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VII.

In dieser Zeit warf das Licht, das in Wittenberg angezündet worden war, schon einen lichten Schein weit in die deutschen Lande. Mannigfache Veränderungen – von denen ich damals aber nichts gemerkt habe – trugen sich auch zu Augsburg zu. Aus den lateinischen Klosterschulen wurden weltliche Lehranstalten, und von auswärts berief man Lehrer. Unter ihnen war Herr Gerhard Geldenhauer aus Straßburg, ein eifriger Lutheraner.

Viele dieser Herren verkehrten in unserm Hause, und durch Herrn Geldenhauer fingen die Disputationen über die neue Lehre an; sie wurden mit mehr Eifer gehalten, als irgendein andres Gespräch. Nur meine Mutter hat sich niemals daran beteiligt.

»Wie kannst du dich in solches Gezänk einlassen, Kaspar?« mahnte sie. »Aus einem Streit über Religion kommt nimmer Gutes. Und meinst du, diese krächzenden Raben vermöchten den gewaltigen Bau der Kirche zu erschüttern?«

Darauf mein Vater: »Kleine Ursachen haben oftmals schon große Wirkungen gehabt, Teutiche. Manch ein Gebäude scheint noch in aller Stärke und Sicherheit jeglichem Sturm zu trotzen, derweil es in seinen Grundfesten schon mürbe und durchfressen ist. Hättest du wie ich lange in Italien gelebt, würdest du diese Worte besser verstehen. Die Religion, wenn ich so sagen darf, war dort aus der Mode. Nicht nur in dem Kreise, darin ich verkehrte, auch in der Klerisei bis hinauf zum Papste huldigten sie den schönen Künsten; aber dem Dogma huldigten sie nicht. Die verlöschende Kohle hat erst der Luther wieder zum Brande angeblasen.«

»Die Religion ist aber doch da, um dem Herzen Frieden zu bringen?«

»Du weißt, daß mir nichts widerwärtiger gewesen ist, als so ein Hin- und Hergezänk, da meist beide Parteien im Unrecht sind. Und als von Wittenberg aus mancherlei Schäden grell beleuchtet wurden, war mir's nicht recht, Teutiche. Aus Rücksicht gegen die Kirche, meinte ich, müßte man dieselben eher zu verbergen suchen. Der Luther hingegen behauptete, aus Liebe zu Gott müßte man sie gerade aufdecken. Anfänglich habe ich mich, wie du weißt, fern gehalten. Aber so wenig du vor dem Tage dich verbergen kannst, der dir bis in die innersten Winkel deines Hauses folgt, so wenig kannst du dich einer Zeitrichtung entziehen, die alle Gemüter gewaltsam bewegt. Was meinst du wohl, wovon abends beim Wein in der Geschlechterstube geredet wird? Allein vom Luther, vom Eck, vom Zwingli – vor allen Dingen von der neuen Konfession; denn der Melanchthon soll bewiesen haben, daß der Kaiser die neue Einrichtung der Kirche sehr wohl dulden könne, da sie nicht von den echten Grundsätzen der katholischen Kirche abweicht.«

»O Kaspar, wie muß ich dich reden hören?« klagte meine Mutter. »Wie kannst du verteidigen, was der hochwürdige Bischof für ganz verderblich hält!«

»Auch mir erscheinen manche Vorwürfe gegen die Kirche hart und ungerecht; denn sie treffen nur die schwachen und sündhaften Sterblichen, deren sich die Kirche zur Vermittlung unsterblicher Wahrheiten bedienen muß. Dagegen kommt mir vor, als sei manches Argument, das die Gegner aufstellen, auf guten Grund gebaut.«

Da sie sich nicht einigen konnten, vermieden die Eltern ferner über Religion zu reden; doch fiel mir auf, daß die Mutter ernster und schweigsamer geworden war. In dieser Zeit lag auf meines Vaters Schreibtisch außer mancherlei religiösen Streitschriften auch eine Bibel.

Ich möchte einschalten, daß das, was ich hier anführe, mag mein Vater vielleicht nicht so hintereinander, als ob er eine Predigt hielte, gesprochen haben; seine Rede habe ich trotzdem getreulich wiedergegeben, wie ich mich überhaupt befleißige, in jedem Stücke wahrhaftig zu sein.

Hätte mich Gott nicht gnädig bewahrt, wäre ich durch den Eifer der streitenden Parteien fast um mein junges Leben gekommen.

In der Kirche St. Moritz wurde nach altem Brauche die Himmelfahrt Christi durch ein hölzernes Bild leibhaftig dargestellt. Das Volk war an dieses Schauspiel gewöhnt und sah ihm immer noch mit Andacht – vielleicht mehr mit Neugierde zu.

Nun war aber in einer Zeit, wo die Zwinglianer die Oberhand in Augsburg behaupteten, alles Bilderwerk doppelt verhaßt, und deshalb befahl der Rat dem Max Ehem, welcher Pfleger bei St. Moritz war, das Loch oben in der Kirche, durch welches das Bild heraufgezogen wurde, sowie die Türe nach dem Kirchenboden zu vernageln und das Bild verwahren zu lassen.

Anton Fugger, der Patron von St. Moritz, aber erhielt davon noch beizeiten Nachricht. Er ließ sofort einen neuen Christus anfertigen, die Tür erbrechen und das Loch aufreißen.

Wo es eine geistliche Schaustellung gab, durfte unsere Magd aber nicht fehlen, und so nahm sie mich auch am Himmelfahrtstage, ohne der Mutter Vorwissen, nach St. Moritz mit und drängte durch die Menschen, damit sie die Auffahrt nur recht in der Nähe schauen möchte.

Die Geistlichen hatten an diesem Tage keine andächtige Gemeinde. Es herrschte Unruhe und Aufregung, ein jeder schien etwas zu erwarten. Als sich nun an der Kirchtür Lärm erhob, wandten sich nicht nur alle Köpfe nach der Richtung, sondern es entstand sofort ein Drängen, Murren und Rufen.

Erst im letzten Augenblick hatte der Rat von den Anstalten des Fugger erfahren und Herrn Jacob Rehlinger beauftragt, dieselben zu hintertreiben. Rehlinger trat mit den Ratsdienern in die Kirche, als das Bild schon hoch über unsern Häuptern schwebte, und da er ein überaus heftiger Mann war, den oftmals die Besonnenheit verließ, befahl er, die Stricke, an denen das Bild hing, abzuschneiden.

Die, welche darunter standen, begriffen die Gefahr und drängten hinaus; aber die Entfernteren wichen nicht aus, weil sie sich sicher fühlten und sehen wollten, was sich ereignen würde. Dadurch geriet ich in große Gefahr; nicht allein, daß ich im Gedränge fast erdrückt wurde, wenige Schritte von mir stürzte auch mit fürchterlichem Gepolter das Bild herunter und zertrümmerte auf dem steinernen Boden. Es war ein Wunder Gottes, daß niemand dabei verletzt wurde; doch fehlte nicht viel, daß ein Aufstand ausgebrochen wäre. Der Stadtvogt Alexander Beßler aber erschien noch zur rechten Zeit und stellte die Ruhe wieder her. Herrn Anton Fugger wurde dafür vom Rat eine achttägige Turmstrafe diktiert; doch löste er jeden Tag mit fünf Gulden ins Almosensäckel.

Am Sonntag Exaudi, welcher dem Himmelfahrtstage folgte, rüstete sich die Mutter früh, mit mir in die Domkirche zu gehen. Mein Vater saß an seinem Arbeitstisch, als wir eintraten, um von ihm Abschied zu nehmen; er stand aber sogleich auf wie einer, der einen Entschluß gefaßt hat, legte die Hand auf die Bibel und sprach nicht laut, doch sehr bestimmt: »Ich will dich nicht hindern, Teutiche, die Messe anzuhören; aber Bärbel lasse zu Hause. Nach meinem Willen soll sie nie mehr eine Messe besuchen.«

Meine Mutter ward totenbleich und trat einen Schritt zurück. »Willst du sie ihrem Glauben abtrünnig machen?«

»Es wäre gegen mein Gewissen, Teutiche, wollte ich das Kind in einer andern Lehre erziehen, als die, welche mir nach viel Nachdenken und mancherlei Prüfung die richtige scheint. Du, liebe Teutiche, sollst ja glauben, wozu dein Herz dich treibt; denn ich würde dich nicht zu überzeugen vermögen, und nur die Überzeugung ist es, die uns beglückt. – Ich weiß, daß ich dir mit diesen Worten einen großen Schmerz bereite; Gott mag geben, daß du dich in die Dinge fügst, die ich trotz meiner innigen Liebe zu dir nicht ändern kann. Darum bitte ich dich auch recht herzlich, meine liebe Teutiche, werde mir nicht gram und wende dein Herz nicht von mir ab, denn das wäre schwer zu tragen.«

Ob ich zwar ein Kind war, fühlte ich des Vaters Angst, daß die Mutter sich doch von ihm abwenden möge, und ich erwartete, daß sie ihm die Kränkung vergeben würde, weil ich's so innig wünschte.

Aber sie tat nicht also. Aufgerichtet blieb sie stehen und sagte mit einer trocknen, harten Stimme: »Ich gehe nach St. Margarethen. Bin ich zur rechten Zeit nicht heim, soll Anne dir und dem Kinde das Mahl auftragen.«

Ohne Gruß ging sie zur Tür hinaus.

Ich schaute nach dem Vater, welcher die Hand vor die Augen legte und tief aufseufzte. Da ward mir recht bange, und ich lief zu ihm hin. »Vaterle, ich behalt' dich lieb«, und ich küßte ihn.

Dann kam's mir wie ein Unrecht gegen die Mutter vor, und ich lief ihr nach. Sie war schon auf der Gasse. »Lasse mich mit dir nach St. Margarethen gehen, Mutti!« bat ich; aber es kam keine Antwort, auch kein Zeichen, daß sie es nicht erlaube. Ihr Gesicht war hart und weiß, wie aus Stein gemeißelt. Betrübt trabte ich neben ihr her.

Meine Mutter war im Kloster von alt und jung geliebt, und die Pförtnerin freute sich, wie sie sie kommen sah. Als aber die Mutter auf ihre freundliche Rede nichts erwiderte, sondern mit der trocknen, harten Stimme nur sagte: »Ich muß Schwester Regina sprechen«, hielt mich die Pförtnerin zurück und fragte angstvoll: »Was ist deiner Mutter begegnet, Bärbel?«

Ja, wie sollte ich's ihr sagen? Darum winkte ich nur abwehrend mit der Hand und lief der Mutter nach.

Schwester Regina saß an dem kleinen Fenster, durch das nur ein Stücklein des blauen Himmels zu sehen war, und nähte. Meine Mutter winkte ihr zu, nicht aufzustehen, dann stürzte sie vor ihr nieder, begrub den Kopf in ihrem Schoß und fing an zu schluchzen, daß ich meinte, die Herzen würden uns brechen; denn wenn ich auch den Schmerz der Mutter nicht verstand, so weinte ich doch mit ihr.

»Um der heiligen Jungfrau willen, antworte, Dorothe, was ist dir geschehen? Deinen lieben Eheherrn hat doch kein Unglück betroffen?«

Aber eine Weile fuhr die Mutter nur noch fort zu schluchzen; dann warf sie den Kopf zurück, strich das Haar aus der Stirn und sprach: »Mit dem Kaspar und mir ist's vorbei!«

»Da sei Gott vor, Dorothe, was hat er dir getan?«

»Er hält sich zu Luther, dem Antichrist, der ihn mit seinen papiernen Teufelszungen beschwatzt hat, und mir, Schwester Regina, will er nicht einmal das Bärbel lassen, sondern es führen in den Irrgarten der falschen Lehre.« – Als sie die Worte fast zornig herausgestoßen hatte, schluchzte sie wieder; dann richtete sie sich aber auf und klagte: »O Schwester Regina, und wir waren so glücklich miteinander!«

Da sprach die Nonne: »Setze dich auf ein Schemelchen, Bärbel, und weine nicht länger. Das sind freilich Dinge, die deinem Alter noch fern bleiben sollten; da du aber deiner Mutter Klagen gehört hast, sollst du auch meine Meinung erfahren.« – Damit wandte sie sich zur Mutter: »Ermanne dich, liebe Dorothe, und setze dich nieder. Lasse uns beten, daß mich Gott durch seine Gnade erleuchte und die rechten Worte in meinen Mund lege, damit ich dich wieder getröstet ziehen sehe.«

Jetzt ward es ganz still in der Zelle; aber mir ist, als hätte ich gar nicht gebetet, sondern immer nur gedacht: »Ach Vater! ach Mutter!« und das Herz ward mir nicht leichter.

Nachdem sie still für sich gebetet, nahm Schwester Regina die Hand meiner Mutter: »Hab' mich nur gewundert, liebe Dorothe, daß das, was du heut erlebt hast, nicht schon früher gekommen ist. Du mußt doch selbst gesehen haben, daß Augsburg vor vielen Städten sich der neuen Lehre zugetan zeigt.«

»Hieronymus Fugger und seine ganze Verwandtschaft halten noch zur Kirche.«

»Die Fugger sind die Stadt nicht, Dorothe; und unter den Gebildeten werden wenige sein, die nicht dem Zwingli oder dem Luther anhangen. Bilde dir nicht ein, unser Kloster sei von dem Kampfe verschont geblieben. Zwei Schwestern – ihre Namen will ich nicht nennen – haben sich heimlich daraus entfernt. Gott hat mein Herz nicht stark gemacht, und ich kann sie nicht verdammen, wie die Mutter Äbtissin. Ich meine, wenn der rechte Glaube eine Gnade Gottes, so sind die Ärmsten doppelt zu beklagen, denen er versagt ist. Vielleicht hat uns die eine der Schwestern um einer irdischen Liebe willen verlassen. Die andere aber hat oftmals hier gesessen, wie du, liebe Dorothe, und geweint und gejammert, daß sie sich der Zweifel nicht entschlagen könne; sie hat sich kasteiet und die heilige Jungfrau auf den Knien angefleht, sie möchte ihr den Glauben lassen, darin sie einst so glücklich gewesen ist. – Da sind mir unterschiedliche Gedanken gekommen, liebe Dorothe. Gott soll mich behüten, daß ich zweifle, unsere heilige Kirche führte auf dem geradesten Wege zur ewigen Seligkeit; aber durch Gottes Barmherzigkeit können vielleicht andere Wege, wenn auch später und beschwerlicher, doch an dasselbe Ziel führen und nicht ins ewige Verderben.

Fragst du mich, warum der Streit erst in die Welt gekommen ist? Das wüßte ich dir nicht zu sagen; aber glaubst du nicht, daß Gott in seiner großen Macht ihn hindern konnte, wenn es sein Wille gewesen wäre?

O Dorothe, ich wollte, daß ich mit Engelszungen zu dir reden könnte! Es wird eine Zeit kommen, wo du gleichsam wie von einem Berge zurückschauen wirst auf die Wirrnisse, die dein Herz jetzt betrüben. Da wird der Strom, der dich heute fast verschlingen will, dir nur ein Bächlein dünken; aber den Pfad, den du heut verloren hast, wirst du ganz deutlich erkennen. Wahre dich, Dorothe, daß du zurückschauen darfst ohne Reue und nicht klagen mußt: Ich habe meines Gatten Liebe verscherzt! Ich habe mein Kind verloren! Mein Herz ist verödet!«

Da erhob sich meine Mutter und trocknete ihre nassen Augen. »Ich erwartete, du werdest anders reden und meinen Eheherrn verdammen. – Also ist es keine Sünde, wenn ich meinen Kaspar liebe und nimmer von ihm lasse, auch wenn er in dem falschen Glauben beharrt? – Ach, Schwester Regina, Gott muß dir die Worte eingegeben haben; ich fühl's an dem Frieden, der wieder in mein Herz einzieht, daß es die rechten Worte gewesen sind. – Lasse das Bärbel aber jetzt zu den Kindern gehen und begleite mich in die Kapelle; ich möchte dort mit dir beten.«

Darauf führte mich die gute Nonne in den Garten zu den Kostgängerinnen des Klosters. Und sollte man es wohl glauben? Aber so sind die Kinder! Als ich die hellen Stimmen hörte und sah, wie die Mägdlein lustig umhersprangen, fühlte ich, wie meine große Traurigkeit dahinschwand, und ich ward wieder fröhlich, wie ich zuvor gewesen.

Nach der Abendmette kam Schwester Regina und sagte: »Der Apotheker, welcher uns Arzneien herausgebracht hat, will dich heimführen. Die Mutter ist schon vorausgegangen.«

Vor unserer Haustür wollte mir auf einmal wieder bange werden; aber als ich ins Zimmer trat, saßen Vater und Mutter im Erker, ihre Hände ruhten ineinander, und vor Glückseligkeit sahen sie aus wie Brautleute.

Gott allein mag wissen, was sie miteinander geredet und wie sie sich wiedergefunden hatten. Was zwischen Eheleuten vorgeht, ist ein heiliges Geheimnis; da soll keiner dazwischen treten, nicht einmal das eigene Kind.

Beide streckten mir die Hände entgegen, und es gab ein Herzen und Küssen, als wären wir aus großer Gefahr errettet worden.

Nachdem mir die Mutter schon Gutenacht gesagt hatte und hinausgegangen war, stieg ich noch einmal aus meinem Bette, weil ich meinte, nur wenn ich auf der harten Diele kniete, vermöchte ich dem lieben Gott so recht von Herzen zu danken.

Die Erinnerung an das, was ich in der Zelle der Schwester Regina gehört habe, ist mit der Zeit nicht dunkler geworden, sondern immer klarer vor meine Seele getreten; manches darin habe ich viel später erst verstanden, obwohl meiner Ehe solche Kämpfe erspart geblieben sind.


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