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Schon am nächsten Tage kam die Altherrin in großem Staate und machte einen Besuch.
Kaum hatte sie auf dem Ehrensitze, wie sich's gebührte, Platz genommen, fiel der Mutter ein, daß ich der Anne beim Wäschelegen helfen müsse. Das sagte sie mit einer Miene, daraus ich las: »Mach', daß du hinauskommst, du bist hier unnütz.« – Doch zur Altherrin sprach sie: »Ich mag nicht leiden, daß eine junge Dirne die Hände im Schoß Maulaffen feilhält, wenn Frauen miteinander reden, oder wohl gar nach neumodischer Art der Mutter zwischen die Rede fährt.«
Ich aber wollte wissen, was die beiden verhandelten. Darum warf ich zwar die Türe nach der Küche derb ins Schloß, damit sie es hörten. Doch ging ich nicht hinaus, sondern schlich mich zurück und horchte.
Wenn dir deine alte Großmutter selbst ihre Sünden beichtet, Gundel, tut sie's nicht, daß du dich einmal vor deinem Gewissen damit rechtfertigst. Es wird mehr als einmal sein, daß ich dir von mir nichts Löbliches zu berichten habe. Gott mag mir's verzeihn, aber eine Zeitlang irrte ich auf gefahrvollen Wegen, und hätte er mich nicht gnädig bewahrt, wäre ich vielleicht in einen Abgrund gestürzt. Auch davon wirst du erfahren; denn als ich die Feder in die Hand nahm, habe ich mir gelobt, in jedem Worte wahr zu sein. Und an meiner Wahrhaftigkeit magst du dir wohl ein Beispiel nehmen, Gundel.
Als ich nun horchend hinter der Tür gestanden habe, dachte ich, daß das Brautwerben keine leichte Sache sein müsse; denn ich merkte, daß die Altherrin, ehe sie sich davon anzufangen getraute, wie eine Katze um den heißen Brei ging. Sie sprach vom Wetter und von Hans Sachs, vom Kaiser und Reich und von den Augsburger Mägden. Dann richtete sie die Lockspeise an und erzählte, wie schnell sich das Geschäft durch die Tätigkeit und Umsicht des Sohnes vergrößert habe. Darauf fütterte sie meine Mutter mit Süßigkeiten, nämlich mit dem Lobe ihrer Tochter, ein Lob, das jeder Mutter wie Mandelkerne schmeckt.
Derweil aber stand das so gar »fromme, folgsame und sanfte« Bärbel hinter der Tür, stampfte mit dem Fuß und sah, wie mich dünkt, gar böse und zornig aus.
Nun wurde berichtet, wie geachtet Herr Lorenz in der Stadt dastehe und was für ein guter Sohn er für seine Mutter wäre. – »Ihr werdet denken, Frau Ittenhausin: ein Verkäufer lobt seine Ware«, fuhr die Altherrin fort. »Darum will ich zu all der Ehre, die dem Herrn Sohn von Rechts wegen gebührt, hinzufügen, daß er kein Geschick hat, einen Liebhaber zu spielen.«
Mir traten vor Ärger die Tränen in die Augen, und ich ballte die Fäuste. War das nicht genug, Herrn Lorenz zurückzuweisen?
»Ein guter Sohn aber und eine folgsame Tochter werden, wie ich denke, auch rechtschaffne Eheleute werden.« – Die Altherrin sprach gar würdevoll, weil sie nun ihrer Sache sicher war. Die Mutter wagte auch nur schüchtern einzuwenden: »Doch die Jungfern haben's gar gern, wenn ein Mann mit Eifer um sie wirbt. Ihr müßt das wissen, so gut wie ich's weiß; denn wir sind auch einmal jung gewesen, Frau Altherrin.«
»Aber zum Freien gehört viel Zeit, und daran fehlt's dem Herrn Sohne. Die Augsburger Jungfern verlangen von ihren Liebhabern, wie mich dünkt, gar zu viel! Nicht genug, daß einer sich täglich vorstellen muß, er soll die Jungfer auch auf ihren Ausgängen begleiten; er soll Feste veranstalten und beileibe nicht versäumen, seinen Knaben mit kostbaren Geschenken und ausgesuchten Versen ihr ins Haus zu schicken. Für eine solche Jungfer paßt der Herr Sohn nicht; er hat weder Zeit noch Geld zu Tändeleien. Was eine rechtschaffene Hausfrau beanspruchen darf, daran wird's der Herr Sohn aber nicht fehlen lassen. Überlegt Euch die Sache, Frau Ittenhausin. Wider Willen kann man einem wohl etwas nehmen, aber nichts geben. Ich rede, wie mir ums Herz ist; doch Ihr müßt am besten wissen, was für Eure Tochter paßt.«
Nach meinen Reden, Gundel, hättest du mir wohl zugetraut, daß ich mich gegen der Altherrin Werbung tapfer wehren würde. Ja, du meine Güte! Gewehrt hab' ich mich auch, doch tapfer bin ich nicht gewesen. Schau, ich besaß keinen Liebhaber und vertraute Vater und Mutter. Was die Eltern wünschten, schien mir nicht schwer zu erfüllen; die Liebe zu ihnen war die stärkste Liebe. Wer aber vor sich kein Ziel sieht, der ist leicht zu leiten.
Mein guter Lorenz hat sich die Werbung nicht schwer gemacht. »Jungfer Bärbeli, könnt Ihr mich lieb haben?« – Und er reichte mir die Hand.
Ich wurde rot und sagte, daß ich's versuchen wolle.
Darauf gab er mir einen Kuß, der mich an den Traum erinnerte, darin ein Bräutigam mit stachlichem Bart mich küßte. Nun meinte der Lorenz seiner Pflichten ledig zu sein, trat vor die Eltern, und die Verlobung wurde feierlich begangen.
Ich hatte mir den Brautstand schöner vorgestellt; aber es ist damit, wie mit dem Mai, den die Sänger auch den Wonnemond nennen. Und doch ist der Mai gar oft so rauh, daß man lieber am warmen Ofen, als auf der grünen Wiese sitzen mag. Aber du darfst von einem unfreundlichen Frühling nicht auf einen unfreundlichen Sommer, und von einem kalten Brautstand nicht auf eine kalte Ehe schließen. Manche, wie Käthe Hörnlein, genießt alles Glück im Brautstand, und im Ehestand folgt das bittre Leid nach. Die Käthe meinte, weil sie und ihr Schatz sich über die Maßen liebten, es müsse immer so bleiben. Aber es gibt eine Art Liebe, die sich verbraucht und von der nach wenig Jahren nicht mehr viel übrig bleibt.
Von einem Liebhaber hat mich Lorenz Altherr nichts merken lassen. Kam er am Abend, so schwatzte er wohl eine Weile mit der Mutter und mir; doch sobald der Vater aus der Geschlechterstube nach Hause kehrte, geriet er mit ihm gleich in eifrige Unterhaltung, und – das arme Bärbel war vergessen. Da habe ich gelernt, Tränen heimlich zu schlucken, aber nicht aus unglücklicher Liebe – nur aus Wut und Ärger.
Einmal, als mich's wie ein großer Zorn packte, zerbrach ich unterm Tisch einen hölzernen Löffel. Aber weil's knackte, fragten alle gleich, was denn los wäre?
Da schoß mir ein böser Gedanke durch den Kopf: »Heut hab' ich nur einen Löffel zerbrochen, aber ich vermag wohl auch eine Brautschaft zu zerbrechen.« – Doch fand ich so was auszusprechen nicht den Mut.
Dir brauche ich's wohl nicht erst zu sagen, Gundel, daß Lorenz Altherr mein Gatte geworden ist. Gott mag ihm alles Gute vergelten! Ich bin an seiner Seite eine glückliche Frau gewesen, und seit ich ihn verloren habe, scheint mir die Welt so dunkel, als ob ich sie nur noch durch den schwarzen Witwenschleier sehen vermöchte.
Die Hochzeit will ich nicht ausführlich beschreiben. Es ist bei uns in Augsburg von prachtvolleren Festen zu erzählen, gegen die das unsre gar nicht aufgekommen ist. Doch ging alles nach der Tabulatur, kostete dem Vater viel Geld, machte viel Umstände, und wer das wenigste Vergnügen dabei gehabt, das waren Bräutigam und Braut.
Die Altherrin ging im Hochzeitskleide ihrer Mutter, von steifem Brokat mit untergelegten Reifen, einher wie eine Fürstin, die ganz Augsburg und den eignen Sohn dazu regiert. Aber trotz rotgeweinter Augen sah meine liebe Mutter weit vornehmer und viel schöner aus.
Wie es damals noch Sitte war, trug ich das lange blonde Haar mit einem blauen Band zusammengehalten und einen Kranz darüber. Die Ärmel an dem perlgrauen Atlaskleide waren offen und reichten fast bis auf den Boden; auch die Schleppe war lang und störte mich, weil ich zu unbedacht und schnell gewesen bin.
Als die Glocken läuteten, der Türmer blies und der Zug zur Kirche ging, meinten alle, ich wäre eine so fröhliche Braut, wie man selten eine sähe. Mir war aber nicht fröhlich zumute; doch habe ich auch keine Angst gehabt. Weil ich am Anfang die Sache schwer nahm, dünkte mich am Ende, ich hätt's überwunden, und was folgen könne, darnach fragte ich nicht mehr.
Damals begleiteten die Kränzeljungfern die Braut noch nicht zur Kirche; sie empfingen die junge Frau, wenn sie nach der Einsegnung in das Elternhaus zurückkehrte und verteilten grüne Kränze an die Gäste.
Herr Anton Fugger war mein Brautführer, daher war es seines Amtes, den goldgestickten Pantoffel, den ich im Brautgemach von meinem linken Fuße zog, einem Junggesellen zu überreichen. Herr Veit Ehem wurde damit beglückt; er hat ihm aber zu keiner Hausfrau verholfen.
Ich weiß nicht, wer von unsern Bekannten Wicker Frosch bestellen wollte, damit er während des Hochzeitsmahles Späße mache. Aber er lehnte ab; doch war mir, als hätte ich unter den vielen Leuten in der Kirche auch sein blasses, trauriges Gesicht gesehn.