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XXVII.

Unser Heinz sollte bei seinem Vater ins Geschäft eintreten; aber weil er dazu weder Lust noch Geschick zeigte, kränkte sich Lorenz und wurde gegen den eignen Sohn ungerecht; ja er nannte ihn gar einen Taugenichts. Solch ein hartes Wort hat mich verdrossen, denn ich stand auf meines Sohnes Seite; deshalb gab es zwischen mir und meinem lieben Ehemann manchmal sogar harte Worte. Nimmer hätte ich damals geglaubt, daß ich an meinem Heinz einmal selber zweifeln würde.

Meine liebe Mutter sagte oft ein Verslein:

»Ist das Kind noch klein,
Hüllt man's in Hoffnung ein.«

Es dünkte mich aber, daß Kinder aus einem guten Hause, wie dem unsern, die Hoffnung ihrer Eltern nicht zu schande machen könnten. Traf sich's wohl einmal, daß ich eine arme Mutter trösten mußte, deren Sohn auf falsche Bahn geraten war, dachte ich in meinem Herzen: »So etwas kann uns nimmer begegnen«, und vor meinen Augen stand deutlich, worin andre in der Kinderzucht fehlten. Die eignen Fehler aber vermochte ich damals in meinem Mutterstolze nicht zu erkennen. Später sah ich klar, daß es nicht so leicht ist, in einem reichen Hause tugendhafte Jünglinge zu erziehen.

Seit meiner Jugend hatte Luxus und Üppigkeit gewaltig zugenommen; heutzutage wird's damit noch ärger getrieben. Es ist kein Bürger zu arm, kein Handwerksgeselle zu gering, daß sie nicht wie die reichen Leute, Sammet und Seide tragen wollten; der Barchent und Harras und das gemeine Tuch ist ihnen zu schlecht. Bauersleute übertreffen gar den Adel und die Städter an viel Zehrung, viel Schleck und viel Spiel. Des gemeinen Volkes Aufwand und Laster ist aber nur ein Spiegelbild, daran man sehen kann, wie es die reichen und vornehmen Leute machen. Und schlimmer noch wie mit Kleiderpracht, treiben es die Junker mit Trinken, Würfeln, Spielen und mancherlei Torheit, die im Schwange ist. Ein tugendhafter Wandel ist unter ihnen dem Spotte preisgegeben. Es will aber einer lieber Mord und Totschlag auf sein Gewissen laden, als zur Zielscheibe ihres Witzes dienen.

In solch ein wüstes Treiben und den Verkehr mit leichtsinnigen Gesellen war auch unser Heinz geraten. »Wer unter Wölfen lebt, muß heulen«, gab er mir einmal zur Antwort, und ich fand nicht, wie andre Mütter, einen Trost darin, daß einer sich austoben müsse, ehe er in die richtige Bahn einlenkt. Ich fürchtete, der Schmutz möchte an meines Sohnes Seele haften bleiben und seinen Sinn vergiften. Ach, wieviel heiße Tränen habe ich um meinen Jungen geweint! Gott aber mag mir vergeben, daß sich selbst mein Herz von ihm abzuwenden drohte.

Da brachten sie ihn mir eines Tages für tot ins Haus. Bei einem Streit hatte er einen Stich in den Leib erhalten.

O Gundel, als ich ihn bleich, mit Blut bedeckt und leblos vor mir liegen sah, da war mit einem Schlage alles vergessen, womit er uns gekränkt hatte, und meine Liebe wachte wieder auf. Darum möchte ich die Zeit, wo ich Tag und Nacht an seinem Bette gesessen, eine glückliche Zeit nennen; denn auch sein Herz wendete sich mir wieder zu; er wurde zärtlich, wie er als Kind gewesen und nannte mich »seine alte Traute«. Gott hatte auf dornenvollem Pfade Mutter und Kind noch einmal zusammengeführt.

Schau, Gundel, nun wendete sich das Blatt, und ich erkannte, daß auch wir, seine Eltern, gefehlt hatten.

Eines Tages sprach Heinz zu mir: »Liebe Mutter, so Ihr meinen Wünschen nicht entgegen seid, will ich ein andrer Mensch werden; denn ich war mehr aus Unlust leichtfertig und liederlich, als aus Lust. Das Leben war mir verleidet; ich hatte kein Ziel, danach ich strebte, und keine Arbeit, die mich freute. Darin hat aber der Vater unrecht, daß er meinet, wenn einer für einen Beruf nicht tauge, so tauge er für keinen. Jetzt, da ich sah, wie geschickt Doktor Schludin meine Wunden verband, und wie sorglich er mich pflegte, sind mir die Augen aufgegangen, und nun weiß ich, daß ich nichts lieber, als ein Medicus werden möchte.«

Da ward ich voll Freude. »O mein liebes Herz, so du nur etwas Rechtschaffnes erstrebst, will ich deine Bitte beim Vater gern befürworten.«

Was ich zu Lorenz redete, blieb nicht ohne Wirkung, und Doktor Schludin nahm es auf sich, unsern Heinz in der ärztlichen Kunst zu unterweisen.

Alsobald geriet dieser in einen wahren Feuereifer für seine Wissenschaft. Mit Totenschädeln und Knochen machte er unser ganzes Haus unsicher, und mit grausamen Krankheitsgeschichten jagte er jeden in die Flucht; nur nicht seine Mutter; denn ich habe es ihn niemals merken lassen, wenn mir gar übel dabei wurde. Eine Mutter soll ihr Ohr nicht verschließen, wenn ihr Sohn in großem Eifer von seinem Berufe sie unterhält; so mag wohl eine neue Kette sie umschlingen, wenn die alten Bande längst gesprengt sind.

Eines Tages schlug aber doch wieder eine Bombe in unser Haus; sie kam in Gestalt des guten Doktor Schludin, so daß wir uns nichts Übles versahen.

»Nichts für ungut, Frau Altherr«, fing er mit Räuspern an, »aber es dünkt mich, daß ich meine Pflicht versäume, wenn ich Euch nicht berichte, wie es unser Junker treibt.

In meinem Hinterhause wohnt eine ehrsame Witwe. Hanns Rem, der Organist an der St. Annenkirche, war ihr Schwiegervater. Ihr Ehemann war Holzschneider; er hinterließ ihr kaum soviel, sich auf dem Oberwasser zu erhalten. Nun ist aber die Tochter, eine schöne und sittsame Jungfer, herangewachsen und verdient mit fleißigen Händen das Notwendige. Aus Gewürznäglein fertigt sie zierliche Blumen, die sie mit vergoldetem Draht zusammenfaßt zu Sträußlein oder Armbändern, wie sie die vornehmen Frauenzimmer sich gern verehren lassen.

Ist nun das arme Mägdlein für den reichen Junker Heinz auch nicht vornehm genug, so ist sie hinwiederum doch zu gut, daß er mit ihrem Herzen spielt und ihr Hoffnungen in den Kopf setzt, die er nimmer erfüllen kann. Da ich also gewahr wurde, wie Gott Amor im Hinterhause sein Wesen trieb, bin ich zu Euch geeilt, um Euch zu warnen.«

Tausend, wie fuhr uns das in die Krone! Unser stattlicher Heinz konnte in jedem Geschlechterhause anpochen, und es würde ihm mit Freuden aufgetan worden sein. Und der sollte sich an ein Mädchen hängen, das sich mit ihrer Hände Arbeit das Brot verdiente? Waren die Fugger von geringem Anfange nicht sonderlich deshalb so groß und mächtig geworden, weil sie stets getrachtet hatten, ihre Kinder reich und vornehm zu verheiraten?

Lorenz wollte gleich furios werden; aber ich wehrte ihm. »Nichts brennet so heiß, wie heimliche Liebe. Lasse uns deshalb sorgen, daß das Feuer erkaltet, anstatt durch Widerstand es zu schüren. Wir wollen den Liebhaber von Augsburg fortschicken.«

Also sendeten wir unsern Heinz in seinem 24. Jahre im Frühling anno 1571 nach Paris.

Wie ich dir schon einmal bewiesen habe, Gundel, greifen große und furchtbare Weltereignisse, wie mit langen unsichtbaren Armen mitten hinein in Familien, die ahnungslos und fern dem Schauplatz wohnen. Also habe ich's selbst ein zweites Mal erfahren. Ich spreche hier von der Pariser Bluthochzeit, wie man nachmals die Ermordung der Hugenotten genannt hat.

Heinz gab uns alle Monate einen ausführlichen Bericht von seinem Leben. Ich will mir deshalb die Mühe nicht verdrießen lassen, dir einen dieser Briefe abzuschreiben, daraus du besser als ich's mit Worten sagen könnte, ersehen wirst, wie es in Paris damals zugegangen ist.

 

»Herzliebe Eltern! In schuldiger Ehrerbietung sende ich dieses Schreiben, das Euch, wie ich hoffe, bei guter Gesundheit treffen möge.

Wir vier Augsburger Medici halten noch immer wacker zusammen und haben geschworen, was auch kommen möge, treu zueinander zu stehn.

Ich assistiere jetzt Meister Ambroise Paré, dem ersten Wundarzt Frankreichs, worauf ich mir etwas einbilde. Wir leben hier an der Sorbonne auch ohne alle Anfechtung und kümmern uns mehr um unsre Patienten, als um Politik. Doch ist es nicht möglich, die Ohren ganz zu verstopfen, weil Paris mit Gerüchten angefüllt ist, wie eine Bauernstube mit Fliegen.

Viele fürchten, daß auch mit den Luth'rischen eine gefährliche Veränderung erfolgen werde, sobald der hugenottische König von Navarra mit König Karls Schwester sich vermählt haben würde. Der Papst soll dazu den Dispens verweigert haben; da hat der König, wie man erzählt, zu dem päpstlichen Legaten gesagt, er schließe diese Ehe mit keiner andern Absicht, als um Rache an den Feinden Gottes zu nehmen. Diesen Worten gibt man die schlimmste Deutung, da dem König Karl ein sehr grausamer Charakter zugeschrieben wird. Dabei soll er in der Kunst der Verstellung ebenso geschickt sein wie seine Mutter, die Italienerin, welche von dem Volke gehaßt wird. – Volkes Stimme, Gottes Stimme.

Zu der Hochzeit, die mit auserlesener Pracht gefeiert werden soll, um den Leuten Sand in die Augen zu streuen, waren auch gegen fünfzehnhundert deutsche Scholaren gekommen, die großenteils, sobald sie das Geschrei vernahmen, nach Orleans und Bourges gezogen sind. Man hat zwar ein königliches Mandat publiziert, daß niemand, der dem König von Navarra zugetan wäre, mit Wort und Werken beleidigt werden solle; aber die Leute glauben diesen Versicherungen nicht und sagen, die Livreen bei der Hochzeit würden rot sein, denn es würde mehr Blut als Wein dabei vergossen werden. Selbst Katholiken hört man mit Besorgnis von der Zukunft reden.

Doch traget meinetwegen keine Sorge, liebe Eltern. Sollte selbst etwas Außergewöhnliches arrivieren, haben wir uns vorgesehen. Ein Tyroler, der hier Jura studiert, Lukas Geizkofler von Reifenegg, hat nach dem Rate eines Landsmannes, der am Hofe viel namhafte Sachen hört und große Bekanntschaft besitzt, seine Wohnung aufgegeben und sich bei einem Pfaffen Blandis eingemietet, ungeachtet dessen Wohnung teuer und schlecht ist. ›Folget ohne Bedenken meinem Rate, dessen Ursache ihr nachmals schon erfahren werdet‹, hat dieser Herr gesagt. So sind denn auch wir nach Geizkoflers Ermahnung in dasselbe Losament gezogen. Antoni Fugger hat uns freilich herzhaft ausgelacht und nennt unsre Besorgnis ›hugenottische Phantasien‹ …«

 

Nachdem wir diesen Brief erhalten hatten, durchlief ein Gerücht die Stadt, alle Reformierten wären in Paris ermordet worden. Wie sehr wir erschraken, magst du ermessen, Gundel.

Ich begab mich sofort zu Antonis Mutter, da die Fuggers durch ihre Verbindungen stets gut mit Nachrichten bedient waren. Ich fand die Fuggerin, welche soeben einen Brief ihres Junkers erhalten hatte, ganz ruhig; denn sie meinte, daß den Gerüchten auch nicht der geringste Glaube beizumessen wäre. Sie war gar gütig und erlaubte mir, Antonis Briefe nicht nur zu lesen, sondern auch für meinen Lorenz zu kopieren. Das Wesentliche daraus lautete: »Wie die Frau Mutter weiß, sind die Augsburger auf ihre Hochzeiten sonderlich stolz, und man kann wohl sagen: Hoffart ist allerorts Sünde; aber in Augsburg gehört sie zum täglichen Brot. Doch, bei ihren Hochzeiten sind die Könige von Frankreich, wie mich dünkt, der guten Stadt Augsburg ein weniges noch voraus.

Durch die Güte des Parlamentspräsidenten de Thou war es mir nämlich vergönnt, der königlichen Trauung beizuwohnen, und ich habe wohl acht gegeben, um der Frau Mutter alles beschreiben zu können.

Die Prinzeß Margarethe von Valois trug ein Kleid von Violett-Sammet mit eingestickten Lilien; auf dem schönen Haupt die königliche Krone, ein kurzes Mäntelchen von Hermelin und einen großen blauen Mantel mit goldenen Lilien, darin sie glänzte, wie die Sonne zwischen Wolken. Die vier Ellen lange Schleppe wurde von drei Prinzessinnen getragen.

Der König Heinrich von Navarra war, wie die Prinzen des königlichen Hauses, in blaßgelben Atlas gekleidet, der mit erhabenen Stickereien, mit Perlen und Edelsteinen besetzt war. Sonst machte man die Bemerkung, daß alle Protestanten einfache Kleidung trugen; daß sich hingegen die katholischen Prinzen und Herren in großer Pracht sehen ließen.

Wir waren leider nicht nahe genug, um zu bemerken, daß die königliche Braut, auf die Frage des Kardinals von Bourbon, ob sie den König von Navarra zu ihrem Gemahl nehmen wolle, kein Zeichen der Bejahung gab, bis sie König Karl anstieß. Gerade in diesem Augenblick soll auch der Herzog von Guise, welcher für einen früheren Liebhaber der Prinzeß Margarethe gilt, sich über die andern Herrn geneigt haben, um ihr ins Auge zu sehn; worauf ihm der König aber einen so drohenden Blick zugeworfen hat, daß er fast in Ohnmacht gefallen ist.

Nach der Trauung hörte die Prinzeß eine Messe, während ihr junger Gemahl mit seinem Gefolge auf- und abspazierte, so daß ich sah, wie ungeheuer lebhaft seine Züge sind. Als seine Braut aus Notredame trat, umarmte er sie und besprach sich eine Weile mit ihr, worauf sich der ganze Hof in den bischöflichen Palast begab, wo sie ein auserlesenes Traktament erwartete.

Herr de Thou ist soeben zu dem Bankett gegangen, welches der König den obersten Behörden im Louvre gibt. Vielleicht kann ich der Frau Mutter noch von den prachtvollen Aufzügen und dem Ballett berichten, bei dem der König selbst mitwirken wird.

Wird es die Frau Mutter für möglich halten, daß es Leute gibt, die selbst an einem solchen Tage einen schrecklichen Ausgang dieser Feier prophezeien? Und doch hat der Hof alles getan, solche abscheuliche Verleumdungen zu zerstreuen. Während des Hochzeitsmahles warfen Herolde Denkmünzen unter das Volk, mit Sinnsprüchen, wie: ›Durch dieses Band wird die Zwietracht gefesselt‹. Ich habe mir eine solche Münze verschafft und gedenke damit den Peutingers für ihre Sammlung ein Geschenk zu machen.

Ihr werdet mir recht geben, daß es für die menschliche Natur unmöglich wäre, sich also zu verstellen. Aus dieser Ursache widerspreche ich allen auf Verrat zielenden Gerüchten. Ich sprach auch daneulich mit dem venetianischen Gesandten Correro – er ist mit Ohm Christoph sehr befreundet – über die Königin-Mutter und gewann dadurch ein ganz anderes Bild von ihr. Sie ist eine leutselige, angenehme Fürstin, die sich bemüht, gegen jedermann höflich zu sein. In Geschäften ist sie geradezu bewundrungswürdig, so daß auch nicht das Kleinste ohne ihre Dazwischenkunft verhandelt wird; aber ihre Lage zwischen den streitenden Religionsparteien soll gar schwierig sein, weshalb sie auch gegen Correro sich beklagte. Über den Charakter des Königs sind natürlich die falschesten Gerüchte in Umlauf. Er ist, wie Correro meint, allerdings launenhaft, weil seine Gesundheit schwach ist, was man schon aus der gebeugten Haltung und der bleichen Gesichtsfarbe erkennen kann; trotzdem arbeitet er viel und sucht sich durch Reiten, Springen und Ballschlagen zu kräftigen. Seine große Vorliebe für die Jagd hat ihn gar in den Ruf gebracht, grausam zu sein. Aber wie ist es auch möglich, jemand gerecht zu beurteilen, der, je nach der Partei, die von ihm redet, bald ein Ungeheuer, bald ein Auserwählter genannt wird?

Sollte die Frau Mutter die Altherrin sehen, die sich vielleicht wegen ihres Heinz sorgenvolle Nächte schafft, so bitte ich ihr zu melden, besagter Heinz wäre munter, aber seiner Vorliebe für Messer und Lancette wegen ungenießbar.«

Dieser Brief war am Tage der Vermählung, am 18. August anno 1572 geschrieben, und nur zu bald war das Zutrauen, welches Antoni in König Karl und Katharina von Medici gesetzt hatte, zu nichte geworden.

Denke nur, was für Angst wir ausstanden, Gundel, als jeden Tag neue Botschaft einlief, darin das Blutbad in Paris, ja in ganz Frankreich, auf das Entsetzlichste geschildert wurde! Nur von unserm Heinz, wie von den andern Augsburger Scholaren blieb alle Nachricht aus.

Man fragt sich später: wie war es nur möglich, eine solche Zeit zu überleben? Man kleidet sich zwar an, man ißt und trinkt, man nimmt wohl wie in den sorglosen Tagen, eine Arbeit zur Hand; aber man ist nur wie ein Uhrwerk, das gehet, weil's aufgezogen ist; denn die Gedanken weilen in der Ferne. Man fühlt auch nicht Hunger und Durst, man fühlt nichts wie die quälende Angst.

Lange konnte ich's in der Stube nicht aushalten. Das Wetter schierte mich nimmer, wenn ich stundenlang durch die Gassen lief. Schaute ich ein bekanntes Gesicht, gleich faßte ich's scharf ins Auge, weil ich sorgte, man könne mir eine Unglücksmär verbergen. Ich lief zu allen Bekannten und Befreundeten, sonderlich zu denen, die nach Frankreich und den Niederlanden Verbindungen besaßen, weil ich hoffte, irgendeine Kunde zu erhaschen; aber überall fand ich wohl Tränen, Angst und Klagen, doch keine verbürgten Nachrichten. Betrat aber jemand unser Haus, ließ ich mich nicht halten, gleich die Treppen hinunter ihm entgegenzulaufen, dabei mir das Blut stockte und der Atem verging. So vom Morgen bis Abend hab' ich meine Qual nur immer mehr angefacht.

Manchmal kam wohl die Hoffnung wie ein scheuer Gast; aber gleich rief die Angst: ›Male dir's nicht aus, daß dein Heinz gerettet wurde. Was man sich ausmalt, das trifft nimmer zu.‹ Und so gönnte ich dem armen Herzen nicht Ruhe noch Rast.

Ein Mann ist stärker; darum sah man dem Lorenz die Sorge nicht so an; aber in der Nacht, wenn alles dunkel und gar still ist, da nahm es ihn arg mit. Eine Weile stellten wir uns wohl schlafend; weil eins das andere nicht stören wollte; aber zuletzt dünkte es uns nur erträglich, wenn wir zusammen weinten und um unsern lieben Sohn klagten.

Einstmals, als ich an Doktor Schludins Hause vorüberging, kam er voll Eifer auf mich zu, mit einem gar frohen Angesicht. »Gott segne Euch, Altherrin. Nun werdet Ihr wieder gute Tage sehn, da Junker Heinz gerettet ist.«

Ich faßte ihn derb am Arm: »Woher wollt Ihr wissen, daß unser Heinz gerettet wurde?«

Da machte er eine verlegene Miene. »Ich hoffte, auch Ihr hättet einen Brief erhalten.«

»Wem hat mein Sohn geschrieben?« – Ich fragte scharf; es kam mir so 'ne Ahnung.

»Ihr müßt es nehmen, wie es ist, Frau Altherr; laßt's Euch das Glück nicht trüben. Jungfer Käthe ist's, die einen Brief bekam.«

Da wurde mir, ich weiß nicht wie. Ich fühlte eine große Freude, aber zugleich fühlte ich auch einen großen Schmerz. Ich konnte nicht messen, was größer war, Freude oder Schmerz. Mir blieb zum Besinnen auch keine Zeit. Es verlangte mich gar sehr, noch mehr von meinem Heinz zu hören, darum überlegte ich nicht lange, ließ meinen Doktor stehn und lief schnell in sein Haus hinein.

Den Gang werde ich nimmer vergessen. Die Sonne lag auf den grauen Mauern und auf der alten Linde, die im Hofe stand. Ein steinernes Trepplein führte von außen nach der Remin Wohnung. Das stieg ich eilig und ganz beherzt hinauf. Erst vor der Tür besann ich mich.

Es ist aber gar nicht leicht, Gundel, das Recht an eines Sohnes Liebe einer andern abzutreten. Es ging mir doch sehr nahe, daß er dem Mädchen geschrieben und seiner Eltern vergessen hatte. Es kam fast ein großer Zorn über mich; natürlich war es Jungfer Käthe, gegen die ich zornig war. Ich bildete mir ein, sie müsse es mit arger List angefangen haben, meinen Heinz mir zu rauben. »Wie hätte er sich wohl sonst aus unserm prächtigen Haus in diese armselige Wohnung verirren können«, dachte ich. Ja, so dachte ich, obwohl ich meinte, eine demütige Christin zu sein. O pfui, o pfui! Vor der Remin Türe stand ein gar hoffärtiges Weib; der liebe Gott würde kein Gefallen an ihm gefunden haben, hätte er damals ihm ins Herz geschaut.

Aber wie schon gesagt, Gundel, es ist nicht leicht, vor fremder Leute Tür als eine Bettlerin zu stehn und um ein Brosämlein von des eignen Sohnes Liebe zu bitten. Mein Herz floß von Bitterkeit über. »Wie es auch kommen mag«, dachte ich, »mit seiner Liebe ist's halt doch vorbei. So will ich nur lieber gehn.«

Als ich das Trepplein wieder hinabsteigen wollte, tat sich die Tür auf und eine schlichte kleine Frau trat heraus. Erst blickte sie mir verwundert nach, dann kam sie eilig und faßte mich am Kleid. »Ihr seid es selbst, Frau Altherrin? Ihr werdet doch nicht verschmähn, in meine bescheidne Stube zu treten?«

Aber ich war noch voll Ärger und Jammer. »Ich hatte vor, Euch etwas zu fragen; aber wie Ihr seht, habe ich die Sache aufgegeben.« – Und ich trat gleich eine Stufe tiefer hinab.

»Was Ihr mich auch fragen wollt, ich bin zu jeder Auskunft bereit«, rief die Frau ängstlich und hielt mich am Arme fest; dann setzte sie zögernd hinzu: »Meine Tochter gleichfalls; aus übergroßer Angst ist sie freilich krank geworden; aber gestern ist sie schon aufgestanden und hat auch ein paar Bissen gegessen; vorhin hat sie gar einmal gelacht; es tat mir wohl, daß ich sie wieder lachen sah; denn sie nahm sich's gar sehr zu Herzen. Ach Gott, was waren das für Tage! Ihr habt ja auch die schrecklichen Nachrichten aus Paris gehört.« – Da fuhr's ihr durch den Kopf: »Ihr seid doch nicht etwa gekommen, mir Vorwürfe zu machen? Doktor Schludin weiß es, daß wir keine Schuld tragen. Die Liebe kam so schnell, wie über Nacht der Frühling oftmals kommt; ich konnte ihr nicht wehren, ob ich's gleich versuchte. Ach, liebe Frau, seid nicht hart mit der Käthe. Sie ist ein so gutes Mädchen. Es ist ihr einziger Fehler, daß sie für Euren Sohn zu arm ist.«

Auf einmal schien sie aller Rücksicht zu vergessen, und ward voll Eifer und Zorn: »Nein, nein, Ihr habt gar nicht das Recht, mein armes Kind unglücklich zu machen. Es hat Euch ja nichts zu Leide getan. Ein solches Mädchen bringt niemand Schande. Alle Leute sagen, ich könne stolz auf die Käthe sein; und, daß Ihr's wißt, ich bin auch stolz auf sie. Was schert mich denn Euer Reichtum. Ich habe oftmals gebetet, Gott möchte Euch arm machen, damit Ihr meiner Armut Euch nicht länger zu schämen braucht.« – Darauf schien sie über die eignen Worte zu erschrecken und bat fast demütig: »Wenn ich etwas gesagt habe, was Euch beleidigt, liebe Frau, so rechnet es einer Mutter zugute, die voll Betrübnis ist und laßt es mein armes Kind nicht entgelten. O, seht nur meine Käthe erst einmal an; Ihr werdet nicht das Herz haben, ihr wehe zu tun.« – Und nun brach das arme Weib in Schluchzen aus.

Wie's einem doch zu Herzen geht, was von Herzen kommt! Die Frau hatte mich ganz weich gemacht. »Weinet doch nicht so sehr.« – Ich sprach freundlicher als ich gewollt. »Wenn es Gottes Wille ist, kann noch alles gut werden. Ich bin gekommen, weil ich von meinem Sohne hören möchte. Wir sind noch ohne alle Kunde von ihm; nur daß er lebt hab' ich erfahren.«

Die Frau trocknete gleich ihre Tränen. »Ihr sollt alles erfahren, Frau Altherrin. Meine Tochter wird Euch den Brief nicht vorenthalten. Bitte, tretet nur ein.«

Als Jungfer Käthe mir in der saubern Stube entgegentrat, merkte ich gleich, daß mein Heinz keinen üblen Geschmack gehabt, da er sich in das schöne Bild vergafft hatte.

»Der Brief steht Eurer Gnaden mit tausend Freuden zu Gebote.« – Als Jungfer Käthe so redete, wurde sie rot und blaß und verwirrte sich noch mehr, da sie ihn aus dem Mieder zog. »Euer Sohn redet zu mir, daß es Euch vielleicht kränken wird, ihn also reden zu hören; auch werdet Ihr mir zürnen, weil ich's ihm erlaubte.« – Da stürzte sie zu meinen Füßen nieder und rief in Tränen: »Ach, wir liebten uns zu sehr. Keines wußte, wie es vom andern lassen sollte!«

Nun war's mit meinem Widerstand vorbei; denn sie verstellte sich nicht etwa, sondern sprach, wie's ihr ums Herz war; und dabei sah sie gar schön und lieblich aus. Da dachte ich: »Ein solches Mädchen ist ja für einen Prinzen gut genug.« – Und hob sie auf und küßte sie gar herzlich.

Von dieser Stunde an stand ich auf Jungfer Käthes Seite, und es hat mich nimmer gereut.

Der Brief meines Heinz, auf schlechtes Papier und in großer Eile geschrieben, lautete: »Herzliebe Jungfer Käthe! Tausend Küsse und allen Segen Gottes zuvor. So Dich dieser Brief erreicht, magst Du Gott auf den Knien danken, daß er Deinen Liebsten aus großer Gefahr errettet hat. Ich und meine Kameraden sind wie durch ein Wunder dem Rachen des Todes entflohn. Das soll ein Jubel werden, wenn wir uns wiedersehn, Jungfer Käthe! Aber Gott mag uns gnädig sein, daß wir dieses verfluchte Land noch lebendig verlassen, denn französischer Boden ist alldieweil für Reformierte gleich einem flammenden Feuer. Was haben wir erlebt! Vor meinen Augen ist Blut und vor meinen Ohren Jammergeschrei! So entsetzliches denkt kein Mensch aus; das hat der Teufel selbst ersonnen. Mir ist, als sollte ich nimmer friedliches Geläute ohne Schrecken hören, da's eine Kirchenglocke war, die zum Morden rief. Was für furchtbare Dinge habe ich dir zu erzählen, Käthe! Ich assistierte Meister Ambroise Paré, als er den Admiral Coligny verband, auf den man aus einem Fenster geschossen hatte. Beim Himmel, ehe ich dem Worte eines Königs traute, will ich mich vorsehn. Ich habe Dir wohl noch nicht einmal gesagt, daß ich Dich über alle Maßen liebe, und nun drängt der Bote. In aller Eile noch einmal Gruß und Kuß, herzallerliebste Käthe, von Deinem treuen Heinz – treu bis in alle Ewigkeit, was auch kommen möge.«

Indem ich diesen Brief las, gelobte ich Gott, meinen Heinz nicht mit selbstsüchtiger Liebe zu lieben; und doch flossen meine Tränen, weil er seiner Eltern ganz vergessen hatte. Aber das ist der Eltern Los. Du wirst es auch erfahren, Gundel, wenn du erst Kinder groß gezogen hast. So du die Zurücksetzung aber überwindest, magst du wohl wieder glücklich werden, vielleicht noch glücklicher als zuvor.

Da ich auf den Perlach kam, sah ich vor unserm Hause ein gesatteltes Pferd stehn, das Andreas am Zaume hielt. Was braucht's noch vieler Worte, wenn das Glück ins Haus gekehrt ist? Mein Heinz war wieder heim und lag in meinem Arm. Wir frugen nicht nach den Menschen, die verwundert stehen blieben. Ich nahm meinen Heinz beim Kopf und küßte ihn und sagte ihm ins Ohr: »Ich komme von Jungfer Käthe und will beim Vater ein gutes Wort einlegen.« – Aber da geschah etwas, dessen ich mich nicht versehen hatte. Der böse Bube jauchzte, nahm mich auf seinen Arm und rannte mit mir ins Haus. Das war mir doch zu arg, und vor Scham bin ich über und über rot geworden.

Ich nahm der Zeit wahr, da mein Lorenz noch voll Freude über des Sohnes Rückkehr war, und malte ihm von Jungfer Käthe ein so holdes Bild, daß er gar neugierig wurde, sie selbst zu schauen. Nun konnte sie ihre Sache weiterführen, und sie führte sie so gut, daß wir bald eine fröhliche Hochzeit feierten. Sie ist uns auch eine gar teure Tochter und unserm Heinz eine treffliche Hausfrau geworden und hat ihm schöne, begabte und gesunde Kinder geboren.

Hier muß ich noch nachtragen, auf welche Weise Heinz und seine Freunde, auch Antoni Fugger, dem zuletzt doch die Augen aufgingen, sowie Matthias Laub, ein Goldschmiedsgeselle, gerettet wurden, was auch in der Chronik aufgezeichnet worden ist.

Sie bezahlten alle dem Pfaffen Blandis Kostgeld auf ein Vierteljahr voraus, dafür stellte sich dieser in seinem Ornate vor die Haustür, und wenn eine mörderische Rotte kam und fragte, ob er in seinem Neste hugenottische Vögel beherberge, so wies er sie ab und sagte, sie sollten doch wissen, daß er keinen in seinem Hause und an seinem Tische dulden würde, der nicht gut katholisch wäre. Auf diese Art wurden unsre Augsburger Scholaren am Leben erhalten; und da sie ihre Rettung dem guten Rat des Lukas Geizkofler verdankten, machten die Fugger diesen nachmals zu ihrem Anwalt.


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