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I.

Ich habe mein siebzigstes Jahr mit Gottes gnädiger Hilfe vollendet und will jetzt alles niederschreiben, was mir während meines langen Lebenslaufes im Gedächtnis geblieben ist.

Mein Vater, den Gott selig habe, war auf seinen vielen und weiten Reisen gewöhnt, alles, was er in der Erinnerung behalten wollte, in einem Buche mit wenigen Worten anzumerken; er nannte das sein »Merkbüchlein«. Zu meiner großen Betrübnis ist dieses Merkbüchlein Anno 1546, als unser Haus auf der Heiligen Kreuzergasse bis auf den Grund niederbrannte, mit vielen anderen guten Dingen vernichtet worden. Der Vater, der damals schon die Seligkeit genoß, die er durch gottesfürchtigen Wandel verdiente, konnte sich darüber nicht mehr grämen; ich aber hatte an seiner Statt Leid getragen.

Als ich kaum das Schreiben erlernt hatte, hielt mich mein Vater an, ein solches Merkbüchlein anzulegen, und darin aufzuzeichnen, was mir wunderbar und seltsam dünkte, wenn ich's erlebte; auch was mich freute und betrübte.

Wie ich seither erfahren habe, ist ein solches Merkbüchlein bei den Frauenzimmern nicht Sitte. Ich habe auch das meinige nicht sonderlich wert gehalten, obwohl mein Leben in eine Zeit fiel, wo es viel Not und Streit gegeben hat. Es mögen aber jetzt wohl fünfzehn Jahre sein, da habe ich durch die Bekanntschaft mit einem schlesischen Junker eine andere Ansicht gewonnen; und davon will ich zuerst erzählen.

Im Winter Anno 1575 kam Herzog Heinrich von Liegnitz zu einem kurzen Aufenthalt nach Augsburg. Der schlesische Junker, Hans von Schweinichen, von dem ich zuvor eine lustige Aventüre einschalten will, gehörte zu seinen Leuten.

Marx Fugger gab dem Herzog ein großes Bankett, zu welchem auch mein Eheherr geladen war. Dieser hat mir erzählt, was sich dabei zur Belustigung aller Herren zugetragen hat.

Die Gäste saßen schon alle an der Tafel, die in Kreuzesform in dem goldenen Saale aufgeschlagen war, wo der Boden von Marmelstein und so glatt ist, daß man meint, auf spiegelblankem Eis zu gehen.

Marx Fugger wollte seinem hohen Gaste ein Willkommengeschenk geben, nämlich ein Schiff von dem schönsten venedischen Glas, das sehr künstlich gearbeitet war. Als nun der schlesische Junker, welcher seinem Herrn aufwartete, das kostbare Gefäß mit Wein gefüllt vom Kredenztische nahm, um es dem Herzog hinzutragen, glitt er mitten im Saale aus und fiel auf den Rücken; der Wein floß über sein rot-damastnes Wams, und das venedische Glas brach in Stücke. Marx Fugger sagte zu dem Bürgermeister Rehlinger, so daß mein Lorenz die Worte vernahm, er würde das seltene Trinkgefäß gern mit hundert Gulden gelöst haben.

Der Anblick des armen Junker Hans war dabei so überaus komisch, daß unter der Hand ein großes Gelächter entstand, was ihm sicherlich nicht wie himmlische Musik geklungen haben mag.

Als er nun wieder auf seinen Beinen stand und den Schaden besah, sagte er mit betrübter Miene: »Daran ist bloß schuld, daß ich noch nüchtern bin; denn hätte ich einen Rausch, stünde ich wohl fester auf meinen Füßen, trotz der neuen Schuhe und des glatten Marmelsteins.«

Diesen Junker von Schweinichen lernte ich bald danach auf einer Geschlechterhochzeit kennen. Der Stadtpfleger Ilsung richtete die Hochzeit seiner jüngsten Tochter Katharina mit Konrad Lauinger aus, wovon lange Zeit vorher und nachher viel Gerede war.

Mein Eheherr zeigte mir den Junker Schweinichen, als wir zur Kirche gingen; es war ein stattlicher junger Mensch. Doch fiel mir auf, wie er sich wohl drei- oder viermal nach seinem Diener umwendete, und ich sagte zu der Schöllenbergin, die neben mir ging: »Der Diener scheint gar hoch in des Junkers Achtung zu stehen.«

Gleich darauf verbreitete sich das Gerücht, der Diener sei Herzog Heinrich selbst, der nicht geladen wäre und doch gewünscht habe, zu erfahren, wie es auf einer augsburgischen Geschlechterhochzeit hergehe.

Als wir uns dann zur Tafel setzten, sah ich den Herzog nicht mehr wieder und hörte, der gute Herr habe dem Malvasier zu viel zugesprochen und schlafe nun in der Herberge sein Räuschchen aus; zum Tanze aber wolle er wieder erscheinen, und zwar als Herzog selbst.

Marx Fugger, Schöllenberg und Haug holten den Herrn dann auch mit einem Wagen aus der Herberge ab, und es wurden ihm alle Ehren erwiesen. Wenn der Herzog tanzte, so tanzten jedesmal zwei Ratsherren vor ihm her. Die zwei Vortänzer aber, die so ihres Amtes verlustig gingen, standen in ihren langen roten Röcken mit weißen Ärmeln mißmutig an der Tür und hatten das Zusehen.

Junker Hans forderte an diesem Abend oftmals auch meine liebe Tochter Isabella zum Tanze auf. Sie war eine der Kränzeljungfern und, wie mich dünkt, keine der wenigst hübschen, obwohl man zu dieser Hochzeit nicht die häßlichsten geladen hatte. Es waren aber siebzig Kränzeljungfern, und alle der Braut zu Gefallen ganz gleich gekleidet, in weißen Damast mit goldenen Ketten und goldenen Gürteln.

War ein Tanz beendet, führte der Junker, wie sich's gebührte, meine Tochter mir wieder zu. Auf diese Art wurde ich mit ihm bekannt. Er konnte sich nicht genug über die Pracht wundern, die er in Augsburg und vor allem bei dieser Hochzeit getroffen hatte. Er meinte, in der ganzen Welt wäre kein zweiter Platz, wo man dergleichen fände.

»Als ich in den Saal trat und sah, wie die Wände von Gold und Silber funkelten, und wie viele Lichter, große und kleine, brannten, da meinte ich schon in das Himmelreich einzutreten.« – Und artig setzte er hinzu: »Auch habe ich mein Lebtag keine schöneren Frauenzimmer gesehen, und die Jungfrauen sind nicht nur schön, sie geben auch auserlesene und gute Worte.«

Diese Reden gefielen mir und meiner Tochter gar nicht übel. Wir sprachen dies und das mit ihm, neckten auch den armen Junker ein wenig über den Unfall, der ihm bei Marx Fugger begegnet war. Er aber schob diesmal alle Schuld allein auf die neuen Schuhe und nicht auf die Nüchternheit.

Mein Eheherr forderte ihn auf, uns einmal zu besuchen, und so fand sich die Gelegenheit, weil er überaus zutraulich und gesprächig wurde, daß er mir erzählte, er schriebe von allem, was er erlebte, ein Weniges nieder. Wäre dann ein Jahr um, so koste es ihm nicht sonderlich viel Mühe, den ganzen Verlauf desselben in einem Buche zusammenzutragen.

Da fragte ich den Junker, aus welcher Ursache er sich die Mühe mache, und ob sein Leben so gottselig wäre, daß er wünsche, seine Kinder und Kindeskinder möchten es zu Nutz und Frommen lesen. Das sagte ich aber mit Spott, weil ich erfahren hatte, daß Herzog Heinrich ein wüstes Leben führte; er zog von Ort zu Ort, wie ein Wegelagerer, tafelte und zechte gut, aber das Bezahlen kam ihm hart an. Ich konnte mir nur denken, daß seine Leute auch nicht besser wären, als ihr Herr.

Junker Hans merkte recht wohl den Spott und gab mir eine Antwort, die mir gut gefallen hat: »Das Leben geht hin mit Sorgen und Grämen, nicht ohne Lust, aber auch mit mancherlei Torheit. Ehe wir nur bedacht haben, welch köstliche Gabe uns geworden, ist es auch schon vorüber, und der Tod klopft an die Pforte. Da habe ich in meiner Einfalt gedacht, daß alles, was niedergeschrieben ist, länger in der Menschen Gedächtnis bleibt; denn die Zeit fließt dahin gleich dem Wasser, und der Menschen Gedächtnis vergehet, wie der Glockenton.«

»Und meinet Ihr das Leben besser zu verstehen, wenn Ihr's in einem Buche vermerket?«

» Wenn man schreibt, denkt man auch darüber nach, was man schreibt, und das Nachdenken ist allewege eine gute Sache. Viele Dinge schaut man dann im rechten Lichte, und was unbegreiflich dünkte, wird einem erst verständlich. Wenn ich überlege, wie es mir von meiner Kindheit an ergangen ist, wie viel gute und große Wohltaten mir Gott erwiesen hat, so erkenne ich recht deutlich seine gnädige Führung. Aber ich merke auch, wenn er mich durch Krankheiten und Widerwärtigkeiten mancherlei Art strafen will. Dann trage ich Reue und Leid, und strebe danach, meinen Wandel zu bessern. Wer aber nicht nachdenken will – und es gibt gar viele Leute, die es für völlig überflüssig halten –, der achtet nicht einer leisen Mahnung; erst wenn er tüchtig geklopft wird, merkt er, was der Herr mit ihm vor hat; und es fällt ihm dann schwer, sich in seinen Willen zu fügen.«

So verständig redete der Junker, obwohl er nur wenig Jahre über zwanzig damals zählen mochte. Er hätte mein Sohn sein können, und er wurde mein Lehrmeister; doch ohne daß er es merkte. Ich habe ihn niemals wiedergesehen, weiß darum nicht, ob er auch so klug gehandelt, wie er gesprochen hat. Noch habe ich erfahren, ob ihm das Ziel seines Lebens nach langem Laufe oder schon in der Jugend gesetzt worden ist.

Damals also nahm ich mir vor, gerade wie Junker Hans von Schweinichen, am Schlusse jedes Jahres einzutragen, was mir das Leben gebracht hatte, Gutes wie Schlimmes. Nicht lange danach aber traf mich so große Trübsal, daß ich mich zum Schreiben nimmer entschließen konnte, und so blieb's beim Merkbüchlein.

Jetzt aber ist die Zeit gekommen, wo ich in Feiertagsruhe in meinem Zimmer sitze und die Hände in den Schoß legen darf. Nun dünkt mich, daß mir vielleicht andere Arbeit tauge, als die, so uns das Leben täglich beut, und darum beschloß ich, die stillen Jahre zu nützen und mit ernstlichem Nachdenken und aufrichtigem Herzen zu erzählen, was ich erlebt habe. Der Anfang fällt mir nicht leicht, da ich nicht gewohnt bin, gleich einer gelehrten Nonne die Feder zu führen. Aber als das Vorhaben in mir reifte, war's, als habe ich ein Pförtlein aufgeschlossen, und nun drängten allerhand Erinnerungen und mancherlei Gedanken daraus hervor, wie liebe Gäste; sie wollten schier kein Ende nehmen und schauten mich an, als ob sie sagen wollten: »Gedenkst du noch daran? Hast du meiner auch nicht vergessen?«

Da erkannte ich erst den reichen Schatz, den ich mir durch ein langes Leben erworben hatte. Ich möchte ihn nicht – gleich wie ein Geiziger sein Gold in der Truhe – in meiner Seele verschließen. Habe aber auch nicht Lust, ihn hinaus in die Welt zu schicken, damit jeder fremde Geselle über meine Torheiten spotten und meine Verirrungen meistern darf. Darum, sollte Gott mir die Gnade gewähren, daß ich das Büchlein vollenden kann, will ich's in die Hände meiner Gundel legen. Ich sollte sie wohl an dieser Stelle, wie sich's für sie gebührt, »Jungfer Kunigunde« nennen, aber ich denke an die Gundel, wenn ich schreibe; sie ist von meinen Enkelkindern das älteste und mir auch werteste; das soll die andern guten Kinder aber nicht kränken. Die Liebe hat mein Herz ausgebaut und nun ist darin für alle Raum genug.

Ob das Merkbüchlein meines Lebens aber der Gundel einmal zu Nutz und Frommen gereichen wird, das weiß allein der Herr.


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