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XIV.

Es war zu Fastnacht 1540, als von der Altherrin ein Bote bei uns vorsprach. Er übergab einen Zettel, auf dem unleserlich geschrieben stand: »Der Bub ist ein Schafskopp. Schreibe drum die Ausrichtung auf. Lesen kann er auch nicht. Die Meistersinger führen morgen in der Martinsschule zum erstenmal ein Schauspiel auf. Das Eintrittsgeld ist das übliche – ein Pfennig; denke, daß das keine Ausgabe ist, daran Ihr Anstoß nehmet. Mein Sohn wird sich gleichfalls einfinden. Sollte mich freuen, Frau Ittenhausen und die Jungfer Tochter in St. Martin anzutreffen. Das Frauenzimmer sitzt seitlich an den Wänden; die Sitze sind erhöht. Wer zeitig mahlt, mahlt gut; man sagt, daß viele kommen würden. Gott zum Gruß. Hedwige Altherrin.«

»Schau, Mutti, das gefällt mir von der Frau. Ein Schauspiel ist just ein Pläsier, nach dem ich Lust verspüre.« – Sollte ich Bedenken tragen, weil mich die Altherrin einmal angeschaut und der Herr Sohn mich nimmer anschauen gewollt? Der Ärger war längst vergessen.

Die Mutter aber meinte, das sei eine Sache, in der sie nicht ohne des Vaters Zustimmung handeln dürfe.

Ich guckte sie verwundert an, hatte aber Ursache, mich noch mehr zu verwundern.

Mein bestes Kleid mußte ich anziehen, und die Mutter befestigte an meinem Gürtel noch eine goldene Spange. Schaute mich dann prüfend an, daß ich gerade heraus lachen mußte.

»Willst mich doch nicht für Herrn Lorenz schön putzen? Die Mühe wäre umsonst, Mutti. Ich habe vor ihm keine Gnade gefunden.« – Und ich war daran, mich noch einmal zu ärgern. O über die Eitelkeit!

Beim Eintreten in den Saal bemerkte ich die Altherrin, die uns eifrig winkte; Herrn Lorenz bemerkte ich nicht.

»Um so besser«, dachte ich; aber so belügt nur ein trotziger Sinn sich selbst.

Schon von weitem rief die Altherrin mit ihrer scharfen Stimme: »Die Leute denken, in der Not seien alle Güter gemein. Weiß Gott, ich habe, wie ein Soldat die Festung, eure Plätze verteidigen müssen.«

»Das wäre freilich Herrn Lorenz zugekommen«, dachte ich; weil aber die Plätze gut waren, sagten wir »Schönen Dank« dafür und setzten uns – ich setzte mich zwischen die Frauen, weil ich meinte, das gehöre sich.

Die Altherrin aber war andrer Meinung. »Je alt und jung will nimmer zusammen passen. Rückt um eins, Jungfer Bärbeli.«

Gefolgt habe ich, gefreut hat's mich nimmer. Ich steckte meine hochmütige Miene auf; denn ich wollt's Herrn Lorenz zeigen, daß ich auf Geheiß, nicht nach meinem Wunsche neben ihm saß.

Herr Lorenz hatte mit dem und jenem geredet. Da er uns sah, kam er auf uns zu, grüßte und setzte sich, als verstände sich's von selbst, neben mich; meine Miene hat er nicht beachtet.

Nun war Herr Lorenz aber ein gescheiter Mann, und weil ich zum ersten Male mit ihm mich unterhielt, habe ich nicht vergessen, wovon wir redeten. An Zeit zum Reden hat's nicht gefehlt, dieweil wir früh gekommen waren.

»Die Meistersinger sind eine gar alte Zunft«, erklärte mir Herr Lorenz. »Sie behaupten, daß sich ihre Einrichtungen und Freiheiten bis auf Kaiser Otto den Großen zurückführen ließen. In den dreißiger Jahren aber sollen sie einen besonderen Aufschwung genommen haben. Manche sagen, die Ursache sei der Nürnberger Schuster gewesen, weil er so schöne Stücke geschrieben habe. Sicherlich habt Ihr von Hans Sachs schon gehört, Jungfer Bärbeli?«

»Nicht ein Sterbenswort«, platzte ich heraus. Denn ich war unter den italienischen Meistern besser als unter den deutschen zu Haus. Ich habe mich aber danach doch geschämt, daß ich Herrn Lorenz das eingestehn mußte.

Er ließ mich nicht merken, daß meine Unwissenheit ihn wunderte, sondern berichtete weiter: »Damals haben die Augsburger Meister eine Eingabe an den Rat gemacht und gebeten, daß sie ihre Singeschule an den Sonntagen halten und anstatt der heidnischen Fabeln geistliche Lieder singen dürften. Ich habe in der Barfüßerkirche einmal so 'ner Singeschule beigewohnt. Es ging alles ehrbar und feierlich, aber gar langweilig dabei zu; das Wunderlichste waren die Namen, die sie den Gesängen gaben; z. B. die überkurze Abendrot-Weis; der Frauenlob-Leib-Ton; die Cupidini-Handbogen-Weis …«

Die Namen dünkten mich so überaus komisch, daß ich Herrn Lorenz mit lautem Lachen unterbrach.

Sogleich vernahm ich auf Seite der Altherrin Husten, womit meiner Lustigkeit die Schranken gewiesen wurden.

Nun wollte ich Herrn Lorenz zeigen, daß ich auch was wußte und erzählte: »Als wir noch am Weinmarkt wohnten, kamen zur Fastnachtszeit in unser Haus Zunftgesellen, um ein Spiel aufzuführen; so irgend 'ne heidnische Historie, und der jüngste Gesell spielte ein Frauenzimmer. Mein Vater hielt nicht lange dabei aus; er war von Italien, wo man an den Höfen Schauspiele aufführte, Besseres gewöhnt. Sobald der Prolog, darin der Herold den Herrn des Hauses begrüßte, vorüber war, verschwand er, und kam erst bei dem Epiloge wieder, um den klingenden Lohn auszuteilen, derweil die Mutter Wein herbeischaffen ließ.«

Da unterbrach mich die Trompete, die den Anfang der Vorstellung ankündigte.

Über Bänken und Fässern war ein Podium erbaut. An der Hinterseite hing eine Tapete, durch die die Schauspieler ein- und ausgingen.

Von den »fünf Betrachtungen« ist mir wenig im Gedächtnis geblieben. Aber das Narrenschneiden, einen Schwank von Hans Sachs, habe ich mir besser gemerkt; denn er war über die Maßen lustig.

Der Knecht eines Arztes trat mit einem Patienten auf, dessen Leib unnatürlich geschwollen war. Der Kranke ächzte, der Knecht schoß Purzelbäume, und der Medicus erklärte, er müsse dem Patienten den Bauch aufschneiden.

Das gab ein lustiges Hin und Her. Der Kranke suchte sich vor dem Messer des Medicus zu salvieren, der ihn verfolgte, bis der Knecht ihm ein Handtuch um den Hals warf, daran er ihn festhielt. Mit allerlei Hokuspokus begann der Medicus die Operation und zog endlich mit einer langen Zange eine kleine Narrenpuppe heraus.

»O Jerum, wie seid Ihr von der geistlichen Hoffart geplagt worden«, schrie der Medicus und zog nun ein Närrlein nach dem andern hervor, wobei er stets die Untugenden nannte, die sie vorstellten. Zuletzt nahm er noch das Nest des Nachwuchses von kleinen Narren heraus. Dann nähte er dem geheilten Patienten den Bauch zu; unterließ aber nicht, ihm gute Lehren auf den Weg zu geben, damit er nicht weiter in eine so gefährliche Krankheit verfalle.

Als ich aus meinen Augen die Lachtränen getrocknet hatte, fiel mir auf, daß die Altherrin ihrem Sohne einen bedeutsamen Blick zuwarf: »Lorenz, wie willst du's halten? Jetzt geht's an den Heimweg«, fragte sie.

Darauf ihr Sohn: »So wie ich hoffe, daß es auch Euch genehm ist, Frau Mutter.« – Und er bot mir seinen Arm.

Könnte nicht sagen, daß auf dem Heimweg was gesprochen wurde, das mir in Erinnerung geblieben wäre. Kaum aber waren Mutter und ich in die Stube getreten, fragte der Vater nicht etwa, wie mir die Komödie, sondern gleich wie mir Herr Lorenz gefallen habe.

»Nun wird mir die Sache geradeaus verdächtig.« – Ich blickte von einem zum andern. »Wir sind, wie ich meine, nach St. Martin gegangen, um einen lustigen Schwank zu sehn. Willst du aber wissen, wie Herr Lorenz der Mutter gefallen hat, wird sie darauf wohl antworten können, denn sie hat soviel nach ihm geschaut, daß ich sorge, sie habe sich in ihn vergafft.«

Der Vater lachte; die Mutter aber war geärgert. »Treibe nicht so 'n Unwesen, Bärbel! Warum willst du deinem Vater nicht Rede stehn?«

Da blieb mir kein Zweifel, wie's die Eltern meinten, und nun brach ich los: »So will ich sagen, daß mir die Altherrin nimmer gefallen hat.«

»Nach der Altherrin hab' ich nicht gefragt, Bärbel.«

»Die Altherrin aber ist die Hauptperson; das wird auch Herr Lorenz bestätigen. Sie denkt: ›Die beste Jungfer ist mir eben nur gut genug, die Magd meines Herrn Sohnes zu sein.‹ – Danach sucht sie die Hausfrau für ihn aus. Und nun will ich's sagen, daß ich keine Lust habe, die Magd in Herrn Lorenz' Hause zu spielen.« – Ich fiel meinem Vater um den Hals. »Nie will ich einen andern Mann lieben, als mein Vaterle.« – Als ich aber die Mutter herzen wollte, wehrte sie mir. »Bist meiner schon überdrüssig?« fragte ich trotzig.

Die Mutter sah nicht geschmeichelt aus, wie der Vater. »Wie mir vorkommt, hast du noch nicht Verstand genug, um eine so wichtige Sache zu überlegen.«

Da bin ich aus der Stube gelaufen und nicht wieder zum Vorschein gekommen.

Hätte Herr Lorenz sich nur ein wenig verliebt gezeigt, würde ich gegen ihn nichts eingewendet haben; aber wie sollte mir ein Mann gefallen, dem ich ganz gleichgültig war, und der nur seiner Mutter zu Gefallen mir den Arm gab? Nein, ein solcher Mann macht einer Jungfer keinen Spaß.


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