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XII.

Ein solcher Geschlechtertanz mag wohl ein unerfahrnes Ding wie mich aus dem gewohnten Gleise bringen. Zuerst hatte ich so viel zu erzählen, daß mir der Mund nicht stille stehen wollte. Mochte es freilich der Mutter nicht so merken lassen; aber im Geheimen sonnte ich mich an der Verehrung, die mir erwiesen worden war, und ich wiederholte mir die süßen Worte, die besser mundeten als kluge und gute Lehren. Das ist nun mal der Jugend Art; die Altersweisheit mag ihr hundertmal beweisen, daß Blumen nutzlos welken; sie wird sich doch an ihrer bunten Farbe und ihrem lieblichen Duft erfreuen, ebenso wie an holden Schmeichelworten.

Schau, was sagst du dazu, Gundel, daß ich als eine alte Frau für der Jugend Lust und Torheit eintrete? Aber jungen Leuten, die sich so gar verständig und weise gebärden, traue ich nimmer und denke, daß es irgendwo einen Haken haben müsse.

Damit soll nicht gesagt sein, daß eine Jungfer der Mutter Klugheit und Erfahrung nicht segnen sollte. Dafür will ich ein Beispiel anführen und das Beispiel bin ich selbst.

Des galanten Ritters hatte ich nicht vergessen, wie du wohl denken wirst. Doch spukte er mehr in meiner Phantasie als in meinem Herzen, Gott sei gedankt! Als er eines Tages, da ich mit der Mutter im Erker saß, die Gasse herunter geritten kam, lief ich rot an, so daß die Mutter, die ihn noch nicht sehen konnte, meinte: »Geht heut die Sonne im Morgen unter? Du bist ja wie übergossen von Abendröte, Bärbel.«

Doch als er vorüberritt, erkannte meine Mutter, welche Sonne mich rot gefärbt hatte und sprach gar ernst: »Das ist ein Gesell, vor dem ehrbare Frauen sich hüten sollten; denn trotz glatter Zunge und adliger Manieren ist der Ritter roh und sittenlos.«

Obwohl ich der Mutter nicht widersprach, habe ich ihr doch nicht wie sonst, geglaubt und es kam mir vor, als habe sie sich durch falsches Gerede täuschen lassen.

Seit diesem Tage kam der Ritter oftmals vorüber, obgleich die Schragenburg, wo er hauste, vor dem Göggingertore lag. Jedesmal aber, wenn er vorüberritt, lief ich rot an und mied der Mutter ernsten Blick.

Einmal, da die warme Frühlingssonne in die Stube schien, hing ich das Vogelbauer mit meinem Finklein vors Fenster. Da erblickte ich den Ritter, der vorüberritt; aber diesmal, da er mich allein sah, hielt er sein Rößlein zurück und grüßte höflich. Er kam näher und fragte: »Wann werden wir wieder einen Reigen tanzen, herzliebe Jungfer? Seid Ihr vielleicht auch zu Christoph Ehems Hochzeit geladen?«

Gleich schalt ich in Gedanken mit den Eltern, weil sie mich fern von allen Festen hielten. »Wir sind dazu geladen; aber mein Vater erlaubt nicht, daß ich hingehe.«

»So müßt Ihr Euch aufs Bitten legen, liebe Jungfer. Wer würde einem so schönen Munde etwas abschlagen?«

Ich schüttelte den Kopf: »Mit Bitten richte ich nimmer 'was aus.«

»Dann, bei Gott, will ich auch nicht gehn!« – Darauf: »Wie ich höre, solle zwar eine auserlesene Pracht bei dem Feste entfaltet werden; doch wenn ich mit Euch nicht tanzen darf, ist mir die Freude verleidet.«

Nun drängte er sein Pferd nahe heran und sagte heimlich: »Wißt Ihr nicht einen andern Ort, wo wir uns einmal treffen könnten?« – Und da ich, anstatt das Fenster zuzuschlagen, nur den Kopf schüttelte, sprach er dringlicher: »Ich bin zwar nur ein armer Gesell, aber alles, was ich besitze, ja selbst mein Leben, wollte ich in Eurem Dienst gern opfern.«

Auf einmal packte mich der alte Übermut. »Vielleicht ist's gut, daß ich Euch nicht auf die Probe stelle, Herr Ritter; denn wer weiß, wie Ihr sie beständet.«

»Sagt nur ein Wort, und alles, was Ihr wünscht, liegt zu Euren Füßen! Doch einen Lohn, einen süßen Lohn, herzliebe Jungfer …«

Da stockte die freche Rede, deren Sinn ich, Gott sei Dank, nicht ganz begriffen hatte. Die Mutter war an meine Seite getreten und allsogleich erhob sich zwischen mir und dem Ritter eine unsichtbare Schranke. Ich konnte kein Wort finden und er wußte nichts mehr zu sagen. Darum gab er seinem Pferd die Sporen und sprengte so toll hinunter, daß die Kinder schreiend in die Häuser flüchteten.

Ich sah die Mutter trotzig an; aber mit Worten wagte ich nicht zu rebellieren. Ei, du mein Himmel, ist's nicht ein Vergnügen, sich den Kopf verdrehen zu lassen? Und mir passierte das zum ersten Male. Da sollte ich mich wohl nicht ärgern, daß mein Liebhaber Reißaus nahm, weil meine Mutter ihn so gar ungnädig angeschaut hatte? Was mich aber am meisten verdroß, war, daß meine Mutter meines Ärgers nicht einmal achtete.

Über die Aventüre mit dem Ritter machte ich mir allerhand Gedanken, und ich saß oft, die Hände im Schoß und starrte so vor mich hin.

»Traumbärbel, woran denkst du?« – Und die Mutter lachte; heimlich mag sie sich aber wohl gesorgt haben.

Doch woran ich dachte, hatte ich nicht Lust zu beichten; denn ich dachte an den galanten Ritter und malte in meinen Gedanken gar ein wunderschönes Konterfei von ihm. Da ich ihn nicht mehr zu sehen bekam, wurde das Konterfei nur immer schöner und ich hab's auch für ganz getroffen gehalten. Doch glaube ich, daß er so wenig meinem Konterfei geglichen hat, wie der rohe Gesell, der Herrn Amberger zu seinem St. Johannis gesessen, dem Heiligen geglichen haben mag.

Wie jeder wissen wird, der Bilder mit dem Herzen malt, bleibt's nicht beim Abkonterfeien; aus dem Bild wird allmählich ein Held, und der Held verrichtet große Taten. Wenn mein Ritter keinen Lindwurm tötete, besiegte er doch der Eltern Vorurteil und führte sein Bärbel im Triumph auf die Schragenburg. O Gundel, was für eine stolze Burg hatte ich mir aus dem verfallenen Raubnest aufgebaut!

Nun magst du ermessen, wie mir zumute wurde, als eines Tages die Anne ein Kästchen von ziseliertem Eisen mit Goldbeschlägen vor mich hinstellte. Mir dünkte aus meinen Träumen würde leibhaftige Wirklichkeit.

»Ei Bärbel, hast wohl gar schon einen Liebhaber?« – Die Anne stieß mich an. »Das Kästlein hat mir ein feiner Knabe für dich gegeben. Wirst wohl wissen, welcher Wind es dir ins Haus geblasen hat.«

Ich wollte der Anne nicht merken lassen, daß mir das Herz vor Erwartung hüpfte; stellte mich darum einfältig: »Gelt, Anne, ansehen kann man das Angebinde? Da ist nichts Arges dabei?«

Die Anne antwortete nur mit Kichern und Nicken. Ich aber nahm das Schlüsselchen, das an einem roten Bande befestigt war, und schloß – und schloß mit einem Ruck fünf Schlösser auf. In dem Kästchen lag, zwischen Rosmarinzweigen gebettet, ein goldner Armring und darunter ein Gedicht; nicht säuberlich, sondern mit einer ungeübten Hand gekritzelt:

»Groß Lieb' hat mich umfangen hart
Gegen ein Jungfräulein zart,
Groß Lieb' hat mich besessen,
Der kann ich nicht vergessen.
Sie hat mein Herz verwund't,
Ohne sie wird's nicht gesund.«

Die Verslein klangen auch gar zu rührend; mir bebte nicht nur das Herz – jedes Glied am Leib erzitterte. Die Tränen traten mir in die Augen. Ich war wie verzaubert. Ja, wer mag solcher Liebeswerbung zu widerstehn? O möchte Gott jedes unschuldige Kind behüten, wie er mich behütete!

Die Mutter stand auf einmal neben mir und nahm sanft das Gedicht aus meiner Hand. Dann packte sie alles in das Kästchen und übergab es der Anne, die ganz verblüfft d'reinschaute, aber nicht wagte dawider zu reden.

»Trage das Kästlein hinaus, Anne. Der Knabe wartet noch im Flur. Ich habe ihm schon gesagt, Ritter Eglof müsse im Irrtum sein; denn des Ittenhausen Tochter wäre zu stolz, um von einem Fremden Geschenke anzunehmen.«

Die Augen wurden mir heiß; aber ich weinte nicht; ich war mehr zornig als betrübt. Ich verschloß mich in meiner Kammer und saß und brütete; aber zu denken vermochte ich nicht. Mir war's, als wäre im Kopf ein Feuer angezündet worden, so wirbelte und knisterte und brannte es im Hirn. Mein Lebtag war mir nicht so elend gewesen.

Dazu bildete ich törichtes Ding mir ein, Ritter Eglof würde solche Beleidigung nimmer dulden, und sein Zorn, nicht minder wie sein Verliebtsein würden ihn ins Haus führen. Ging draußen eine Tür, so horchte ich mit schlagendem Herzen, schob auch den Riegel schon zurück – aber niemand begehrte Einlaß.

So lange der Tag stieg, war die Hoffnung gestiegen; aber mit dem sinkenden Tag war sie auch wieder gesunken, und als ich in meinem Bette lag, schluchzte ich: »Nun ist alles Glück vorbei.«

O wie kurios war ich! Mein Schluchzen wurde so heftig, daß ich mir den Bettzipfel in den Mund stopfte, damit die Eltern mich nicht hörten. Als ich daran dachte, wie die Mutter eigenmächtig in mein Schicksal eingegriffen hatte, wurde ich immer zorniger. Ich wollte nicht länger wie ein Kind gegängelt werden; ich wollte lieben, wen ich der Liebe wert fand, und heiraten, wen ich liebte; am Ende mußte ich mein Herz doch selbst am besten kennen. Je länger ich also dachte, je mehr fühlte ich, daß ich die Mutter nicht mehr lieben könne, wie ich sie bisher geliebt hatte. Dieser Kummer war aber fast noch stärker als der Kummer um die verunglückte Liebeswerbung.

Auf einmal tat sich die Kammertüre auf. Meine Mutter trat vorsichtig ein und beschattete die Lampe, die sie trug, mit der Hand. »Bist du noch wach, Bärbel?«

Ich stellte mich schlafend; aber sie traute mir nicht. »Ich weiß, daß du nicht schläfst«, sagte sie.

Da drehte ich mich nach der Wand und antwortete nicht. Sie stellte die Lampe auf die Truhe und setzte sich auf mein Bett; dann ergriff sie meine Hand, die ich ihr widerwillig ließ, und sprach: »Gelt, Bärbel, du bist mit deiner Mutter bös'? Aber es ist besser, daß du heut' weinst, als daß du in einem Jahre Tränen vergießest, die nicht wieder versiegen. – Schau, du bist noch recht kindisch, Bärbel, und weißt nicht Bescheid, wie es in der Welt zugeht. Der Ritter ist nur ein Spielzeug für dich, und auch er spielt nur mit dir; heute mit dir und morgen mit einer andern; immer nur so lange mit einer, bis er ihrer überdrüssig ist. Die, welche sich einbildet, sie sei dem Ritter wirklich wert, ist eine Törin.

O, Bärbel, soll ich denn zusehen, wie der fremde Mann, der sich keines guten Rufes rühmen darf, mir dein Herz entwendet? Der freche Gesell braucht bloß die Hand auszustrecken und verlockt mit ein paar süßen Schmeichelworten mein Vögelein. Aber vor mir verschließest du dich trotzig, und doch gibt's in der ganzen Welt nicht einen Menschen, der dich liebt, wie ich dich liebe. Nicht einmal dein Vater, denn er hat dich nicht mit Schmerzen geboren und an seiner Brust ernährt. Darum hat's mir heut auch gar weh getan, Bärbel, daß du mir dein Vertrauen verschlossen hast; es hat mich mehr geschmerzt, als ich dir's zu sagen vermag.«

Weiter konnte die Mutter nicht reden, denn ich hatte meinen Arm um sie geschlungen und küßte und herzte sie und gab ihr alle Liebesnamen und wußte, daß ich niemand so liebte, als sie und den Vater.

Am anderen Tage tat mir der Kopf noch weh; aber das Herz war schon genesen, denn der Zauber war gebrochen. Aus dem Ritter Eglof von Schragen wurde wieder ein ganz gewöhnlicher Mensch, und wenn ich jetzt noch rot anlief, wenn ich ihm begegnete, so geschah's, weil ich mich schämte, daß ich ihm bald mein Herz zum Opfer gebracht hätte.

So hat mein Liebeskummer nur kurze Zeit gewährt, und auf dem Thron in meinem Herzen saßen wieder Vater und Mutter. Ihr Regiment war gnädig, und ihr einziger Untertan dachte nicht mehr an Empörung.


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