinesgleichen.
Auf einmal erkannte ich den Narren. Es war ja mein alter Schulkamerad, Wicker Frosch. Mich dünkte, er habe sich vor allen Leuten lächerlich gemacht, und weil mir vorkam als stände er noch unter meinem Schutze wie in der Kindheit, fühlte ich Mitleid mit ihm. Doch als ich ihm die Hand mit einem freundlichen Wort reichte, tat ich's mehr den Jungfern zum Trotz, die daneben standen und über seine Verehrung höhnisch lächelten. Gleich darauf aber habe ich bereut, daß ich ihm nicht aus gutem Herzen allein die Hand gegeben hatte; denn als er sie berührte, ward der arme Schlucker jählings bleich, stammelte als ob er reden wollte, doch die Stimme brach ihm; er wendete sich und schoß hinaus. Ließ sich an diesem Abend auch nicht mehr blicken. Gerade aber begannen die Stadtpfeifer zum Tanz aufzuspielen und der Narr war vergessen; es zuckte mir in den Füßen und mein Herz klopfte laut. »Wird der schöne Ritter kommen und mich zum Tanze holen? Oder wird er sich eine der reichen Jungfern erwählen?« Solcherlei Fragen fuhren mir durch den Kopf.
Aber schon stand der Ritter an meiner Seite, verneigte sich zierlich und nahm, als ob sie ihm zukäme, meine Hand.
Die Herren haben mir an dem Tage nicht viel Atem übrig gelassen, denn sobald mich einer auf meinen Platz geführt, stand schon ein andrer bereit mich zu begehren; unter allen hat aber der Ritter Eglof am öftersten meiner begehrt und zuletzt noch den Reienaus mit mir getanzt.
Von den zwei Vortänzern war der eine ganz in Gelb, der andre ganz in Blau gekleidet, und sie gaben gar wunderliche Dinge an; wir aber mußten ihnen alles nachmachen. Wenn sie sich umarmten, dann umarmten sich alle die nachtanzenden Paare, und küßten sie sich, so küßten wir uns gleichfalls.
Das geschah nun freilich gar oft, und ich habe, ohne mir Arges zu denken, mich von meinem Herrn Ritter – wie sich's gehörte – umarmen und küssen lassen.
Als ich aber wieder unter die Frauenzimmer trat, hörte ich, wie die Breyschuchin zu der Ulstettin sagte: »War das ein Herzen und Küssen! Gott soll mich bewahren, so etwas dürfte gar nicht erlaubt werden. Haben's auch nimmer so arg getrieben. Das muß wohl einer angestellt haben, um seine Liebste zu küssen.«
Darauf antwortete die Ulstettin, die nicht gemerkt, daß ich hinter sie getreten war: »Ei, wißt Ihr's nicht? Der Junker Eglof hatte die Vortänzer bestochen – er wollte das schöne Bärbel Ittenhausen herzen.«
O du meine Güte! Ich dachte doch gleich vor Scham in die Erde zu sinken! Ich suchte mir die Mutter auf und konnte kaum hervorbringen: »Nun ist's zu Ende – laß uns nach Hause gehn, Mutti, ich bin gar zu müde.«
Die Mutter war fast besorgt, wie sie mich ansah; noch eben hatte sie mich mit roten Backen beim Tanz gesehen, und jetzt stand ich vor ihr kreidebleich. Das ging aber bald vorüber; sie meinte, es sei nur vom vielen Tanzen gekommen; ich aber wollte ihr nicht erzählen, was ich gehört hatte.
In dieser Nacht träumte mir, ich stände in unserm Erker und erwartete meinen Bräutigam: die Gasse herunter kamen schon seine Diener in der Fuggerschen Livree; da wurde mir angst und ich lief fort. Auf einmal tat sich die Türe auf und mein Bräutigam trat mir entgegen. Wer es war, konnte ich nicht sehen; er küßte mich, und ich fühlte einen stachlichen Bart. Darüber wachte ich auf und mußte über den Traum lachen; aber ich hätte doch gern den Bräutigam erkannt.