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In dieser Zeit bildete ich mir ein, daß mein Vater nicht nur in meinem Herzen, sondern auch in der Stadt regiere.
Durch den Geschlechterschub von 1538 entstand viel Streit; die Köpfe erhitzten sich und in ihrem Eifer vergaßen die Parteien der Gerechtigkeit.
Anfänglich stand mein Vater dem Kampfe fern; er war mehr ein Gelehrter als ein Parteimann. Weil die reichen Patrizier die Wissenschaften förderten und die Künste hochhielten, war er stolz auf seine Mitbürger; aber er wollte deshalb nicht die Freiheiten der Kaufleute und Zünfte geschmälert sehen. Durch die Aufnahme vieler Familien unter die Geschlechter hatte sich das Patriziat aber verstärkt und mit der Zahl war auch der Übermut gewachsen.
»Jetzt werden sie die großen Hansen aus der alten Stube, gegen die schon der Bürgermeister Schwarz gekämpft hat, wieder zu Herren der Stadt machen und die Zünfte zu unterdrücken suchen«, hieß es auf der andern Seite.
Mein Vater hatte sich ein gerechtes Urteil bewahrt, und konnte aus dieser Ursache seiner Stadt gute Dienste leisten. Bald waren es die Geschlechter, die ihn um Rat angingen, bald zogen ihn die Kaufmannsgilde und die Zünfte ins Vertrauen. Durch seine Vermittlung wurde der Rat genötigt, eine Urkunde auszustellen, darin er bestätigte, daß es mit Besetzung des Rates wie es bis dahin üblich gewesen, auch fernerhin gehalten und den Zünften keine ihrer Freiheiten entzogen werden solle.
Doch konnte trotz aller Vergleichung ein Bruch nicht verhütet werden, und Jakob Herbrot richtete im Gegensatze zur Geschlechterstube eine Stube für die Kaufmannsgilde ein.
Mir ist von jener unheilvollen Zeit ein Bild in der Erinnerung geblieben. Ein Berg, auf dessen Gipfel die Fugger, Welser, Peutinger und andre gemächlich thronten, derweil die Herren der Kaufmannsgilde die steilen Abhänge zu erklimmen trachteten. So malt sich im Kopf eines jungen Dinges der Welt Lauf und Kampf ab.
Jakob Herbrot, ein armer Kürschnerssohn, hatte sich zu einem reichen Handelsherrn aufgeschwungen. Er war ein Riese an Gestalt, mit einem langen breiten Barte, mächtig großen Händen und einer Bärenstimme; aber trotz seines ungeschlachten Aussehens war er von ausgesuchter Höflichkeit und behandelte besonders die Frauenzimmer mit einer fast zarten Rücksicht. Man sagte, er habe die Courtoisie an den Fürstenhöfen gelernt, an denen er wegen seines Handels mit Juwelen und allerhand Kostbarkeiten viel verkehrte.
Den deutschen Männern kann man sonst nicht allzu große Höflichkeit vorwerfen. Sie lassen es nur gar zu gern merken, daß sie die Herren sind, und daß die Hausfrau nach ihrer Pfeife tanzen muß. Aber siehst du, Gundel, so lange es Sklaven gibt, wird es auch Tyrannen geben. Wir wollen's halt nicht besser haben.
In unserm Hause war Meister Herbrot oft ein gar lieber, gern gesehener Gast.
Vor dem Vogeltor besaß auch er einen Garten, der in dem neuen italienischen Geschmack angelegt war; dorthin wurden wir einmal geladen.
Es war im Herbst anno 1539, und ich habe dieses Tages nimmer vergessen, da er für mein Leben von sonderlicher Bedeutung geworden ist.
Die Geschichte fing auf dem Wege nach dem Vogeltor an. Ich trottete hinter den Eltern drein und achtete erst nicht dessen, was sie redeten; es war auch nicht für meine Ohren bestimmt; hat mich aber gerade deshalb mächtig interessiert.
Der Vater sprach zur Mutter: »Herbrot hat mir gesagt, daß er heut Lorenz Altherr eingeladen habe. Da wirst du einen tüchtigen Mann kennen lernen, Teutiche.«
Darauf die Mutter: »Sollte er der Sohn von Gottfried Altherr sein, der sein Geschäft von Zürich nach Augsburg verlegt hat und bald danach gestorben ist?«
»Derselbe ist es. Des Vaters Tod war für den Lorenz ein harter Schlag; er mußte seine ganze Kraft für das Geschäft einsetzen, wollte er's erhalten, und war doch damals noch ein gar junger Geselle. Er muß auch jetzt alljährlich noch große Reisen unternehmen. In Wien, Prag, Warschau und Krakau, ja im ganzen Osten hat er Verbindungen angeknüpft, die er zu erhalten bestrebt ist. Darum bleibt ihm für städtische Angelegenheiten wenig Zeit, obwohl er dafür großen Eifer und viel Verständnis beweist.«
War's eine Ahnung des Kommenden, oder sollte wirklich ein unerfahrenes Ding manchmal schärfer sehen als die kluge Mutter? Ich hatte auf einmal Vaters Absicht begriffen und spitzte meine Ohren.
Mutter aber sagte arglos: »Wie ich gehört habe, ist er schon über dreißig und noch unbeweibt. Also mag ihm das Geschäft wohl nicht Zeit lassen, sich eine Frau auszuwählen.«
»Ich wollte, daß er mich in dieser Angelegenheit um Rat früge. An der Seite eines solchen ehrenwerten Mannes möchte ich …« – Da wandte sich der Vater nach mir um, und da er mich dicht dahinter erblickte, fragte er fast barsch: »Hast du gehorcht, Bärbel?«
»Freilich, Vaterle; ich hab' alles gehört.«
»Dann setze dir nicht unnütze Gedanken in deinen Kopf.«
»Denkst du, mich verlange nach einem Manne wie Lorenz Altherr, der nicht einmal Zeit findet, sich eine Hausfrau zu suchen?«
»Wem die Trauben zu hoch hängen, dem sind sie allemal zu sauer«, spottete der Vater.
Darauf ich, weil mich der Spott arg verdrossen hat: »Ein Kaufmann will mir nimmer gefallen. Ich heirate nur einen Gelehrten. Weißt, Vaterle, einen Gelehrten, der den ganzen Tag bei mir in der Stube bleibt und mit mir ein feines Schwätzele macht.«
»Führe nicht vorwitzige Reden, Bärbel. Wie es Gott bestimmt hat, wird sich's fügen«, wehrte die Mutter meinem Übermut.
Zu dieser Zeit war ich nicht länger meiner Mutter Schleppenträgerin. Derweil die älteren Frauen sich's im schöngeschmückten Gartensaal wohl sein ließen, tummelte sich das junge Volk auf dem Wiesenplan in allerhand Spielen.
Wir hatten uns an den Händen gefaßt, lustige Jungfern und das junge Mannsvolk, tanzten im Kreise und sangen:
»Wine, wine, Wette,
Wir treten auf die Kette,
Daß die Kette klinge klar,
Wie ein Haar,
Hat gedauert sieben Jahr,
Sieben Jahr sind um und um,
Jungfer Bärbel dreht sich um.«
Ein paar Herren, die sich zu alt oder zu klug dünkten, an dem Spiele teilzunehmen, blieben stehen, und schauten zu, wie mir Achilles Lang, einer der Gesellen, mit großer Zierlichkeit ein Kränzlein aufsetzte. Lorenz Altherr war unter den Herren; ich konnte mich aber nicht rühmen, daß er meiner besonders geachtet hätte.
Nachdem ich das Kränzlein trug, ging der Gesang weiter:
»Jungfer Bärbel hat sich umgedreht,
Ihr Bräutigam hat ihr 'n Kranz beschert,
Und eine goldne Kette,
Wine, wine, Wette.«
»Dürfte mir wohl Jungfer Bärbel einmal ausbitten.« – Als ich mich umblickte, stand Frau Susanne Herbrotin – deiner Mutter Pate – hinter mir. Ich merkte, daß der Wunsch mehr ein Befehl war; denn es war die Hausfrau, die meiner begehrte. Sie nahm mich gleich bei der Hand und führte mich aus dem Kreise nach dem Gartensaal. Ich riß mir das Kränzlein vom Kopfe, wobei mein Haar in Unordnung geriet. Sogleich blieb Frau Susanne stehn, sagte, sie wolle Ehre mit mir einlegen und glättete mein wirres Haar, ja zupfte und zog an meinem Anzug, bis er ihr sauber dünkte. Ich aber fing zu lachen an und ließ meinem Übermut die Zügel schießen; denn mit eines war mir bewußt, aus welcher Ursache sie mich holte; und wenn ich ihr auch folgen mußte, recht war mir's nicht.
»Weiß schon, was Ihr vorhabt, Frau Susanne! Ihr wollt halt jemand eine Frau verschaffen, der zum Aussuchen sich keine Zeit nimmt. Aber gebt Euch nicht erst Mühe; Ihr habt doch verspielt. Dort geht der gestrenge Herr, der mir keinen Blick hat gönnen wollen.«
»Du Närrle! Meinst wohl andrer Leute Gedanken auszuspionieren? Ei, sieh doch, wie eitel die Dirne ist! Mich haben keine Mannsleut nach dir gesendet, sondern die Mutter.«
Ich wurde rot und hab' mich geschämt. »Weshalb läßt mich die Mutter vom Spiele rufen? Hat mich ja allerwege zu Hause.«
Zu der Frage aber bin ich – hab's erst danach gemerkt – gar nicht gekommen.
Als Frau Susanne mit mir in den Gartensaal trat, schauten die Frauen nach mir hin und das Gespräch stockte. Weißt, Gundel, so 'was macht einem bange. Am liebsten wäre ich ausgerissen; aber dadurch hätt' ich's nur schlimmer gemacht; habe mich also in mein Schicksal gefügt und folgte der Frau, die mich jedoch nicht zur Mutter führte.
»Schau, da ist das Bärbel, nach dem Ihr verlangt habt.« – Sie redete zu der Rothin und die hat mir auch gleich einen Platz eingeräumt und allerhand freundliches Geschwätz gemacht. Nur was sie mit mir wollte, hat sie mir nicht vertraut; aber sie ließ mir auch keine Zeit zum Fragen und wie sich's gebührte, mußte ich ihr höflich Rede und Antwort geben.
Auf einmal merkte ich, daß neben der geputzten Rothin, wie eine Haushenne neben dem Pfau, eine alte Frau saß, die mich gar aufmerksam angeschaut hat. Steif und würdevoll saß sie da, und in ihrem Anzug war kein Fältchen und kein Knitterchen, doch zeigte er auch keine Schnörkeleien und Zierlichkeiten, wie sie beliebt waren.
Ohne den Blick von mir zu wenden, immerfort schauten mich die scharfen Augen an; das wollte mir nicht gefallen. Ich guckte rechts und guckte links, um den Blick zu vermeiden, und wußte vor Verlegenheit nicht mehr, wohin ich sehen und wie ich der Rothin antworten sollte.
Doch wer die Frau gewesen, habe ich nicht gewußt. Aber ich war froh, als Josephe, des Herbrot Schwester, nach mir rief. »Ihr habt uns wohl das Bärbel entführt? Rückt's nur heraus, wir brauchen's selber.«
Da bin ich gleich aufgesprungen und hätte mich niemand mehr gehalten. Und als ich im Freien war, fragte ich, wer wohl die Frau sei, die neben der Rothin saß.
»Die Altherrin aus Zürich.«
»Seine Mutter«, dachte ich und wußte nun, daß sie Brautschau gehalten habe.
»Du sollst die Blumen verteilen, Bärbel,« erklärte mir Josephe, ohne meiner Frage weiter zu achten.
»Liebe, lasse mich beiseite. Zu so was habe ich kein Geschick; hab's auch nimmer versucht.«
»Ach, mache nicht Reden, Bärbel. Sie meinen alle, keine würde es so gut verstehn wie du. Wir warten auf dich, und Blumen welken schnell, wie du schon weißt.«
Auf einem Tisch unter einem breitästigen Baume lagen die abgeschnittenen Blätter und Blumen, daran ich meinen Witz zeigen sollte. Das junge Volk stand lachend und schwatzend umher.
»Da hab' ich mir das Bärbel eingefangen.« – Und indem die Herren klatschten, führte Josephe mich an den Tisch.
»Langes Besinnen macht feige«, dachte ich und nahm mit schnellem Entschluß eine rote Nelke, die ich Jungfer Hörnlein überreichte. – »Die Nelke ist eine gar schöne Blume; was sie uns aber sonderlich wert macht, ist der liebliche Geruch. Also schätzen wir mehr noch als ihre Schönheit, daß Käthe ein gutes Herz besitzt.« – Und ich gab ihr einen Kuß.
Dabei war wenig Kunst, aber weil's gut gemeint war, klatschten sie Beifall und sagten, ich hätte meine Sache vortrefflich angestellt.
Mir sind die Sprüchlein, mit denen ich die Gabe einer Blume begleitete, nicht im Gedächtnis geblieben. Manche waren mit Bosheit gewürzt; doch war das mehr Josephe's Schuld, denn sie verstand's, mich dazu anzustacheln.
»Gib's dem Geizkragen, dem alten Kruter«, raunte sie mir zu.
Keck nahm ich eine Sonnenrose und fragte: »Was für ein Unterschied ist zwischen Herrn Johann Kruter und der schönen Blume?«
Da kamen allerhand Antworten; weil aber keine traf: sagte ich: »Die Sonnenrose breitet ihr helles Gold vor aller Welt aus, derweil Herr Kruter sein Gold vor aller Welt verschließt.«
Da entstand viel Gelächter und das verhutzelte Männlein, während es aus dem Kreise drängte, rief: »Möchte den kennen, der der Jungfer die Bosheitspille eingegeben hat.«
Nun nahte mir, geschniegelt und gebiegelt, in zierlichem Tänzerschritt und stark nach Bisam duftend, Achilles Lang, um eine Gabe zu erbitten; denn er erhoffte, etwas Artiges zu hören. Doch speiste ich ihn mit einem Rutenreislein, zur Erinnerung an das Virgatumgehn, ab. Da zog er sich halb verlegen und halb beleidigt zurück.
Indem trat Jakob Herbrot mit einigen Herren in den Kreis, die, wie Josephe es verlangte, gleichfalls mit Blumen bedacht werden sollten. Lorenz Altherr war darunter. Er wurde aufmerksam auf mein Treiben und fragte höflich, ob ich ihn allein wolle leer ausgehn lassen.
»Wie sollten Blumen in Eurem Kopfe neben Zahlen und Wollenballen noch Platz finden?« – Das war gar spitz gesagt, wie mich jetzt dünkt.
»Wenn Ihr mit Euren Blumen einziehen wollt, liebe Jungfer, bin ich bereit, die Wollenballen hinauszuwerfen.«
»Ei, seht doch, Meister Lorenz, solche Galanterie hätte ich Euch nimmer zugetraut«, rief der Herbrot und lachte.
»Da lernt man die Macht schöner Augen verstehen«, meinte der Imhof.
Ich wollte nun meine Sache besonders gut machen und Herrn Lorenz mit einem feinen Verslein ein paar Blumen überreichen, denn seine Antwort hatte mir sehr geschmeichelt.
Nur um Zeit zu gewinnen, warf ich wie in eifrigem Suchen die Blumen und Zweiglein hin und her.
Da aber wurde meine Eitelkeit bestraft.
Ehe ich gefunden, was ich zu suchen schien, waren die Herren schon wieder in ein Gespräch geraten, das fern von Spiel und Blumen lag, und der »klugen, schönen« Jungfer wurde nicht mehr geachtet.
»Der Lorenz hat kein Auge für die Frauenzimmer«, tröstete mich Josephe.
»Meinst, ich soll mich über den ärgern?« – Dabei wurde ich rot vor Ärger.
Ja, an dem Tage hab' ich mehr und noch lauter als sonst gelacht; aber lustig bin ich nicht gewesen. Meine Eitelkeit hatte doch einen zu argen Stoß erlitten.
Von Lorenz Altherr habe ich danach lange nichts mehr gehört. Ich weiß nicht, ob »die Brautschau« nicht zu meinen Gunsten ausgefallen war, oder ob eine neue Reise, die er bald danach unternahm, schuld daran gewesen ist.