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VIII.

Bis in mein vierzehntes Jahr ist es mir immer gut gegangen, und ich bin deshalb auch immer fröhlich gewesen. Die Mutter pflegte zu sagen, mein Lachen höre sich an, wie das Gackern einer Henne. Wenn es eine Hochschule gebe, wo man den Übermut lehre und dumme Streiche studiere, wolle sie mich hinschicken, weil ich gar bald als einer der ausgezeichnetsten Studiosi mich ausweisen würde.

Ich war fast verwöhnt; aber wenn auch nicht die Strenge, so hielt mich doch die Liebe in Zucht. Ich kann mich nicht erinnern, meinen Eltern Kummer bereitet zu haben, bis auf das eine Mal, davon ich erzählen will.

Nicht lange zuvor, ehe sich das ereignet, wovon ich dir zuletzt berichtet habe, Gundel, hatte auch Pater Wenzel mit anderen katholischen Geistlichen Augsburg verlassen. Er war mir ein guter Lehrer und zugleich ein Freund gewesen; ich hatte ihn so recht lieb gehabt und die Trennung von ihm tat mir weh.

Nach seinem Fortgehn aber hielt mein Vater darauf, daß ich in der neuen Lehre unterrichtet wurde. Er brachte mich selbst zu dem Pastor Gottlieb Linke, einem evangelischen Geistlichen, welcher an der St. Georgenkirche predigte. Dieser setzte mir alles, was mir zu wissen not tat, klar und deutlich auseinander; vor allen Dingen, worin sich die Abendmahlslehre Luthers von derjenigen Zwinglis unterschied. Die Marburger und Schwabacher Artikel waren ihm überhaupt wichtiger als der Kampf gegen Rom.

Er wohnte in Meiner-Herren-Häuser, die erst wenige Jahre zuvor angelegt worden waren. So schön aber das Haus auch war, schien es mir, wenn ich den Flur betrat, als schnüre eiskalte Luft mir die Brust zusammen, und als dringe nie ein Sonnenstrahl in diese Mauern; denn der Geist des Unfriedens herrschte darin.

Eine Muhme, die der Pastor nach dem Tode seiner Frau ins Haus genommen hatte, hing eifrig Zwinglis Lehre an. So war mit seinen Kindern schon der Religionshader aufgewachsen, und als die Muhme starb, wurde kein Friede geschlossen. Des Pastors einzige Tochter, Jungfer Jephta, blieb Zwinglianerin; die drei Söhne aber hielten zum Vater.

Jungfer Jephta, die die Wirtschaft führte, meinte auf ihr Seelenheil bedacht zu sein, wenn sie irdischer Eitelkeit entsagte. Obgleich sie Braut war, ging sie nie anders als in Grau und Schwarz gekleidet, wie ein verwittertes Frauenzimmer. Auch das Haus hielt sie schmucklos, gleich ihrer eignen Person. Das Wohnzimmer, darin die ganze Familie hauste, sah kahl wie ein Gefängnis aus; die grauen Mauern zierte kein liebliches Gemälde oder gar sündiger Tand. Weder Krüge noch glänzende Schüsseln standen auf den Simsen, und die dunkeln Deckbalken waren nicht durch Schnitzwerk noch goldne Zierrat verbrämt. Auf den rohen Dielen lag kein Teppich und auf der harten Bank kein weiches Polster; ja rings um den tannenen Tisch, der besser in eine gemeine Schenkstube paßte, standen grobe Schemel.

Jungfer Jephta, die mir eine Freundschaft erwies, welche ich teuer bezahlt habe, hatte mich einstmals aufgefordert, im Pfarrhaus einen Sonntag-Nachmittag zu verleben. Die Einladung erweckte mir nicht sonderliche Lust; aber der Vater verlangte, daß ich sie annehme.

Ich wurde von Jungfer Jephta auf einen Schemel dem Herrn Pastor gegenüber gesetzt. Er war nach der Predigt eingenickt und schnarchte. Zu meiner Linken hatten sich die Lutheraner geschart: Timotheus, Student der Theologie, Jonas und Daniel, Schüler von St. Anna. Zu meiner Rechten aber saßen Jungfer Jephta mit ihrem Bräutigam, dem Kandidaten Habakuk Runks – die Zwinglianer.

Solange sich noch ein Tropfen Warmbier in der zinnernen Kanne, die auf dem ungedeckten Tische stand, fand, gab's nur ein kleines Vorpostengefecht. Kaum aber hatte jeder sein Tröpflein geleert, wurde ich das Opfer ihrer Kampfeslust.

Die Zwinglianer verlangten, daß man mich auch nach seiner Lehre unterrichte, damit mir die Wahl bliebe; die Lutheraner hingegen wollten mich um keinen Preis wieder frei geben. Wie ein zitterndes Hühnlein, das sich fürchtet, von den hadernden Parteien aufgespeist zu werden, saß ich dazwischen und dankte Gott, daß sie nach meiner Meinung kein Verlangen trugen. Bald wandte ich den Kopf nach dieser, bald nach jener Seite. Jetzt wurde von rechts gefeuert mit »Antichrist«, dann kam's von links: »Ihr Rottengeister!«

»Eure Freude soll noch zuschanden werden!« schrie Jungfer Jephta.

»Wagt es nur, mit fürwitzigen Fragen an ihrem Glauben zu rütteln!« brüllte Jonas, dessen Stimme in die Höhe schlug, wenn er sich's am wenigsten versah.

»Teufelslehrer«, krähte Daniel, der Jüngste.

»Gebt acht, daß ihr nicht in des Teufels Stricke fallet«, warnte der Kandidat.

»Wollet nur die Suppe ausessen, die euch der Böse eingebrockt«, wetterte der Studiosus, und schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Stimme des Jonas fuhr noch höher hinauf. »Feinde des Evangeliums.«

»Lästerer Gottes«, krähte Daniel.

Die Worte schwirrten um mich wie die Bienen; ich fürchtete ihren Stachel, aber konnte mich ihrer nicht erwehren! Vor Angst traten mir die Tränen in die Augen und ich dankte dem lieben Gott, als der Pastor, da der Lärm zu arg tobte, aus seinem Schlummer auffuhr.

»Silentium!« rief er. »Sehet ihr denn nicht, wie ihr das Mägdlein erschreckt habt? Schont doch seiner, und streitet, da ihr des Streites nicht müde werdet, wenn kein Gast an unserm Tische weilt.«

Sollte man es trotz alledem glauben – und doch ist's geschehen –, daß mich Jungfer Jephta auf ihre Seite zog und mir großes Leid bereitet hat?

Sie liebte es, mich in ihre Kammer zu locken, denn sie hatte ausgespürt, daß meine Mutter katholisch geblieben war. Nun meinte sie sich einen Gotteslohn zu verdienen, wenn sie mich dahin brächte, die Mutter zu bekehren. Sie bewies mir, daß die Papisten in alle Ewigkeit verdammt wären und daß, wenn ich meine Mutter nicht auf eine falsche, heuchlerische Weise liebte, müsse ich sie erretten. Meiner Mutter Seligkeit mochte der armen Jungfer wirklich am Herzen liegen; darum redete sie so eindringlich, daß sie zuletzt meine junge Seele vergiftete.

Erst wurde ich, ganz gegen meine Art, still und nachdenklich; allerlei Gedanken rumorten in mir, und ich wußte nicht, wie ich ihrer Herr werden sollte. In der Nacht ward mir oft so bange, daß ich mich in meinem Bett aufrichtete, weinte und Gott inständig bat, er möge mir den rechten Weg zeigen. Nachdem ich lange diese heimliche Qual gelitten hatte, faßte ich endlich einen Entschluß und begann eines Tages mit der Bekehrung.

Da stand meine Mutter auf und sprach freundlich: »Lasse solche Reden, Bärbel; sie stehen dir nicht zu.« – Dann ging sie hinaus.

Ich aber meinte, daß ich um des Gotteslohnes willen ausharren müßte, und fing in meiner Verblendung mit meinem schlimmen Werke ein zweites Mal wieder an.

Diesmal kam zufällig mein Vater in die Stube, und so zornig – du lieber Gott! – so zornig hatte ich ihn nimmer gesehn. Es war gerade, als ob seine Augen Blitze und seine Worte Donner wären. Vor Angst bin ich fast in die Knie gesunken.

Die Mutter fühlte Mitleid mit ihrem verirrten Kinde. »Sie ist nicht in guten Händen, Kaspar«, mahnte sie.

Nachdem ich gebeichtet, wer es gewesen, der mich verführte, begab sich mein Vater zu Jungfer Jephta. Ich fürchte, daß er das arme Frauenzimmer hart angelassen hat, und doch meinte sie so zu handeln, wie es Gott und ihr Gewissen verlangten.

Als der Pastor uns einmal besuchte und in unserm Zimmer saß, das noch den Abglanz unseres einstigen Reichtums und einen feinen Geschmack zeigte, sprach er: »Ach, was ist Euer Haus eine liebliche Wohnstatt, Herr Ittenhausen, und wie tut der Friede so wohl, der darin regiert.«

Darauf mein Vater: »Ihr spüret wohl den Frieden, Herr Pastor, und seht, dennoch hängt mein liebes Weib Rom an und kann von der Lehre, darin sie aufgewachsen ist, nicht scheiden, während ich nicht länger an dieselbe zu glauben vermag. Aber die Religion hat uns nicht getrennt, Herr Pastor; denn wir lieben uns, und es gibt nichts in der Welt, das unsere Liebe nicht zu überwinden vermöchte. – Wer aber könnte auch ein Weib, wie meine Teutiche, nicht lieben? Darum sage ich: Gott segne sie alle Tage – alle Tage ihres Lebens.«

So ist abermals eine große Gefahr von unserem Hause gnädig abgewendet worden.


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