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»Der Kaiser Karl hat ein gar wunderlich Maul, und der neben ihm geritten, eine schiefe Nasen. Hab' weit aus dem Fenster gelugt. Hat mich schier verdrossen, daß der Kaiser nie aufgeschaut. Heute gab's Kräpfle; sind alleweil meine Lieblingsspeis.« – Also stehet geschrieben in meinem Merkbüchlein Anno 1530 am 16. Junius. Daraus kann man erkennen, wie wenig ein Kind die großen Dinge begreift, von denen die ganze Welt mit Staunen redet.
Ich habe mich fast geschämt, als ich jetzt las, was ich für ein einfältiges Ding gewesen bin, und doch galt ich unter meinesgleichen für gar klug.
Wenn ich zurückschaue, fällt mir wieder allerhand ein, was sich am Abend des 15. Junius beim Einzuge Kaiser Karls V. zugetragen hat; aber es ist schwer zu bestimmen, wieviel davon aus meiner eigenen Erinnerung stammt, und wieviel im Lauf der Jahre dazugekommen ist; denn das war eine Zeit, von der die nach uns lebenden Geschlechter noch erzählen werden.
Wir waren in unser altes Haus am Weinmarkt von Ehingers geladen worden, um aus dem Erker das Schauspiel anzusehen.
Es war, als ob die Neugierde ganz Augsburg auf die Straßen getrieben hätte. Ich fand's eine Kurzweil, die geputzten Leute anzuschauen; nachgerade ward ich's aber überdrüssig; denn – ich will's nur gestehen – das Warten hat mich immer verdrossen.
Auf einmal sprengte unvermutet ein Fähnlein Landsknechte um die Ecke; das war mir eben recht, und vor Freude habe ich laut geschrien. Doch das war gegen den Anstand, darum verwies mir's die Mutter. Herr Mathias Schwarz, Buchhalter bei Anton Fugger, der hinter mir Posto gefaßt hatte, sprach: »Nehmt's nicht so streng, Frau Ittenhausin; das Bärbel ist ja noch ein Kind.« – Wie ich denn stets einen Freund gefunden habe, der sich meiner annahm, wenn mich der Übermut ins Gedränge brachte. Die Freundschaft vergaß ich ihm nicht. Später hat er mir das seltsame Buch gezeigt, darin er sich von seiner Kindheit an in verschiedener Kleidung hatte abkonterfeien lassen. Sein Sohn, Veit Konrad Schwarz, setzte das Werk des Vaters fort, welches beiden zu großem Ansehen verholfen hat.
Nach der Mutter Mahnung hielt ich mich still und wagte nicht mit den andern zu rufen, da sie von allen Seiten einen Augsburger begrüßten. Es war Simon Seitz, der dem Kaiser als Feldschreiber gedient hatte. Jetzt kehrte er, prächtig in Gold gekleidet, auf brauner Jenete mit kostbar gestickter Decke, in seine Vaterstadt zurück.
Mathias Schwarz kannte jeden Ritter und Grafen, wußte auch die Reisigen nach ihren Farben und Rüstungen zu unterscheiden, und zeigte uns die Pfälzer, die Brandenburger, die Kölner, und wie die Haufen sonst heißen mochten.
Zwei Reihen Trompeter sprengten auf geschmückten Rossen daher und bliesen, daß ihnen die Backen fast platzten; dann kamen die Heerpauker, die Trommelschläger und die Herolde, welche das Nahen des Kaisers ankündigten.
Das Herz fing mir an zu klopfen. Vor lauter Erwartung beachtete ich kaum die Kurfürsten und erinnere mich nur auf Johann von Sachsen, der dem Kaiser das bloße Schwert vorantrug.
Ich bildete mir ein, daß der Kaiser groß wie ein Riese wäre und alle seine Untertanen überragte, wie ein Kirchturm die Häuser. Als der Kaiser aber nur so groß war, wie ein gewöhnlicher Mensch, wurde ich arg enttäuscht und vergaß mein Fazilettlein wehen zu lassen.
Sechs Ratsherren trugen einen dreifarbigen Baldachin, unter dem der Kaiser auf einem weißen Hengste ritt. Die Herren sahen gar stolz und ehrbar aus in ihren samtnen Schauben, reich mit dem kostbarsten Pelzwerk verbrämt. Der Kaiser hingegen war vom Kopf bis auf den Fuß spanisch gekleidet.
Erst, indem ich schreibe, tritt das alles wieder vor meine Seele; aber weder auf »das wunderliche Maul«, noch auf »die schiefe Nasen« kann ich mich heut erinnern.
Dem Kaiser folgten die deutschen Kardinäle und Bischöfe, die fremden Gesandten und Prälaten. Dann kamen wieder Reisige: die des Kaisers alle in Gelb, die seines Bruders, des Königs Ferdinand, alle in Rot gekleidet. Und so ging's noch lange fort; ich wurde fast müde, nach allen den Harnischen und Spießen und den Schützen mit ihrem Schießzeug auszuschaun.
Es war schon dunkel, als zuletzt die Augsburger Mannschaften zu Fuß und Pferd mit unseren Bürgern eintrafen; sie wurden mit lauterm Zurufe, als die fremden Reisigen begrüßt.
Nun verlange aber nicht zu wissen, wie und was sie dann auf dem Reichstag verhandelten, liebe Gundel; davon haben sie mir einfältigem Dinge nichts auf die Nase gebunden. Willst du's aber wissen, so lies es in einem gelehrten Werke nach, wo es besser berichtet sein wird, als ich's zu erzählen vermöchte. Ich will dafür eine kleine Historie einschalten, die ich in demselben Jahre erlebte.
Ich saß im Erker und schrieb an einer lateinischen Lektion für die Mutter, die im Lateinischen meine Lehrmeisterin gewesen ist. Da trat Herr Christoph Amberger, der aus Nürnberg gebürtige große Maler, mit einem vornehmen Herrn bei uns ein; der Herr trug ausländische Kleider.
Mit großer Freude lief mein Vater auf diesen zu und begrüßte ihn, wie einen alten Bekannten. Weil aber beide sehr lebhaft redeten, konnte ich den Namen nicht verstehen; doch fing ich sonst manches Wort auf, weil ich im Lateinischen nicht ganz ungeübt war.
Leider verstand der Fremde nur wenig Brocken Deutsch, und Herr Amberger nur drei Worte Italienisch, so daß ein arges Kauderwelsch zutage kam und mein Vater viele Mühe hatte, die Meinung der Herren zu vermitteln.
Daß der Fremde ein großer Maler wäre, hatte ich bald heraus; auch daß ihn der Fugger herbeigerufen, damit er einige Arbeiten für ihn ausführe. Er sagte Herrn Amberger viel Schmeichelhaftes über die Bilder, welche dieser auf die Fuggerhäuser gemalt hatte. Du kannst heute nicht mehr ermessen, wie frisch und glänzend die Farben damals waren, denn das Wetter hat sie arg mitgenommen.
Auch über ein Bildnis des Kaisers sprach der Fremde sehr lobend, während Herr Amberger rühmte, daß ihm der Kaiser für dasselbe anstatt der zehn ausbedungenen Taler nicht allein dreißig Taler, sondern auch eine goldene Kette mit einem Gnadenpfennige verehrt habe.
Die Herren blieben lange; die Sonne neigte schon zum Untergange, als sie sich verabschiedeten. In kindischer Neugier kam ich aus dem Erker ein wenig vor.
Da wendete der Fremde sein Antlitz mir zu und trat schnell an mich heran. »Ist das Euer Töchterlein, Kasparo? Seht doch, wie der Sonnenschein auf seinem goldenen Haare liegt! Und steht so fromm da, wie eine kleine Heilige. Wäre mir nicht jede Stunde zugemessen, dieses Kind möchte ich malen.« – Darauf legte er die Hand auf meinen Kopf und küßte mich auf die Stirn.
»Das war der große Tizian«, sagte mein Vater, als er wieder ins Zimmer zurückkehrte.
Weil ich aber noch immer wie verzaubert stehen blieb, setzte er hinzu: »Hast du verstanden, was er zu dir gesprochen hat, Bärbel?«
»Ja, mit Hilfe des Lateinischen.« – Ich sprach leise und wagte noch immer nicht, mich zu bewegen.
»Dann wirst du auch gehört haben, Bärbel, daß es die Sonne ist, die dein Haar so golden färbt, weil du gerade im Abendscheine stehst.« – Doch das sagte er nur, um mich vor Eitelkeit zu bewahren.
Als aber am andern Morgen meine Mutter mir die Zöpfe flocht, rief ich gar vergnügt: »Ich habe goldblondes Haar, Mutti; der große Tizian hat mir's gesagt.«