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XXVIII.

Nimmer hätte ich geglaubt, daß ich soviel zu sagen haben würde; man mag diese Blätter ja schon ein Buch nennen, und doch habe ich noch nichts von meiner Tochter Isabella geschrieben. Ach, es fällt mir schwer, von ihr zu reden; denn ihretwegen habe ich großes Leid getragen; ich trug's in Demut und es ist überwunden; doch alle die Schmerzen gleichsam noch einmal heraufzubeschwören – das übersteigt, wie mich dünkt, fast meine Kräfte. Aber ich möcht's vor meinem Gewissen nicht verantworten, wollte ich von dem teuern Kinde schweigen, das uns so beglückt hat und auf das wir so stolz gewesen sind. So will ich mit Gottes Hilfe auch an diese schwere Aufgabe herantreten.

Wie ich dir schon erzählt habe, war Isabella ein besonders feines und schönes Mägdelein, um das uns manch ein Elternpaar beneidet hat. Lernen war just ihr Vergnügen, und bei allem was sie lernte, hatte sie ihre eigenen Gedanken, darob sie uns oftmals in Erstaunen setzte.

Für das Lautenspiel, das sie bei Melchior Neusiedler lernte, zeigte sie nicht nur eine besondere Begabung, sondern sie erfand selbst Melodien für die Lieder, welche sie sang. Ach! und wie sang sie so lieblich! Der Kantor Gumpelzhaimer klagte, daß er nie eine solche Schülerin wieder haben würde.

Dazumal hielt ein Geistlicher von gutem Herkommen und Vermögen, Paulus Jenisch, wöchentlich ein Konzert in seinem Hause, wozu sich alle durchreisenden Virtuosen, besonders viel Italiener einfanden. Dort sang Isabella oftmals, und du hättest hören sollen, wieviel die Leute von ihr hermachten, und wie die reichen und stolzen Geschlechtersfrauen mir schmeichelten, damit wir nur bei ihren Festen nicht fehlten. Denn seit sie zur Jungfrau gereift, war Isabella äußerst munter geworden, und mit ihrem silberhellen Lachen steckte sie das junge Volk, wie auch die Alten an. Ach, Gundel, vielleicht war's Sünde, daß wir zu stolz auf diese Tochter gewesen sind!

Ihr Haar war von der Farbe der Kastanien und ihr Antlitz, wie die Dichter singen, gleich Rosen und Lilien. Aber weshalb soll ich dir ihre Schönheit beschreiben, da du das Bild kennst, welches Abraham del Hel, ein Konterfeiter aus den Niederlanden, in ihrem siebzehnten Jahre von ihr gemalt hat. Es war dasselbe Jahr, in dem du geboren bist, Gundel. Dieses Abbild aber spiegelt ihre Lieblichkeit nicht ganz wieder und war mehr eine tote Abschattung des lebendigen Vorbildes.

In dem Junius desselben Jahres, als Karl Imhof und Euphemia Vöhlin Hochzeit hielten, kam auch die lothringische Prinzessin Dorothea von Friedberg, wo sie hauste, herüber und wohnte bei Marx Fugger. Sie nahm nicht nur am Hochzeitsmahle teil, sondern fuhr abends mit der Braut nach dem Tanzhause, und obwohl sie nicht mehr jung war und einen zu kurzen Fuß besaß, tanzte sie doch mit Marx Fugger, dem Grafen Eberstein und dem Stadtpfleger Peutinger; wie das alles auch in der Chronik ausgezeichnet worden ist.

Gott mag mir den Wunsch verzeihen, aber ich wollte, diese Frau wäre nimmer in Augsburg gesehen worden!

Isabella trug bei dieser Hochzeit einen ganz aparten Anzug, der nach dem Vorbilde einer vornehmen Dame am französischen Hofe gefertigt worden war: ein Kleid von weißem Atlas mit reichem Besatz, darin ein wenig Rosa untermischt war, und einen rosa Schleier von römischer Gaze, der über den Kopf nur nachlässig geworfen schien. Die andern Jungfern, so kostbar und reich sie auch gekleidet waren, sahen neben ihr wie aufgeputzte Docken aus. Es war auch nicht das Kleid allein, was sie schmückte, sondern die Art, wie sie's trug und wie sie den Kopf hielt. Alle schauten zu, wie sie mit Ulrich Langenmantel den Reigen anführte, wie sie ihm die Hände reichte und sich dabei zierlich drehte und wendete. Hättest du Isabella gesehn, du würdest dich über das Lob, das mir ihretwegen von allen Seiten gespendet wurde, nicht gewundert haben. Auch die Prinzessin ließ mir durch Marx Fugger sagen, daß sie Lust hätte, die Mutter der schönsten Jungfer kennen zu lernen.

Als mich Fugger zu ihr führte, stand sie mit dem Stadtpfleger im Gespräch. Sie trug nach spanischer Art eine so breite Halskrause, daß ihr Kopf darin lag wie das Haupt Johannes des Täufers auf einer Schüssel. Ihr gefärbtes Haar, mit vielem falschen untermengt, war in wunderlichen Puffen und Wülsten aufgebaut und reichlich mit Schmuck besteckt und behängt. An ihrem Gürtel hing nach neuester Mode ein pocket-looking-glass, darin sie, indem sie weiter redete, sich des öfteren beschaute. Sie musterte mich von oben bis unten, und weil sie meinte, als eine große Dame alles nach ihrem Belieben sagen zu dürfen, sprach sie: »Beim Himmel, Altherrin, wie seid Ihr zu einer so schönen Tochter gekommen?«

»Gerade wie zu meinen andern Kindern – durch Gottes Gnade«, antwortete ich. Einer großen Dame muß man schon ein wenig Unhöflichkeit zugute halten, und mit dreiundfünfzig Jahren, wenn Schlankheit sich in Wohlbeleibtheit verwandelt hat, ist's mit der Schönheit vorbei.

»Ich habe mich in die Jungfer vergafft«, fuhr sie fort. »Wäre ich ein Prinz, ich machte es wie Erzherzog Ferdinand. Bei Gott, Fugger – ich heiratete das Mädchen. – Wißt Ihr auch, Altherrin, daß ich große Lust habe, Eure schöne Tochter zu entführen? Damit Ihr aber nicht sagen sollt, ich raubte gleich einem Straßenräuber, will ich meine Absicht Euch zuvor kundgegeben haben.«

Bald danach kamen die schlimmen Nachrichten aus Paris, so daß ich auf die Rede fast vergaß.

Anfang Januar anno 1573 kam die Prinzessin wieder, und Isabella wurde sogleich zu Marx Fugger, mit dessen Nichte Johanna sie eng befreundet war, beschieden. Als wir den Diener sendeten sie abzuholen, hieß es, die Herrschaften ergötzten sich bei einer Schlittenfahrt rings um die Stadt, und gleich darauf erschien Marx Fugger, mir anzukündigen, daß die Prinzessin, wie sie mir's vorher gesagt, meine Isabella entführt habe. Sie ließ mir aber melden, nach wenigen Tagen solle mein Vöglein wieder zurück in den Käfig flattern.

Aus den Tagen wurden jedoch Wochen, und als mein Vöglein wiederkehrte, hatte es sein Wesen ganz verändert. Wir konnten es an vielen Dingen merken, daß Isabella in ein Kaufmannshaus gar nicht mehr paßte.

Ihr Sinn war gar hoffärtig geworden; sie sah auf unsre schlichte Art herunter, und wie wir nach unsrer Sitte lebten, das dünkte ihr gemein. Mit allen ihren Gedanken war sie in Friedberg geblieben; ein Fürstenhof, meinte sie, sei der einzige Ort, da sie leben möchte.

Auch die Prinzessin unterhielt den Verkehr, indem sie häufig ihren Kammerjunker mit Aufträgen für Isabella sendete. Dieser Junker Hennig hatte, wie mir vorkam, aber mehr Flattusen wie Kommissionen im Kopfe und schwenzelte um Isabella wie ein Hündlein. Doch ließ sie ihn schon damals ihre Ungunst merken.

Eines Tages erschien anstatt des Hennig ein fremder gar schmucker Kavalier, Hans Karl, Freiherr von Wolkenstein. Er war direkt vom französischen Hofe nach Friedberg gekommen, weshalb auch meine Tochter ihn noch nicht kannte.

Niemals habe ich einen schöneren Mann gesehen. Seine Bewegungen waren sehr anmutig und seine Worte wußte er so zu setzen, daß es ein Vergnügen war ihm zuzuhören. Dabei war er von ausgesuchter Galanterie, wie er sie am Hofe studiert haben mochte; auch trug er die Tracht der französischen Herren: den gestreiften seidnen Hut und die breite Krause; das Wams von braunem Brokat, kurz und eng, gesteppt und gepufft, mit langer Taille und an den Hüften Polster; ein dichtanliegendes Beinkleid und die Schuhe zierlich geschlitzt; über den Schultern aber das seidene Mäntelchen und den Stoßdegen an der Seite.

Er brachte mancherlei Aufträge der Prinzessin für unsre Isabella: da war an einem Fähnlein aus kostbarem Seidenstoff und kunstreich bemalt der lange Stiel aus Elfenbein zerbrochen und aus einem Fächer von gefärbten Straußenfedern das eingefügte Spieglein herausgefallen. Da sollte die italienische Putzmacherin ein Hütlein anfertigen, von der Art, die aussah, als ob ein Frauenzimmer einen Apfel auf dem Kopfe trüge. Ja, wie sollte ich mich heute wohl auf alle diese Dinge noch erinnern? Ich weiß nur, daß die Visite des Junkers Hans Karl sich sehr in die Länge zog; doch kam es mir auch vor, als ob er durch mancherlei Hin- und Herfragen die Zeit noch auszudehnen suchte. Wie er sich endlich mit einem Handkuß verabschiedete, warf er meiner Tochter einen gar verliebten Blick zu und sprach: »Als ich kam, hatte ich tausend Wünsche; jetzt, da ich gehe, habe ich nur noch den einen Wunsch, Euch wiederzusehen, Fräulein; aber der wiegt alle andern auf.«

Danach war Isabella lange still. Am Abend aber setzte sie sich, wie sie es liebte, zu meinen Füßen und sprach: »Mutterle, könnt Ihr dem Langenmantel nicht zu verstehen geben, daß ich ihn nicht heiraten mag?«

Ulrich Langenmantel nämlich warb damals um Isabella und wir meinten, er habe mehr Aussicht erhört zu werden, wie einige andre Freier.

Darüber erschrak ich. »Wie kommst du auf solche Reden? Du hast dich doch nicht in den Junker Hans Karl verliebt?«

Da wurde Isabella ernst und sagte nicht laut, doch sehr bestimmt: »Das ist der Mann, den ich heiraten will und kann ich ihn nicht heiraten – will ich lieber sterben, als einen andern Mann nehmen.«

Die Zeit war vorüber, da ich gemeint hatte, es sei ein gar beneidenswertes Los, in jungen Jahren und aus übergroßer Liebe zu sterben. Längst hatte ich gewußt, was für Gefahr mit einer großen Leidenschaft ins Herz gezogen kommt. Wie ein verderbliches Fieber bricht sie oft unversehens und gewaltsam hervor. Bringt sie Liebesglück, gleicht sie einem Taumel; alle Sinne sind nur auf das eine Ziel gerichtet, nichts ist für sie da als wie sie selbst und sie verzehrt sich an der eignen Begierde. Nehmen aber die Verhältnisse gar eine schlimme Wendung, so führt sie Leib und Seele nur zu oft ins Verderben. In einem Buche nimmt sich eine solche Liebesgeschichte wohl rührend aus, doch im Leben habe ich zuviel Elend davon gesehn. Darum möchte ich über jedem jungen Haupte beten: »Der Herr bewahre dich vor einer großen Leidenschaft.«

Nach meinem Dafürhalten gibt es in dieser Welt nur eine Liebe, die wahrhaft beglückt – die eheliche. Schau, das ist ein so recht herzinniges Lieben, wenn zwei erst wissen, daß sie fürs Leben zusammen gehören.

Törichte Gesellen meinen wohl, daß Eheleute einander überdrüssig würden; davon habe ich nichts gespürt. Trat mein Lorenz in die Stube, war mir's immer von neuem eine Freude, und in der ganzen Welt gab's keinen, mit dem ich lieber schwatzte, als mit ihm; es hat mich halt keiner auch so gut wie er verstanden. Kam einmal Krankheit ins Haus, so pflegte ich gern, denn was man in Liebe tut, das fällt nicht schwer; kam Not und Drangsal, so waren wir ja immer zweie, die gemeinschaftlich daran trugen, und dadurch wurde unsere Liebe nur stärker und fester gekittet. Wird so ein Eheschifflein vom Sturme auch manchmal tüchtig geschüttelt und hin- und hergeworfen, es muß deshalb nicht gleich in Stücke gehn. Doch wenn ich dir raten soll, hüte dich, liebe Gundel, daß die Sonne nicht untergeht über Streit und Unfrieden mit deinem Eheherrn. Sorge auch, daß du vor ihm nie ein Geheimnis habest; denn Vertrauen tut ehelicher Liebe am meisten not.

Aber was ich hier sage, paßt freilich nur auf die guten Ehemänner; denn mit den unfreundlichen und leichtfertigen läßt sich schlecht hausen; dasselbe mag man auch von der anderen Seite über uns Frauen sagen, und die darin Erfahrung machten, wissen ein Lied von schlimmen Ehefrauen zu singen.

Nun will ich mit schwerem Herzen zu meiner traurigen Geschichte mich wieder wenden.

Nachmals sagt man sich: »Ach, wie töricht bist du gewesen, daß du Isabellas Umgang mit der Prinzessin nicht gehindert und dem Junker nicht das Haus verschlossen hast!« – Und doch meinten wir damals, als wir merkten, wie stark und gewaltig diese Liebe bei ihr aufschoß, klug zu handeln, wenn wir einer Heirat zustrebten. Aus dieser Ursache begrüßten wir eine Einladung der Prinzessin fast mit Freuden. Isabella kehrte auch glücklich und strahlend wie eine Braut in unser Haus zurück.

Als sie ihre Sachen ordnete, gewahrte ich einen kostbaren Schmuck und daneben auf feinem Papier in zierlicher Schrift einige Worte, die oft gelesen schienen. »Der Smaragd«, stand darauf, »bedeutet die Keuschheit; zwischen dem Rubin – der feurigen Liebe – und dem Diamant – der stetigen Liebe – befindet sich ein Hängperlein – die Tugend. Darunter die geschmelzten Blümelein, Vergißmeinnicht und Jelängerjelieber; sie reden eine Sprache, die nicht mißverstanden werden kann.«

»Von wem kommt dir dieser Schmuck?« fragte ich und freute mich der Antwort: »Junker Hans Karl hat mir eine Wette, die ich gewonnen habe, also bezahlt.«

»Des Junkers Angebinde scheint mir nicht mißzuverstehen. Hat er auch in diesem Sinne zu dir geredet?«

Da schlang sie ihre Arme um meinen Hals und rief: »O Mutter, ich bin über alle Maßen glücklich! Mein Glück ist fast zu groß!« – Dann schrie sie beinah auf und guckte mich mit großen Augen an. »Gott wird mir's doch nicht neiden, Mutter?« – Drauf ließ sie die Arme sinken und sagte langsam: »Wenn er mir meinen Liebsten nähme – ich könnte nimmermehr an seine Barmherzigkeit glauben.«

Da faßte mich ein ungeheurer Schreck. »Großer Gott, höre nicht auf die frevelhaften Worte. Mein armes Kind redet wie in einem Rausche.«

»Wie du dich erschreckt hast, Mutterle. Ich hab's ja nicht bös' gemeint.« – Isabella lachte schon wieder. »Seit Junker Hans Karl mir gesagt, daß er mich lieb hat, habe ich auch wieder gebetet. Nur vorher – Gott wird mir die Sünde vergeben – hatte ich selbst auf das Beten vergessen.«

Solche Liebe ängstete mich fast; aber da Isabella mir sagte, daß der Junker kommen würde und um ihre Hand werben, gab ich mich mehr der Freude als der Sorge hin.

Niemals sah ich ein junges Gesicht, darin so sichtbarlich die Erwartung eines großen Glückes geschrieben stand. Doch zeigte ihr Wesen in dieser Zeit eine sonderliche Unruhe. Sie hielt nimmer lang auf einem Platze aus; sie lief umher und lauschte, den Kopf erhoben, wie jemand, der aus der Ferne etwas vernimmt; tönte von der Straße Hufschlag, gleich blitzte es wie helles Licht in ihren Augen auf und die Farbe kam und ging auf ihren Wangen. Doch wenn man sie anredete, war sie verwirrt, als wären ihre Gedanken weit, weit fort gewesen. Ihre Schönheit aber entfaltete sich im Anfang dieser Zeit wie eine Blüte zu voller Pracht. Was für Glück und Wohlgefallen, welch ein Paradies mochte ihre Seele damals sich vorstellen!

Als aber Tag auf Tag verging, ohne daß der Junker sich blicken ließ, legte sich's wie ein trüber Schleier über ihre lieben Augen und sie ging umher wie in einem schweren Traume.

Es war gerade Fastnachtszeit, allwo Bankett und Tanz und Mummenschanz miteinander wechseln. Fast jeden Tag waren wir zu einer anderen Festlichkeit geladen. Ach, wie ist mir das Vergnügen sauer geworden! Ich merkte wohl, daß sich Isabella auch nur für den einen putzte und nur nach dem einen ausschaute; er aber ließ sich nirgends blicken.

Ich wußte mir des Junkers Betragen nicht anders zu erklären, als daß Isabella, davon wir nichts geahnt, Neider hatte, die ihr die Gunst der Prinzessin und die Ehe mit dem adligen Junker nicht gönnten. Aber es gibt in dieser Welt Dinge, die man mit blutendem Herzen geschehen lassen muß und darf sich dagegen nicht auflehnen.

Als im Frühjahr anno 1575 die Prinzeß Dorothea kam, um in Augsburg die Exequien für ihre Schwiegertochter Claudia abzuhalten, merkte ich bald, daß ich mich in meiner Voraussetzung nicht getäuscht hatte.

Isabella und ich gingen zu Marx Fugger, wo die Prinzessin wohnte, um diese zu begrüßen und unser Beileid auszusprechen. Sie sah von dem kirchlichen Aktus abgespannt aus, so daß mir ein strenger, fast harter Zug in ihrem Gesichte auffiel. Es zeigte sich auch bald, daß Isabella nicht mehr im Sonnenscheine ihrer Gunst stand, die bei einer großen Dame bald hinauf, bald wieder abwärts steigt.

»Was ist mit Euch vorgegangen, meine Liebe? Ihr habt Euch gewaltig verändert.« – Die Prinzessin sprach in einem kalten Tone und guckte Isabella scharf an. »Ich sehe schon, Ihr habt zuviel getanzt und Euch den Hof machen lassen.« – Darauf wandte sie sich zu mir: »Ihr solltet Eurer Tochter besser acht haben, Altherrin; Jugend ist kein Privilegium. Die Jungfer kommt in das Alter, wo man sich nach einem Manne für sie umsehen muß.«

Der Ton, mit dem die Prinzessin redete, verletzte noch mehr, als die Worte. Da nun Junker Hennig an Isabella herangetreten war, winkte die Prinzessin mir mit ihrem mouchoir de venus abseits und sagte: »Daß Ihr's nur wißt, Altherrin, der Junker Hennig ist sterblich in Eure Tochter verliebt. Ein adliger Name wird aber einer Kaufmannstochter nicht alle Tage geboten; also nehmet der Gelegenheit wahr.«

Und das war noch nicht alles. Junker Hans Karl kam nicht einmal auf Isabella zu, um sie zu begrüßen, sondern blieb mit Johanna Fugger in einem Fenster stehen, wo die beiden gar lebhaft miteinander redeten.

Da war etwas vorgegangen. Ich will die Fuggerin nicht beschuldigen, daß sie das verräterische Spiel angesponnen hat; aber da sie meiner Tochter Herzensfreundin war und deshalb um den Liebeshandel wußte, dünkte mich's ein Unrecht, daß sie dem Junker, wie man sagte, entgegengekommen wäre.

Nach dem, der meiner Tochter Tun mit falschen Auslegungen besudelte, habe ich aber nie geforscht, weil ich mein Herz vor allzugroßem Haß bewahren wollte.

Auf dem Heimwege redeten wir nichts miteinander. Ich fand nicht gleich die Worte. Mir war's, als könne ich's nicht ertragen, mein teures Kind verschmäht zu sehn. Aber als wir in unsrer Stube waren, konnte ich die Angst nicht länger unterdrücken, ging auf und ab und rang die Hände. »Ach, mein Kind, womit hast du der Prinzessin Gunst verscherzt? Hast du sie oder den Junker Hans Karl beleidigt? Was ist zwischen euch getreten, daß er sich von dir abgewendet hat?«

Isabella hatte sich bleich und still auf einen Sessel niedergelassen. Als ich so klagte, stand sie auf. Ihre Augen sahen fast schwarz aus; gar tiefes Weh lag darin; doch ihre Worte waren voll zorniger Verachtung.

»Sprich nicht von diesem Feiglinge zu mir.« – Ihre Stimme klang fast rauh. »Er hat Verleumdungen sein Ohr geliehen. Wäre sein Name vor mir geschändet worden, ich hätte den Verleumder eher getötet, als ihm geglaubt; denn ich liebte den Junker so, daß ich meinen Kopf zum Schemel seiner Füße gemacht haben würde, und wenn unser Herrgott ihm den Himmel verschlossen hätte, ich wäre ihm in die Hölle gefolgt.«

Die frevelhaften Worte zerrissen mein Herz. »Sie weiß nicht, was sie redet, o mein Gott! Rechne ihr die Sünde nicht zu, denn sie ist krank an Leib und Seele.«

Da plötzlich schrie sie in großem Jammer auf: »Willst du mir noch Vorwürfe machen, Mutter? Bin ich denn nicht elend genug? Bin ich nicht tausendmal elender noch als du? – Aber du sollst nie wieder eine Klage von mir hören.«

Das war die schwerste Prüfung meines Lebens. Wir armen Eltern mußten unser teures Kind leiden sehen, ohne daß wir es mit unsrer Liebe trösten durften; denn ach, Isabella verschloß ihr Gemüt vor uns, wie ein verwundetes Reh, das sich in der Einsamkeit verbluten will.

Einmal gingen wir mit ihr in die Felder spazieren, wo alles vom Odem Gottes grünte und wie durch Himmelskräfte neu erschaffen schien; Isabella war schweigsam und mit gesenktem Kopfe gegangen; vor dem Tore aber schaute sie sich mit großen Augen um. »Ich habe nicht gewußt, daß es schon Sommer wäre.« – Und zum ersten Male sah ich, wie Tränen über ihre blassen Wangen liefen.

Wir hörten bald darauf, daß Junker Hans Karl auf Freiersfüßen ginge, oftmals von Friedberg herüber käme und bei den Fuggers gut aufgenommen sei. Und wieder nach nicht gar langer Zeit kam eine Einladung nach Babenhausen, allwo die Verlobung des Junkers mit Johanna gefeiert werden sollte.

»Du wirst nicht dorthin gehen, mein liebes Kind«, bat ich Isabella. »Du wirst nicht etwas unternehmen, das du doch nicht auszuführen vermagst. Sollen die, welche dich so bitter gekränkt haben, auch noch über dich triumphieren?«

»Mutter«, entgegnete sie gar stolz, »du mißt meine Kraft mit zu geringem Maße. Ich bin gekränkt – bis zu Tode gekränkt; aber sorge nicht, daß sie meines Jammers spotten. Auch sie werden sich nur kurze Zeit des Glückes freuen, denn nimmer wird aus dieser Ehe Gutes kommen.«

Da erschrak ich, weil ich fürchtete, mein liebes Kind möchte seine Lippen durch einen Fluch besudeln; aber wie lag ihr das so ferne! »O Mutter, wie sollten die wohl glücklich werden, die über einem gebrochnen Herzen sich die Hände reichen?«

Gott allein weiß, wie sauer mir dieser Tag geworden ist! Aber hätte der Weg auch über Disteln und Dornen geführt, ich wäre nicht zu Haus geblieben; denn mein armes Kind sollte wissen, daß die Mutter ihm zur Seite stand.

Da Isabella unter die alten Kastanienbäume in Babenhausen trat, wo die Gäste versammelt waren, und mit kaltem Lächeln zu der Verlobung gratulierte, habe ich mich fast vor ihr gefürchtet; die Fuggerin auch; denn sie ward kreidebleich, und der Junker Hans Karl suchte ihre stolzen Augen zu vermeiden.

Ach, Gundel, was wäre aus diesem Mädchen geworden, wenn die Leidenschaft sie nicht getötet hätte! Sie wußte sich noch im Elend emporzuschwingen und verbarg ihre Schmerzen, so daß sie alle täuschte. Nur ihre arme Mutter hat sie nicht getäuscht; denn ich wußte, daß sie den Tod im Herzen trug.

Als wir, da alles vorüber war, am späten Abend erst nach Hause kamen, schlug Isabella jäh die Hände vors Gesicht und mit einem Wehruf, den ich heut noch höre, stürzte sie nieder.

Ich kann dir nicht erzählen, liebe Gundel, wie wir gelitten haben, als sie in heftigem Fieber lag. Ach, die Worte sind viel zu arm, um unsern Jammer zu beschreiben. Die Ärzte schüttelten gleich bedenklich den Kopf; aber der Lorenz wollte an die Gefahr nicht glauben, doch ist auch er nicht mehr von ihrem Bett gewichen.

Als sich die Pforten des Todes schon aufgetan hatten, kehrte ihr noch einmal die Besinnung wieder. »Liebe Eltern«, sprach sie mit der alten süßen Stimme, »ich habe euch viel Kummer gemacht; aber Gott muß es wohl also gewollt haben, sonst wäre es anders gekommen. Darum vergebt mir, wie auch er mir vergeben wird; ich möchte gern in Frieden sterben.«

Von der Stunde ihres Todes an wurden wir alte gebrechliche Leute, obwohl wir bis dahin noch frisch und rüstig gewesen waren. Doch war mir's ein rechter Trost, daß ich den Schmerz mit meinem Lorenz tragen durfte. Siehe, es war, als ob wir nicht mehr voneinander lassen könnten; wo eines war, wollte das andre auch sein. Die Stunden sind zu zählen, die wir getrennt verlebten.

Im Herbst kaufte Lorenz das schöne Sommerhaus vor dem Oblatertor und sprach davon, daß es ihn stärken solle, wenn er erst unter den blühenden Apfelbäumen sitzen würde. Aber er hat niemals darunter gesessen, denn als das Frühjahr kam, anno 1576 am 27. April, ist er an einem Schlagfluß sanft verschieden. Du kannst denken, Gundel, wie ich mich vereinsamt fühlte. Siebenunddreißig Jahre hatten wir Freud und Leid geteilt. Ich dachte, daß ich ihm nachsterben müßte; aber Gott hatte mir noch eine Prüfung vorbehalten.

Die Fuggers verschoben – manche sagten wegen Isabellas Tod – die Hochzeit, welche schon für den Herbst festgesetzt war, bis auf den Mai, und, wie mir nichts erspart werden sollte, fügte sich's, daß mir der Hochzeitszug begegnete.

Da habe ich gebetet: »Barmherziger Gott, lasse mich weder diesen Mann, noch sein Weib, noch seine Kinder jemals im Elend oder in Gefahr sehen; denn ich weiß nicht, ob ich die Hand ausstrecken würde ihnen zu helfen.«

Aber wer vermag trotz aller Bitten auch dem Schwersten zu entgehn, wenn Gott nicht will?

Es war im Februar anno 1577 und es tobte ein eisiger Schneesturm; da trat Susanne in meine Stube und sah sonderlich bewegt aus. »Mutter, jemand, der in großer Not ist, verlangt nach dir.« – Und da ich gleich aufstand, setzte sie zögernd hinzu: »Das Wetter ist über die Maßen schlecht, Mutter. Es sind auch Leute, denen du nicht Dank schuldest – die dich gekränkt haben – obzwar sie deiner jetzt bedürfen …«

Da kam's mir wie eine Ahnung, daß ich fast scharf fragte: »Wer ist's? So nenne doch die Namen.« – Und als Susanne mir schon die Antwort geben wollte, tat sich die Türe auf und Junker Hans Karl trat ein. Ich maß ihn mit einem zornigen Blick; aber er war willens, es mit meinem Zorne aufzunehmen.

»Ihr mögt ermessen, Frau Altherr, daß es keine gleichgültige Ursache ist, die mich in Euer Haus führt. Ich komme mit der Bitte einer sterbenden Frau. Mein Weib ist eines Söhnleins genesen, und jetzt, da sie am Tode ist, meinet sie nicht sterben zu können ohne Eure Verzeihung.«

Sollte ich ihr Richter sein in ihrer letzten Stunde? – Da war kein langes Fragen und Besinnen. »Meinen Pelzmantel!« rief ich.

Susanne, die mein Herz besser kannte, als ich selbst, hielt ihn schon bereit; der aber, welcher mein Kind getötet hatte, hüllte mich sorglich ein, wie ein Sohn und geleitete mich in den Schlitten.

Wir redeten nicht miteinander als wir durch das arge Wetter fuhren. Vielerlei Gedanken zogen mir durch den Sinn; aber mir schien's, es wären nicht die rechten Gedanken. Ich wollte dessen gedenken, was ich durch diesen Mann und sein Weib gelitten hatte, und siehe – alles das war aus meinem Gedächtnis ausgelöscht.

Mein Schweigen mochte den Junker ängstigen, und als er mich ins Schloß geleitete, bat er: »Seid barmherzig mit dem armen Weibe.«

Da blickte ich ihn scharf, fast böse an: »Meinet Ihr, Junker, die Rache habe mich hergeführt?«

In ihrer wunderreich geschnitzten Bettstatt lag die, welche ich als glückselige Braut gesehen, und die Zeichen des Todes waren auf ihre Stirn geschrieben. Sie streckte mir die feinen weißen Hände entgegen und ihre Stimme war kaum verständlich, so leise hat sie zu reden begonnen. »Ich habe von Euch Großes verlangt, Altherrin, weil ich wußte, daß Ihr imstande wäret, Großes zu tun. Nun hoffe ich, so Ihr mir verzeihen könnt, wird auch Gott Barmherzigkeit gegen mich üben. Segnet, ich bitte Euch, auch mein Kind, damit der Fluch von seinem Haupte genommen werde!«

»Was redet Ihr da, Frau Johanna«, rief ich fast erschreckt. »Weder ich noch meine liebe Tochter haben Euch oder Eurem Kinde jemals geflucht.«

»Und doch war auf meiner Ehe kein Segen.« – Sie sprach mit einem tiefen Seufzer. »Ich bin nicht glücklich gewesen, und wenn mein Tod das Unrecht sühnt, das gegen Eure Tochter begangen worden ist, sterbe ich nicht ungern.«

»So kann Eure Seele in Frieden dahinfahren; ich hege nicht länger Groll gegen Euch.« – Und daß ich also mit aufrichtigem Herzen zu ihr reden konnte, dafür habe ich Gott noch oftmals gedankt.

Sie lächelte matt und küßte die Hand, welche ich ihr gereicht hatte: »Ihr wißt, daß ich ohne Mutter aufgewachsen bin, Altherrin. Wäret Ihr meine Mutter gewesen, alles wäre anders gekommen. Ach, nehmet Euch meines verlassenen Kindes an, das ich ohne seiner Mutter Liebe in der Welt zurücklassen muß.«

Da nahm ich das Kindlein aus der Wiege, küßte und segnete es und küßte auch die junge Mutter. Setzte mich darauf an ihr Bett und betete mit ihr, und obwohl wir einen verschiedenen Glauben hatten, so beteten wir doch zu demselben Gott. Ich redete auch noch allerhand Tröstliches, und je länger ich redete, je friedlicher wurde ihr Antlitz.

Als nun die Zeit kam, da ich aufbrechen mußte, führte mich Junker Hans Karl in das Vorzimmer, wo wir allein waren. Da aber stürzte er vor mir auf die Knie und erfaßte unter Schluchzen meine Hand. »Ich bin getäuscht worden. Man hatte mir gesagt, Eure Tochter sei meiner Liebe nicht wert. Erst am Tage nach meiner Hochzeit habe ich die Wahrheit erfahren. O Gott, ich habe grenzenlos gelitten. Nicht eine Stunde bin ich seit ihrem Tode froh gewesen. Ich weiß auch, daß Ihr mir nimmer vergeben könnt; aber gedenket zuweilen meiner als eines gar unglücklichen Mannes.«

Ich hob ihn auf und küßte ihn und sprach: »So wahr mir Gott zu einer sanften Sterbestunde verhelfen möge – ich habe auch Euch verziehen. Kommet allezeit, wenn Ihr traurig seid, in mein Haus; wir wollen uns miteinander trösten. Und vergeßt auch nicht, mir das Büblein mitzubringen, Junker, damit ich sehe, ob es gedeiht.«

Du kennst den Junker Hans Karl, der unbeweibt geblieben ist. Nicht wahr, Gundel? Er ist mir in großer Freundschaft zugetan, wie du weißt, und bringt mir oft den kleinen Junker Hans, der mich »Frau Pate« nennt, obwohl ich es nicht bin. Was mich aber mit diesem Manne verkettete, das wirst du erst aus dieser Schrift erfahren haben.

Seit jener Stunde an Johannas Sterbebette war auch in meine Seele ein wunderbarer Friede eingezogen. So lange ich Bitterkeit und Haß in meinem Herzen trug, war ich wie von Gott verlassen; denn wie sollte er, der die Liebe ist, in demselben Herzen mit dem Hasse wohnen? Wenn wir aber recht zu lieben wissen, sendet Gott uns auch Ruhe und Frieden, als Zeichen und Pfand seiner Liebe.


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