Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.

Einer von denen, die damals in Augsburg das größte Ansehen genossen, war Anselm Höchstetter. Aus Stadt und Land kamen die Leute, Herr wie Knecht, die Geschlechtersfrau wie die Magd, um ihren Sparpfennig bei ihm einzulegen, weil man meinte, was der Höchstetter unternehme, müsse gelingen. Auch galt er für einen frommen Christen, der mit den Fuggern zur katholischen Partei stand.

Ohm Zenk hatte meines Vaters Erbteil gleichfalls bei Höchstetter niedergelegt, und als mein Vater aus Italien zurückkehrte, ließ er es dort, denn nichts war ihm peinlicher, als Geldgeschäfte.

Vor dem Oblathertor, nach den Bleichen zu, lag des Höchstetter Sommerhaus; der Garten galt damals für den schönsten in der ganzen Stadt, fast für ein Wunderwerk.

Einmal gab er dort ein Sommerfest, zu dem wir auch geladen waren, und ich durfte, worauf ich gar stolz war, die Eltern begleiten.

Als wir über die breiten Gartenwege schritten, die nach dem Sommerhause führten, hab' ich nach rechts und links den Kopf gewendet, damit mir von der Herrlichkeit nichts entgehen sollte. Zwischen dem Grün der Blumen und Sträucher schauten weiße Götterbilder hervor, darüber der Vater die Nase rümpfte, und meinte, es seien schlechte Kopien guter Meister; das hat mich schier verdrossen, weil ich mich daran erfreuen wollte, doch sobald sie beim Vater keinen Beifall fanden, haben sie mir auch nicht mehr gefallen.

Vor dem Landhause war schon eine große und herrlich geschmückte Gesellschaft versammelt. Herr Anselm Höchstetter begrüßte die Eltern und reichte auch mir die Hand, die gar feucht und kalt war, so daß ich mich davor graute. Auch sein Gesicht hat mir nicht gefallen; mag sein, daß die gleich darauf folgenden Ereignisse den üblen Eindruck verschärft haben. Mir war aber nicht allein bange vor Herrn Anselm, die vielen Herren und Damen machten mich auch scheu, und ich hielt mich ängstlich an der Mutter Rock.

»Schaut, was ich mir für eine Schleppenträgerin aufgeladen habe«, sagte sie zur Freiin von Zinnendorf.

»Davon soll Euch meine Tochter befreien.« – Sie rief Jungfer Anna Adlerin herbei, die mit Anton Welser versprochen war. Die Tochter aus dieser Ehe war die schöne Philippine Welser, von deren Heirat mit Erzherzog Ferdinand du oft genug gehört hast, Gundel.

Jungfer Anna nahm mich gar herzlich bei der Hand, und wir schlossen uns den anderen an, die von Herrn Joseph, Herrn Anselms Sohn, geführt, nach einem Lusthaus gingen. Es lag mitten in einem Teich. An der Brücke, die darüber führte, flüsterte mir Jungfer Anna zu: »Hab' acht, Bärbel, jetzt wird's einen Spaß geben; aber wir wollen nicht naß dabei werden.« – Also hielt sie sich mit mir zurück.

Schau, da spritzte auch schon eine Nymphe, die aus dem Teich aufzutauchen schien, einen Sprühregen auf die arglosen Frauenzimmer. Sie flüchteten mit Geschrei, wobei sie mich beinahe umgerannt hätten.

Die seltenen Blumen erregten ihre Begier und sie tänzelten mit süßen Worten um Herrn Joseph, der Primel, Aurikel und Hyazinthen in einen Strauß sammelte. Weil er aber, um sich mit den Jungfern zu necken, mich damit bedachte, wurde ich eine »süße Dirne« genannt; doch mußte ich dafür meinen Reichtum mit den Jungfern teilen.

Darauf setzten sie sich um einen Marmortisch, wo sie die Blumen in Sträußlein ordneten; doch sollten sie sich derselben nicht lange freuen. Herr Joseph raunte mir zu, ich solle an einem Ringe ziehen, der unterm Tisch hinge. Ich dachte mir nichts arges, habe damit aber Unheil angerichtet. Denn alsogleich ließ sich ein Brausen hören und aus der Mitte des Tisches quoll Wasser hervor. Da waren in einem Augenblicke alle Blumen, ja auch manch Fazilletlein fortgeschwemmt. Die Jungfern aber sprangen auf die steinerne Bank, um ihre kostbaren Gewänder vor Schaden zu bewahren.

So konnte ich nachmals auch von den Höchstetterschen Wasserkünsten, die man sehr rühmte, ein Wörtlein reden.

Am andern Morgen sagte die Mutter: »Mir ist nicht wohl zumute, Kasper; denn ich habe gestern allerlei vernommen, was mir Sorge macht.«

Nun ließ mein Vater sich die gute Laune ungern verderben, deshalb spottete er: »Was für eine Unglücksmär hast du wieder ausspioniert, Teutiche?«

Da berichtete die Mutter, daß man gesagt habe, der Höchstetter wolle mit seinen großen Festen den Leuten nur Sand in die Augen streuen; denn er habe den dritten Teil seines Kapitals bei einem Unternehmen mit Quecksilber verloren.

»O Teutiche, Teutiche, wie redest du nach Weiberart! Das Unternehmen, wovon du gestern gehört hast, ist eine alte Geschichte. Der Höchstetter kaufte für 200 000 Gulden Quecksilber auf, und da man in derselben Zeit Quecksilberbergwerke in Spanien und Ungarn entdeckte, hatte er, wie man denken kann, große Verluste. Aber bedenke, liebe Teutiche, was sollte wohl der Höchstetter mit seinem Reichtum anfangen, wenn jedes Unternehmen auch Gewinn abwerfen wollte?«

Während die Eltern noch so redeten, trat Peter Koling bei uns ein. Es war der Vater Georgs, welcher jetzt als Faktor der Ullstetts in Kairo lebt, ein vorsichtiger Geschäftsmann. Weil das mein Vater wußte, wandte er sich an ihn um nähere Auskunft.

»Es ist mir nicht unbekannt, Herr Ittenhausen, daß Ihr einen großen Teil Eures Vermögens bei Anselm Höchstetter eingelegt habt«, erwiderte Koling, »darum haltet nicht für ungut, wenn ich von der Leber weg rede und Euch dringend rate – sollte es nicht schon zu spät sein, Euch zu salvieren.«

»Ich bitte Euch, wie könnt Ihr also reden, Herr Koling«, – meines Vaters Stimme klang auf einmal ganz heiser. »Ein so mächtiger Baum wird einem Schlage doch nicht erliegen?«

»Ach, werter Herr Ittenhausen, Schlag auf Schlag hat diesen Baum schon betroffen, und, obwohl er noch zu grünen scheint, ist er im Marke längst nicht mehr gesund. Es sind auch nicht allein die Verluste in dem Geschäfte, die den Reichtum untergraben haben, sondern vornehmlich die Verschwendung, welche in diesem Hause herrscht. Ihr werdet von dem Bankett gehört haben, das der älteste Sohn, Joseph, jüngst gegeben hat. Es soll eine Pracht gewesen sein, wie sie nur Königen geziemt. Und was meint Ihr wohl, was so ein Fest kostet? Man sagt fünf- bis zehntausend Gulden. Nehmt dazu, daß die Söhne und der Schwiegersohn in mancher Nacht zehn- bis dreißigtausend Gulden im Würfelspiel vergeuden. Solch ein Treiben untergräbt den Boden. Und kommen nun Nachrichten, wie sie mir der Buchhalter des Geschäfts gestern vertraute, so kann man, ohne Prophet zu sein, den Sturz verkündigen. Ein großes Schiff mit Spezereien aus Indien ist unlängst untergegangen, und nun ist die Kunde eingetroffen, daß eine ganze Warenladung von Webstoffen aus den Niederlanden von Straßenräubern überfallen und weggeführt worden sei.«

Am nächsten Tage war der Sturz Höchstetters bekannt und die Stadt geriet in Aufruhr, denn die, welche bei ihm verloren hatten, zählten nach Hunderten. Nun war sein Name zwar immer noch in aller Munde, doch wer ihn aussprach, tat's mit einer Verwünschung.

Der Bankrott – 800 000 Gulden gingen dabei verloren – galt für betrügerisch und so wurde Höchstetter nebst seinen beiden Söhnen in das Gefängnis geworfen, wo er nach fünf Jahren gestorben ist. Die Söhne aber kamen erst Anno 1544 frei.

Obwohl ich noch ein unerfahrenes Kind war, blieb in meiner Seele ein Grauen vor solch jähem Schicksalswechsel zurück.

Wir selbst wurden schwer davon betroffen.

Eine Weile versuchten die Eltern den Schlag, der auf uns gefallen war, vor mir zu verbergen; hab's aber doch gemerkt, und als die Mutter zu mir sagte: »Weine nicht, Bärbel; Gott hat's gewollt, daß wir unser schönes Haus verlassen müssen« – habe ich erwidert: »Das weiß ich schon lange, Mutti.«

Gewußt hatte ich's; aber begreifen konnte ich's doch nicht. Ich hatte meinen Vater für den ersten und vornehmsten Mann in ganz Augsburg gehalten und konnte mir nicht vorstellen, daß er arm geworden wäre; allmählich habe ich freilich gelernt, mich in die Umstände zu finden.

Meinem Vater war nichts geblieben, als das Haus am Weinmarkt. Um aber in einem so großen und vornehmen Hause zu leben, bedurfte man das Einkommen eines wohlhabenden Mannes, ohngefähr zwei- bis dreihundert Gulden. Deshalb verkaufte mein Vater sein Familienhaus und es ging in den Besitz von Jost Ehinger über, zugleich mit dem größten Teil des Hausrates; denn in dem kleinen Haus am Rotentor, wohin wir zogen, war nicht Raum genug für alles.

Am schwersten fiel meinem Vater die Trennung von seiner Bücherei und seinen Antiquitäten. Doch fand er in seiner Not treue Freunde, so daß Dinge, die er wert hielt, nicht in fremde Hände gelangt sind. Doktor Peutinger kaufte seine Münzsammlung; Hieronymus Fugger aber übernahm nicht nur Bücher und Manuskripte für hohen Preis, sondern bot meinem Vater auch eine Stelle als Bibliothekar an, so daß er in der ihm gewohnten Beschäftigung bleiben konnte. Nur saß er nicht mehr in seinem schönen Arbeitszimmer, sondern in Herrn Fuggers Hause. Da kam's der Mutter und mir manchmal recht einsam vor.

Beim Umzug durfte ich mich zum ersten Male nützlich erzeigen, und deshalb kam ich mir gar wichtig vor. Es lag mir ob, den Hausrat nach der Mutter Weisung aufstellen zu lassen; dabei wurde der Wunsch in mir lebendig, die Wohnung für die teuern Eltern gar traulich herzurichten.

Die Anne – von nun an unsere einzige Magd – machte im braunen Kachelofen ein tüchtiges Feuer; denn schon strich der Herbstwind durch die Gassen. Indes stellte ich den Abendimbiß auf, wobei ich, mit mehr Eifer, als nötig, hin und her rannte. Ich versäumte auch nicht, durch das Erkerfenster die schmale Gasse hinnunterzuschauen, und sobald die Eltern in die Haustür traten, öffnete ich die Stube, so daß es hell und warm in den dunkeln Flur strömte; ich aber blieb auf der Schwelle stehen und sang:

»Wie viel Sand in dem Meer,
Wie viel Sterne oben her,
Wie viel Tiere in der Welt,
Wie viel Heller unterm Geld,
In den Adern wie viel Blut,
In dem Feuer wie viel Glut,
Wie viel Blätter in den Wäldern,
Wie viel Gräslein in den Feldern,
In den Hecken wie viel Dörner,
Auf dem Acker wie viel Körner,
Auf den Wiesen wie viel Klee,
Wie viel Stäublein in der Höh,
In den Flüssen, wie viel Fischlein,
In dem Meere, wie viel Müschlein,
Wie viel Tropfen in der See,
Wie viel Flocken in dem Schnee,
So viel lebendig weit und breit,
So oft und viel sei Gott Dank in Ewigkeit.
Amen.

»Teutiche, wem Gott ein so liebes Kind gegeben hat, der soll Klage und Sorge begraben und sich seiner von Herzen freuen.« – Des Vaters Stimme klang beinahe feierlich, als er so redete.

Da breitete meine Mutter die Arme aus und rief unter Weinen und Lachen: »Warum bleibt mein Bärbel auf der Schwelle stehen?«

»Ach, Mutti, hier ist's gut.« – Ich fiel ihr um den Hals. »Mir hat's im großen Hause nimmer so gut gefallen. Die Anne sagt auch, daß es hier viel schöner wäre.«

In dieser Stunde erkannte ich zuerst, wie sehr ich die Eltern liebte.

Das hat sich Anno 1529 zugetragen.


 << zurück weiter >>