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Das Friedeli war als Waise ins Haus gekommen und Lorenz hat's rechtschaffen lieb gehabt; es war auch zu seiner Hausfrau ausersehen; da wurde es von einem Fieber hinweggerafft. Nun meinte Lorenz, er müsse dem Friedeli treu bleiben und dürfe nie eine andere lieb gewinnen, wäre es selbst die eigne Frau; und aus dieser Ursache hat er sich von mir zurückgehalten.
Aber wie er in der Fremde war und auf einsamen Straßen zog, merkte er, daß die Liebe zu mir schon stark geworden; wie auch das Sprichwort sagt: Die Lebenden behalten Recht. Da hat er sich wunder wie sehr auf die Heimkehr gefreut, und es war ihm bitter leid, als er mich ganz verändert fand.
Nach dem Rate meines Vaters ließ er mich davon nichts merken, sondern war zu mir wie ein guter Freund; auch dem Verkehr mit Hanneke legte er nichts in den Weg; denn der Vater hatte gemeint, daß ich dessen von selbst bald überdrüssig sein würde. Es kam dem Lorenz wohl manchmal hart an; aber er hat tapfer ausgehalten.
Ich war Hannekes Gesellschaften schon längst überdrüssig; nur ließ ich nichts davon spüren, denn zu Hause blieb ich auch nicht gern. Die Schwieger und das Gritli hielten eng zusammen und zogen saure Gesichter. Es gab keinen Streit; aber es gab auch keinen Frieden, und das Leben war mir verleidet.
So um die Mitte des Monats November trat bei scharfem Frost ein Schneefall ein. Hanneke meinte, die Gelegenheit müsse man nützen und eine fröhliche Schlittenfahrt anstellen.
Seit der Obstlese hatte ich Don Pedro nicht gesehen, weil er genötigt wurde, eine Geschäftsreise zu unternehmen. Da er aber jetzt zurück war, stellte er sich ein und fragte bei Lorenz an, ob er gesonnen wäre, die Schlittenfahrt mitzumachen; was dieser seinem Plane gemäß auch bejahte.
Nun traf sich's aber, daß, als der grüne, reich mit bunten Figuren bemalte Schlitten vor der Tür hielt, ein Geschäftsfreund, van Gent aus Mecheln, hereintrat. So wurde Lorenz genötigt, mich dem Spanier allein anzuvertrauen, was er ungern tat; er hätte wohl lieber gesehen, daß ich daheim geblieben wäre, aber mir – Gott mag mir die Sünde vergeben – war es gerade recht, den Lorenz zu ärgern.
Als der lange Schlittenzug mit Schellengeläut zum Klinkertor hinausfuhr, meinte ich noch nie etwas Lustigeres erlebt zu haben. Die Pferde waren mutig und Don Pedro hielt die Zügel locker; es war gerade, als ob wir über den glitzernden Schnee dahinflögen.
Don Pedro sah mich von der Seite an: »Eure Augen, Sennora, glänzen ja vor Vergnügen.« – Als er so redete, schleuderte der Schlitten, und weil ich fürchtete, wir würden umgeworfen, klammerte ich mich an Don Pedros Arm und tat einen kleinen Schrei. Meine Angst hatte ihn belustigt; er wurde danach sehr gesprächig und sagte allerhand zierliche und höfliche Sachen, die mir gefielen; denn unterwegs zwischen beschneiten Waldbäumen, in der kalten Winterluft gefällt einem manches, davon man in der Stube nichts hören möchte.
Im Gasthof »zum eisernen Mann« in Phersen war eine reich besetzte Tafel gerichtet, an der wir uns mit rechtschaffenem Hunger niederließen.
Don Pedro war ein aufmerksamer Nachbar; er ließ mich fast nicht aus den Augen und dachte nur immer daran, mir stets das Beste vorzulegen.
Ich weiß nicht, woher es kam, daß die Lustigkeit schneller wie gewöhnlich ausartete. Von den Deutschen muß man leider sagen, daß sie im Trinken unmäßiger sind, als andere Nationen. An diesem Tage aber fiel mir's besonders auf. Sie brüllten fast anstatt zu singen und das Lachen klang laut und widerlich. Der Spanier allein wurde nicht laut; doch seine Stimme bekam einen heisern Klang und seine Augen glühten. Ich dachte, daß, wäre van Gent an einem andern Tage gekommen, ich nicht genötigt sein würde, allein mit Don Pedro nach Haus zu fahren; mir bangte vor dem Heimweg.
»Sennora geruht von diesem kleinen Bisamkonfekt zu kosten.« – Don Pedro legte mir die Leckereien, die er sorgfältig auswählte, auf den Teller.
»Wenn einer nicht Zeit hat für sein Weib, sucht sie sich andern Zeitvertreib«, rief da Hanneke und lachte laut. Ich schaute zu ihr hinüber und lachte auch. Lachen steckt an wie man sagt. Mir ward dabei heiß und in den Schläfen fing's zu pochen an.
»Sennora«, der Spanier sprach leise und neigte sich tiefer zu mir, »tausend Worte wünschte ich Euch zu sagen, aber meine Zunge ist wie gelähmt. Ich bin nicht feige; Euch gegenüber aber zittre ich wie ein Knabe. Antwortet mir, ob daran die große Liebe schuld ist, die ich für Euch im Herzen trage?« – Dabei legte er seine Hand wie eine Fessel um mein Armgelenk. Und ich, Gundel – ich stieß ihn nicht zurück! Seine Stimme hörte sich wie Musik an – und trotz dem Lärm, der ringsum tobte, kam es mir vor, als sei ich mit ihm allein.
O Gundel, ist es nicht wie eine Buße, daß, weil ich gelobte, von der Wahrheit nicht um Fingersbreite abzuweichen, ich solche Reden wiederholen muß?
Auf den erhöhten Sitzen rings an den Wänden nahmen die Frauenzimmer nach dem Mahle Platz. Don Pedro setzte sich zu meinen Füßen und stimmte seine Mandoline. Dann überreichte er mir in zierlicher Abschrift ein spanisches Lied, das er selbst ins Deutsche übertragen hatte, und bat mich es vorsingen zu dürfen. Sogleich bildete sich ein Kreis um ihn, weil man Don Pedro gerne singen hörte. Er blickte zu mir auf und sang:
»Schläfst du, liebes Mädchen?
Öffne deine Tür!
Kommen ist die Stunde.
Willst du geh'n mit mir?
Hast du keine Schuhe
An den Füßchen schön,
Laß sie, manche Wasser
Hast du durch zu geh'n.
Tief sind, tief die Wasser
Des Guadalquivir:
Kommen ist die Stunde,
Komm, o komm mit mir!«
Da begannen die Pfeifer und Zinkenisten zum Tanz aufzuspielen und Don Pedro brach mitten im Gesange ab, weil die Töne schlecht zueinander paßten.
Wir trauten unsern Augen kaum als wir Hanneke sich mit Achilles drehen sahen. Sie tanzte schwerfällig und er stand nicht mehr sicher auf den Füßen.
»Das ist ein deutscher Bärentanz«, rief Don Pedro und lachte. Diese Worte wurden von den Umstehenden vernommen und ihm zum Nachteil ausgelegt. Denn als die beiden bei uns vorübertanzten, fielen sie hin.
Als Hanneke sich erhoben hatte, beschuldigte sie Don Pedro, daß sie über seinen Fuß gefallen sei. Achilles, der kaum wußte, wie ihm geschehen, stand ihr mit unglimpflichen Reden bei, und auch die andern schrien und nahmen gegen den Spanier Partei. Es wäre vergeblich gewesen, die Sache richtig zu stellen. Don Pedro hat es auch nicht versucht; er schlug die Arme übereinander und sah sich fast verächtlich um.
Hatte der Wein ihnen schon die Köpfe heiß gemacht, durch den Streit erhitzten sie sich noch mehr. Es sah fast aus, als wollten sie tätlich gegeneinander losgehn und die Frauenzimmer flüchteten scheu in eine Ecke. Nur Hanneke blieb vor Don Pedro stehn, bleich und mit funkelnden Augen.
Gott mag dich bewahren, Gundel, daß du jemals zwischen rohe, trunkene Männer gerätst! Ich bin vor Angst schier vergangen.
»O Gott! o Gott! Wie konnte Lorenz mich allein unter dem Mannsvolk lassen!« – An meine eigne Schuld aber dachte ich nicht.
Auf einmal sah ich, was kein andrer sah, – Hanneke drückte dem Achilles den Dolch, den sie am Gürtel trug, in die Hand. Da begriff ich, daß es sich um Tod und Leben handele, und achtete nicht länger der lärmenden Gesellen. Hastig bahnte ich mir den Weg zwischen ihnen und hing mich dem Achilles an den Arm. »Steht mir bei, sonst gibt's ein Unglück!« schrie ich angstvoll.
»Sie fürchtet für ihren schwarzen Liebsten«, höhnte Hanneke.
Ich rang wie eine Wahnsinnige mit Achilles, aber er schleuderte mich doch beiseite – und für eine Weile wußte ich nicht, was um mich vorging. Als ich wieder aufsah, war der Boden mit Blut befleckt. Achilles trugen sie für tot hinaus und der Spanier war nicht mehr zu sehn.
Von da an kann ich mich auf nichts mehr deutlich erinnern. Ich weiß nicht, wie ich das Haus verlassen habe, noch wie ich zu meinen Eltern gekommen bin.
Die Mutter hat mir später erzählt, ich sei plötzlich ins Zimmer getreten, bleich wie der Tod und in Schnee gehüllt, wie ein Leichenhemd. Ich hätte nach Worten gerungen; aber die Sprache habe mir versagt und voll unaussprechlicher Angst hätte ich um mich geblickt.
Der Vater trug mich in mein Bett, das noch wie ehemals in meiner Mädchenkammer stand. Kurze Zeit danach brach das Fieber aus und die ganze Nacht rief ich nach dem Lorenz; und doch saß er an meinem Bette; aber ich habe ihn nicht erkannt.
In der Stube rang der Vater die Hände und weinte wie ein Kind. »Ich bin mit meiner Weisheit zu schanden geworden. Ich trage Schuld am Tode meines Bärbels!«
»Bewahre mich Gott vor einer zweiten solchen Nacht«, setzte die Mutter hinzu.
Das Fieber war zwar heftig; doch währte es nicht lange. Kaum war eine Woche um, durfte ich wieder aufstehn. Ich fand nicht den Mut, nach Achilles zu fragen; die Mutter fing von selber an; er lag zwar schwer darnieder, doch nicht hoffnungslos. Don Pedro war entflohn.
Das nahm mir eine Last von der Seele, und doch blieb ich traurig; ich hätte weinen, immer nur weinen können. Vor dem Denken hatte ich Furcht und mochte nicht hören, was die Leute von dem Vorfall redeten.
Als es schon fast dunkel war, kam mein Lorenz und hatte große Freude, mich wohlauf zu finden. Ich gab nicht zu daß die Mutter Licht anzündete, weil ich mich schämte den Lorenz anzusehn. Er blieb auch nur kurze Zeit und mir schien, als habe er und die Mutter etwas Heimliches.
Da er fort war, dachte ich an ihn und wünschte ihn zurück; und solche Gedanken taten mir wohl. Es dünkte mir, ich hätte ihn schon lange lieb gehabt und am meisten, da ich ihn am ärgsten quälte. Wie wunderlich sind doch die Menschen, Gundel!
In dieser Nacht schlief ich ganz sanft und als ich am andern Morgen erwachte, setzte ich mich mit einem Rucke im Bette auf. Ich wußte auf einmal etwas, das ich nur unbestimmt geahnt hatte. Sage ich, daß es mir war, als sei die Sonne aufgegangen, so ist das nur ein schlechtes Bild, Gundel. Wie du weißt, können nur die Poeten aussprechen, was sie empfinden; unsereiner hat dazu nicht den Verstand. Habe auch nicht den Mut gehabt, es der Mutter zu erzählen; aber sie las in meinem Gesicht wie in einem Buche. »Gott will dir eine unendliche Gnade erweisen, Bärbel«, sprach sie herzlich.
Da schluchzte ich geradeaus: »Ich verdiene keine Gnade! Ich bin nicht gut gewesen. Ach Mutter, ich habe Strafe verdient!«
»Nun, so trachte von jetzt an gut zu werden.« – Und sie tröstete mich mit viel Worten. Zuletzt, weil ich niemandem mehr wie der Mutter vertraute, wurde ich wieder wohlgemut und rief: »Heute will ich nach Hause gehn, Mutti!«
Da machte die Mutter aber ein gar ernstes Gesicht. »Du findest nicht alles wie du's verlassen hast. Die Schwiegermutter hat sich um dich zu sehr gesorgt – kann auch sein, daß es schon in ihr gelegen hat – und da ist sie vom Schlage getroffen worden. – Nun, schaue nur nicht gar so erschreckt aus, Bärbel; es geht schon besser. Mußt die alte Frau halt brav pflegen.«
Mir war nicht leicht ums Herz, als ich heimkehrte, und das Gritli machte mir's auch nicht leichter. Ich wollte ihm die Hand geben, da stellte sich's, als müsse es sein Schürzenband zunesteln.
Die Schwieger hatte sich sehr verändert. Ich kniete an ihrem Bett nieder und sie streichelte mein Haar; sie sprach, aber mit einer fremden Stimme: »Lorenz wird sich freuen – wird sich sehr freuen.«
Als ich mich in der Stube mehr umschaute, merkte ich gleich, daß das Gritli vom Pflegen nichts verstand. Dazu aber gab mir der liebe Gott Geschick, und wozu man's Geschick hat, dazu hat man auch Lust.
Ich machte der Schwieger ein besseres Lager zurecht und ließ frische Luft herein; kochte ihr auch eine kräftige Suppe.
Als ich ihr die Suppe eingab, denn sie konnte die Arme noch nicht heben, kam jemand zur Tür herein. Ich meinte, es sei das Gritli und guckte mich nicht um.
Da rief Lorenz in demselben Tone wie an dem Abend, wo er von der Reise zurückgekehrt war: »Bärbeli.«
Ich stand wie verzaubert und vermochte nicht, mich umzuwenden. Er aber kam näher, umfaßte mich und fragte leise: »Hast du mir nichts anzuvertrauen, Fraule?«
Da hing ich an seinem Halse und schluchzte laut.
»Bärbeli«, rief die Schwieger ärgerlich, »suche mir das Fazilletlein; weißt du nicht, daß ich mir die Augen nicht selber trocknen kann?«