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X.

Anno 1538 starb Hieronymus Fugger, meines Vaters langjähriger Freund; doch hatte er durch diesen Tod in seiner Stellung keinen Schaden erlitten, da in dem Testament bestimmt war, daß er die Bibliothek wie die Sammlungen auch ferner verwalten sollte.

Wenige Tage zuvor hatte mein Vater noch an seinem Bett gesessen und ihm Trost zugesprochen, dessen er selbst entbehrte. Da hatte der Fugger gesagt: »An meinem Bette stehen drei große Ärzte, der Tiefenbach, der Sailer und der Behem, und sinnen jeden Tag auf eine andere Methode und auf neue Remedien. Ach, daß ich doch ein armer Mann wäre! Dann sollten sie mir das Sterben nicht so sauer machen!«

Das Begräbnis ward mit so großer Pracht gefeiert, wie sie selbst in Augsburg und bei den Fuggern unerhört gewesen sein soll. Die Eltern waren geladen, der Beisetzung der Leiche in der St. Ulrichskapelle beizuwohnen. Neben Verwandten, Freunden und Schaulustigen hatten sich auch zahllose Arme hinzugedrängt, denen Herr Hieronymus immer ein Wohltäter gewesen war, und für die er in seinem Testament noch besonders reichlich gesorgt hatte.

Da Herr Hieronymus nicht verheiratet gewesen, erbten seine Neffen, für die er auch ein Fideikommiß gestiftet hatte, den großen Reichtum. Mein Vater bekam vornehmlich mit Herrn Anton, Johannes Fuggers Sohn, zu tun, welcher ihm mit Verehrung und Liebe, gleich seinem Ohm, bis an des Vaters Ende zugetan gewesen ist.

Ich habe Herrn Hieronymus auch manche Träne nachgeweint; aber lange hat mich ein Kummer damals nicht gedrückt. Die Mutter nannte mich ihr Singvöglein; freilich sang ich nicht nach der Kunst wie ihr, denen die besten Singmeister gehalten werden; aber ich sang den Eltern zur Freude und mir zur Lust.

Daß ich die Kinderschuhe ausgetreten hatte, spürte ich an mancherlei; ich durfte die Hände nimmer in den Schoß legen. O du meine Güte, wie viel Schweißtropfen hat mir oft ein Fazilletlein gekostet, ehe es nach der Mutter Wunsch sauber gestickt war! Denn das Stillsitzen lag nicht in meiner Art. Aber ich durfte nicht aus dem Käfig hinausflattern, obwohl mich sehr danach verlangte. Auch Hochzeiten und Bankette durfte ich nicht besuchen; die Eltern lehnten alle Gastereien, die sie nicht erwidern konnten, ab.

Die strenge Zucht hat aber die Jugendlust nicht zu unterdrücken vermocht; ich hätte oft so laut jubeln und jauchzen mögen, daß es die Engel im Himmel hörten. Da aber eine ehrbare Jungfer solche Ungebühr nicht treiben durfte, hielt ich den Mund und ging an meiner Mutter Seite gar sittsam durch die Gassen.

Damals hab' ich aber gedacht: »Warte nur, Bärbel, es wird sich schon 'was ereignen, etwas gar Wunderbares!« – Und vor meiner Seele stand es wie ein goldner Traum. Mein Leben aber floß eintönig dahin, wie ein Bächlein zwischen grünen Wiesen, und für die in mir drängende Unruhe floß es viel zu langsam.

Aus dem Nachlaß seiner Mutter besaß mein Vater noch ein paar geschriebene Bücher, die er hoch in Ehren hielt. In dem einen stand die rührende Geschichte einer Königstochter, aus deren Munde, als sie aus unglücklicher Liebe gestorben war, Rosen und Lilien wuchsen. O, da hätte ich nicht sagen können, wie weich mir ums Herz vor lauter Mitleid geworden ist! In einem andern Buche waren schöne Lieder zusammengetragen, die ich so oft las, bis ich sie auswendig wußte.

Lange hat selbst die Rührung bei mir nicht angehalten. Das Lachen war mir alleweil näher wie das Weinen; es will mich bedünken, daß ihr das herzhafte Lachen so gut versteht wie Evchen und ich.

Im Klostergarten von St. Anna, der zu der Wohnung des Rektor Xistus Birk gehörte, steht heutigen Tages noch ein Birnbaum, der von unserer Lustigkeit zu erzählen vermöchte, wenn er nicht darauf vergessen hat; denn er ist mit uns alt geworden, trägt spärlich Früchte, und viele tote Äste zeigen, daß es auch mit seiner Lebenskraft zur Neige geht.

Jetzt prangen um ihn blühende Kaiserkronen, spanischer Flieder und schlanke bunte Tulpen, die zu meiner Zeit noch unbekannt in Deutschland waren. Ich möchte wohl wissen, ob's dem alten Birnbaum damals im Klostergarten aber nicht auch besser gefallen hat, als die weißen Fliederdolden süß dufteten, und die wilden Rosenhecken üppig wucherten, hinter denen Evchen und ich uns verstecken konnten.

Im Fliederbaum wohnte eine Nachtigall, die hörten wir gar zu gern singen. Manchmal aber stimmten Evchen und ich auch einen Wechselgesang an und ich sang als Nachtigall:

»Jungfrau, merk' auf mein Schall,
Ich bin ja Frau Nachtigall,
Schwing mich über's hohe Haus,
Ein wackrer Herr, der schickt mich aus,
Er schickt Euch einen schönen Gruß,
Nun hört, was ich noch sagen muß:

Er sah im Blumengarten Euch;
In Lieb' entbrannt sein Herze gleich,
Viel Glut und Ehr' hat er umsonst,
Weil ihn nichts freut, als Eure Gunst,
Nehmt diesen Ring doch von ihm an,
Daß er sich wieder freuen kann.«

Darauf antwortete nun Evchen:

»Gehöret hab' ich deinen Schall
Und daß du bist Frau Nachtigall,
Schwingst dich über ein hohes Haus,
Ein wackrer Herr der schickt dich aus,
Und schickt mir einen schönen Gruß.
Nun höre, was ich sagen muß:

Den Ring steck' ich an' Finger hier,
Und schick' die Rose ihm dafür,
Es war die Rose meiner Lust,
Ich trug sie wohl an meiner Brust,
Zwar hat sie einen Dorn, der sticht.
Doch treue Lieb' fürcht' Dornen nicht.«

Evchen besaß schon einen Verehrer; aber ich habe ihn ihr nicht beneidet. Herr Arsatius Seehofer war Lehrer an der St. Annenschule, und weil er ein gelehrtes Haus, liebte er es, lateinische Verse zu machen. Nun war es damals nicht gerade gebräuchlich, daß, außer in den Klosterschulen, Jungfern Latein lernten; dorther besaß auch meine Mutter ihre lateinische Wissenschaft, und was sie davon gelernt hatte, lernte sie wiederum Evchen und mir; es ist aber mit unserer Kenntnis nicht weit her gewesen. Von anderen Frauen kenne ich nur Juliane Peutinger, Dr. Konrads Tochter, die, als sie erst vier Jahre alt war, Kaiser Maximilian mit einer lateinischen Rede bewillkommnet hat.

Einstmals hatte Herr Arsatius ein sehr langes lateinisches Gedicht vollendet, und fragte an, ob er es uns vortragen dürfe.

Wir schauten uns betreten an; aber vor solcher Pönitenz gab es keine Rettung. So luden wir ihn höflich ein, auf der steinernen Bank unter dem Birnbaum Platz zu nehmen.

Die Bank war eingesunken und darum für die langen Beine des gelehrten Schulmeisters zu niedrig. Es war bekannt, daß er wegen seiner Beine immer in Verlegenheit geriet; wo man sie am wenigsten vermutete, traf man sie, und wenn einer stolperte, hieß es, Herrn Arsatius' Gebeine hätten ihn zu Fall gebracht.

Als er endlich der Not überhoben war und saß, begann die Not für uns; denn ehe wir den ersten lateinischen Vers kapierten, war er schon beim zehnten; so daß wir nimmer wußten, was die unterschiedlichen Gottheiten, so darin agierten, eigentlich wollten.

Husch! waren auch unsere Gedanken über alle Berge. Sobald unsere Augen sich aber trafen, wurde es gefährlich, denn einen gelehrten Herrn darf man nicht wie den Gecken, Achilles Lang, auslachen.

Ich zerbiß mit scharfen Zähnen Zweiglein, obwohl sie gar bitter schmeckten. Evchen zerschlitzte mit gesenkten Augen Birnbaumblätter, und so hielten wir uns tapfer, bis ein Maienkäfer, der um das gelehrte Haupt summte, schwerfällig in die lateinischen Verse plumpste.

Ich dachte: »Nun sind wir verloren!«

Auf einmal sprang Evchen auf und schrie: »O weh! O weh!« – Sie drückte die Hand fest an den Hals und lamentierte: »O weh! O weh!«

»Was ist Euch geschehen, Jungfer Eva?« – Und das Heftlein flog ins Gras, weil Herr Arsatius auch aufgesprungen war.

»Mich hat eine Biene gestochen!« klagte Evchen. Doch stellte sie sich nur so an. Mit der Komödie aber hatte sie uns gerettet.

Da es für eine Jungfer nicht passend gewesen wäre allein auf der Straße zu gehn, begleitete mich Herr Arsatius nach Hause und ich lud ihn ein, bei den Eltern vorzusprechen.

An diesem Abend unterhielt mein Vater uns von den Italienern, die wie keine andere Nation verstanden eine erfundene Historie glaubhaft darzustellen. Besonders rühmte er eine Geschichte: »Romeo und Giulietta«, die ein gewisser Luigi da Porto verfaßt hatte. Obzwar er im vergangenen Jahrhundert lebte, wurde er doch noch viel gelesen.

»Sehet doch zu, diese Geschichte ins Deutsche zu übertragen«, schlug ich Herrn Arsatius vor. »Denn nichts hören die Jungfern so gern als eine rührende Liebesgeschichte.«

Das riet ich ihm aber, weil Herr Arsatius durch seine langweiligen Verse sich Evchens Gunst zu verscherzen drohte.

Der Rat war gut. O mein Gott, wie so gar rührend und traurig war die Geschichte. Wir vergossen Tränen und ich war einfältig genug, mir einen Liebhaber, wie den der Julia zu wünschen.

Unterdes waren die Birnen gezeitigt, und wir bekamen Lust sie zu kosten. Evchen stieg selber auf den Baum und warf mir Birnen herunter. So saßen wir vergnügt und schmausten, sie wie ein Vogel in den Zweigen, ich auf der Bank, und an Scherz ließen wir's nicht fehlen.

Da nahte, steif und gravitätisch wie immer, Herr Arsatius.

»Daß du mich nicht verrätst!« – Und Evchen stieg höher in den Baum.

»Ich vermeinte, daß Ihr nicht allein wäret, Jungfer Barbara«, sprach Herr Arsatius würdevoll. »Denn ich vernahm lustiges Lachen und Schwatzen; dachte ich mir: sind das nicht Spatzen, müssen es Jungfern sein.«

»Freilich …« – Und ich stellte mich verlegen. »Doch, da Ihr fragt – Evchen ist vor Euch ausgerissen.« – Plumps, fiel mir eine Birne auf den Kopf.

Arsatius aber seufzte aus Herzensgrund und dünkte ihm wohl, daß seine Liebe verloren wäre, weil Evchen vor ihm fortgelaufen war.

»Doch wenn Ihr mir etwas Liebes für Evchen anvertrauen wollt …« – Plumps, fiel mir die zweite Birne auf den Kopf. Da dachte ich: »Kommst du mir so, sollst du sehn, wie dir's geht.« – Und ich redete ernsthaft. »Wollt Ihr Evchen eine Freude machen, so brecht für sie von den reifen Birnen.«

Das ließ er sich nicht zweimal sagen und mit seinen langen Beinen war er schnell zwischen den Ästen.

»Ganz oben, da hängen die besten«, rief ich ihm zu und lief lachend davon.

Evchen hat zwar immer gesagt, es sei gelogen; aber ich behaupte es noch heute – die beiden haben sich auf dem Birnbaum verlobt.


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