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Wir hatten einen lustigen Abend bei Hanneke Clessin verlebt. Don Pedro Gastaldo spielte auf der Mandoline und sang dazu ein Lied, in dessen Kehrreim wir alle einfielen.
Da sich Achilles Lang zu meinem Ritter aufgeworfen hatte, ließ er sich's nicht nehmen, mich nach Hause zu geleiten. Es war schon nach acht Uhr und auf den Gassen finster. Vor der Haustür wollte ich ihn verabschieden, aber er folgte mir.
»Frau Barbara«, rief er hastig und suchte mich zu umfassen, »weiset meine Liebe nicht zurück; ich meine es ehrlich.«
Vor Schreck war ich sprachlos; das ermutigte ihn und er versuchte mich zu küssen; aber wie von einer Natter gestochen fuhr ich auf, entwandt mich seinen Armen und schlug ihn ins Gesicht. Ich schlug derb, Gundel; denn an Kräften hat's mir dazumal nicht gefehlt.
»Weshalb stellt Ihr Euch denn wunder wie freundlich, wenn Ihr die Spröde spielen wollt?« rief er halb beleidigt, halb kläglich – machte aber, daß er fortkam.
In meinem ganzen Leben habe ich mich nicht so geschämt. Noch heiß vor Scham und Zorn stieg ich die Treppe hinauf.
Ich erwartete, daß die Schwieger längst in ihrem Bette läge; aber ich hörte sprechen. Einmal sprach die Schwieger, einmal das Gritli; ich verstand nicht, was sie redeten; aber sie schienen voll Eifer. Sie waren auch nicht allein; ein schwerer Männerschritt durchmaß das Zimmer. Mit klopfendem Herzen blieb ich vor der Türe stehn. Jetzt hielt der Schritt an und ich vernahm eine tiefe Stimme – des Lorenz Stimme: »Das Bärbeli ist noch ein junges Frauenzimmer. Es hat sich mit alten Frauen gelangweilt. Ihr müßt es nicht als ein Unrecht ansehn, wenn es sich einmal ein Vergnügen macht.«
»Fragt doch die Leute aus dem Geschäft«, rief das Gritli scharf, »die wissen, wie's die junge Frau getrieben hat.«
Achilles hatte mich schon wütend gemacht. Jetzt zuckte ich zusammen wie vor Schmerz. Ich bekam Lust, es mit ihnen aufzunehmen – mit ihnen allen. Heftig stieß ich die Tür auf und trat ein.
»Bärbeli«, rief Lorenz in einem Tone voll heißer Liebe und Sehnsucht.
Als hätte ich hundert Bücher über die Liebe studiert, so klar war mir's in diesem Augenblicke, daß ich Macht über diesen Mann gewonnen hatte. Und doch streckte ich ihm meine Hände abwehrend entgegen, so daß der Mantel, den ich losgenestelt, zu Boden fiel.
»Küsse mich nicht, Lorenz«, rief ich trotzig. »Was die Frau Mutter und das Gritli dir von mir erzählt haben, ist wahr. Ich bin anders geworden.«
Aber, obwohl ich widerstrebte, ergriff Lorenz meine Hände und zog mich an sich. »Sieh mich nur einmal an, Bärbeli«, bat er und blickte mir so heiß und verlangend in die Augen, daß ich sie niederschlug. Da preßte er mich heftig an sich, bog meinen Kopf zurück und sprach leise, doch sehr erregt: »Sieh mich an, Bärbeli! Blicke mir in die Augen.«
Aber ich riß mich von ihm los. »Meinst du, ich könnte dich nicht auch mit den Augen betrügen, wenn ich dich mit dem Herzen schon betrogen hätte? – Aber was schert's mich, wie ihr von mir denkt! Ich gehöre ja doch nicht zu euch! Ihr lebt nach eurer Art und kümmert euch nicht, ob ich ein solches Leben ertragen kann! Und wenn mich das Gritli schief angeschaut hat, war's schon recht, denn nach dem Gritli seiner Pfeife tanzt ihr alle. Es war aber eine Sünde – ja Lorenz, eine Sünde war's, daß du mich ins Haus gelockt hast, damit ich deiner Mutter diene. Und du hast nimmer gemerkt, wie sehr ich nach deiner Liebe verlangte, weil du nur an die andre – an das Friedeli – dachtest. Aber nun bin ich zu Ende mit euch! und ich frage nicht mehr danach, ob du mich liebst! Ich bin zu Ende – und – weiter habe ich nichts zu sagen.«
Ich lief in die Schlafkammer und riegelte mich ein; mochte Lorenz zusehen, wo er ein Unterkommen fand.
Die Kammer war nur von dem Kaminfeuer erhellt, welches das Gritli für seinen Herrn angebrannt hatte; denn es war schon nach Michaeli, und er mochte durchfroren heimgekehrt sein.
Ich hatte einen Kampf gewagt und – hatte gesiegt. Aber daran dachte ich jetzt nicht. Lange Zeit stand ich ohne mich zu rühren. Endlich ging ich langsam ans Kamin und brannte am Feuer die Kerzen an; dann betrachtete ich mich in dem venetianischen Spiegel, und da sah ich, daß ich schöner war, als ich's selber gewußt hatte.
Ich hatte mich sehr verändert; aus dem schlanken Mädchen war eine kräftige, blühende Frau geworden. Aber obwohl ich nicht eitel war, nicht einmal in jener trüben Zeit, da ich auf Irrwegen wandelte, klopfte mir vor Freude das Herz, als mir aus dem Spiegel ein schönes Bild entgegenschaute.
Langsam legte ich den reichen Schmuck ab, nahm vom Kopf die Haarhaube und flocht die langen, blonden Zöpfe auf. Ich wollte jetzt gerne schön sein. Nicht für das Mannsvolk, das ich in der Clessin Hause traf; nein, dem Lorenz wollte ich gefallen, damit er mich noch mehr liebte. Ich aber wollte ihn nicht lieben; nein; er sollte leiden, wie ich gelitten hatte.
Nicht umsonst verkehrte ich soviel mit Hanneke. Ich kannte jetzt die Macht der Weiber und wußte, daß auch ich einen Mann berücken konnte.
Gott wird mir seine Barmherzigkeit nicht versagen, denn diese Stunde habe ich bitter gebüßt.
Wenn ich ein Geräusch hörte, richtete ich mich mit schlagendem Herzen im Bette auf. Ich erwartete noch immer, daß Lorenz klopfen würde, war aber fest entschlossen, ihn nicht einzulassen; doch machte er keinen solchen Versuch.
Es gab aber auch andere Gedanken, die mir den Schlaf vertrieben. Am nächsten Morgen mußte ich Lorenz, die Schwieger und das Gritli wiedersehn; denn mein ganzes Leben konnte ich doch nicht in der Schlafkammer zubringen. Es beunruhigte mich, wie sie den Rebellen aufnehmen würden.
Zuletzt machte die Natur ihr Recht geltend; ich schlief ein und wachte später als ich's gewohnt war auf. Ich kleidete mich schnell an; aber die Tür öffnete ich langsam, denn mit dem Zorn war auch der Mut verraucht.
Auf dem dunklen Gange hörte ich Stimmen. »Das hast du dir nur eingebildet«, sagte das Gritli, und darauf der Lehrbursche: »Nein, gewiß und wahrhaftig nicht. Ich habe jedes Wort, das er zu ihr redete, gehört, und als sie nach ihm schlug, gab's einen tüchtigen Klatsch. Er schien genug daran zu haben.«
Das hatte noch gefehlt! Der Lehrjunge war Zeuge gewesen, als ich Achilles abtrumpfte, und nun erfuhr's auch noch das Gritli! Am liebsten wäre ich umgekehrt und hätte mich versteckt; aber einmal mußte es doch geschehen, daß ich sie alle wiedersah.
Lorenz ging in der Wohnstube mit großen Schritten auf und ab. Die Leute aus dem Geschäft saßen schon an ihren Plätzen und die Schwieger brockte Weißbrot in die Biersuppe.
Damit die Leute nicht merkten, daß Lorenz und ich uns noch nicht gesehn hatten, grüßte ich nur die Schwieger und reichte dann die Teller mit Suppe, welche sie austeilte, herum.
Das Gritli schob erst einen Arm voll Holz in den Ofen, dann setzte es sich und warf dem Lehrjungen einen Blick zu, darob dieser rot wurde. »Der Junge kann was erzählen«, sagte es zu Lorenz.
»Jungen haben bei Tische zu schweigen.« – Lorenz sprach strenger als ehemals.
Das Gritli aber ließ sich nicht irre machen: »Ich kann's auch erzählen; ich weiß es gerade so gut wie der Junge.«
Diesmal hatte sich's verrechnet. Lorenz fuhr auf und schrie es an, so daß es erschrak: »An diesem Tische hat nur die Frau Mutter, meine Frau und ich zu reden. Niemand sonst.«
Das Gritli wollte sich noch nicht fügen; es besaß einen gar zu störrischen Charakter. »Wenn Ihr die Geschichte nicht hören wollt, Herr Lorenz, ist es Eure Sache, denn Euch geht sie an.« – Drauf ging es kerzengerade zur Tür hinaus und schlug sie hinter sich zu.
Die Schwieger sah ihm entsetzt nach. Solange sie Haus gehalten, mochte das Gritli wohl noch niemals so hart angelassen worden sein.
»Frau Tochter«, sagte sie, nachdem die Leute ins Geschäft gegangen waren, »jetzt ist's an uns, das Geschirr abzuräumen; das Gritli wird sobald nicht wieder in die Stube kommen, weil es beleidigt worden ist.«
Diesmal hatte sich auch die Schwieger verrechnet.
»Wenn das Gritli in meinem Hause herrschen will, Frau Mutter, so ist seine Zeit abgelaufen.« – Lorenz öffnete die Tür und rief nach der störrischen Magd.
Der Schwieger sah man an, daß sie hoffte, das Gritli werde nicht erscheinen. Zu ihrem Verdruß aber erschien es doch. Es machte zwar eine gekränkte Miene, trug aber das Geschirr ohne Gebrumm nach der Küche.
»Wie ich sehe, beginnt ein neues Regiment.« – Die Schwieger drehte einen Daumen um den andern.
»Kann wohl sein, Frau Mutter. Es war nicht alles, wie es sein sollte. In dieser Nacht habe ich mir aber die Sache überlegt. Meine Frau« – so hatte Lorenz mich früher nie genannt – »hatte bis jetzt nicht die Stellung, die ihr zukam. Es wurde versäumt, ihr einen Teil der Herrschaft abzutreten; und während sie sich fügen mußte, führte das Gritli das große Wort. Ich spreche mich selbst nicht frei von Schuld. Darum bin ich entschlossen, meiner Frau zu ihrem Rechte zu verhelfen – unbeschadet Eurer Rechte, Frau Mutter, denn diese sind die älteren.«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, wandte sich Lorenz zu mir, und weil es die ersten Worte waren, die er an mich richtete, erschrak ich fast: »Bist du heute eingeladen, Bärbeli?«
Es drängte mich ihm zu sagen: »Ja; aber wenn es dir lieber ist, bleibe ich zu Hause.« – Denn weil er meiner Rechte gewahrt, wäre ich ihm auch gern gefällig gewesen. Aber ich schluckte es doch hinunter. »Bei Aloys Wegner ist Obstlese, wozu er sich Gesellschaft geladen hat. Ich bin dabei.«
»Nun, wir können den Besuch bei den Eltern wohl bis morgen aufschieben, Bärbeli. Wenn es dir recht ist, will ich dich zu Aloys Wegner begleiten.« – Dann nickte Lorenz mir zu und ging hinaus.
Die Schwieger ließ das Daumendrehen und starrte ihm mit großen Augen nach.
Die Folgen eines Unrechts werden nicht mit Reue bezahlt. Das habe ich erfahren, Gundel.
Von Haus aus war ich nicht gefallsüchtig. Das Mannsvolk war mir eben recht, um mit ihm zu tanzen, zu scherzen, und für Schmeichelei war ich auch nicht ganz taub. Aber es kam mir nicht in den Sinn, einen verliebt zu machen. Darum mußte es auffallen, daß ich mich in Aloys Wegners Garten benahm, wie Hannekes gelehrige Schülerin.
Ich wußte, daß die Oktobersonne, die schon überall zwischen dem spärlichen grün und rot gefärbten Laube hindurchdrang, auch mein Haar golden färbte; ich wußte auch, daß es mir gut ließ, wenn ich nach den roten Äpfeln, die an den niedern Zweigen hingen, die Arme streckte, um sie abzupflücken, und ich kannte zwei Augen, die daran großes Gefallen fanden. Für diese Augen bewegte ich mich, lachte und scherzte ich – nicht für die anderen Leute. Sie hielten mich für besonders lustig; aber ich wollte nur den Lorenz quälen und gedachte ihn noch mehr verliebt zu machen.
Vielleicht wäre die Sache nicht so schlimm abgelaufen, wenn sich Achilles Lang, eingedenk der erhaltenen Ohrfeige, nicht zu Hanneke gehalten hätte.
Nein, Gundel, was ich eben gesagt habe, ist grundfalsch. Unsere Taten sind wie Glieder einer Kette; mögen sie so oder so geformt sein, wir haben sie alle selbst geschmiedet und der liebe Gott wird uns einst mit dieser Kette schmücken, oder wir werden sie als schwere Fessel durch die Ewigkeit schleppen.
Ich glaube aber noch heut, daß mir Hanneke Achilles eher gegönnt hätte, als diesen Don Pedro Gastaldo, einen Korrespondenten der Welser, der damals für ihren erklärten Liebhaber galt. Es mag sein, daß sie auf ihn nicht gerade eifersüchtig war; denn sie war mehr berechnend als verliebt. Der Spanier mit kohlschwarzem Haar gefiel ihr vielleicht nur, weil sich neben ihm ihre blühende Farbe und ihre rötlichblonden Löckchen gut ausnahmen. Sie spielte mit einem Liebhaber, wie eine Katze mit der Maus; sie narrte und quälte ihn und verstand es, seine Torheit auszunutzen; doch zweifle ich, daß sie je einem ihre Liebe schenkte. Aber daß es einer andern gelingen sollte, einen Mann zu gewinnen, den sie mit ihrer Gunst ausgezeichnet und in ihren Schlingen gehalten hatte – das wirkte bei ihr wie Gift im Blut und machte sie krank vor Ärger.
Ich sehe sie noch den durchleuchteten Laubgang in einem rötlichen Kleide herabkommen. Sie hielt mit beiden Händen einen mit Obst gefüllten Korb und sah so schön aus wie ein Bild von Tizian. Achilles war an ihrer Seite, und je näher sie mir kamen, um so lebhafter redete er in sie hinein. Aber Hanneke schien ihn nicht zu beachten. Sie hatte Don Pedro erblickt und schoß aus ihren blauen Augen einen funkelnden Blick nach ihm.
Der Spanier hatte bis dahin nur müßig zugeschaut – ich sollte eher sagen: mir zugeschaut – und ertrug den Spott über seine Trägheit geduldig.
»Don Pedro«, rief ihm Hanneke zu, »wenn Ihr artig sein wollt, will ich Euch erlauben meinen gefüllten Korb zur Kelterei zu tragen. Achilles hat mich vergeblich darum gebeten; aber Euch soll die Gunst gewährt sein.«
»Sennora«, erwiderte der Spanier und senkte den Kopf, ohne jedoch den Platz zu ändern, »diese Gunst ist zu gering für mein Verlangen. Ich bin sehr eifersüchtig und dulde keinen Nebenbuhler. Ihr aber habt Euch schon einen Begleiter erwählt.« – Und nachdem er das gesagt, ergriff er meinen Korb, der halbgefüllt auf dem Boden stand, kniete nieder und hielt ihn so hoch, daß es mir leicht wurde, die abgebrochenen Äpfel hineinzulegen.
Hanneke ward bleich und Achilles, der alberne Prahler, sagte nicht gar laut, doch so, daß wir alle es hörten: »Nehmt's, wie es gemeint ist, Frau Hanneke. Ich bin für den Spanier ein zu gefährlicher Nebenbuhler. Er fürchtet sich vor mir.«
»Nicht vor Euch, sondern für Euch, o Sennor Aleman«, rief ihm der Spanier nach.
Ich war so unerfahren, daß ich nicht erwog, die Worte könnten gefährliche Folgen haben. Ich lebte ganz in meiner eignen Welt. Was gingen mich Hannekes Liebhaber an? Mochten sie sich ihretwegen in die Haare fahren.
Als ich den gefüllten flachen Korb auf den Kopf setzte, um ihn nach der Kelterei zu tragen, dachte ich nicht an Don Pedro, der mich begleitete, sondern an Lorenz, der im Zwiegespräch mit Aloys Wegner uns entgegenkam.
Lorenz brach die Unterhaltung plötzlich ab und kam dann auf mich zu. »Wir gehen heim«, sprach er und sah dabei bleich und finster aus. Ich sagte: »Wie dir's genehm«, und lächelte Don Pedro an.
Auf dem Heimwege, als mich Lorenz durchs Stöffingertor führte, bog er nach der Georgenkirche ab. Vor einem in die Kirchhofsmauer eingefügten Grabstein blieb er stehn. »Kannst du die Worte lesen?« fragte er mich fast streng.
Weil nun der Vollmond darauf fiel und meine Augen damals scharf gewesen sind, las ich: »Hier ruhet Jungfrau Friederike Rütlimann, hinterlassene Tochter des Ratsherrn Rütlimann in Bern und seiner Ehefrau Katharine Altherrin. Sie verstarb in ihrem achtzehnten Jahre am 10. Junius anno 1538. Gott sei ihrer Seele gnädig.«
»Das ist alles, was von dem Friedeli übriggeblieben ist.« – Dann wandte sich Lorenz zum Gehen und sagte nichts mehr; aber die Worte waren für mich gerade soviel wie eine ganze Predigt.