Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXI.

Es war am 30. März anno 1541 um die Morgenstunde. Ich hatte viel Schmerzen ausgestanden; aber da ich den ersten Schrei des Kindes hörte, waren sie vergessen.

Schau, Gundel, wenn die Engel vom Himmel an meinem Bette musiziert hätten, so lieblich würde mir die Musik nicht geklungen haben. Und die beste Predigt hätte mich nicht so fromm und eine goldene Krone nicht so reich gemacht. Ich lachte und weinte in einem Atem. »Küsse mich, Lorenz, du hast nun eine Tochter.«

O Gott, wenn ich je wider deinen heiligen Willen gemurrt, wenn ich mich je vermessen habe zu klagen, daß du mir eine zu schwere Last auferlegtest, so habe ich dieser Stunde vergessen, da man mir das zarte Kind – deine Mutter, Gundel – in den Arm gelegt hat.

Es gibt Frauen, die das Mannsvolk beneiden. Eine Mutter sollte nicht also freventlich reden. Wenn Gott auch dem Manne die Herrschaft dieser Welt gegeben hat – uns gab er dafür das Mutterglück.

Denke nicht, daß der Lorenz sich nicht auch gefreut habe. Ei, er freute sich rechtschaffen; die Tränen liefen ihm über die Backen. Aber von der Freude, mit der der liebe Gott mich begnadete, war die seine weit entfernt; denn die Freude wird ja am Schmerz, und an der Sorge die Liebe gemessen.

Da war meine Mutter eine Großmutter geworden; aber als sie glückselig der Schwieger das Kindlein entgegentrug, sah sie drum nicht alt und ehrwürdig aus, sondern mich dünkte, daß die große Freude sie noch verjüngt und verschönt hätte.

Die Schwieger stützte sich auf Gritlis Arm, weil sie allein nicht mehr gehen konnte; sie tippte mit dem Finger auf des Kindes Näslein und sagte: »Hoffe, Ihr habt nicht versäumt, dem Würmli seine Finger und Zehlein zu zählen; es stellt sich oftmals eine Überzahl von Gliedmaßen ein.«

Im zweiten Stockwerk war für mich eine Stube prächtig eingerichtet worden, da mein Wochenbett nach Züricher Art gehalten werden sollte. Mein Bett wurde mit gestickten Vorhängen und Decken versehen; auf dem Boden lag ein kostbarer Teppich, und alles Silberzeug, das irgend für eine Frau gebraucht wird, war zierlich aufgebaut. Auch wurde ich nur aus einem vergoldeten Schüsselchen bedient.

In der Wiege hatte Lorenz schon als Kind gelegen; sie war künstlich aus Nußbaumholz geschnitzt, und das Töchterlein wurde in das feinste Linnen mit Stickereien verziert gewickelt.

Die Schwieger saß in ihrem Hochzeitskleid von Brokat steif und würdevoll in einem Lehnstuhle und empfing die Gäste, die man mit Weinsuppe und Zuckerwerk bewirtete. Bei jedem Besuche wurde Lorenz aus dem Geschäft geholt, um die Glückwünsche in Empfang zu nehmen.

Die Frauenzimmer aber fanden, daß ich eine gar sonderliche Wöchnerin wäre; denn aus meinem Bette kam nur lustig Geschwätz und Lachen; hatte auch einen grausam guten Appetit; da konnten sie mit Ratschlägen für dies und jenes Übel nicht ankommen.

Der Schwieger aber ging's gegen die Würde, daß ich mich meines Lebens so freute; ich sei mehr wie ein Kind, denn wie eine ehrsame Hausfrau und Mutter, meinte sie.

Na, ich konnte mir aber nicht helfen, Gundel; ich habe halt immer gelacht, wenn ich glücklich war, und geklagt, wenn mir's traurig ging, und auf die Würde war ich noch nicht eingeübt. Der Ernst ist auch nicht lange ausgeblieben und habe mein redlich Teil davon gekostet.

Die Schwieger hielt wohl alle Anstrengungen tapfer aus, aber es war zu viel für ihre Kraft; sie bekam einen zweiten Schlaganfall und dem erlag sie nach wenig Tagen.

Sie hatte nie einen andern Menschen wie den Lorenz geliebt. Da ich mich von ihm abwendete, haßte sie mich; da er mich liebte, beneidete sie mich; aber als sie fühlte, daß das Ende ihr nicht mehr ferne war, fing sie an über die Dinge ernsthaft nachzudenken und da erkannte sie auch das Richtige. Sie wurde freundlich nach ihrer Art und dankte Gott, daß wir glücklich miteinander lebten. Gott mag ihr alles Gute vergelten!

Das Gritli hat den Thronwechsel nie verwunden und ist immer eigensinnig und mißmutig geblieben. Nach der Schwieger Tode verlangte es nach der Schweiz zurück, wo ihm Lorenz einen Gnadengehalt bis an sein Ende auszahlen ließ.

Meinst du, ich hätte fortan herrlich und in Freuden gelebt? Ach Gundel, die großen Sorgen und Schmerzen des Lebens waren mir noch vorbehalten.

Du mußt dir auch nicht einbilden, daß dein Großvater mich als Liebhaber verwöhnt habe. Ja, Gott bewahre; sobald er meiner Liebe sicher war, machte er sich's bequem. Hab's ihm nicht nachgetragen. Man soll nicht von den Menschen erwarten, daß sie auf Erden schon als Engel herumspazieren.

Wenn eine Frau nur ihren Eheherrn von Herzen lieben und achten kann, wird es ihr nicht schwer sein, mit ihm auszukommen. Wozu hätte uns der liebe Gott wohl klug, geduldig und zärtlich geschaffen, wenn er nicht gewußt, daß solcherlei Eigenschaften zu einer ordentlichen Ehe gerade so notwendig sind, wie Salz und Schmalz zu einer ordentlichen Speise.

Da ich nicht nach dem Szepter langte, hat's mir Lorenz selbst manchmal in die Hand gedrückt. »Fraule, tue, wie dir's gut dünkt, denn so wird's auch am besten sein.« – Aber weder Kinder noch Gesinde ließ ich's merken, so lange ich regierte. Selbst der Lorenz sollte glauben, daß er die von Gott eingesetzte Obrigkeit wäre; denn so ist's in der Ordnung.

Darum haben wir uns auch geliebt mit einer Liebe, die Kummer und Sorgen nur immer fester kitteten, und die jung geblieben ist, derweil wir alt geworden sind. Daran aber ist die wahre Liebe zu erkennen.

Zum Kuckuck mit dem süßen Geplärre und Liebesgetändel, damit dem jungen Volke der Kopf verrückt gemacht wird, so daß es ihm jetzt fast recht dünkt, sich wider der Eltern Rat und Gebot aufzulehnen. Das sind neumodische Gedanken, die sich die Jungfern in den Kopf setzen. Meinen wohl gar, daß unser Herrgott nichts Bessres zu tun habe, als jeder Gans einen hübsch aufgeputzten Liebhaber ins Haus zu schicken.

Ich kann mich halt in der Welt nicht mehr zurechtfinden, Gundel. Es ist alles anders, aber nicht besser geworden. An Pracht übertreffen wir unsre Altvordern weit; ob aber auch an Verdienst? Das ist eine Frage, darüber sich disputieren ließe. Mir kommt es vor, als ob man das Leben mehr einem Feiertag gleich achtete; da man zu meiner Zeit meinte, es liege uns hier die Werkeltagsarbeit ob, um dann im Himmel die wohlverdiente Feiertagsruhe zu genießen. Die Geschlechtersfrau dünkt sich jetzt zu gut in die Kirche zu gehen, gleich der Bürgersfrau, und man sieht auf dem Kirchhof mehr Kutschen wie auf dem Jahrmarkt. Wer's den andern nicht gleich zu tun vermag, klagt unsern Herrgott an, daß er ihn schlecht mit Glück bedacht habe. Das müßte aber ein großer Glückstopf sein, wenn der liebe Gott jedem ein reichlich Teil davon zumessen sollte.

Gott stärke mich, da bin ich von einem zum andern ins Predigen geraten wie ein Pfaff'. Das kommt ja unsereinem gar nicht zu; darum will ich Amen sagen und nichts für ungut, Jungfer Gundel.

Am 25. Februar anno 1546 hat uns der liebe Gott mit einem zweiten Töchterlein beschenkt; da war nochmals große Freude im Haus, obwohl ich meine, dem Lorenz wäre ein Bube lieber gewesen.

Die Mutterlieb aber dünkt mich gleich einem Baume, der immer größer wird, je mehr Kindlein sich unter seinen Zweigen bergen. Es ist mir vorgekommen, als sei selbst die Liebe zu meiner Ältesten, zu meiner Susanne, noch stärker geworden, da ich ein zweites Kind in meinen Armen hielt.

O Gundel, das waren glückselige Tage, wie sie nimmer wiedergekehrt sind; aber ich danke Gott, daß ich daran zurückdenken kann, ohne daß sich eine Schuld gleich einer Scheidewand zwischen mich und diese schönen Zeiten gelegt hat.

So herzlich froh wie ein Kind mit seinen Docken, trieb ich's mit meinen Mägdlein. Alle Mühe, die sie machten, war für mich eine Lust und nimmer wurde ich müde von ihnen zu schwatzen. Es gab auch alle Tage dem Lorenz Neues zu erzählen. Die kleine Lore war hübscher wie Susanne; aber auf Susanne war ich gar stolz, weil sie so überaus klug und verständig gewesen ist; man konnte sich auf das Kind verlassen, wie auf eine erwachsene Person. Ja, so eins kann man weit und breit suchen und findet nimmer seinesgleichen. Das klingt dir wohl lieblich, Gundel, weil's deine Mutter ist, die ich rühme?

Gott wollte nicht, daß ein so großes Glück Bestand habe, und in seinen heiligen Willen müssen wir uns fügen, ob es uns auch schwer ankommen mag.

Nun schließe ich mein Haus für eine Weile, und wenn wir wieder eintreten, wird Trübsal darin eingekehrt sein.


 << zurück weiter >>