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Ich meine, daß ich dir nun genug des Traurigen berichtet habe, Gundel. Zuviel bittre Kost verdirbt den Geschmack, da man ein wenig davon gut verträgt. Uns gebührt auch nicht jetzt zu klagen; denn wir blicken aus einer Zeit, da die verschiednen Religionsparteien friedlich miteinander leben, auf diese Kämpfe nur zurück.
Als die Kunde eintraf, daß sich Ulm dem Kaiser übergeben habe, wurde man in Augsburg mutlos; obwohl es ja noch der Eiferer genug gab, die da meinten, unsre Stadt sei der auserwählte Hort des Glaubens.
Der stärkste Anwalt aber ist der Hunger, weil seiner Beweisführung niemand widersteht. Auch unser Leben wurde voll Entbehrung; denn alle unsre Vorräte hatte das Feuer verzehrt und Schmalhans war Küchenmeister. Glaube mir, Gundel, manchmal sind wir hungrig zu Bette gegangen; nur Susi hat den Mangel nimmer gespürt.
Am 13. Januar 1547 begaben sich Abgesandte an das kaiserliche Hoflager, das wiederum in Ulm gehalten wurde. Weil Anton Fugger in des Kaisers Gunst stand, wie man allgemein glaubte, übernahm er das schwere Amt, einen leidlich christlichen Vertrag zustande zu bringen. Als rechtskundiger Beistand war ihm Dr. Claudius Pius Peutinger beigeordnet worden.
Damals habe ich kluge und kenntnisreiche Männer sagen hören, daß des Kaisers Absichten falsch gedeutet würden, und daß er – wie sich's versteht vom katholischen Standpunkt aus – sich bestrebe, die hadernden Parteien zu vereinen. Die Ausführung dieses Vorhabens aber würde durch die Protestanten, die ihn für ihren ärgsten Feind hielten, als auch durch die Unnachgiebigkeit des Papstes vereitelt. Das edle Werk ist ihm darum nicht gelungen, und nur der ewige Richter, der in den Herzen liest, kann wissen, ob es der Kaiser mit Aufrichtigkeit erstrebte.
Unsre Stadt aber litt schwer unter der von ihm auferlegten Strafe und man sagte, sein Zorn sei so gewaltig, daß er danach trachte, die Mauern zu schleifen und die Stadt dem Erdboden gleich zu machen. »Es ist ihm schon recht, wenn wir alle an den Bettelstab kommen«, hörte ich reden, und man hat es dem Fugger nie vergeben, daß er nicht bessere Bedingungen erreichte. Ja, selbst die großen Summen, die er zur Tilgung der Kriegsschuld vorstreckte, wurden ihm mit Undank gelohnt. Diese Kränkung war ihm so bitter, daß er sich einige Jahre von Augsburg ferngehalten hat.
Auch Jakob Herbrot trat mit einem Vorschuß von zwanzigtausend Gulden ein, damit man ihm nicht nachsagen könne, er habe die Stadt zwar gegen den Kaiser aufgeregt, als sie dann aber ins Elend geriet, ihr nicht geholfen.
Als endlich die Tore geöffnet waren, fehlte es freilich nicht mehr an Lebensmitteln, aber an Geld zum Kaufen. Die Stadt lag ganz voll kaiserlicher Soldaten, die uns fast arm gegessen haben und unter der Kontribution, die uns auferlegt wurde, hat Augsburg bis zum heutigen Tage gelitten.
Ganz unerwartet aber wendete sich die Not unsres Hauses.
Von Georg Heller traf plötzlich eine frohe Botschaft ein. Es war ihm gelungen, die kostbare Warensendung durch alle Gefahren unbeschadet zu leiten; doch hatte ihn Krankheit in Wien aufgehalten und sein Bote fand die Tore Augsburgs schon gesperrt.
»Nun soll es unter Gottes Beistand wieder vorwärts gehen, Fraule«, sagte Lorenz. »Denn Geld ist im Geschäft, was Blut in den Adern ist.«
Wenn im tobenden Wirbelwind Staub, Blätter und dürre Reislein einen tollen Reigen um uns tanzen, vermögen wir nicht Weg und Steg, nicht das nächste Haus zu erblicken. Sobald aber das Wetter vorüber gezogen ist, kann man den Weg verfolgen, den es genommen hat und überschaut die Verheerungen, die es anrichtete. So kann auch ich jetzt mit klarem Auge auf die Kämpfe um das Evangelium, wie auf der Menschen Wahn und Torheit in jenen unruhvollen Zeiten zurückblicken.
Wenn ich mich eines Bildes bedienen soll, möchte ich Augsburg mit einer Herberge vergleichen, darin an jedem Tage andre Gäste hausten. Wer heute kam, trat morgen schon wieder die Wanderung an. Aber meinst du, daß diese törichten Leute daran dachten, wie kurze Zeit ihnen zu bleiben vergönnt war? Kamen sie an, vermeinten sie für alle Ewigkeit Herren des Ortes zu sein und hausten ärger als Türken und Heiden. Sobald aber ihr Regiment gestürzt wurde, zogen sie mit Jammern und Klagen wieder ab, als gingen sie für immer ins Elend; und doch hat die Herrschaft der andren, die nach ihnen einzogen, auch nur kurze Zeit gewährt.
Heute waren die Zünfte im Regiment und Jakob Herbrot ihr Bürgermeister. Sobald aber der Kaiser die Herrschaft wieder in Händen hielt, wurden die Geschlechter in den Rat gewählt; doch die Zünfte sahen sich ihrer Freiheiten beraubt. Schau, da zog aber schon Kurfürst Moritz von Sachsen heran, und allsogleich stand, was zu unterst gewesen, wieder oben, denn alle Einrichtungen wurden auf den Kopf gestellt.
Lagen die Kaiserlichen vor den Toren, hielten es die Katholiken in der Stadt mit ihnen. Doch sobald die Bundesfürsten uns belagerten, waren die Protestanten bereit zu kapitulieren.
Hatten wir evangelische Soldaten im Quartier, war das Haus voll Unruhe, Zank und Unverstand. Kamen aber die Kaiserlichen in die Stadt, zerschlugen sie wohl gar in einer Kirche den Altar, die Stühle und Türen, und warfen die Trümmer auf die Straße; ja sie scheuten sich nicht, in dem geheiligten Raume Ball zu spielen.
Jetzt wetterten die Evangelischen von den Kanzeln gegen Rom und den Antichrist; wobei sich vornehmlich Bernardino Ochino, Prediger der italienischen Gemeinde, hervortat. Zogen darauf die katholischen Priester wieder ein, so weihten sie die Domkirche von neuem, lasen Messe in ihren prunkvollen Gewändern und vergalten die Schmähungen mit Hochmut. »Pfaffen und Mönche laßt ihr hinein; aber die Religion wird hinausgeschafft«, rief Herbrot damals dem Rate zu.
In einer Augustnacht anno 1552 ist die Zierde Augsburgs, Herbrots Sommerhaus, durch kaiserliche Soldaten, die darin im Quartier lagen, geplündert und das Haus angezündet worden. Herbrot, der zu dieser Zeit Bürgermeister war, klagte voll Bitterkeit, daß der Kaiser solches geschehen ließe, damit er seinen Zorn empfinden sollte.
Es ist mir auch in der Erinnerung geblieben, was ein Domherr aus des Bischofs Gefolge, eingedenk der harten Kontribution, zu meinem Lorenz sprach, als er mit den übrigen Ratsherren auf die kaiserliche Pfalz zur Tafel geladen war. »Laßt es Euch nur gut schmecken, Herr Altherr«, sagte er, »denn Ihr habt diese Mahlzeit gar teuer bezahlt.« – Worauf Lorenz ihm antwortete: »Ei freilich, will ich sie mir schmecken lassen, hochwürdiger Herr; denn ich hoffe, obwohl wir heute bezahlen, daß wir ein andermal auf Eure Kosten tafeln.«
Anno 1548 erließ der Kaiser das Interim, das bis zur Austragung eines allgemeinen Konzils die Religionsverhältnisse regeln sollte. Da aber schlug der Eifer und Ingrimm der Protestanten in helle Flammen auf.
»Das Interim, das Interim
Das hat den Teufel hinter ihm«,
sang das Volk, und die Bürgerschaft, welche es ein verschlagenes und furchtbares Tier nannte, lehnte das Interim ab.
Allsogleich brach des Kaisers Zorn hervor. Damals habe ich mit heißen Tränen von Evchen Abschied genommen, weil auch Arsatius Seehofer, nebst anderen Schulgelehrten, die sich dagegen aufgelehnt, die Stadt verlassen mußte.
O Gundel, eine solche Zeit ist nicht erlebt worden und wird auch nicht wieder erlebt werden! Sie verkündeten damals an vielen Orten, die Welt werde untergehn und der jüngste Tag sei nicht mehr fern. Wie mich dünkte, waren aber die Tage des Gerichts schon angebrochen und der gerechte Gott schüttete seinen Zorn aus über der Menschen Tun und Treiben, nur daß sie die strafende Hand nicht zu erkennen vermochten, weil sie mit Blindheit geschlagen waren.
Nie ist soviel über Religion disputiert worden, und nie waren die Menschen weniger fromm. Nie haben sie Christum mehr im Munde geführt und nie weniger seines heiligen Gebotes geachtet: »Liebet euch untereinander.«
In solcher Zeiten Drangsal reifen aber Männer, wie ihr sie heute nicht mehr kennt, Männer, die Eifer und Zorn im Blute haben, Kraft in den Gliedern, Mut und Gottvertrauen im Herzen. So ein Mann war Jakob Herbrot, dessen ich schon oft mit großem Lobe gegen dich erwähnte.
Wie er für die Freiheiten der Zünfte und für seinen Glauben kämpfte, das ist in Büchern niedergeschrieben worden. Was er in diesem Kampfe aber gelitten hat, haben wenige erfahren. Er war ein stolzer Mann, der die Feinde toben ließ. Gleich einem Fels im Meere stand er – ein Trost den Mutlosen, ein Halt für die Wankenden. Er ließ sich selbst nicht beirren, da viele seinen Tod forderten. Aber wie eine gierige Flut sind seine Feinde auf ihn eingedrungen, bis sie den harten Felsen stürzten, und er in den Wogen versank.
Das schreibe ich mit bitterm Weh, obwohl die Jahre, die darüber hingegangen sind, die Erinnerung geschwächt haben.
Du magst ermessen, wie schwer es für ihn zu tragen war, daß sein stolzes Geschäft, nachdem er sich zurückgezogen hatte, unter seinen Söhnen zugrunde ging. Obgleich ihm König Ferdinand und der König von Polen große Summen schuldeten, ward er selbst in den Ruin hineingezogen und sein Bankerott auf nichtswürdige Weise bewerkstelligt. Ja, seine Widersacher rasteten nicht, bis sie ihm das letzte nahmen und er in der Schuldhaft zu Neuburg sein Leben endete. Weil er Calvinist war, reichte ihm der protestantische Geistliche nicht einmal das letzte Abendmahl. Kaum daß sie ihm in einem Winkel des Friedhofes ein ehrliches Grab gegönnt haben.
O Gundel, es tat mir das Herz weh, als ich auf der Gasse eines Tages ein paar trunkne Burschen singen hörte:
»Der Herbrot ist verdorben,
Sein Weib vor Leid gestorben,
Des freut sich jedermann.«
Gott mag mir die Sünde verzeihen, daß mir Fragen wieder auf die Lippen kommen, die ich schon so oft zurückgedrängt habe! Warum ist gerade dieser rechtschaffne Mann und sein ganzes Haus verderbt worden? Mußte er unterliegen, damit seine Feinde triumphierten?
Aber du verlangst es, o mein Gott, daß wir in Finsternis wandeln, und ich will darob nicht murren; denn ich weiß, daß so wir mit irdischer Klugheit göttliche Weisheit messen, unser Fuß straucheln wird.