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XVIII.

Lorenz war abgereist. Als er das Pferd bestieg, war noch sein letztes Wort: »Hüte mir die Mutter, Bärbeli. Die alte Frau ist nicht mehr recht sicher auf den Füßen.«

Von jetzt an verfolgte die Schwieger den Grundsatz, daß eine junge Frau, so lange ihr Eheherr verreist war, geängstigt werden müsse. Kein Tag verging, an dem sie nicht von ungeheuren Gefahren erzählte, denen Lorenz nur wie durch ein Wunder entgangen war.

So viele Abenteuer er aber auch erlebt hatte, für eine so lange Reise, wie die nach Wien und Krakau, reichten sie doch nicht aus; darum berichtete die Schwieger auch von den Unglücksfällen, die sich während ihren Lebzeiten und während der Lebzeiten ihrer Eltern in der Schweiz und anderswo zugetragen hatten. Ich hätte ein Buch über Reiseabenteuer und Unglücksfälle schreiben können; aber ich erzählte ihr nicht einmal den Überfall des Hans von Rosenberg, der Lukas Lang betroffen, obgleich es das einzige Abenteuer war, von dem ich die genauen Umstände erfahren hatte.

All meine Munterkeit war mir verloren gegangen, und es kam mir vor, als habe ich das lustige Schwatzen ganz verlernt. Meine Brust war beengt, als würde sie von einem eisernen Reifen umspannt; es dünkte mich, daß die Schwieger und das Gritli den Reifen alle Tage fester spannten; aber ich wußte, daß, so ich nur einmal frischen Atem geschöpft, müsse der Reifen zerspringen.

Und so ist's auch gekommen, der Reifen zersprang.

Schau ich auf jene Zeit zurück, muß ich mich heut noch wundern, daß niemand die Gefahren erkannte, die mir drohten, daß selbst die Eltern mich arglos und ohne jede Mahnung den beiden Frauen überließen.

Der Menschen Art und ihr Bedürfen ist gar verschieden; manch einer hat sein Genügen, so es ihm nur an seiner Leibesnahrung und was dazu gehört, nicht fehlt. Mein Herz aber verlangte nach mehr. Von Kindheit an war ich durch Liebe verwöhnt worden; jetzt sah ich mich auf schmale Kost gesetzt; nun hungerte und dürstete ich nach Liebe.

Waren die andern auch blind und ich nicht sehend, so war ich doch nicht länger ahnungslos. Die Kinderträume waren verblaßt; mein Blut floß schneller durch die Adern und die Phantasie malte mit glühenden Farben. Man sollte auch bei der Jugend des Sprichworts nicht vergessen, daß erst, wenn der Most gegoren ist, es einen guten Wein gibt.

Eines Tages rief das Gritli zur Tür herein: »Im Prunkzimmer sitzt eine Frauensperson, die ist aufgeputzt gleich einem Pfingstochsen. Und sie will nicht die Frau sprechen, sondern verlangt nach der jungen Frau. Und ein widerliches Ding mit krummen Beinen, nicht größer wie ein Kind, doch mit einem alten Gesichte, ist mit ihr gekommen und wartet ihrer vor der Tür.«

Nun wußte ich, daß es Hanneke Clessin war, die schöne Flamänderin, die mir eine Visite machte. Ihr Mann, der Großkaufmann Cleß, war Lorenz befreundet. Er trieb einen sehr einträglichen Handel nach den Niederlanden. Als aber später der Aufstand dort ausbrach, machte er, wie viele Kaufleute, Bankrott, weil sie die in Frankreich und den Niederlanden ausstehenden Gelder nicht einbringen konnten.

Er hatte sich aus Flandern ein blühendes Weib mit rötlich blondem Haare geholt. Was er ihr an den Augen absehen konnte, das tat er ihr zu Liebe. Die kostbarste Kleidung war ihm für sie nicht zu teuer; auch hielt er ihr einen Zwerg, der bei jedem Ausgange ihr folgen mußte. Sie hat ihm aber diese Liebe schlecht vergolten; doch davon will ich nicht reden.

Als ich eintrat, hielt sich Hanneke an einen Tisch und rief in ihrer breiten und lauten Sprache: »O nee, o nee, was für ein unebnes Pflaster habt Ihr denn in Eurer Stube?«

Dabei versuchte sie, mit den hellfarbigen spitzen Hackenschuhen, aus denen die mit Lilien gestickten Zwickel der feinen Linnenstrümpfe hervorguckten, mir entgegen zu gehen. Denn, daß du's nur weißt, Gundel, damals trug man noch genähte Strümpfe, und das eitle Frauenzimmer sorgte sehr, daß diese glatt anschlossen und daß die Zwickel kostbar gestickt wären.

Mit Kichern und Stolpern tat Hanneke, als müßte sie den Versuch aufgeben, setzte sich auf den nächsten Stuhl und streckte mir die Hände entgegen, die von parfümierten gelben Handschuhen so fest umschlossen wurden, daß man die Ringe darunter erkannte. Der modische Anzug ließ ihr über die Maßen gut. Auch scheint mir, daß die faltenreichen Röcke kleidsamer waren, als die steife spanische Tracht, welche bald danach aufgekommen ist. Verschiedene Halsbänder von Gold und Perlen bedeckten das gestickte Leibchen; aus der schmalen Halskrause hob sich dann der schlanke Hals und unter der goldgewirkten Haarhaube drängten sich überall die rötlich blonden Löckchen hervor. Ich mußte sie anstarren wie ein schönes Bild.

»Ihr haltet Euch wohl für verpflichtet, Euren Eheherrn wie einen Gestorbenen zu betrauern, Frau Barbara? O nee, o nee, wie seht Ihr schon aus! Ihr bekommt ja ein vergrämtes, bleiches Gesichtchen. Daß mich Gott bewahre! Ihr seht wie ein betrübtes Nönnlein aus; aber Ihr sollt getröstet werden. Ich habe einem guten Freund versprochen, daß ich Euch der alten Schwiegermutter entführen wolle. Könnt Ihr raten, wer es ist? Er wartet vor dem Haus; aber ich habe ihm gesagt, Ihr würdet ihn nicht lange warten lassen. Ei, so geht doch und macht den armen Menschen glücklich!«

Ich lief zum Fenster und sah Achilles Lang auf der Gasse stehn. Obwohl ich diesen Gesellen nicht leiden konnte, blieb mir nichts übrig, wie ihn zu bitten, daß er sich heraufbemühe.

Als ich mich umwendete, stand die Schwieger in der Stube. »Jetzt wird's was geben«, dachte ich; denn es mußte sich ja gleich zeigen, daß ich ein Mannsbild ins Haus gerufen hatte.

»Grüß Gott«, sagte die Schwieger, nickte mit dem Kopf und setzte sich Hanneke steif gegenüber.

»Grüß Gott«, sagte Hanneke in demselben Tone und richtete sich gleichfalls steif.

Ich aber schaute nur immer nach der Tür. Es hat auch nicht lang gedauert, da tat sie sich auf und Achilles Lang trat ein.

Seit ich ihn im Herbrotschen Garten gesehn, war er ein andrer Mensch geworden; damit soll nicht gesagt sein, daß der gezierte und blöde Geselle zu einem Mann gereift war, den man respektieren konnte. Er trat jetzt nur frecher und selbstbewußter auf, als strebe er es den Junkern gleich zu tun; doch ließ er es dabei an Anstand fehlen. Er begrüßte mich mit überlauter Stimme und just als wäre er mein bester Freund. »Hab' ja gewußt, Frau Barbara, daß Ihr den alten Schulkameraden nicht würdet auf der Gasse stehn lassen.« – Und schüttelte mir erst die rechte und dann, als wäre es noch nicht genug, auch die linke Hand.

Ich stand wie mit Glut übergossen; dabei war mir bewußt, daß es mir oblag, den Gesellen in seine Schranken zu weisen, und ich wußte mir, da ich ihn selbst gerufen, doch nicht zu helfen. Zudem merkte ich, wie Hanneke sich hinter ihrem Fächer über uns erlustierte.

»Die Frau Tochter wird wissen, daß, wer A sagt, auch B sagen muß, und den Herrn bitten, sich zu setzen.« – Indem nun die Schwieger steif den Kopf dem Achilles zuwandte, fragte sie scharf: »Wie heißt der junge Mensch?«

»Na, das ist ja 'n teufelsmäßiger Spaß! Ich bin Achilles Lang und meine Freundschaft mit Frau Barbara ist ein gutes Stück älter als die Eure mit ihr.«

»Dann hätte die Ittenhausin ihre Tochter besser behüten sollen. Bei uns sagt man: gleiche Brüder, gleiche Kappen. Es würde aber dem Herrn Sohn nicht anstehn, sein Eheweib mit einer Narrenkappe zu sehen.«

»O nee, o nee, die Schwiegermutter hat Euch abgeführt, Herr Achilles. Wollt Ihr die Narrenkappe aufbehalten?« – Und Hanneke krümmte sich dabei vor Lachen.

»Ratet ihm nicht, die Kappe abzunehmen«, fuhr die Schwieger unbarmherzig fort. »Dann bliebe ja nur der leere Schädel unter den gepufften Wülsten, die mit Quittenkernen steif gemacht sind, und eine Fratze, die der Apotheker und nicht unser Herrgott gemalt hat.«

»O nee, o nee, haltet ein, Schwiegermutter, ich sterbe vor Lachen.« – Hanneke wiegte sich in den Hüften. »Aber könnt Ihr denn den Mund nicht auftun, Herr Achilles?«

Achilles war mit einer Antwort nicht schnell bei der Hand; aber ich wußte, daß sie grob und unglimpflich ausfallen würde; darum kam ich ihm zuvor: »Ich habe noch gar nicht gefragt, was Euch in mein Haus führte, Frau Hanneke; aber ich hoffe, daß Euer Besuch eine fröhliche Ursache hat.«

»Ich bin gekommen, Euch zu einer Landpartie aufzufordern. – Gelt, Schwiegermutter, wir müssen Frau Barbara die einsame Zeit zu vertreiben suchen, damit der Herr Sohn bei der Heimkehr ein fröhliches Weibchen findet.«

»Ja, wir wollen Frau Barbara lehren lustig zu sein«, schrie Achilles; »dafür sind wir gerade die richtigen Lehrmeister.«

Die Schwieger fuhr fort von einem zum andern zu blicken, ohne eine Miene zu verziehen. »Zusagen macht Schuld. Aber die Frau Tochter wird wohl selbst am besten wissen, daß eine ehrbare Frau sich nicht zu Lustbarkeiten verlocken läßt, derweil ihr Eheherr auf einer Reise ist, von der er – Gott mag's verhüten – vielleicht niemals wiederkehren wird.«

Hanneke und Achilles Lang waren zwar nicht nach meinem Geschmack; aber sie waren jung und ich war es auch; sie brachten frische Luft, Sonnenschein und Fröhlichkeit mit sich, und auch mir zuckte es in jeder Fingerspitze vor Lebenslust. Ich fühlte, daß, wenn ich jetzt die Banden nicht zersprengte, in die die Schwieger und das Gritli mich geschnürt, so würden sie mich mit der Zeit ersticken.

»Frau Mutter«, sagte ich, »der Lorenz würde nichts dawider haben, wäre er jetzt hier. Denn wie Ihr ja wißt, ist Jost Cleß sein guter Freund. Deshalb fürchte ich nicht ein Unrecht zu begehen, wenn ich die Einladung der Frau Hanneke annehme.«

»Man muß mit anderer Leute Sachen behutsamer umgehen als mit den eigenen, Frau Tochter.« – Die Schwieger richtete sich steif auf. »Du wirst wissen, daß es deines Mannes Ehre ist, mit der du spielst. Mehr habe ich nicht zu sagen.« – Und ohne Gruß humpelte sie zur Tür hinaus.

»O nee, o nee«, – Hanneke hüpfte auf ihren Hacken komisch umher. »Die Alte hat Euch mit Tugend gemästet, Frau Barbara. Aber wir wollen sehen, ob Euch das vergnügliche Leben nicht besser anschlägt.«

Die Verabredung wurde für den Nachmittag um zwei Uhr getroffen, und da nicht zu erwarten war, daß das Gritli mich nach dem Perlachberg geleiten würde, wo die Clessin wohnte, bot sich Achilles an, mich abzuholen.

Die Schwieger war durch mein Auftreten ganz aus dem Gleis gebracht. Sie humpelte in der Wohnstube aufgeregt umher und wischte Staub, den man mit der Brille nicht ausgespürt hätte. Beim Mittagsmahl hielt sie gar eine Predigt über die Verderbtheit der Weiber. Damit aber die Leute aus dem Geschäft nicht merken sollten, gegen wen die Predigt gerichtet war, guckte sie abwechselnd den Buchhalter und den Schreiber an. Die schauten erst nur verwundert drein; als aber die Schwieger auch gegen das gottvergessne Mannsvolk losfuhr, wobei sie nur an Achilles dachte, machten die beiden betretne Mienen, als hätten sie kein gutes Gewissen.

Der Lehrjunge blinzelte dabei immer zum Hausknecht hinüber und stopfte einen Bissen nach dem andern hinein, als getraue er sich nicht mit leerem Munde ernsthaft zu bleiben. Sie schienen alle zu glauben, die Schwieger wisse mehr, als ihnen lieb, von ihren Streichen und die Predigt solle eine Warnung sein.

Das Gritli war geradezu unerträglich. Es schluckte immer, als ob es Bosheit schluckte und warf mir gelegentlich einen furiosen Blick zu. Überall stieß es an und schimpfte hinterher, als wäre es an den leblosen Dingen, ihm aus dem Wege zu gehn. Wenn ich ihm aber etwas zurief, stellte es sich vor Wut ganz taub.

Mit einer überaus lustigen, nur etwas zu lauten Gesellschaft wanderte ich am Nachmittag nach Lechhausen, wo wir bei einem Bauer einkehrten. In seinem Grasgarten waren Tische und Bänke gerichtet. Kuchengebäck hatten sie aus der Stadt mitgebracht, und Äpfelmost lieferte der Bauer.

Die Herren überraschten uns auch mit Musik, und in der Tenne ging's bald zum Tanz. Wer nicht weiter konnte, ruhte sich mit dem Tänzer auf den aufgetürmten Strohbünden aus.

Frau Hanneke liebte nicht zu tanzen; sie war schwerfällig und hatte breite Füße, deshalb trug sie die Schuhe auch scharf zugespitzt; aber sie liebte es, den Takt zu treten und die runden Arme, welche durchsichtige Ärmel schlecht verhüllten, nach der Musik zu bewegen. Dabei spielte sie mit einem Dolche, der in einer reich mit Silberarbeit verzierten Scheide an ihrem Gürtel hing, und schwatzte mit dem bevorzugten Liebhaber. Unter den blonden Wimpern warf sie ihm Blicke zu, die einen armen Kerl wohl um seinen Verstand bringen konnten.

Obgleich sie eher träge als feurig war, wurde sie beim Pfänderspiel doch lebendig und machte das Mannsvolk sterblich verliebt, sie mochte sich nun mit einem Kuß auslösen oder das Pfand verweigern. Meist war sie zahm wie ein schnurrendes Kätzlein; aber es gab Augenblicke, wo die Natur eines Raubtieres durchblickte. Gott mag vor einem solchen Weib jeden rechtschaffenen Mann behüten!

Ich war an bessre Gesellschaft gewöhnt; aber wie ein Fisch, der auf dem Trocknen geschmachtet hat, tummelte ich mich in der Flut, ohne zu fragen, ist sie trübe oder klar. Wenn ich an diesem Tage nicht wie ein wildes Füllen über die Stränge schlug, so war es das unsichtbare Band einer guten Erziehung, das mich davor bewahrte. Die frische Herbstluft, der süße Most, das Lachen und Singen, Spiel und Tanz und die Schmeichelworte, die mir von allen Seiten zuflogen, hatten mich in einen Rausch versetzt, in dem mir selbst Achilles Lang nicht mehr so albern und unleidlich wie sonst erschien.

Es wurde noch an demselben Abend eine zweite Partie nach Oberhausen beredet. Hätte ich abgelehnt, würde man mich ausgelacht haben.

»Jetzt müßt Ihr zeigen, daß Ihr ein Recht habt, nach Eurem Belieben zu handeln«, sagte Hanneke. »Wenn Ihr Euch einschüchtern laßt, habt Ihr für alle Zeiten verspielt.«

Es fiel aber etwas vor, das mit leiser Mahnung an mein Gewissen schlug.

Um die Lustigkeit zu erhöhen, hatten die Herren einen Narren bestellt; es war Wiker Frosch. Aber er sah nicht lustig aus und ließ uns keine Späße hören. Deshalb machten sie ihn zur Zielscheibe ihres Spottes, und als sie seiner überdrüssig waren, hießen sie ihn gehn.

Er hatte sich in ein Winkelchen verkrochen und da fand ich ihn. Weil er einmal unter meinem Schutz gestanden hatte, bildete ich mir ein, daß ich noch immer ein Recht an ihn habe.

»Warum versteckst du dich und siehst so betrübt aus, Wiker? Willst du allein traurig sein in dieser lustigen Welt?«

»Madonna«, – er hatte diese Anrede von den Italienern angenommen – »ich habe etwas verloren – ein Heiligenbild, das ich sehr hoch gehalten habe. Von allen Dingen dieser Welt war mir's das liebste; aber heute hab' ich's verloren. Das macht mich traurig, Madonna.«

Die ernsten Augen, mit denen er mich ansah, taten mir in der Seele weh. Viel später aber habe ich erst begriffen, was er mir sagen wollte.

Von diesem Tage an führte ich ein andres Leben. Mit der Schwieger redete ich nur das Notwendigste; und dem Gritli, dessen üble Laune nur immer zunahm, ging ich aus dem Wege. So kam es, daß ich auch der Hausarbeit fernblieb. Dafür hielt ich mich, wenn ich nicht Gesellschaften besuchte oder Partien machte, im Prunkzimmer auf. Ich stickte Handschuh mit Perlen oder las in Büchern, welche sie mir ins Haus brachten. »Die wunderlichen Begegnisse der Meerfei Melusina«, »Die gar schöne Historie der hohen Liebe des königlichen Fürsten Florio und seiner lieben Biancaflora« waren Liebesgeschichten, die mir vollends den Verstand verwirrten.

Die Eltern merkten wohl, daß mit mir etwas vorging und zwar nichts Gutes; doch meinte der Vater, wenn mich auch die Lust am Vergnügen gleich einem heftigen Fieber gepackt habe, so sei ich doch von Haus aus so kerngesund, daß ich's ohne Nachteil überwinden würde. Ermahnungen und Predigten seien gefährlich.

Die Mutter aber konnt's nicht lassen; für sie war's hart, weil sie sich selbst die ärgsten Vorwürfe machte, und darum wollte sie nicht schweigen.

Doch ich wendete den Spieß und rief trotzig: »Warum habt ihr nicht vorgesehen, daß es so kommen würde? Ihr waret erfahren und ich war unerfahren. Ihr habt mich in ein Gefängnis gesperrt und mich von Licht und Lebenslust abgeschlossen; aber ich muß doch atmen, wenn ich nicht ersticken will. Da habe ich's Fenster eingeschlagen. Wenn niemand mir zu helfen kommt, muß ich mir schon selber helfen.«

Nun hat auch die Mutter geschwiegen. Sie kam aber danach oftmals und machte der Schwieger, die sie gar ungnädig empfing, eine Visite, und sprach von diesem und jenem; doch ihre Augen sprachen nur von schwerem Herzeleid. Wenn sie längst wieder fortgegangen war, fühlte ich noch immer den Blick; er lastete auf mir wie ein Vorwurf und wurde mir zur Qual, obgleich ich das nicht eingestanden hätte.


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