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III.

Schulen für Mädchen hat's dazumal noch nicht gegeben; die sind, so viel ich weiß, erst um Anno 1540 eingerichtet worden. Einige Geschlechterfamilien und Kaufleute hielten sich für ihre Kinder einen Schulmeister.

Der, zu dem ich in die Schule gegangen bin, hieß Jekil Ülzinger und wohnte in einem kleinen Hause am Schwibbogentor. In niederer Stube, bei kargem Lichte, malten wir Kinder Buchstaben auf unsere Wachstafeln. Der Vater hatte mir einen silbernen Stift verehrt, weil ich den gläsernen in der ersten Lektion schon zerbrochen hatte.

Ich konnte mich gar schwer in die Schulordnung fügen und kramte ich meine Klugheit ungefragt aus – schwapp, tippte mich Meister Ülzinger mit seinem langen, dünnen Stabe. »Schnatterbüchsle, halt's Maul.«

Das Stillsitzen wollte mir auch nimmer behagen und mit dem Lernen ging's mir nicht schnell genug vorwärts; ich strebte voran, wie ein ungeduldiges Rößlein. Dabei hatte ich bald dem Nachbar zur Rechten und bald dem Nachbar zur Linken was ins Ohr zu zischeln. Da tanzte mir das Stäblein gar manchmal auf dem Kopf herum. Doch mit dem Begreifen hat's nimmer Not gehabt.

Besuchte uns einmal einer der großen Herren, nahm Meister Ülzinger eine gar feierliche Mine an, wies auf die Zählbrett-Tafel und sprach: »Achtet meiner Worte, liebe Kinder. Das Menschenleben gleicht dem Zahlpfennig; auf welche Linie derselbe gelegt wird – soviel gilt er; bald gilt er eins, bald zehn; oft bedeutet er hundert oder gar tausend; aber ach wie leicht wird er von seiner hohen Stelle auf eine niedrigere gerückt, da er zehnmal weniger gilt. Und ehe man sich's versieht, nimmt ihn der große Rechenmeister fort, und er ist nicht mehr wert, als ein Stück Messing.«

Bis auf Wicker Frosch, der der Fürsorge eines Ratsherrn seinen Platz verdankte, waren wir alle guter Leute Kind. Weil Wicker Frosch aber nicht nur ein schäbiges Kittelchen trug, sondern auch bucklig war, mußte er viel Spott erdulden. Wie's gekommen, weiß ich nicht mehr, aber es galt für ausgemacht, daß er unter meinem Schutze stand. Ich hatte darum ein Recht, zu fragen, warum er weinte, als ich ihn einmal in Tränen traf. Er meinte, Achilles Lang, eines reichen Gewürzkrämers Sohn, habe ihm gesagt, er dürfe sich's nicht einfallen lassen, das Virgatumgehn mitzumachen, weil er mit seinem Buckel und seiner Armut für die Schule nur eine Schande wäre.

Am liebsten hätte ich den Achilles für solchen bösen Übermut durchgeprügelt.

Beim Virgatumgehn stellte mich Meister Ülzinger an die Spitze des Zuges neben Achilles, der in damastnem Wämslein sich was besonderes dünkte.

»Gib mir die Hand, Bärbel«, schnauzte er.

»Geb' dir nimmer meine Hand.«

»Du mußt gehorchen; ich bin der König.«

»Tu's doch nimmer. Ein Geck bist du und kein König.«

»Meister Ülzinger, Bärbel hat mich Geck geschimpft«, krähte er weinerlich.

Aber der Schulmeister stimmte das Maienlied an:

»Im Maien, im Maien ist's lieblich und schön,
Da finden sich viel Kurzweil und Wonn'.
Die Nachtigall singet,
Die Lerche sich schwinget
Über Berg und über Tal.«

Da wir so singend durch's Stoffingertor hinaus nach den Wiesen zogen, schwenkte Achilles sein Fähnlein mit böser Absicht immer vor meiner Nase; ich aber wehrte mich seiner mit meinem bebänderten Stabe.

»Meister Ülzinger, König und Königin prügeln sich«, riefen die Kinder, und der Zug wollte ins Stocken geraten.

Im Birkenwäldchen am Bachufer waren Tische und Bänke aufgeschlagen, und in Buden wurden Getränke und Kuchen feilgeboten.

Kaum hatte ich unter den vielen Leuten mir die Mutter herausgesucht, da segelte wie ein geblähtes Schiff des Achilles Mutter vor Ärger auf uns zu und schrie, daß es jedermann hören konnte: »Frau Ittenhausin, Euer Bärbel ist eine hochmütige Dirne.«

»Laßt uns über die Sache zu Hause reden, Frau Langin«, wehrte die Mutter, und in einem lustigen Kreis, wo »blinder Mann« gespielt wurde, vergaß ich bald König und Königinmutter.

Auf dem Heimwege mußten die Kinder selbstgesammelte Rutenreiser tragen und dazu singen:

Ihr Väter und ihr Mütterlein,
Nun sehend, wie wir gehen heim
Mit Birkenholz beladen,
Welches uns wohl dienen kann
Zu Nutz und nit zu Schaden.
Euer Wille und Gottes Gebot
Uns dazu getrieben hot,
Daß wir jetzt unsre Rute
Über unserm eignen Leib
Tragen mit leichtem Mute.«

Das Lied aber war mir zuwider, hab's drum nicht mitgesungen.


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