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XXII.

Es gibt törichte Leute, die da reden wie der Messerschmied Joseph Karg: »Geht mich's denn an, mit wem's die Ulmer halten und was in Heidelberg gepredigt wird? Was habe ich nach meines Nachbars Glauben zu fragen?«

Zu seiner Zeit hat's Joseph Karg noch erfahren, daß er sein Haus von der Welt Not und Streit nicht wie vor Wanzen und Mäusen verschließen könne. Aber solche Leute bilden sich ein, wenn sie sich die Ohren verstopfen, um nicht zu hören, würde auch keine Musik gemacht.

Anno 1541 hatten die Türken im fernen Ungarlande, von dem wir nicht einmal die Sprache verstehn, einen großen Sieg über die Christen erfochten. Sogleich wurden in Augsburg alle Lustbarkeiten verboten, woraus man sehen kann, daß die Menschen, mögen sie nahe beieinander oder weit voneinander wohnen, wie mit einem unsichtbaren Bande verbunden sind.

Auch mein Lorenz machte sich auf, um die ausstehenden Gelder einzukassieren, da er fürchtete, die in Prag und Wien möchten des Krieges wegen die Zahlung weigern.

Weil er nun lange auswärts war, habe ich viel Angst um meinen Liebsten ausgestanden; darum kann ich behaupten, daß ich den Türkensieg in meinem Herzen verspürte. Da habe ich mir gedacht, eine Frau solle sich auch um der Welt Lauf und nicht nur um ihre Küche kümmern. Seit dieser Zeit achtete ich mehr wie früher auf die Rede kluger Männer, wie Jacob Herbrot, der, weil er dem Lorenz in Freundschaft zugetan war, damals gar oft in unser Haus gekommen ist.

Beizeiten hatte er die Bürger ermahnt, sich der Bundesgenossen zu versichern und die Rüstungen nicht zu versäumen, weil der Kaiser trachte, die Stadt vom Evangelium loszureißen. Er fand nur bei wenigen Gehör; doch trotz des Widerstandes ließ er sich nicht abhalten, zu tun, was er für notwendig hielt.

In einer Handelsstadt sind die Leute nicht kriegslustig, weil jeder Krieg für sie ein schweres Übel ist. Das wußte ich in unserm kleinen Hause ebensogut wie die Welser in ihrem fürstlichen Palast. Sie hatten dem Kaiser große Summen zu seinen Rüstungen vorgestreckt. Als aber Christoph Peutinger, Konrads Sohn, am Hoflager in Ulm um Rückzahlung derselben anhielt, wurde er übel aufgenommen. Auch des Kaisers Schwester, die Statthalterin der Niederlande, weigerte sich, ihre Schulden zu bezahlen.

Als später die offene Feindschaft zwischen den Augsburgern und dem Kaiser ausbrach, lag den Welsern natürlich daran, nicht zu den Bürgern, die dem Kaiser feindlich wären, gezählt zu werden; weshalb Bartholmä Welser vom Rat begehrte, sich samt seinen Gesellschaftern drei Jahre außerhalb der Stadt aufhalten zu dürfen und sich nach der Schweiz begab.

Die Zeit war für die Welser hart. Weil sie dem Kaiser anhingen, wollte sie auch der König von Frankreich ausweisen, und nur gegen ein Darlehn von zwölftausend Talern konnten sie sich in Lyon, wo sie Hauptfaktoreien besaßen, aufhalten.

Den Fuggern ging's mit ihren gekrönten Schuldnern nicht besser. Es sah fast aus, als sollte ihnen die Ehre genügen, den hohen Herren in der Not beigestanden zu haben.

Unser Geschäft war weitaus geringer, aber unsere Sorgen konnten wir mit den ihren messen; denn eine bedeutende Ladung feiner Wollstoffe aus Mecheln und Leyden war nach Österreich unterwegs.

Ich riet dem Lorenz ab, sie nach Wien zu senden, da ich soviel vom Kriege hörte; Lorenz aber meinte, Gedanken reiften schnell, doch Taten langsam, so daß geraume Zeit vergehen könne, bis die Heere zusammengezogen und Schlachten geschlagen würden.

Es wäre ihm auch hart angekommen, auf ein Unternehmen zu verzichten, von dem er sich einen großen Gewinn versprach; denn oftmals sagte er: »In einem Laden stehn und Heringe verkaufen oder für ein paar Schilling Band und Barchent abmessen, das bringt auch ein Einfaltspinsel wie Achilles Lang zustande. Aber einen richtigen Geschäftsmann, Fraule, kannst du daran erkennen, daß er ein Vermögen aufs Spiel setzt, um ein Vermögen zu gewinnen.«

Daraus magst du sehen, Gundel, wie Mann und Frau sich unterscheiden. Ich war nicht ehrgeizig, habe mir auch nie größeren Reichtum gewünscht; ich dankte Gott für alles Gute, was er mir gegeben hatte, und bat ihn, daß er mir's erhalten möchte.

Diesmal aber hatte sich Lorenz doch verrechnet und das Unheil lief schneller als mit tausend Füßen.

Noch heute sehe ich, wie er ganz verstört vom Rathaus heimkehrte, wo er im großen Rate Sitz und Stimme hatte. Er brachte eine böse Nachricht. Die Stadt hatte ihren Feldhauptmann Sebastian Schertlin, der abgesendet war, um die italienischen Straßen zu sperren, zurückberufen. Man machte sich auf einen Überfall des Kaisers gefaßt. Waren aber die Pässe offen, so konnten die Florentiner, Spanier und die päpstlichen Fußgänger ungehindert nach Bayern hereinkommen und, wie es nachmals auch geschah, zu dem kaiserlichen Heere in Landshut stoßen.

Von nun an stand die Gefahr Tag und Nacht vor unsern Augen.

Georg Heller – dein Großvater, Gundel –, welcher den Transport unserer Waren leitete, war zwar ein besonnener und mutiger Mann, welchem Lorenz vertraute. Durch die Rückberufung Schertlins konnte Heller aber doch in eine Lage geraten, daraus es keine Rettung gab. Entging er den Kaiserlichen, so war vorauszusehen, daß er dem Bundesheere in die Hände fiel, welches vom Norden herbeigezogen kam. Gelang es ihm trotzdem auf wunderbare Weise durchzuschlüpfen, so drohte ihm in Regensburg die größte Gefahr; denn dort, wo die Waren eingeschifft und auf der Donau nach Wien transportiert werden sollten, hatte der Kaiser ein Lager aufgeschlagen. Kam's aber darauf an, Beute zu machen, so fragte weder Katholik noch Protestant nach den himmlischen, sondern nur nach den irdischen Gütern.

Da habe ich nächtlicher Weile manchmal vor meinen Augen ein Bild von Plünderung und Mord gesehen und durfte mir das Herz nicht einmal durch Stöhnen erleichtern, damit ich Lorenz nicht weckte; denn ihm war der gute Schlaf noch nicht abhanden gekommen. Das sanfte Atmen der lieben Kinder tat mir dann wohl. Ich sagte mir: »Ach, wie groß ist mein Glück! Vermag der Reichtum es noch zu vergrößern?« – Und nachdem ich für Georg Heller und die Knechte gebetet hatte, schlief ich beruhigt wieder ein.

Eines Tages hörte ich meine Susi arg schreien, und sah einen geharnischten Mann, vor dem sie flüchtete. Es wollte mir selbst bald Angst werden; da erkannte ich aber meinen Lorenz. Er hatte seine Rüstung, darauf die Schweizer große Stücke halten, anprobiert, nach dem Befehl des Rates, ein jeder solle sich mit Rüstung und Gewehr versehen.

Die Kriegszeichen mehrten sich. Zu den Toren zogen die Landsknechte herein, die von auswärtigen Diensten heimberufen waren. Tag und Nacht hörte man in den Waffenschmieden hämmern und aus den offnen Werkstätten, wo Schmied und Gesellen rüstig schafften, leuchtete der helle Feuerschein.

Indes von großen Unternehmungen hörte man nichts, obwohl der Krieg im Juli schon eröffnet worden war. Die Heere zogen hin und zogen her. Doch tadelte man die Bundesfürsten, weil sie keinem Plane zu folgen schienen. Von Schertlin aber war bis dahin ebensowenig eine Nachricht eingelaufen, wie von unsern Waren.

Im Monat September fing man an, sich ernsthafter auf eine Belagerung vorzubereiten. Ach, Gundel, wie so ganz anders sah's in unserer lieben Stadt damals aus!

Es war kein Vergnügen spazieren zu gehn, denn durch Staub und Schutt, zwischen Karren und fluchenden Landsknechten mußte man hindurch, um über Balken und Steine zu klettern. Rings um die Stadt wurden die Wälle und Mauern ausgebessert.

Vor den Toren verlor ich gar allen Mut. Da lagen die schönen alten Bäume wie erschlagene Recken. Das Obst wurde in den Gärten halbreif abgepflückt, und vor den Landhäusern luden sie den Hausrat auf, weil die der Stadt zunächst gelegenen Häuser dem Erdboden gleich gemacht werden sollten. Überall konnte man die armen Menschen klagen hören und wo man sonst fröhliche Kinder gesehen hatte, war's öde und verlassen. Da vergaß ich fast aus Angst vor dem Kommenden mich an unserm Glücke noch zu erfreun.

»Sorge reichlich für Vorräte, Fraule«, ermahnte Lorenz. »Wir dürfen der Armen nicht vergessen, die mit geringen Mitteln ihre Kammern nicht für lange Zeit füllen können.« – Mir war's gerade recht, daß ich tüchtig schaffen mußte; denn Arbeit ist alleweil ein Trost.

Brot und Wein durfte von jetzt an auch nicht mehr aus der Stadt geführt werden, sowie nur denjenigen Landleuten der Einzug gestattet wurde, die mit Proviant versehen waren.

Beinahe hätte der Profoß den Pastor von Odelzhausen, David Wiselius, nicht durchs Tor gelassen. Er war mit seinem Weibe, bar und bloß wie er ging, den Spaniern entflohn. Lorenz nahm sich ihrer an und führte die Ärmsten in sein Haus. Sie hatten überaus viel Ungemach ausgestanden, davon die Frau uns berichtete.

David Wiselius war ein überaus kleines schwächliches Männchen: doch hatte es ihm gefallen, eine große, starke Frau zu ehelichen. Der Pastor besaß freilich nicht mehr Mut wie ein Hase; aber die Pastorin trachtete danach, ihn als einen waghalsigen Gesellen hinzustellen. Ob sie an seine Tapferkeit ebenso fest glaubte, wie das zaghafte Männlein selbst, weiß ich nicht. Er aber schien seinen Mut für ein schweres Übel zu halten.

»Wir wollen euch nicht belästigen, indem wir erzählen, wie es die Bundestruppen bei uns trieben«, berichtete die Frau mit ihrer lauten Stimme. »Soldat bleibt Soldat und so ihr dem Luthrischen das Maul nicht stopft, wird er fluchen und drohen wie ein Kaiserlicher. Sie hatten uns just ratzekahl gefressen und waren wieder abgezogen. Da ruft mir eines Tages der Hirtenbube zu: ›Frau Pastern, die Spanier kommen! Frau Pastern, sie sind schon bei der Mühle!‹ – Und sehet, da ging die Not von neuem an und ärger als zuvor.«

»Ich packte ihm die Taschen voll theologischer Streitschriften, ohne die er nicht bestehen kann«, fuhr die Frau fort, »und sagte: ›Wenn du dich nur hinter den Hecken fortschleichst, so kommst du wohl noch unbehindert zu dem Pastor in Roßbach.‹ – Aber daran mögt ihr sein Wesen erkennen – der unvorsichtige Mann gehet die Heerstraße entlang …«

»Sintemalen die Hecken dicht verwachsen waren, also daß ich kein Löchlein fand um durchzuschlüpfen«, entschuldigte der Pastor seine Kühnheit.

»Ich sage, er wandelt die Straße wie ein Hochzeitbitter, so daß ihn die Spanier sehen und rufen: ›Wohin, guter Freund? Und womit hast du deine Taschen vollgepackt? Lasse uns doch einmal visitieren.‹ Worauf mein David, weil er die kostbaren Traktätlein salvieren wollte, davonlief; denn an seinem eigenen Leben war ihm nichts gelegen. Ihr mögt ermessen, daß er nicht weit gekommen ist, als sie ihn schon festhielten. Da sie aber in seinen Taschen nur alte Schmöker entdeckten, warfen sie sie ihm um den Kopf und ritten fluchend davon.«

Die Frau aber fuhr eifrig fort: »Schauet, also ist der Mann beschaffen! Weil sie sein teuerstes Gut verunziert und in den Staub geworfen hatten, kehrte er um und als die Spanier an dem verschlossenen Tore pochten, schlich er zur Hintertür ins Haus herein. Im oberen Stock befindet sich ein Stüblein und darüber ein Taubenschlag. Da hinein versteckte ich meinen Mann und verbarg die Leiter an einem sichern Orte. Aber sehet, was geschieht, wenn ein Mann ohne Vorsicht ist! Da er meine Stimme hört, wie ich mit dem rohen Volk verhandle, schiebt David das Brett beiseite und steckt den Kopf hindurch. Für einen Taubenkopf haben die Spanier seinen kahlen Schädel nicht gehalten. Also holten sie ihn herunter, raubten ihm sein letztes Goldstück und ängstigten ihn dermaßen, daß er fast seinen Geist aufgegeben hat.«

»Die Spanier sind im Bunde mit dem Teufel«, stöhnte der Pastor.

»Ja«, sprach die Frau, »das sind sie, und darum mußten wir nach Augsburg; sonst gab es für dich keine Rettung. Beim Pastor in Roßbach wollten wir übernachten; doch als wir uns um den Tisch setzten und saure Milch mit Schwarzbrot zum Abendimbiß verzehrten, ritt mit Trompetenschall abermals eine spanische Reiterschar ins Dorf. Da blieb keiner sitzen – alle hinaus und sich versteckt. Weil ich aber meinen Pastor kenne, sage ich: ›David, halte dich zu mir, sonst läufst du den Spaniern in die Hände.‹ – Leider war's schon dunkel, so daß er mir abhanden kam. Ich suchte emsig nach ihm; aber aus jedem Unterschlupf winkte mir eins zu, ich solle es nicht verraten. So kam ich endlich in die Kirche, wo aus dem alten Beichtstuhl der Pastor und die Pastorin mich fortwinkten. Also kehrte ich um, und da ich wußte, mein David habe sicherlich den ungelegensten Ort ausgewählt, rief ich ins Beinhaus: »David! Bist du hier, David?« – Doch beliebte es ihm, mich für einen Geist zu halten, also daß er keine Antwort gab.

Vom Dorfe her hörte man schon das Geschrei der Männer und Weiber wie das Brüllen des Viehs. Ich aber achtete dessen nicht und lief hinein, um meinen Eheherrn zu suchen. ›Hierher, Frau, hierher‹, rief ein Spanier und wollte mich greifen. Da blieb mir nichts übrig, ich mußte mich selber retten und flüchtete wieder ins Beinhaus zurück. Dort fand ich – Gott sei gedankt – den armen Mann, zwar voll Zorn, doch mit schlotternden Knien.«

Worauf mein Vater versetzte: »Ich sah längst voraus, was kommen würde, und sorge, daß ganz Deutschland um des Glaubens willen in unheilbares Elend verwickelt werden wird. Auf keiner Seite herrscht Duldsamkeit; selbst eine ehrliche Überzeugung wird nimmermehr respektiert. Glaubt mir, Herr Pastor, es gibt auch unter den Evangelischen genug Prediger, die das Volk zum Aufruhr entzünden.«

»Aber haben uns die Papisten nicht mit Gleißnerei und Listigkeit betrogen? Meint Ihr, daß man der Pfaffen Schalkheit und der Mönche Büberei mit Subtilität angreifen solle?«

»Darin habt Ihr recht. Auch mich hatte der verderbte Zustand der Kirche abgestoßen und als ich sah, daß die neue Lehre, zumal unter den Gelehrten, viele Anhänger fand, bin ich gut luth'risch gewesen; denn ich hegte die Hoffnung, alles solle bald besser werden.«

»Ihr werdet nicht wollen anjetzo Rom und seinen schändlichen Lehren das Wort reden, Herr Ittenhausen?«

»Da sei Gott vor, Herr Pastor. Aber trotzdem begann – schon seit einigen Jahren – mir mancherlei in der evangelischen Kirche zu mißfallen, besonders, was die Sitten betrifft. Ich brauche Euch, um meine Behauptung zu unterstützen, nur die Worte des großen Reformators anzuführen, der oftmals bitterlich darüber geklagt hat.« – Worauf mein Vater ein Buch aufschlug und las: »Denn alsbald, da unser Evangelium anging und sich hören ließ, folgte der gräuliche Aufruhr; es erhuben sich in der Kirche Spaltung und Sekten, es ward Ehrbarkeit, Disziplin und Zucht zerrüttet, und jedermann wollte vogelfrei sein und tun, was ihm gelüstet, nach allem seinen Mutwillen und Gefallen, als wären alle Gesetze, Rechte und Ordnung gar aufgehoben, wie es denn leider allzuwahr ist. Denn der Mutwille in allen Ständen, mit allerlei Laster, Sünden und Schanden, ist jetzt viel größer denn zuvor, da die Leute und sonderlich auch der Pöbel, doch etlichermaßen in Furcht und im Zaum gehalten wurden, welches nun wie ein zaumloses Pferd lebt und tut alles, was es nur gelüstet, ohne alle Scheu.«

Da stand David Wiselius auf und mit heftiger Gebärde auf meinen Vater losgehend, rief er: »Lasset mich aber weiter lesen, Herr Ittenhausen; es folget der Rede die Gegenrede.«

Er nahm meinem Vater das Buch aus der Hand, und es hörte sich an wie eine Predigt als er las: »Allen diesen Unrat und Plage geben unsre Widersacher unserer Lehre und dem lieben Evangelium schuld. Aber halt mit deinem Urteil ein wenig inne – und siehe, ob das eine gute Konsequenz und Folge sei, wenn ich also sage: Dieser Theologus ist böse, drum ist die Theologie böse; der Jurist ist ein Schalk und Bube, darum ist die Juristerei und die Rechte wissen böse und eitel Büberei. Würde man nicht sagen, daß ein solcher (der solche Konsequenz und Folge verteidigte, als wäre sie recht gut und schlüssig) unsinnig wäre? Und dennoch folgern die Widersacher nichts Bessres.«

Seit ich in meiner Kindheit gesehen, daß von dem geistlichen Disputieren zwar Streit und Unlust, niemals aber Erkenntnis und Klarheit gekommen ist, hatte ich einen großen Widerwillen dagegen gefaßt und gedachte der Unterhaltung schnell ein Ende zu machen; also rief ich lustig: »Reizet nicht eure Galle, ihr Herren; denn es wartet eurer ein gutes Mahl, das euch sonst übel bekommen möchte.«

Nachdem der gute Pastor mit seinem braven Weibe ein paar Tage bei uns gehaust, versorgten wir ihn mit Reisegeld und da sich Gelegenheit fand, machten sie sich nach Blaubeuren auf, wo sie Verwandtschaft besaßen.

Der Oktober war schon herangekommen, und weder von Georg Heller noch von Schertlin – nichts für ungut, daß ich die beiden nebeneinander stelle – war Nachricht eingelaufen.

Aber eines Morgens rief mir die Frau des Messerschmieds Karg von gegenüber zu: »Schertlin ist in der Stadt.« – So rief es einer dem andern zu; denn es machte uns Mut und jeder freute sich zu hören: »Schertlin ist in der Stadt.«

Nun merkte man gar bald, daß eine Soldatenhand das Regiment führte. Jede Stunde gemahnte an den Krieg. Bald tönte Trommel und Pfeife und die Landsknechte marschierten vorüber. Bald erklang die Schelle des Ausrufers und der Rat ließ bekannt machen, niemand dürfe ohne Erlaubnis des Bürgermeisters die Stadt verlassen. Wer nicht mit der Verteidigung zu tun habe, der solle sich, sobald Sturm geschlagen würde, in den Häusern halten. Ferner solle man mit Wasser gefüllte Bütten auf die Böden stellen, um das Feuer, so durch die Brandkugeln verursacht werden könne, zu löschen.

Viel reiche Leute und Geschlechter, die die Belagerung fürchteten, verließen die Stadt. Da gab's mehr Tränen, als zu zählen sind. Ich habe selbst viel gute Freunde scheiden sehen. Aber als der Büttel das elende arme Volk, welches keine Vorräte aufzuweisen vermochte, aus der Stadt trieb, da war es ein noch größerer Jammer. Solche Tage sind gar zu traurig, Gundel. Man sagte sich: »Das ist ja nur der Anfang; was aber werden wir erst erleben, wenn die Kaiserlichen vor dem Tore stehn?«

Bald darauf durfte weder ein Bote, noch ein Brief in die Stadt eingelassen werden und so konnte uns von Georg Heller auch keine Kunde mehr erreichen.

Die ärgsten Nachrichten liefen dabei von Mund zu Munde; denn je weniger die Leute wissen, um so schrecklicher malen sie sich die Ereignisse aus. Man sagte, daß im Bundesheere die Einigkeit fehle und daß man die günstigen Umstände, die sich für eine Schlacht geboten hätten, verpaßt habe; daß der Kaiser dagegen die Fehler seiner Feinde gut auszunutzen verstünde. Auch zögre der Herzog von Bayern noch immer, sich für oder wider uns zu erklären. Weiter hörte man, auf den Schertlin wären die oberdeutschen Bundesgenossen eifersüchtig, weil er ein tüchtigerer Feldherr sei, und trachteten aus allen diesen Ursachen die Gunst des Kaisers wieder zu erlangen.

Man hörte von nichts mehr reden als von Krieg und Belagerung, und man verlangte auch nichts anderes zu hören. Kaum daß man sich Zeit zum Beten nahm; alle Gedanken waren auf das nahende Unheil gerichtet.

Auf einmal verbreitete sich die Schreckensbotschaft, ganz Oberdeutschland sei ohne Schwertstreich dem Kaiser in die Hand gefallen. Das war die letzte Kunde, die von außen zu uns drang. Gleich darauf wurden das Zollhaus und die Lechbrücke abgebrochen und die Tore geschlossen. »Wenn sie sich wieder öffnen, wird eine schwere Zeit hinter uns liegen«, sagte Lorenz.

Von den Wällen konnte man jetzt die kaiserlichen Truppen sehen, wie sie Zelte schlugen, das Lager verschanzten und Laufgräben aufwarfen.

An diesem Tage bat ich die Eltern, in unser Haus zu ziehen. »Denn das ist eine Zeit, in der die Familien zusammenhalten müssen«, sagte ich. »Ihr wohnt hier dem Tore nahe und ganz allein, so daß ihr der Roheit und Beutelust der Soldaten ausgesetzt seid. Sind wir aber alle vereint, werden wir das Ungemach leichter tragen und trotz der traurigen Zeit uns lieb haben und glücklich sein.«


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